Nicht nur Legalisierung! Was 2021 sonst alles in der Cannabis-Industrie passierte

by Moritz Förster

2021 redet ganz Deutschland von der sich anbahnenden Cannabis-Legalisierung. Das Jahr könnte als der Wendepunkt in der Prohibitionspolitik in die Annalen eingehen. Viele weitere Ereignisse sind dadurch in den Hintergrund gerückt. Zeit – sie im großen Jahresrückblick mit führenden Industrievertreter:innen in den Mittelpunkt zu rücken. Was 2021 außer der Legalisierung in der Cannabis-Industrie noch alles passierte.

Die Key-Facts:

  • Produktvielfalt, neue Bezugsländer und mehr Wettbewerb
  • Legalisierungsbestrebungen in der Schweiz und anderen Ländern
  • Medizinisches Cannabis in Großbritannien
  • Cannabis-Produkte aus Nutzhanf für Endkonsumenten
  • Neue Anlaufstellen für Patient:innen
  • Cannabis im Mainstream
  • THC-Grenzwert von 0,3 Prozent
  • Überproduktion

Produktvielfalt, neue Bezugsländer und mehr Wettbewerb

Die Zeiten, in denen ausschließlich eine Handvoll kanadische Unternehmen und Bedrocan aus den Niederlanden deutsche Patienten:innen mit medizinischem Cannabis versorgten, gehören endgültig der Vergangenheit an.

“Die immer größere Produktvielfalt, die Vielzahl an neuen Ländern, aus denen Cannabis bezogen wird, die immer bessere Versorgungssicherheit und der Verkaufsstart von Cannabis aus deutschem Anbau waren echte Höhepunkte in diesem Jahr. Außerdem hervorzuheben ist die immer größere Professionalität der ganzen Branche und vieler Mitbewerber: Auf diese Weise haben wir als Cannabisindustriestandort Deutschland eine echte Chance uns global führend zu positionieren – in einem fairen und guten Wettbewerb”, so Benedikt Sons, Co-Gründer & CEO, Cansativa Group:

Dem pflichtet auch Boris Moshkovits, Co-Founder und Managing Director von Alephsana bei: “Das letzte Jahr zeichnet sich durch die Vielfalt der verfügbaren Blüten im deutschen Markt aus. Außerdem ist die Entwicklung bei den Vollblüten-Extrakten beachtlich und verspricht ein besseres Therapieangebot. Durch neue Produzenten und Zulieferer, die die EU GMP Standards erfüllen, wird neben der staatlich regulierten Versorgung ein breites Angebot für Patienten geschaffen.”

Dr. Tobias Haber, Director Speciality Care & Rare Diseases bei den Datenexperten von Insight Health, meint dazu: “Ich würde für das Thema Cannabis in 2021 drei Höhepunkte bestimmen wollen, die zum Teil miteinander verknüpft sind. Zwei dieser Höhepunkte haben sich im Juli zugetragen: Zum einen der Markteintritt der ersten Blüten aus deutschem Anbau und zum anderen die von den Kostenträgern geforderte Umstellung der Abrechnung von Cannabis-Zubereitungen in den Apotheken (Hash-Code/die PZN kommt auf das Rezept). Gerade zweiteres führt dazu, dass allen Herstellern im Markt die Möglichkeit eröffnet wird, Informationen über das reale Verordnungsgeschehen der verschreibenden Ärzte zu erhalten. Eng hiermit verknüpft ist ebenfalls die Ausschreibung der ersten Rabattverträge im 4. Quartal für Blüten und Extrakte, mein dritter Höhepunkt. Die Entwicklung bleibt sicherlich spannend, denn trotz viel Zuspruch gibt es auch Stimmen, die die Etablierung von Rabattverträgen bei pflanzlichen Arzneimitteln sehr kritisch sehen.”

Auf mehr Vielfalt verweist auch Drapalin-Geschäftsführerin Lana Korneva. Ihre Höhepunkte: “Erstens, dass in Deutschland angebautes medizinischen Cannabis für Patient:innen verfügbar ist; zweitens, dass sich die Auswahl an Kultivaren medizinischer Cannabissorten deutlich gesteigert hat; drittens, dass Investitionen in den Markt medizinischer Cannabisprodukte weiter zugenommen haben; und viertens die Diversifizierung und Differenzierung aufstrebender Pharmaunternehmen gegenüber den bereits im Markt befindlichen Big-Playern.”

Auch Rechtsanwalt Peter Homberg, Partner bei Dentons und Head of European Cannabis Group, freut sich vor allem über “die erste legale Medizinalcannabisernte der Geschichte Deutschlands im Juli 2021”. Homberg weiter: “Nach dem ersten Ausschreibungsverfahren durch das BfArM vor zwei Jahren und vielen pandemiebedingten Verzögerungen stellte die tatsächliche erste Ernte einen Lichtblick dar. Dass nun auch deutsche Unternehmen medizinisches Cannabis, wenn auch bisher in geringen Mengen, anbauen und ernten, ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft.”

Zweifelsfrei reichen die in Deutschland angebauten Mengen bei Weitem nicht aus, um den stetig steigenden Bedarf zu decken. Niklas Kouparanis, CEO und Co-Founder der Bloomwell Group, dazu: “Im medizinischen Markt wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 neun Tonnen Cannabisblüten importiert. Dass die Anzahl der GKV-Verschreibungen deutlich weniger stark gestiegen ist als die Menge der Importe, ist ein klares Indiz dafür, dass Privat- und Selbstzahler überproportional zunehmen. Gerade vor diesem Hintergrund, aber auch für mehr Akzeptanz aufseiten der GKV, ist es sehr zu begrüßen, dass durch mehr Wettbewerb die Preise sinken und so die finanzielle Belastung abnimmt.”

Legalisierungsbestrebungen in der Schweiz und anderen Ländern

Angesichts der großen medialen Aufmerksamkeit für die in den Koalitionsvertrag verankerte Cannabis-Legalisierung in Deutschland gehen die Entwicklungen in anderen Ländern etwas unter. Auch in der Schweiz bahnt sich eine Legalisierung an.

Daniel Haymann, in der Schweiz tätiger Rechtsanwalt bei MLL Meyerlustenberger Lachenal Froriep: “In der Schweiz hat die Gesundheitskommission des Ständerates Mitte Oktober die parlamentarische Initiative Siegenthaler, die einen legalen, regulierten Cannabismarkt fordert, mit einer überwiegenden Mehrheit von 9 zu 2 Stimmen angenommen. Die Schwesterkommission im Nationalrat ist nun beauftragt, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten. Zwar hinken wir Schweizer der Entwicklung in Deutschland hinterher, aber das politische Zeichen für eine Liberalisierung wurde gesetzt und war ‘very good news’ für die gesamte Industrie.”

Alfredo Pascual, VP Investment Analysis, Seed Innovations freut sich einerseits über einen zweistelliges Wachstum im deutschen Markt für medizinisches Cannabis im Vergleich zum Vorjahr. Darüber hinaus erklärt er: “Nicht nur die neue deutsche Regierung hat eine vollständige Legalisierung versprochen. Die Niederlande und die Schweiz sind mit ihren Versuchen im Jahr 2021 vorangekommen, während Luxemburg und Malta im Begriff sind, den begrenzten Besitz zu entkriminalisieren und den Anbau zu Hause für den persönlichen Gebrauch zu legalisieren. Im Fall von Malta sollen auch die Clubs reguliert werden. Portugal wird voraussichtlich 2022 die Diskussion über die Legalisierung des Freizeitkonsums wieder aufnehmen.”

Und für Finn Age Hänsel, Mit-Gründer, Sanity Group waren die Höhepunkte 2021: “Die Ankündigung von Modellprojekten in der Schweiz, die Legalisierung weiterer US Bundesstaaten sowie die positive Entwicklung der Unternehmen in unserem Bereich.”

Medizinisches Cannabis in Großbritannien

In Europa gilt weiterhin: Hinsichtlich Patient:innenzahl und der Menge an verordneten medizinischen Cannabis-Produkten kommt erstmal Deutschland, dann klafft eine enorme Lücke. Allerdings ist Franziska Katterbach von Khiron der Auffassung, dass sich 2021 Großbritannien bereits in den Vordergrund gedrängt hat:

“Ich habe natürlich ein besonderes Augenmerk auf Deutschland und Großbritannien, zwei der größten Märkte für chronische Schmerzen in Europa: Auch wenn Deutschland den europäischen Markt für medizinisches Cannabis bis mindestens 2024 weiterhin dominieren wird, glaube auch ich persönlich, dass sich der britische Markt für medizinisches Cannabis in den skizzierten Bereichen hervorragend entwickelt und bis 2025 das größte Wachstum aller europäischen Länder aufweisen wird.”

Cannabis-Produkte aus Nutzhanf für Endkonsumenten

Eines muss man Kai-Friedrich Niermann in jedem Fall lassen: Hartnäckig und geduldig ist der auf Cannabis spezialisierte Anwalt. Umso mehr freute er sich im März über das “Hanfbar-Urteil”. Zur Erinnerung: Entgegen der Auffassung des Landgerichts verbietet diese Ausnahmevorschrift nicht grundsätzlich den Verkauf an Endabnehmer zu Konsumzwecken. Jedoch muss ein Missbrauch des Cannabisprodukts zur Berauschung ausgeschlossen sein.

Kai-Friedrich Niermann, Rechtsanwalt, KFN+: “Das BGH Urteil im Hanfbar-Fall vom 24.3.2021 war für die Branche die wichtigste Entscheidung des Jahres. Damit wurde erstmals überhaupt klargestellt, dass Cannabis-Produkte aus Nutzhanf überhaupt an Endkonsumenten abgegeben werden können. Bleibt das Problem mit dem Missbrauch zu Rauschzwecken, das noch geklärt werden muss.”

Neue Anlaufstellen für Patient:innen

Dass es für Patient:innen auch viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes “Cannabis als Medizin” schwierig ist, gewillte Ärzte mit Expertise zu finden, die Ihnen bei einer cannabinoidbasierten Therapie mit Rat und Tat bei Seite stehen, ist ein offenes Geheimnis. 2021 könnte im Nachhinein einen Wendepunkt darstellen.

Katrin Eckmans, Geschäftsführerin von Farmako: “Es hat sich in 2021 deutlich gezeigt, dass sich noch zu wenige niedergelassene Ärztinnen und Ärzte an eine Cannabistherapie heranwagen, der Bedarf bei Patienten deswegen nicht gedeckt werden kann und diese daher ungewöhnliche und sehr teure Wege gehen müssen. Ich hoffe sehr, dass die in 2021 erfolgte, publikumswirksame Demonstration der spezialisierten Cannabis-Telemedizin Motivation genug für mehr und mehr Ärztinnen und Ärzte ist, selbst Cannabis als Therapie in Betracht zu ziehen und Patientinnen und Patienten eine ärztliche Anlaufstelle zu bieten.”

Auch Pia Marten, CEO von Cannovum, hofft, dass Patient:innen sich bald ihre Odyssee von Praxis zu Praxis sparen können, auf der Suche nach medizinischer Expertise für Cannabis-Therapien: “Der größte Höhepunkt für mich war in diesem Jahr die steigenden Patientenzahlen, denn es zeigt, dass in 2021 mehr Patient:innen Zugang zu Cannabis-basierten Therapien hatten als je zuvor. Ich freue mich darüber, dass auch das Interesse an Cannabis und dem medizinisch-therapeutischen Nutzen weiter gestiegen ist, denn jeder Patient verdient die beste Therapie. Wir konnten in Deutschland in diesem Jahr eine Diversifizierung der Cannabisblüten und Extrakte verzeichnen, die alle unterschiedliche Terpenprofile haben und damit bei unterschiedlichen Indikationen eingesetzt werden können, sodass Ärzte und Apotheker eine individuell auf den Patienten abgestimmte Therapie aufsetzen können. Der deutsche Cannabis-Markt wächst weiter, mit immer mehr Importen aus anderen Ländern und auch dem ersten heimischen Cannabis.”

Cannabis im Mainstream

Stigma adé. Es scheint, dass Cannabis-Produkte endgültig raus sind aus der Schmuddelecke. Hippe Marken prägen die CBD-Branche.

“Die Hanf-Pflanze hatte aus meiner Sicht einen kleinen Siegeszug. So sind immer mehr Produkte, ob zum Beispiel Lebensmittel oder Kosmetika, in der breiten Bevölkerung angekommen und immer mehr fachfremde Unternehmen haben das Marketing- aber vor allem auch das Wirkstoff-Potential der Pflanze erkannt”, blickt Lars Müller, CEO Synbiotic, zurück.

Timo Bongartz, General Manager Fluence, ergänzt: “Gemäß dem Motto der ‘Trend is Your Friend’, macht der differenziertere gesellschaftliche und politische Diskurs gegenüber Cannabis Mut und Lust auf mehr. Auch die verstärkte internationale Zusammenarbeit von Cannabisunternehmen ist ein positiver Trend. Dabei zu sehen dass Deutschland zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt der europäischen Cannabiswirtschaft wird, hilft eine seriöse and wirtschaftlich gesunde Industrie aufzubauen.”

THC-Grenzwert von 0,3 Prozent

Er war seit Jahren der CBD und Nutzhanf-Industrie ein Dorn im Auge: Der THC-Grenzwert von 0,2 Prozent. Damit ist es nun allerdings vorbei. Endlich, werden sich viele CBD-Unternehmer denken. Unter ihnen Auch Meira Schmidt, Geschäftsführerin des CBD-Tierfutter-Spezialisten Evercann. Ihre Höhepunkte 2021:

“Zum einen die Anhebung des THC-Grenzwertes auf 0,3%. Dieser neue Impuls wird international gleiche Ausgangsbedingungen schaffen und dem EU-Hanfsektor die Möglichkeit geben, im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Zum anderen unsere Mitgliedschaft in der Initiative ProCBD der Sanity Group. Gemeinsam mit der Initiative Pro CBD e.V. und anderen Cannabis-Unternehmen setzen wir uns aktiv für den Verbraucherschutz ein und haben eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnet, die mehr Transparenz in diesem noch unübersichtlichen und unregulierten Markt schaffen soll.”

Überproduktion

In Deutschland fragen sich viele, wer schlussendlich den vom Ökonom Justus Haucap prognostizierten Bedarf im Falle einer Cannabis-Legalisierung von 400 Tonnen Cannabis jährlich produzieren soll. Vielleicht ist die Herausforderung kleiner als gedacht? Oder besser gesagt: Vielleicht liegt sie ganz woanders?

“Mein positiv Highlight war der Moment in Kanada, als das erste mal der legalisiert-regulierte Markt mehr umsetzen konnte, als der Schwarzmarkt. Das schafft Vertrauen und Evidenz. Und: es ist ein wichtiges Signal. Mein negativ Highlight war, dass in 2020 weltweit ein Vielfaches an Cannabis legal angebaut und geerntet wurde, als überhaupt nachgefragt war”, findet Stephan Kramer, Gründer & CEO von Heyday

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