Germany goes Rec!

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann zum Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung:

Wenn man sich seit seinem Studium mit Cannabis beschäftigt hat, aus rechtlicher Sicht und persönlichem Interesse, und dann nach 18 Jahren tatsächlich eintritt, wo so viele Menschen für gekämpft haben, weil zu viele Menschen darunter gelitten haben, dann ist das schon ein sehr emotionaler Moment! Ich beglückwünsche alle Mitstreiter, Vorreiter und der neuen Regierung zu diesem entschlossenen Schritt für eine neue Drogenpolitik: Deutschland legalisiert Cannabis!

Was als nächstes zu tun ist

Wir haben in Deutschland jährlich ca. 285.000 Strafverfahren wegen Cannabis, davon 2/3 gegen Konsumenten. Mittlerweile sind noch mehrere 1000 Verfahren wegen Nutzhanf und CBD hinzugekommen. Die neue Regierung muss in den ersten 100 Tagen eine umfassende Entkriminalisierung von Cannabis beschließen, und die Verkehrsfähigkeit von Nutzhanf-Produkten sicherstellen. Und zwar durch Möglichkeit zum Besitz, zum Eigenanbau und durch die Streichung des Tatbestandsmerkmals „Missbrauch zu Rauschzwecken“ in Anlage 1 des BtMG.

Die Arbeitsgruppen, und der Gesundheitsausschuss des Bundestages (wo das Gesetzesvorhaben höchstwahrscheinlich zugeordnet wird), müssen sich jetzt finden und alle offenen Fragen zur Umsetzung des Cannabiskontrollgesetzes definieren. Vieles ist noch unklar, wie zum Beispiel:

  • Welche Rolle spielt die soziale Verantwortung, der Grundgedanke des Cannabiskontrollgesetzes? Wie umfangreich müssen Sozialkonzepte formuliert werden, wie viel Mindestabstand zu einer Schule ist sinnvoll, sollen die Länder tatsächlich ermächtigt werden, die Anzahl der Fachgeschäfte zu begrenzen?
  • Wer soll die Schulungen für die Mitarbeiter der Fachgeschäfte durchführen, um das Zertifikat „verantwortungsvolles Verkaufen“ zu erwerben? Kann so viel Schulungsindustrie überhaupt aktiviert werden, in der Kürze der Zeit? Was sollen die Lerninhalte sein? Vielleicht sogar eine eigene Berufsordnung für „Budtender“?
  • Ebenso dringend: wie kann der Bedarf gedeckt werden? Auf völkerrechtlicher Ebene ist es durchaus möglich, umgehend internationale Handelsbeziehungen zu etablieren. Aber wahrscheinlich nur mit Uruguay und Kanada, einem Player, der eh schon groß genug ist? Macht ein Anbau von 400-600 t in Deutschland überhaupt Sinn? Kann man das ökologisch regulieren? Jedenfalls müssten Anbaubetriebe, die hier lizenziert werden, ein Null-Energiekonzept vorlegen, damit die Ziele der neuen Klima-Regierung nicht konterkariert werden. Also doch besser importieren aus Gegenden, in denen klimatisch bessere Bedingungen vorherrschen? Aber auch nur dann, wenn faire Bedingungen im Anbauland gewährleistet sind?
  • Darf in den Fachgeschäften konsumiert werden? Darf es ein gastronomisches Angebot geben? Will ich eine innerstädtische Kultur von Fachgeschäften ermöglichen, oder alles in den Außenbereich verbannen?
  • etc. etc. etc.

Die Industrie ist am Zug

Die Industrie muss sich auf diese Fragestellungen vorbereiten und eigene Vorschläge entwickeln, um sich bei den Anhörungen und Debatten, die sich über das ganze Jahr 2022 entwickeln werden, einzumischen. Nur mit der Industrie wird sichergestellt, dass das Abgabemodell durch Fachgeschäfte erfolgreich sein wird. Die Entscheidung für Fachgeschäfte wurde bewusst getroffen, da die Industrie besser zu regulieren und kontrollieren ist als private Vereine bzw. Social Clubs.

Der Bundesrat spielt in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle. Das Strafrecht ist konkurrierende Gesetzgebung, von dem der Bund Gebrauch gemacht hat. In Einzelheiten muss der Bundesrat beteiligt werden, aber die Entscheidung der neuen Regierung zur grundsätzlichen Legalisierung wird er nicht verhindern können.

Die Debatte der letzten Jahre ging immer nur über das Ob, und nicht über das Wie der Legalisierung. Auch nicht bei den Grünen. Die nächsten Monate werden spannend, und über das zukünftige Abgabemodell in Deutschland entscheiden!

Über den Autor

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Erst ist vertraut mit den Schnittstellen von nationalen und europäischen Regulierungen im Hinblick auf Verbraucherschutz und neue Cannabisprodukte. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Cannabis-Prohibition, da 1994 ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofes zum Eigenbedarf ergangen ist.

Mehr zum Thema

Leave a Comment