“Different people same interest”” oder das Projekt für die Zukunft der Cannabispolitik?

Die Geschichte von MANY's Social Club in Zürich

by Hande Savus

In einer belebten Straße im Züricher Stadtkreis 6, rechts der Limmat, steht neben einem Schweizer Nobelrestaurant und gegenüber von einem pakistanischen Imbiss ein rostrotes Gebäude mit großen Fensterfronten und dunkelgrünen Fensterläden. Im September wird in diesen Räumlichkeiten nicht nur ein neues Café, sondern auch einen Cannabis Social Club eröffnet.

"Different people same interest"" oder das Projekt für die Zukunft der Cannabispolitik?

Beckenhofstrasse 7, 8006 Zürich, Schweiz

Ein Cannabis Social Club darf dabei nicht mit einem Cannabis Club verwechselt werden. Zwar führen auch viele Vereine in Deutschland den Begriff “Social” im Namen, doch nach dem Entwurf des CanG soll es den Mitgliedern der geplanten Anbauvereine in Deutschland zwar erlaubt sein, Cannabis gemeinschaftlich zu produzieren, nicht aber, es in geselliger Runde vor Ort zu konsumieren. Anders in der Schweiz, die bereits Mitte Mai 2021 das Betäubungsmittelgesetz geändert hat und in diesem Zuge Pilotversuche zur kontrollierten Abgabe von Cannabis zu „Genusszwecken“ ermöglichen will.

Bald geht es in der Stadt Zürich los. Denn nach über zwei Jahren des Wartens soll Ende August in Zürich das Pilotprojekt „Züri Can – Cannabis mit Verantwortung“ mit der Abgabe von Cannabis an die Proband*innen starten. In der Stadt soll es 21 Abgabestellen geben, neben zehn Apotheken und der Drogenberatungsstelle auch  zehn Cannabis Social Clubs – darunter MANY’s Social Club.

In dessen Räumlichkeiten können die Projektteilnehmer*innen dann legal Cannabis beziehen und vor Ort gemeinschaftlich konsumieren. Im Gegensatz zum Bezug durch Apotheken, stehe das gesellschaftliche Miteinander und der sichere Konsum im Vordergrund, erklärt Massimo, einer der Gründer von MANY’s Social Club.

Hinter dem MANY’s Social Club steht ein vielfätiges Team aus fünf Personen – Massimo Castellucci, Puneh Ganji, Noé Lindenmeyer, Stefan Gubser, Paulo Romero – mit unterschiedlichen Werdegängen. Gerade deshalb seien sie eine “perfekte Mischung”, so Massimo. Ihre Expertise reicht von Marketing über Hygiene- und Logistikkonzepte bis hin zu jahrzehntelanger Lebens- und Vereinserfahrung.

 

Das große Warten auf eine Herzensangelegenheit

Wie Massimo beschreibt, handele es sich bei dem Vorhaben um eine Herzensangelegenheit: “Also für uns steckt sehr, sehr viel Persönliches hinter MANY’s Social Club.”

Bereits in der Vergangenheit habe ein Teil der Gruppe nach Möglichkeiten gesucht, ein solches Projekt – einen Schritt in Richtung risikoarmen Konsum – zu ermöglichen. Einer der Freunde, Many, habe schon damals Pläne “visualisiert”. Aber ohne Gesetzesänderung sei es unmöglich gewesen, diese Ideen umzusetzen, erinnert sich Massimo. Bevor die Gesetzesänderung und die Bewilligungen kamen, ist Many gestorben. Die heutigen Vereinsgründer*innen hätten sich – wie es in ihrem Slogan heißt – “different people same interest” – vorgenommen, das Interesse von Many weiterleben zu lassen: “Wir sind zu der Infoveranstaltung (Pilotprojekte in Zürich) gegangen, haben ein Konzept geschrieben und haben das mit unserem Freund Many in Verbindung gebracht.” So erinnere der Vereinsname MANY’s Social Club, aber auch das Grün im Logo an die Augenfarbe ihres verstorbenen Freundes. Mit dieser Motivation hätte die Gruppe sich Ende 2021 auf das von der Stadt Zürich ausgeschriebene Pilotprojekt beworben.

Es folgte das große Warten, zwei Jahre lang ließ die Bewilligung vom BAG (Bundesamt für Gesundheit) auf sich warten. Massimo erklärt: “Zuerst musste das Vorhaben von der Ethikkommission abgesegnet werden, dann musste noch das BAG zustimmen: Dann im März 2023 haben wir die Bewilligung erhalten”. Nahezu symbolisch hätten mit der Zusage auch die zwei Großproduzenten, die die Social Cannabis Clubs in Zürich beliefern werden, angefangen Setzlinge zu pflanzen. Diese sollen bis zum 22. August geerntet werden. Zugleich sei dies der offizielle Startschuss der Cannabis Social Clubs, erklärt Massimo.

Die Produkte

Bei den zwei Großproduzenten handelt es sich nach Angaben der Stadt Zürich um Swissextract und Pure Production. Swissextract produziert fünf Sorten, davon drei Cannabisblüten- und drei Haschsorten. Auch Pure Poduction produziert jeweils zwei Cannabisblüten- und zwei Haschsorten. Alle Sorten weisen dabei ein anderes Verhältnis von THC und CBD auf. Die Preise bewegen zwischen 7,20 -9,60 CHF pro Gramm, was umgerechnet 7,49-9,99 € sind.

Die Suche nach dem richtigen Ort mit dem richtigen Feeling

Vor dem Verkaufsstart Ende August müssen jedoch die ausgewählten Social Clubs ihre Räumlichkeiten organisieren. Hierbei seien die Gründer*innen  auf sich allein gestellt. “Jeder Social Club muss sein Vereinslokal selber finden.” Gerade in der Stadt Zürich sei das eine Herausforderung gewesen.

Ende Juni sei MANY’s bei der Suche schließlich fündig geworden. “Jetzt haben wir glücklicherweise ein wirklich typisches Social Club Lokal gefunden.”

Doch was ist ein typisches Social Club Lokal? Während sich andere Social Clubs in Büroräumlichkeiten einmieten oder einen Stand in einem Clubflur aufstellen, will MANY’s Social Club den Konsument*innen mehr bieten: So sollen die neu angemieteten Räumlichkeiten zu den Hauptgeschäftszeiten als Social Club und ansonsten als gastronomisches Lokal genutzt werden. 

Vor allem weil in Social Clubs im Gegensatz zur reinen Abgabe in der Apotheken der gemeinschaftliche Konsum im Vordergrund stehe, sei es den Gründer*innen wichtig gewesen, dass die Räumlichkeiten die Möglichkeiten dafür bieten.

“Wir werden dann natürlich auch Getränke, Snacks wie Nachos  anbieten und  verschiedene Anlässe durchführen. Genau das verstehen wir unter dem Feeling eines Social Clubs”. 

Cannabis Social Clubs versus Cannabis Clubs 

Das von Massimo beschriebene Social Feeling, also die gemeinsame Nutzung der Räumlichkeiten durch die Vereinsmitglieder*innen zu Konsumzwecken, ist einer der Hauptunterschiede zwischen den Cannabis Social Clubs, die Ende August in Zürich mit der Abgabe von Cannabis beginnen sollen, und den im deutschen Gesetzesentwurf beschriebenen Cannabis Clubs, den reinen Anbauvereinigungen mit Abgabestelle.

Ein weiterer Unterschied zwischen den Schweizer Cannabis Social Clubs und den Cannabis Clubs in Deutschland bilden die Großproduzenten: Während die Cannabis Social Clubs in Zürich ihre Produkte von Großproduzenten beziehen, sieht der Gesetzgeber in Deutschland in der ersten Säule die Entkriminalisierung von Cannabis für den privaten Eigenbedarf vor: Privatpersonen dürfen bei Inkrafttreten des Gesetzes bis zu drei Pflanzen zu Hause anbauen. Zudem soll es Vereinen mit bis zu 500 Mitgliedern erlaubt sein, Cannabis für den Eigenbedarf herzustellen. Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung ihre zweite Säule, also die in Deutschland geplanten regionalen Pilotprojekte, ausgestalten wird.

Safe Space der Gesellschaft

Für Massimo liege das Ziel der Cannabis Social Clubs darin, die Meinungen über Cannabis in der Gesamtgesellschaft zu verändern. “Von Anfang an war unser Ziel, dass unser Social Club keine Kifferhöhle wird, sondern ein Verein für die Gesellschaft – der wir  einen Safe Space bieten wollen.” 

Die aktuelle Resonanz gibt  MANY’s Social Club Hoffnung, auf dem richtigen Weg zu sein. Insbesondere durch ihr Marketingkonzept, das von Puneh Ganji erstellt wurde, seien in den letzten Monaten immer mehr Menschen, die keinen Bezug zu Cannabis haben, auf die Gründer*innen zugekommen.  “Hey, super, wie ihr das macht! Euer Marketing, das macht ihr echt cool”, erinnert sich Massimo sichtlich stolz. Neben einem einheitlichen Corporate Design und einem gepflegten Social Media Auftritt sei vor allem die persönliche Präsenz des Vereinsvorstands auf der CB Expo oder der Cannatrade für das positive Feedback verantwortlich gewesen. Zudem organisierte MANY’s Social Club im Sommer 2022 selbst den Grill&Chill am Zürichsee, wo alle Projektinteressierten und -kritiker*innen herzlich eingeladen waren, sich selbst ein Bild von MANY’s Social Club zu machen. 

Neben der Stigmatisierung von Cannabis, der MANY’s entgegenwirken wolle, gehe es in erster Linie auch darum, Konsument*innen einen sicheren Cannabis-Konsum zu ermöglichen. Laut MonAm (Schweizer Monitoring-System Sucht und nichtübertragbare Krankheiten) habe mehr als ein Drittel der Bevölkerung ab 15 Jahren in der Schweiz schon einmal im Leben Cannabis probiert. Die Auswertung im Jahr 2017 zeige, dass 4,0 Prozent der 15-64-Jährigen in der Schweiz in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumiert haben. Diese Zahlen belegen, dass es sich nicht um einen kleinen Teil der Bevölkerung handelt.

Massimo ist überzeugt: “Die Leute, die wir jetzt schon im Pilotprojekt aufgenommen haben, sagen: ‘Hey, ich will einfach die Sorte kennen, eine Liste mit Informationen über Terpene, Aroma, THC-Gehalt, ob es Indica oder Sativa ist'”.

“Ja, ich will schadstofffrei konsumieren.”

Laut Massimo sind viele Menschen über soziale Medien auf den MANY’s Social Club aufmerksam geworden. Aber auch auf der offiziellen Website des Pilotprojekts der Stadt Zürich sind alle Abgabestellen, also Apotheken, DITs (Drogeninformationsstellen) und die zehn Social Clubs aufgelistet. Jeder Social Club kann bis zu 100 Mitglieder aufnehmen.

„Nachdem sich die Personen, die Interesse haben, bei uns gemeldet haben, laden wir sie zu einem Aufnahmegespräch ein”, erklärt Massimo.

In den vergangenen Monaten hätten sich ganz unterschiedliche Menschen bei MANY’s beworben, verschiedene Geschlechter in ganz unterschiedlichem Alter und mit unterschiedlichen Berufen. Die Auswahl sei nicht immer leicht gewesen, aber die Motivation, gesund zu konsumieren, habe entschieden, sagt Massimo.

Ein Grundgedanke sei es auch, keine “neuen” Konsument*innen für die Studie aufzunehmen. Das Pilotprojekt der Stadt Zürich sehe vor, dass die Studienteilnehmer*innen bereits seit zwölf Monaten konsumieren, was auch bedeutet, dass beim Interview Urinproben abgegeben werden müssen.

“Diese Leute haben dann schon Erfahrung und die Motivation: Ja, ich will wirklich schadstofffrei konsumieren.”, so die Einschätzung Massimos.

"Different people same interest"" oder das Projekt für die Zukunft der Cannabispolitik?

Massimo Castellucci

Rahmenbedingungen und Regeln

Um insbesondere einen risikoarmen, schadstofffreien und bewussten Konsum zu ermöglichen, müssen zahlreiche Regeln und Rahmenbedingungen eingehalten werden, die durch das Pilotprojekt vorgegeben werden.

Datenschutz 

“Der Datenschutz ist ein großes Thema, ist aber auch strikt nach Schweizer Gesetz geregelt”, so Massimo. Die erfassten Daten werden verschlüsselt anonymisiert, so dass das Forschungsteam lediglich eine Codeliste erhalte.

Der Datenschutz werde sich auch auf den Alltag im MANY‘s Social Club auswirken: So sollen keine Vereinsmitglieder ohne Absprache und vor allem auch beim Konsum oder Rauchen fotografiert werden. Die Bilder für Instagram werden wahrscheinlich eher Leute beim Kaffeetrinken zeigen. “Wir sind ja auch ein öffentliches Cafe”, teilt Massimo mit.

Werbung 

Werbung für Cannabis ist in der Schweiz wie Werbung für Tabak verboten. Auch für die Studie, so der Vereinsgründer, dürfe man keine direkte Werbung machen, die den Konsum von Cannabis verherrliche. “Also dürfen wir jetzt keinen Flyer machen und sagen ja, bei uns gibt es das beste Sortiment, das beste Gras”, betont Massimo.

Zudem sei Werbung in diesem Sinne nicht notwendig. Massimo weist darauf hin, dass die Cannabis Social Clubs in Zürich, die jetzt zu Beginn des Pilotprojekts entstehen, nicht miteinander konkurrieren. Alles sei von der Stadt Zürich vorgegeben und geregelt. “Wir haben alle das gleiche Sortiment zu den gleichen Preisen. Wir schaffen Gutes zusammen. Das ist auch sehr wichtig in einer neuen Branche, um erst einmal Erfahrungen sammeln zu können.”

Straßenverkehr 

Obwohl einiges im Vorfeld klar festgelegt ist, gebe es  auch Dinge, die sich während der Pilotphase zwangsläufig entwickeln müssten. Massimo verweist auf die Schwierigkeit der Nulltoleranz im Autoverkehr in der Schweiz. Dies dürfte die Stadt Zürich in den ersten Monaten nach Beginn des Pilotversuchs vor neue Herausforderungen stellen.

„Wir sind auch von der Kriminalpolizei geschult worden, und auch da hat man gesagt, dass man natürlich jetzt mit dem Start des Versuchs noch Erfahrungen sammeln muss“, erklärt Massimo. 

Ähnliches zeichnet sich derzeit in der Diskussion in Deutschland ab. Immer wieder wird die Anhebung des THC-Grenzwertes für den Straßenverkehr gefordert. Zuletzt forderten die Grünen im Rahmen der Cannabislegalisierung die Anhebung des THC-Grenzwertes im Straßenverkehr von 1,0 Nanogramm pro Milliliter Blutserum auf 3,5 Nanogramm. Aber bisher scheiterten derartige Forderungen am Verkehrsministerium.

Kostenübernahme und Eigenbeteiligung

“Also das Pilotprojekt, das Forschungsvorhaben wird ja von der Stadt Zürich finanziert. Die Vereine selbst (eher die Social Clubs als Apotheke- da die ja schon ihre Filialen besitzen) sind auf sich allein gestellt.” Massimo erklärt, dass die Gründer*innen der Social Clubs nicht durch die Stadt Zürich finanziert werden, so handele es sich bei den Cannabis Social Clubs um Non-profit Vereine. Das Projekt MANY’s Social Club finanziere sich durch Eigenkapital und Spenden, bis der Gastrobetrieb starte.

Vereins- und Pilotregeln

“Also, unsere Vereinsregeln sind einfach die Projektregeln: Die oberste Regel ist, dass die Projektteilnehmer*innen das erworbene Cannabis nicht weiterverkaufen oder weitergeben an jemanden anderen, der nicht an der Studie teilnimmt. Oder zum Beispiel der Verkauf an Minderjährige, das kann mit Gefängnis bestraft werden. Das ist klar”, führt Massimo die Regeln des Vereins ein. 

Zudem gebe es alle sechs Monate eine Onlineumfrage, die für die Studienteilnehmer*innen bindend sei. Die erste Umfrage finde für jede*n Teilnehmer*in vor dem ersten Kauf statt, dann nach sechs zwölf, 18 und schließlich nach 24 Monaten. Sollten die Studienteilnehmer*innen nicht an der Online-Umfrage teilnehmen, würden sie vom Projekt ausgeschlossen.

Diese Umfragen sollen zum einen dazu dienen, Daten und Stimmungen der Teilnehmer*innen als Studienergebnisse sammeln zu können, zum anderen handelt es sich um eine Art Gesundheitscheck der Studienteilnehmer*innen. Der Fokus liege auf einem gesunden Konsumverhalten. Bei Bedarf werde ein Studienarzt des Universitätsspitals Zürich hinzugezogen. Denn darauf verweist Massimo: “Also wir vom Verein sind nicht medizinisch ausgebildet, aber wir haben einen Studienarzt, der speziell dafür zuständig ist, wo sich die Leute auch immer direkt melden können.”

Dennoch weiß Massimo, dass er als Vereinsgründer auch eine Verantwortung hat. “Wenn wir merken, dass es jemandem ein paar Mal schlechter geht, gehen wir auf ihn zu, suchen das Gespräch, und wenn es wirklich ernst ist, rufen wir den Studienarzt an und schließen ihn gegebenenfalls von der Studie aus.”

Künftige Cannabispolitik?

Im September wird der MANY’s Social Club in der Beckenhofstrasse 7 in Zürich eröffnet. Die erste Etappe der Vision der Gründer*innen sei damit erreicht. Massimo ist überzeugt, dass die Gesellschaft von dieser Studie profitieren werde. Diese werde die notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine zukünftige Cannabispolitik in der Schweiz liefern und könnte somit zu einem Meilenstein werden. Gleichzeitig lässt diese Entwicklung einen kleinen Hoffnungsschimmer für die geplante erste und zweite Säule des CanG-Entwurfs in Deutschland aufkommen – und man fragt sich: Will auch in diesem Fall Gut Ding Weile haben? 

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