Vollspektrum-Cannabisextrakte: Vorteil, Wandel, Wachstum

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Tibor Rietzsch Junge zum dynamischen Wachstumsmarkt Cannabisextrakte

Der Markt für cannabis-basierte Arzneimittel in Deutschland und Europa wird nach wie vor durch starke Dynamiken geprägt. Neben vielen neuen Unternehmen drängen auch zunehmend etablierte Pharmaunternehmen in den Bereich– wie zuletzt beispielsweise Stada. Das Wachstum des Marktes und die vermehrte Anzahl an Marktteilnehmer:innen (zurzeit circa 85) wird durch die aktuellen Entwicklungen der Legalisierung von nicht-medizinischem Cannabis angeheizt. Denn eine Distribution über Lieferketten unter solch strengen Anforderungen wie denen, die derzeit für medizinisches Cannabis gelten, scheint naheliegend. Ein solches Szenario würde Unternehmen, die auf pharmazeutisches Cannabis spezialisiert sind und entsprechende Anforderungen mit ihren Lizenzstrukturen schon jetzt erfüllen, einen klaren Vorteil verschaffen.

Diversifizierung der Produkte

Die hohe Anzahl an Marktteilnehmer:innen führt auch zu einer stetigen Diversifizierung und Ausdifferenzierung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis. War es zuvor noch lange beschränkt auf ein breites Spektrum an Blüten, so wird die dort von Patient:innen sehr geschätzte Angebotsvielfalt nun auch zunehmend im Bereich der Vollspektrum-Cannabisextrakte gespiegelt. In der Datenbank der Lauer Taxe finden sich mittlerweile circa 40 unterschiedliche Produkte dieser Kategorie. Nachdem der Fokus zunächst auf THC-dominanten Produkten lag, kommen seit einiger Zeit immer mehr THC/CBD-ausgewogene und jüngst auch vermehrt CBD-dominante Arzneimittel hinzu. 

Breites Preisspektrum, kleiner Anteil, großes Wachstum

Auch die Preise pro Milligramm THC gehen dabei weit auseinander: Von 0,192 € bis 0,353 € pro Milligramm reichen die Apothekeneinkaufspreise bei den THC-dominanten Extrakten (die Preise von Extrakten mit erwähnenswerten Anteilen von CBD liegen teilweise sogar noch jenseits dieser Spanne). Ein deutlicher Preiskampf wie im Blütenmarkt hat jedoch noch nicht eingesetzt, obwohl es durch den Eintritt von immer mehr Wettbewerber:innen in dieses Segment wahrscheinlich scheint, dass es dazu kommen wird. Eine Frage, welche die Industrie derzeit beschäftigt, ist, welche Darreichungsform sich langfristig im deutschen Markt durchsetzen kann: Vollspektrum-Cannabisextrakte, Isolate und Fertigarzneimittel oder Cannabisblüten?

Vollspektrum-Cannabisextrakte: Vorteil, Wandel, Wachstum
Vergleich: GAmSi Verodnungszahlen Q1:Q2/21 zu Q1:Q2/20 für Zubereitungen und FAM

Schaut man auf die GAmSi-Zahlen des ersten und zweiten Quartals 2021, sind es eindeutig die Fertigarzneimittel und Isolate, die den größten Anteil (51,47%) an Umsatz der GKV-Verschreibungen ausmachen, gefolgt von Blüten (41,34%). Zu beachten ist jedoch, dass diese Daten nur die von den gesetzlichen Kassen genehmigten Abgaben erfassen. Der signifikante Anteil an Selbstzahler:innen bei den Cannabisblüten ist nicht berücksichtigt. 

Vollspektrum-Extrakte machen hier noch einen kleinen, wenn auch schnell wachsenden Anteil aus (7,20%). Im Vergleich zu den Daten aus dem Vergleichzeitraum 2020 steigen die Umsätze bei Vollspektrum-Extrakten, Fertigarzneimitteln und Isolate, während sie für Blüten abnehmen. Obwohl Vollspektrum-Extrakte aktuell noch den kleinsten Anteil an Marktumsatz darstellen, liegt deren Wachstumsrate mit 163,20% weit über der von Fertigarzneimitteln und Isolaten (135,84%) – das Potenzial ist also groß.

Akzeptanz und Convenience

Das große Wachstum bei den Extrakten und die Reduzierung des Anteils der Blüten hat einfache Gründe: Zum einen waren lange Zeit fast ausschließlich nur Blüten am Markt verfügbar. Doch diese Dominanz wird immer weiter durch die steigende Verfügbarkeit von Extrakten geschwächt. 

Viel wichtiger sind jedoch die erheblichen Vorteile von Cannabisextrakten für den medizinischen Gebrauch, da es sich um eine einfache und etablierte Darreichungsform handelt. Als Tropfen, Kapseln oder manchmal sogar Zäpfchen stoßen sie viel schneller auf Akzeptanz innerhalb der medizinischen Fachwelt, in der die Verdampfung von Arzneimitteln eher eine Ausnahme darstellt.

Vollspektrum-Cannabisextrakte: Das Beste aus zwei Darreichungsformen

Vollspektrum-Cannabisextrakte heben sich innerhalb der cannabisbasierten Arzneimittel ab, da sie die Vielfalt der Blüten abbilden können, ohne dabei auf die Vorteile der Extrakte zu verzichten. Anwendung und Dosierung gestalten sich viel einfacher als bei Cannabisblüten. Außerdem werden die Vorteile einer etablierten Darreichungsform, wie etwa längere Haltbarkeit und ein hoher Grad an Homogenität genutzt. Gleichzeitig beinhalten Vollspektrum-Cannabisextrakte aber, im Gegensatz zu den Fertigarzneimitteln und Isolaten, auch noch weitere Cannabinoide und sekundäre Wirkstoffe wie die Terpene, die verantwortlich für den pflanzlichen Synergieeffekt (Entourage-Effekt) sind. Dass Vollspektrum-Cannabisextrakte also gewissermaßen das beste aus beiden Welten in sich vereinen ermöglicht vor allem Cannabis-unerfahrenen Ärzten und Ärzt:innen einen guten und sicheren Einstieg in die Cannabinoidtherapie.

Hohe Nachfrage, verlässliche Lieferketten

Fest steht: Es besteht eine starke Nachfrage für hochqualitative Vollspektrum-Cannabisextrakte und diese wird in Zukunft vermutlich weiter steigen. Bei iuvo erreichen uns zahlreiche Anfragen und Bestellungen von 30 ml-Extrakteinheiten, sowohl direkt als auch durch andere pharmazeutische Unternehmen – national wie international. Der Trend zu Vollspektrum-Extrakten spiegelt sich auch bei den Apotheken wider, viele davon ohne bisherige Verfügbarkeit von cannabisbasierten Arzneimitteln. Ein wichtiges Ziel ist es deshalb, auch weiterhin die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Vollspektrum-Cannabisextrakten zu erhöhen. Das gelingt uns vorrangig dadurch, dass wir robuste und verlässliche Lieferketten aufbauen und erhalten.

Auswirkungen einer Legalisierung

Die geplante Legalisierung von (nicht-medizinischem) Cannabis in Deutschland wirft unter anderem die Frage auf, welche Auswirkungen diese auf die Umsatzanteile der verschiedenen Darreichungsformen von cannabisbasierten Arzneimitteln haben wird. Das Preisniveau und die Qualitätsstandards eines legalen nicht-medizinischen Marktes werden besonders bei den sogenannten Selbstzahler:innen bedeutende Auswirkungen haben, die hauptsächlich an Cannabisblüten interessiert sind. Es ist davon auszugehen, dass Preise im medizinischen Markt durch die vermutlich auch weiterhin strengeren Anforderungen an pflanzliche Arzneimittel höher bleiben. Selbstzahler:innen würden dann aus dem medizinischem Markt austreten und dadurch der relative Anteil von Extrakten steigen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Blüten fast vollständig als Verschreibung zu medizinischen Zwecken verschwinden und sich Cannabisextrakte, darunter auch und vor allem Vollspektrum-Extrakte, als Therapieoption durchsetzen werden. 

Fazit

Im dynamischen Wachstumsmarkt cannabisbasierter Arzneimittel ist derzeit vieles denkbar und folgenreiche Veränderungen finden mitunter scheinbar über Nacht statt. Viele Akteure bespielen den Markt, was unter anderem auch zu einer Diversifizierung der angebotenen Produkte führt. Die Etablierung von cannabisbasierten Arzneimitteln als Therapieoption ist ein langfristiger Prozess, bei dem (Vollspektrum-) Cannabisextrakte durch ihre therapeutischen Vorteile eine entscheidende Rolle spielen werden. Besonders die nicht-medizinische Legalisierung wird dazu beitragen.

Über Tibor Rietzsch Junge:
Tibor Rietzsch Junge ist seit 2021 als Leiter Marketing & PR Teil des iuvo Therapeutics Teams. Er hat seinen Fokus im Bereich Educational Healthcare Marketing. Er hat das Deutsche Institut für Medizinalcannabis mit aufgebaut und ist seit 2018 Teil der medizinischen Cannabisindustrie in Deutschland. In seinem Naturwissenschaftlichen Studium setze er seinen Schwerpunkt in der Produktion und Verwendung von Pflanzen und schrieb seine Masterthesis über medizinisches Cannabis in Verbindung mit der Blockchaintechnologie. Er hat bereits ein lebenslanges Interesse an der Botanik, Kultur, Wirtschaft und Politik von Cannabis.

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