Die Umsetzungspläne zur zweiten Säule der Cannabislegalisierung – Ein Ausblick 

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Peter Homberg, Partner Dentons

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) zum 01. April 2024 hat die Ampel-Koalition den ersten Teil ihres Legalisierungsvorhabens umgesetzt, das einen zentralen Punkt ihrer Koalitionsvereinbarung vom Dezember 2021 bildet. Die Legalisierung von Besitz und privatem sowie gemeinschaftlichem, nicht-gewerblichem Eigenanbau von Konsumcannabis stellt die „erste Säule“ des sog. „Zwei-Säulen-Modells“ dar, das erstmals im April 2023 von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und  Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir vorgestellt wurde. Während es bereits erste Bestrebungen zur Änderung des „CanG“ gibt, um auf Wunsch der Länder die Kontrolle der Anbauvereinigungen durch die Landesbehörden zu flexibilisieren und den Ländern einen Handlungsspielraum beim Umgang mit Großanbauflächen zu verschaffen, wird im Nachfolgenden die Umsetzung der „zweiten Säule“ beleuchtet.

Hintergrund der zweiten Säule

Die zweite Säule wurde erstmals im Eckpunktepapier vom 12. April 2023 als Etablierung regionaler Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten formuliert. Demnach sollten diese in wissenschaftlich konzipierter, regional und zeitlich begrenzter Form umgesetzt werden. Unternehmen sollte damit die Produktion der Vertrieb und die Abgabe in Fachgeschäften ermöglicht werden. Mit der Einkleidung des Vorhabens in Modellform auf fünf Jahre begrenzt, sollten die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden. Eine räumliche Begrenzung auf Abgabestellen und erwachsene Einwohner:innen bestimmter Kreise/Städte in mehreren Bundesländern diente dabei dazu den wissenschaftlichen Ansatz noch unterstreichen.

Hintergrund ist insbesondere, dass es aus völker- und insbesondere unionsrechtlicher Perspektive aktuell nicht möglich ist, einen gänzlich liberalisierten Markt für Konsumcannabis zu etablieren; das Schengener Durchführungsübereinkommen sowie verschiedene völkerrechtliche Verträge verbieten dies ausdrücklich. Insbesondere Ersteres ist problematisch, da die EU, im Gegensatz zu völkerrechtlichen Übereinkommen, über konkrete und rechtlich durchsetzbare Sanktionsmechanismen verfügt. Erachtet die Europäische Kommission die Gesetzgebung Deutschlands als Verstoß gegen Unionsrecht wie das Schengener Durchführungsübereinkommen, so kann sie ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einleiten. Fällt dieses zuungunsten des betreffenden Mitgliedstaates aus, so müsste dieser die Vertragsverletzung beseitigen, also die Gesetzgebung wieder zurückziehen; andernfalls kann der EuGH Sanktionsmaßnahmen ergreifen, wie etwa die Verhängung von Zwangsgeld wie es Art. 260 AEUV vorsieht. Aus diesem Grund betonte Lauterbach von vornherein, dass das Gesetzgebungsvorhaben in engem Austausch mit der EU-Kommission stattfinden würde. Während sich diese nicht öffentlich zum deutschen Legalisierungsprojekt äußerte, berichtete Lauterbach von vertraulichen und transparenten Gesprächen zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission im Winter 2022/2023. Nach diesen Gesprächen wurde das ursprünglich liberaler angesetzte Gesetzesvorhaben, das noch die Etablierung eines völlig freien Konsumcannabis-Marktes beinhaltete, nochmals deutlich verschärft und in das Zwei-Säulen-Modell umgeformt. Es ist also davon auszugehen, dass die Kommission der Bundesregierung in diesen Gesprächen klare Grenzen für eine etwaige Teillegalisierung aufgezeigt hat. 

Diese Grenzen beinhalten für die Säule 2 den stets zu wahrenden wissenschaftlichen Rahmen, der noch mit dem Wortlaut des Schengener Durchführungsübereinkommens vereinbar ist. Dieser sieht Ausnahmen des Verbots lediglich für Cannabis zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken vor. Die Etablierung von räumlich und personell begrenzten Modellvorhaben, die wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden, würden diesen Rahmen nach Ansicht der Kommission wohl hinreichend wahren.

Zeitnahe Umsetzung?

Wann und in welcher Form die zweite Säule umgesetzt wird, ist aktuell unklar. Der ursprüngliche Plan sah vor, in Folge des Inkrafttretens des CanG durch ein weiteres Parlamentsgesetz den Grundstein zu setzen. Ein genauer Zeitplan wurde aber nicht kommuniziert. Industrie und Konsument:innen äußerten bereits die Befürchtung, dass der Gesetzgeber es bei der Verabschiedung des CanG belassen würde und die zweite Säule entweder gar nicht oder nicht mehr rechtzeitig zum Ablauf der bis Ende 2025 laufenden Legislaturperiode umgesetzt würde. In den letzten Zügen des Gesetzgebungsverfahrens zum CanG wurde jedoch eine Norm eingefügt, die als sog. „Forschungsklausel“ interpretiert werden kann (so der deutschen Hanfverband), und das Ganze deutlich vereinfachen könnte:

§ 2 Abs. 4 Satz 6 KCanG ermächtigt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) dazu, eine zuständige Bundesbehörde für das Erlaubnisverfahren und die Überwachung des Umgangs mit Cannabis zu wissenschaftlichen Zwecken ohne medizinischen Bezug zu bestimmen. Auf dieser Grundlage legte das BMEL den Entwurf für eine Verordnung zur Festlegung der zuständigen Behörde für die Erlaubnis und Überwachung des Umgangs mit Cannabis zu wissenschaftlichen Zwecken nach dem Konsumcannabisgesetz (Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung, KCanWV) vor. In dem Entwurf wird als zuständige Behörde die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) bestimmt. Ausschlaggebend für diese Zuweisung sind die Erfahrungen der Behörde mit der Erteilung von Genehmigungen für Anbau von Nutzhanf und dessen Überwachung. Voraussetzungen für eine entsprechende Erlaubnis ist dabei zunächst die Vollendung des 18. Lebensjahres. § 2 Abs. 4 S. 3 KCanG sieht zudem die entsprechende Anwendung der §§ 6 und 7 Absatz 1, 2 und 4 Satz 1, die §§ 8, 9, 11, 12, 14 bis 21 sowie § 27 des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG) unter der Bedingung der Einrichtung einer ebensolchen Bundesbehörde vor. 

Damit kann bzgl. der Umsetzung der zweiten Säule davon ausgegangen werden, dass die Bundesregierung die BLE schnellstmöglich als zuständige Behörde bestimmen möchte, die die Modellprojekte leitet und umsetzt. Das Zusammenspiel aus CanG und KCanWV kann, so etwa der deutsche Hanfverband, sogar so gedeutet werden, dass kein Parlamentsgesetz mehr verabschiedet, sondern die Modellprojekte ausschließlich über die „Forschungsklausel“ aus dem KCanG implementiert werden sollen. Dieses Szenario bringt Vor- und Nachteile für die Cannabisindustrie mit: Einerseits wäre das im Vergleich zu einem weiteren Gesetzgebungsvorhaben die deutlich unbürokratischere und zeitlich effizientere Variante. Eine Befassung oder gar Zustimmung des Bundesrates bedürfte es dann nicht, sodass eine Implementierung noch in der aktuellen, bis Ende 2025 laufenden Legislaturperiode realistisch wäre. Die Zuständigkeit der BLE statt des BfArM könnte zudem ein Zeichen für einen pragmatischeren und industrie-offeneren Ansatz sein. Denn während sich das BfArM in der Vergangenheit etwas zurückhaltender verhielt, untersteht die BLE Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der sich für das Cannabis-Legalisierungsvorhabens stark einsetzte. Der eindeutige Nachteil wäre, dass der große Ermessensspielraum der BLE gleichermaßen beschränkend wirken könnte, je nachdem, wie die Regierung zusammengesetzt ist, und wer das zuständige Ministerium besetzt. Eine bzgl. der Teillegalisierung kritischer Regierung könnte zukünftig ohne Weiteres auf die Ausstellung weiterer Genehmigungen verzichten, um den Modellprojekten Einhalt zu gebieten, ohne in komplizierter Weise ein Gesetz rückabwickeln zu müssen. Auch könnte die Zuständigkeit der BLE ohne weiteres wieder per Verordnung zurückgenommen werden. 

Angesichts der komplexen Materie und den kontroversen Debatten in der Politik erscheint es jedoch auch möglich, dass noch weitere Gesetzgebung zur Umsetzung der zweiten Säule folgen wird. 

Fazit und Ausblick

Schlussendlich könnte somit die zweite Säule, die auch die deutsche Cannabisindustrie breitflächig einspannen würde, nun doch deutlich früher umgesetzt werden als erwartet und vielseits befürchtet. Sollte die KCanWV, die zum jetzigen Zeitpunkt nur als Entwurf besteht, in der Form umgesetzt werden, könnte bereits mit Inkrafttreten die Möglichkeit bestehen, unverzüglich einen Antrag zur Etablierung eines wissenschaftlichen Modellprojekts zu stellen, das die gesamte Lieferkette abdeckt. Damit könnte es Konsument:innen bald möglich sein, Cannabis, innerhalb des zu wahrenden wissenschaftlichen Rahmens, relativ niederschwellig in Geschäften zu erwerben, statt es selbst anbauen oder einer Anbauvereinigung beitreten zu müssen.

Über Peter Homberg

Peter Homberg ist Partner im Berliner Büro von Dentons. Er ist spezialisiert auf Life Sciences, IP und Gesellschaftsrecht, auf M&A-Transaktionen im Life Sciences und High-Tech-Sektor sowie auf Forschungs- und Entwicklungsverträge, Kooperationsvereinbarungen, grenzüberschreitende IP-Lizenzierungen und IP-Strategien. Daneben hat er umfangreiche Erfahrung in der Rechtsberatung bei Compliance-Themen. Darüber hinaus leitet er die European Cannabis Sector Group. Zu seinen Mandanten zählen unter anderem Start-ups und mittelständische Unternehmen, ebenso wie börsennotierte Gesellschaften, national und international agierende Unternehmensgruppen, aber auch Finanzinvestoren und strategische Investoren, Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller, Diagnostika und Biotechnologieunternehmen sowie Anbieter von medizinischem Cannabis. Zusätzlich verfügt er über umfangreiche Transaktionserfahrung in Südostasien. Peter Homberg ist Mitglied der Licensing Executive Society (LES), der Deutschen Gesellschaft für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) sowie des Pharma-Lizenz-Club Deutschland e.V. Er hält regelmäßig Vorträge auf Seminaren und Konferenzen und ist Autor zahlreicher Fachartikel und anderer Publikationen zum Gesellschafts- oder IP-Recht im Bereich Life Sciences.

Disclaimer: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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