Über 50 Stellungnahmen zum Cannabis-Gesetz, dem CanG, sind bereits auf der Seite des Bundes-Gesundheitsministerium veröffentlicht. Und das sind bei weitem nicht alle. Stellt sich die Frage, inwiefern Lobbyisten, Verbände und Unternehmen mit diesen Stellungnahmen das Gesetzgebungsverfahren beeinflussen können. Ein erster Indikator dürfte eine Kabinettssitzung kommende Woche sein. Am Mittwoch tagt das Kabinett, um den federführend vom Gesundheitsministerium ausgearbeiteten Referentenentwurf des CanG für Diskussion und Abstimmung im Bundestag anzupassen. Ein Gespräch mit Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer des Branchenverbands Cannabiswirtschaft (BvCW) und langjähriger Politik-Experte.
Wenn man dem Schein glauben mag, taugt das Cannabis-Gesetzgebungsverfahren als Beispiel für einen Diskurs orientierten Prozess. In den sogenannten Hearings hatte der Bundesdrogenbeauftragte im letzten Sommer über 200 Expert:innen eingeladen, um deren Ansichten beim Einleiten eines neuen Cannabis-Zeitalters zu berücksichtigen. Wie diese Hearings am Ende das Gesetzgebungsverfahren beeinflusst haben? Schwer zu sagen. Klar ist aber, dass die komplizierte Cannabis-Regulierung auch für viele Politiker noch Neuland war oder noch immer ist. Informationsaustausch mit Fachleuten ist für die politischen Entscheider:innen daher unentbehrlich.
Allerdings hat auch die Bundesregierung nach “informellen” und “vertraulichen” Gesprächen mit der Kommission ihren eigenen Spielraum arg limitiert und nach dem ersten Eckpunktepapier mindestens eine halbe Rolle rückwärts gemacht. Viele der Anstöße aus dem einstigen Dialog während der Hearings waren damit wohl ohnehin hinfällig.
Nachdem das Gesundheitsministerium den Referentenentwurf – geplant sind in der ersten Säule Cannabis Clubs als Anbauvereinigungen – im Juli offiziell publiziert hatte, folgte in den letzten Wochen eine Reihe verschiedener Stellungnahmen. Auf krautinvest.de sorgte dabei insbesondere der GKV-Vorstoß, medizinische Cannabisblüten fortan nicht mehr erstatten zu wollen, für Kontroversen. Und der Richterbund schaffte es mit seinen Bedenken immerhin auf die Website der Tagesschau.
Mit diesen Stellungnahmen hoffen die Verfasser, politische Entscheider:innen zu erreichen, Fachreferate zu informieren oder über öffentliche Berichterstattung Druck auszuüben. So zumindest die Theorie. Wie diese Einflussnahme in der Praxis gelingt?
krautinvest.de: Das Bundesgesundheitsministerium hat über 50 Stellungnahmen zum CanG publiziert. Was bringen diese Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren?
Jürgen Neumeyer: Zunächst einmal sind Stellungnahmen ein legitimes und lang bewährtes Instrument, um im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf Auswirkungen neuer Regulierungen für einzelne Gruppen gesondert hinzuweisen. Solche Informationen sind für den Gesetzgeber durchaus relevant. Ob und inwieweit die Inhalte die politischen Entscheider erreichen, hängt vom Einzelfall ab. Wir sollten nicht vergessen, dass auch Politiker und die Mitarbeitenden in den Referaten nur Menschen sind, die sich informieren müssen und entsprechend auch auf fachlich fundierte Informationen angewiesen sind.
krautinvest.de: Wie können Verbände und Lobbyisten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ihre Bedenken und Vorschläge in den Policy-Prozess einfließen?
Jürgen Neumeyer: Wir müssen unterscheiden zwischen der Fachebene und der politischen Ebene. Die Fachreferenten arbeiten inhaltlich an den Gesetzen. Die politische Ebene trifft Entscheidungen und kommuniziert nach außen. Beide Ebenen sind relevant und sollten erreicht werden. Im Vorfeld sollten sich die Verantwortlichen also gründlich überlegen, welche Fachreferate für ihre Anliegen wirklich zentral sind. Es bietet sich an, nicht nur e-Mails über einen Verteiler rauszuschicken, sondern wenn möglich, ergänzende Telefonate und Gespräche zu führen.
krautinvest.de: Und auf welche Aspekte sollten sich die Verbände in ihren Stellungnahmen fokussieren?
Jürgen Neumeyer: Wir müssen immer abwägen: Wie wichtig sind uns bestimmte Änderungen einerseits, aber wie realistisch ist es andererseits, dass diese tatsächlich auch in den Policy-Prozess einfließen? Im Worst-Case-Szenario bringt man einen Punkt auf die Tagesordnung, bei dem von vorne herein klar ist, dass er so nicht in den finalen Gesetzesentwurf einfließen wird. Läuft es dann in eine ungünstige Richtung, hängt sich just an diesem Punkt die politische Debatte auf – und das gesamte Gesetzgebungsverfahren verzögert sich weiter. Man sollte sich also permanent auf dem Laufenden halten über das Stimmungsbild innerhalb der Regierung. Gibt es in einer Partei oder einem Ministerium absolute No-Gos?
krautinvest.de: Wie geht es nun weiter?
Jürgen Neumeyer: Wir hoffen, dass einige unserer Punkte vom BvCW im der Vorbereitung der Kabinettsvorlage aufgegriffen werden und das ohnehin schon extrem administrative Prozedere für die Clubs nicht noch stärker verkompliziert wird. Auch bei den Themen Nutzhanf und bei der geplanten Reklassifizierung von THC-haltigem Cannabis hoffen wir auf erhebliche Erleichterungen im Entwurf, der in den Bundestag eingebracht wird. Eine Rolle rückwärts wäre fatal. Übrigens wollen wir ja auch die Opposition mit unseren Stellungnahmen erreichen. Deren Politiker können in der folgenden Debatte im Bundestag unsere Bedenken und Kritikpunkte aufgreifen und die Regierung zur Rede stellen.
Jürgen Neumeyer ist Geschäftsführer des Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW). Er agierte bereits in den 1990er Jahren zum Thema Drogenpolitik und hat verschiedene Fachbücher publiziert. Unter anderem arbeitete er 17 Jahre an unterschiedlichen Stellen im Deutschen Bundestag und später auch als selbständiger Politikberater.