CanG: Zu viel Aufwand durch Amnestie? “Nur die allerwenigsten Verfahren betroffen”

by Moritz Förster

Wie LTO berichtet, sind mehrere Justiz- und Gesundheitsressorts der Länder im Falle des CanG für ein Aufrufen des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat. Sie fürchten, dass die vorgesehenen Amnestie-Regelungen die Justiz überfordern und sogar Schadensansprüche von Gefängnisinsassen entstehen. Zugleich mahnt ein aktueller Report des INCB an, dass Deutschland gegen internationales Recht verstoße. Selbst Landespolitiker:innen der Grünen machen sich inzwischen für eine Verschiebung des CanGs stark. LEAP Deutschland, ein Netzwerk für humanitäre Drogen-Gesetze, hatte sich bereits vor über einer Woche mit einer Anfrage an den NRW-Justizminister Benjamin Limbach gewandt. Bis dato ohne jegliche Antwort. Was ist dran an der Furcht der Bundesländer vor möglichen Schadenersatzzahlungen, weil die Amnestie nicht zügig genug abgewickelt wird? Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann klärt auf.

krautinvest.de: Kai, die CanG-Gegner in den Bundesländern berufen sich darauf, dass die Justiz überfordert wäre, die Amnestie entsprechend der Vorgaben des CanG zu bearbeiten. Wie groß schätzt ihr den Verwaltungsaufwand für die Behörden ein?

Kai-Friedrich Niermann: Hier müssen wir drei Aspekte auseinandergehalten werden. Zum einen die „Amnestieregelung“ in § 40 ff. KCanG für abgeschlossene Verfahren, die eine politische Entscheidung zur Herstellung von materieller Gerechtigkeit war, und nur auf Antrag des Betroffenen erfolgt, und die gemäß Art. 15 CanG erst ein Jahr später in Kraft tritt.

Dann müssen laufende Gerichtsverfahren wegen der Gesetzesänderung durch das CanG gemäß § 206b StPO unmittelbar durch Beschluss beendet werden.

Und zuletzt geht es um die aktuell laufenden Vollstreckungen, für die wiederum zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit zwingend Art. 313 EGStGB gilt, der auch unabhängig von der gesetzlichen Klarstellung in Art. 13 CanG anzuwenden wäre.

krautinvest.de: Das heißt konkret?

Kai-Friedrich Niermann: Wie viele Fälle in den einzelnen Gruppen relevant sind oder werden können, lässt sich nur schwer sagen. Genauere Erkenntnissen könnten tatsächlich nur durch eine umfassende Datenerhebung innerhalb der Justizverwaltungen gewonnen werden. Da wir hier aber nur über den Besitz von 25 Cannabis im öffentlichen Raum, bis zu 50 g im befriedeten Besitztum bei Eigenanbau von bis zu 3 Pflanzen sprechen, die nicht mehr strafbewehrt sind, dürften in allen drei Kategorien nur die allerwenigsten Verfahren betroffen sein. In der Regel sollten diese Fälle bereits von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sein. Eintragungen mit über 90 Tagessätzen, die getilgt werden könnten, dürften bei diesen Strafbarkeitsgrenzen auch nur im Einzelfall ausgeurteilt worden sein. Das derzeit Freiheitsstrafen vollstreckt werden, die den Besitz von bis zu 25 g Cannabis betrafen, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Die Anzahl der sogenannten deliktischen Mischfälle, in denen neben einem schwerwiegenden Delikt wie zum Beispiel Raub oder Totschlag die Verurteilung auch wegen des Besitzes von bis zu 25 g Cannabis Besitz erfolgte, und dementsprechend eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich wäre, halte ich ebenfalls für überschaubar. Ganz abgesehen davon, dass Staatsanwaltschaften sich nicht strafbar machen können, wenn Sie diese Fälle nicht bis zum Gesetzeseintritt abhandeln.

Ich gehe in jedem Fall eines laufenden Gerichtsverfahrens bzw. einer laufenden Vollstreckung, für die eine Neufestsetzung wegen Cannabis in Betracht kommt, davon aus, dass sich entweder die Verurteilten oder deren AnwältInnen von alleine melden, so dass kein besonderer Arbeitsanfall dieser wahrscheinlich sowieso allenfalls überschaubaren Anzahl an Fällen zu erwarten ist.

krautinvest.de: Unter welchen Umständen können Personen, denen die Justiz aufgrund von Überlastung der Behörden erst mit großer Verzögerung gewährt wird, Schadensersatzansprüche gegen den Staat oder die Länder geltend machen?

Kai-Friedrich Niermann: Falls tatsächlich in deliktischen Mischfällen eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich werden sollte, dürfte die Neufestsetzung der Strafe wegen der Geringfügigkeit des Deliktes (25 g bzw. 50 g Besitz von Cannabis) nur unwesentlich milder ausfallen. Hierbei kommt es auf jeden Einzelfall gesondert an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein Täter einen Tag lang zu viel im laufenden Vollzug wegen der Neufestsetzung seiner Gesamtstrafe verbringen muss. Zu Unrecht erfolgte Strafverfolgungsmaßnahmen müssen entschädigt werden, nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafvollstreckungsmaßnahmen (StrEG). Gemäß § 7 dieses Gesetzes beträgt die Entschädigung für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung 75 €.

krautinvest.de: Ein weiterer Vorwurf lautet, dass das CanG gegen internationales Recht verstoße. Wie bewertet ihr das CanG im Kontext der UN-Verträge?

Kai-Friedrich Niermann: Das ist nicht haltbar. Der Besitz und Konsum von Cannabis zu Zwecken des Eigenbedarfs ist sowohl von internationalen Drogenabkommen als auch vom Rahmenbeschluss 2004/757/JHA aus dem Jahre 2004 gedeckt.

Artikel 2 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses nimmt gerade den Eigenbedarf vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift aus. Da insoweit nur der Eigenbedarf gedeckt ist, achtet man europaweit (Luxemburg, Malta, Deutschland, und demnächst Tschechische Republik) nun sehr genau bei der Gestaltung der erlaubten Anbauvereinigungen darauf, dass in jedem Falle ein kommerzieller Charakter vermieden wird. Deshalb ist die kostenlose Weitergabe verboten worden, und die Mitglieder sind per Gesetz angehalten, beim Anbau mitzuwirken.

In der UN Konvention gegen den illegalen Drogenhandel von 1988 wird in Art. 3 auf die verfassungsrechtlichen Prinzipien und das grundlegende Konzept des Rechtssystems des jeweiligen Mitgliedstaates verwiesen. Danach sollen die Mitgliedstaaten diejenigen Maßnahmen ergreifen, die sie als erforderlich ansehen, um strafrechtliche Vorschriften einzuführen, die den Besitz, den Erwerb oder die Herstellung von Betäubungsmitteln und psychotrope Substanzen betreffen. Deutschland ist diesem völkerrechtlichen Abkommen ebenfalls beigetreten, hat aber bei Unterzeichnung den Vorbehalt geäußert, dass genau diese verfassungsrechtlichen Prinzipien und die zugrunde liegende Rechtsordnung sich ändern können. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung aus dem Jahre 1994 den Gesetzgeber bereits aufgefordert, eine einheitliche Regelung für Eigenbedarfsfälle zu schaffen, um eine Verletzung des Übermaßverbotes zu vermeiden. Hierzu ist es nie gekommen. Durch einen gesellschaftlichen Wandel und eine geänderte Risikobeurteilung zu Cannabis ist jetzt aber endgültig dieser Wandel der verfassungsrechtlichen Prinzipien und der Rechtsordnung eingetreten, auf denen Deutschland sich nun berufen kann.

krautinvest.de: Wie hat die UN Maltas Entkriminalisierung in Social Clubs bis dato bewertet?

Kai-Friedrich Niermann: Ich habe bisher nicht gehört, dass das International Narcotic Control Board (INCB) Malta angeschrieben und verwarnt hätte.

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