Daten zum Cannabismarkt – Tobias Haber: “Sehen einen Trend zu Extrakten”

by Moritz Förster

Belastbares Datenmaterial ist heißt begehrt in der Cannabis-Industrie, vor allem aber auch rar gesät. Die Spekulationen beginnen bereits bei der Zahl der Patienten:innen. 80.000, 100.000 – oder doch mehr oder weniger? Da die Selbstzahler nicht erfasst werden, weiß niemand exakt, wie viele Cannabis-Patienten:innen es hierzulande gibt. Dr. Tobias Haber verantwortet beim Marktforschungsinstitut Insight Health den Cannabis-Sektor. Im Interview mit krautinvest.de bringt er Licht ins Dunkel. Er blickt zurück auf die Entwicklung der letzten vier Jahre, wagt den Blick über die Landesgrenze, vergleicht Extrakte mit Blüten und Epidyolex – und erläutert, was die Krux ist, in der Cannabiswirtschaft valide Daten zu generieren.

Die Key Facts zu Cannabis als Medizin:

  • Die Umsätze steigen. Die Branche ist im Aufwind.
  • Die Daten zeigen einen Trend hin zu Extrakten. 22 Unternehmen haben ihre Extrakt-PZN hinterlegt.
  • Epidyolex befindet sich mittlerweile auf dem Umsatz-Niveau von Sativex.
  • Extrakte und Blüten werden an unterschiedliche Patienten:innen-Gruppen verordnet.
  • Komplizierte Marktdaten u.a. durch: fehlende Preistransparenz bei Blütenherstellern, Komplikationen bei der Analyse des GKV-/Selbstzahler-Splits bei Zubereitungsarzneimitteln, die Sondersituation im GKV-abgerechneten Bereich

krautinvest.de: Hallo Tobias. Als im März 2017 das Gesetz Cannabis als Medizin in Kraft trat, war rasch die Rede von 800.000 Patienten:innen hierzulande. Für den gesamten europäischen Cannabis-Markt, nicht nur den medizinischen, prognostizierten Berater jährliche Marktvolumina von über 50 Milliarden Euro binnen fünf Jahren. Wenn wir nun auf die aktuellen Zahlen für den medizinischen Cannabismarkt in Deutschland blicken, ist Ernüchterung eingekehrt?

Dr. Tobias Haber: Ernüchterung ist hier vielleicht nicht der korrekte Begriff. Die Umsatzzahlen, gerade aus dem letzten Jahr, zeigen ein eindeutiges Marktwachstum in eigentlich allen Bereichen des Cannabismarktes. Die Branche ist sehr stark im Aufwind, was wir nicht zuletzt an immer weiteren Marktteilnehmern und/oder auch Investoren/Exporteuren aus dem Ausland feststellen. Jeden Monat werden Dutzende neue Handelsformen registriert. Mit der retrospektiven Brille betrachtet, muss man allerdings feststellen, dass der Erfolg nicht so schnell und auch nicht europaweit eingetreten ist, wie sich das viele zu Beginn des Cannabis-Booms gewünscht haben. Andere Länder wie bspw. die Schweiz oder Frankreich stehen aber mittlerweile in den Startlöchern für die Marktöffnung.

krautinvest.de: Viele Unternehmen brachten rasch Extrakte als bevorzugtes Produkt gegenüber Blüten ins Spiel. Allerdings bevorzugen Patienten:innen weiterhin Blüten. Wie bewerten Sie die Entwicklung von Blüten, Extrakten und Fertigarzneimitteln im Vergleich?

Dr. Tobias Haber: Anhand unserer Daten sehen wir momentan einen stärkeren Trend hin zu Extrakten. Allein in diesem Jahr wurden über 30 neue Extrakt-PZN registriert. Das sind mehr als 50% aller Extrakt-Zulassungen bisher. Aber auch der Blütenmarkt zeigt ein konstantes Wachstum. Spannend wird sicherlich hierbei die Frage, welche Absätze die Blüten aus deutschem Anbau in den nächsten Monaten erreichen können und welchen Einfluss diese auf die Importware haben werden. Aus dem Bereich der Fertigarzneimittel ist die Entwicklung von Epidyolex zu erwähnen. Im Oktober 2019 gestartet hat es einen sehr deutlichen Umsatzsprung hingelegt und befindet sich mittlerweile auf dem Umsatz-Niveau von Sativex.

krautinvest.de: Sehen wir bereits, dass sich der Wettbewerb, nicht nur im Falle von Blüten, auch von Extrakten intensiviert und sich dies auch im Preis widerspiegelt?

Dr. Tobias Haber: Wie bereits erwähnt, sehen wir gerade in diesem Jahr einen deutlichen Trend hin zu den Extrakten. Bis Ende 2020 gab es lediglich acht Unternehmen, die Cannabisextrakte im Sortiment gelistet hatten, mittlerweile sind es 22 Unternehmen, die ihre Extrakt-PZN offiziell registriert haben. Allerdings schlägt sich dieser Trend noch nicht im Preis nieder – genau das erwarten wir jedoch in den kommenden Monaten. (Anmerkung der Redaktion: Analyse von krautinvest.de).

krautinvest.de: Was muss sich Deines Erachtens ändern, damit Extrakte die Lücke zu Blüten schließen?

Dr. Tobias Haber: Die Frage nach dem Lückenschluss können wir als Insight Health nicht zu 100 Prozent beantworten, denn am Ende kommt es auf die Qualität der Produkte und die Performance der Hersteller sowie – gemessen an der Anzahl der Marktteilnehmer – auch auf die Alleinstellungsmerkmale innerhalb der Produktgruppen an. Ganz abgesehen davon handelt es sich bei Blüten und Extrakten formell um zwei unterschiedliche Produktfamilien mit deutlichen Unterschieden innerhalb der jeweiligen Patientengruppen: Fast 80 Prozent aller Blütenverordnungen werden an die Gruppe der unter 60-jährigen Patienten verordnet. Nur etwas mehr als 50 Prozent aller Extraktverordnungen finden in der gleichen Altersgruppe statt. Werfen wir einen Blick auf die Geschlechterverteilung bei den Verordnungen, so lässt sich feststellen, dass Cannabisblüten häufiger an Männer verordnet werden, Extrakte jedoch häufiger an Frauen.

krautinvest.de: Zu guter Letzt: Wie schwierig ist es eigentlich valide Marktdaten über den vergleichsweise jungen, hochregulierten medizinischen Cannabismarkt zu generieren?

Dr. Tobias Haber: Die Situation einer komplizierten Marktdatenlage ist für uns nicht neu, allerdings gibt es im Markt für Medizinalcannabis einige branchenspezifische Hürden, von denen man gehört haben sollte: fehlende Preistransparenz bei Blütenherstellern, Komplikationen bei der Analyse des GKV-/Selbstzahler-Splits bei Zubereitungsarzneimitteln, die Sondersituation im GKV-abgerechneten Bereich (Cannabis-Zubereitungen werden unter sogenannten Sonder-PZN abgerechnet) – um ein paar zu nennen.
Aufgrund der komplizierten Datenlage haben wir uns bereits mit Einführung des „Cannabis-als-Medizin-Gesetzes“ intensiv mit dem Markt auseinandergesetzt und auf Basis einer langjährigen Expertise ein breites und valides Portfolio an Analysemöglichkeiten für sämtliche Marktteilnehmer etablieren können.

Über Dr. Tobias Haber
Dr. Tobias Haber ist Director Speciality Care & Rare Diseases bei Insight Health. Begonnen im Produkt- und Projektmanagement bei Insight Health. Zwischenzeitlich drei Jahre Geschäftsführer der Insight-Health-Niederlassung Schweiz. Seit 2020 in aktueller Position tätig. Von Haus aus Naturwissenschaftler mit wirtschaftswissenschaftlichem Background. Die Insight Health GmbH & Co. KG ist ein seit 1999 aktives Marktforschungsinstitut mit einem breiten Portfolio von datenbasierten Dienstleistungen im Gesundheitsmarkt.

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