Unruhe um Hanfextrakte: Einstufung als Betäubungsmittel?

by Lisa Haag

Ein Interview mit dem Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW e.V.) zu Hanfextrakten und der drohenden EU-Entscheidung zur Klassifizierung von Hanfextrakten als Betäubungsmittel.

In den letzten drei Wochen dominiert eine Nachricht die Szene: Laut EU-Kommission soll CBD als Betäubungsmittel eingestuft werden. Wobei: CBD ist vielleicht nicht ganz richtig, denn es geht im wesentlichen um Hanfextrakte aller Art, die aus Nutzhanfblüten mit weniger als 0,2% THC hergestellt werden. Und in so gut wie allen europäischen Ländern boomen Hanfextrakte aller Art. Sie befinden sich in Lebensmitteln, in Nahrungsergänzungsmitteln, in Kosmetika und in Vape-Produkten. Der Europäische Markt hat laut der Marktforschungsfirma NewFrontier Data ein Marktpotenzial mit einem jährlichen Umsatzvolumen von bis zu 17,57 Milliarden Euro bis 2025. Voraussetzung dafür, dass dieses tatsächlich erreicht werden kann: Die Produkte sind grundsätzlich marktfähig. Die aktuelle Diskussion ist zum einen auf die internationalen Drogenverträge zurückzuführen, für die noch eine Reklassifizierung auf Grundlage der Empfehlungen der WHO aussteht. Zum anderen beruht sie auf der Novel-Food-Verordnung, nach der bereits ein Antrag mit CBD-Isolat zugelassen wurde, aber nun wohl rund 50 Anträge zurück gehalten werden. Denn: Die Europäische Kommission hat wohl die vorläufige Entscheidung getroffen, Hanfextrakte auch aus Nutzhanf als Betäubungsmittel zu klassifizieren. Bemerkenswert ist dabei, dass insgesamt wohl 50 Firmen bereit sind, das hohe finanzielle Risiko eines Novel-Food-Antrages überhaupt auf sich zu nehmen und somit marktfähige und sichere Lösungen schaffen wollen – und Bereitschaft zur Regulierung zeigen.

Das Thema ist hochkomplex, politisch und muss jetzt an Entscheidungsträger*innen herangetragen werden. Es betrifft die herstellenden Betriebe als auch die Händler und somit die gesamte Wertschöpfungskette – von der Biomasse zum Endverbraucher. Krautinvest.de hat sich zu den aktuellen Entwicklungen rund um das Thema mit Mitgliedern des Vorstands und der Geschäftsführung des BvCW unterhalten und welche Auswirkungen die Einstufung als Betäubungsmittel auf die Cannabiswirtschaft haben könnte. Für das Interview sprechen wir mit dem Präsidenten des BvCW e.V und Fachbereichskoordinator CBD Dr. Stefan Meyer und dem Vize-Präsident und Fachbereichskoordinator Hanf Marijn Roersch van der Hoogte sowie Geschäftsführer Jürgen Neumeyer. Der geballte Überblick zur gesamten Situation: Was passiert gerade in der EU? Welche Rolle spielt EU-Recht zu nationalem Recht und die Harmonisierung der Gesetzgebung in der EU? Welche Produkte sind betroffen? Schafft die EU einen zweiten Schwarzmarkt? Was können Unternehmen jetzt tun? Ein ist klar: die Uhr tickt, denn noch ab September soll eine Entscheidung getroffen werden.

krautinvest.de: Habt ihr eine Bestätigung von offizieller Stelle bekommen, dass es wahr ist, dass die Europäische Kommission gerade den Status von Hanfextrakten prüft und Novel Food Anträge deshalb gestoppt sind? Welche Informationen liegen hierzu vor?

Dr. Stefan Meyer: Bevor ich die Frage beantworte, muss ich mitteilen, ich habe hier drei Hüte auf: den des Präsidenten des neuen Branchenverbandes BvCW e.V., den als Fachbereichskoordinator der Arbeitsgruppe CBD innerhalb des BvCW´s und als Unternehmer habe ich durchaus auch ein eigenes Interesse am CBD. Das nur vorab. 

Der Sprecher der EU-Kommission in Deutschland hat uns bestätigt, dass Überlegungen existieren, CBD als Betäubungsmittel im Sinnen des Einheitsabkommens der Vereinten Nationen von 1961 zu bewerten. Das nennt sich derzeit “Vorläufige Ansicht”. Danach wäre CBD ein sogenannter “Suchtstoff” und könnte in Zukunft auch nicht mehr als Nahrungsergänzungsmittel Verwendung finden. Es droht, dass CBD wie THC behandelt wird. Dieser Entscheidungsprozess hat auch dazu geführt, dass einige Firmen, welche einen Novel-Food Antrag gestellt haben, über das zeitweilige Aussetzen ihres Antrags informiert wurden.

Jürgen Neumeyer: Es war nicht einfach Zugang zu offiziellen Quellen der EU-Kommission zu bekommen. Es gab ein paar Pressemeldungen, aber keine belastbaren Belege beziehungsweise schriftliche Bestätigungen. Diese liegen uns nun vor und wir haben sie verbreitet. Leider haben sich die Gerüchte bewahrheitet und es gibt tatsächlich die Überlegungen zu Neubewertung von CBD als Droge; – oder, je nachdem wie man die Übersetzung macht, als Suchtstoff oder als Betäubungsmittel. Inzwischen kennen wir auch ein Anschreiben der EU-Kommission an einen Antragsteller für eine CBD-Produkt als Novel-Food. Das bestätigt diese vorläufigen Einschätzungen. 

Bis Anfang September haben die von der EU Kommission angeschriebenen Antragsteller Zeit zur Stellungnahme. Danach will die Kommission – auch aufgrund dieser Stellungnahmen – über Ihre vorläufige Einschätzung weiter beraten. Hierzu hieß es, das Verfahren sei “sehr komplex” und könne demnach noch weiter dauern. Fachlich wird das Thema von der Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bearbeitet.  

krautinvest.de: Kann jede Einrichtung kommentieren oder ist das nur betroffenen Firmen vorenthalten? Habt ihr schon Rückmeldung von Firmen hierzu bekommen?

Marijn Roersch van der Hoogte: Als Unternehmer finde ich es sehr schade, dass viele Unternehmer in diesen Prozess überhaupt nicht eingebunden werden, weder von der EU-Seite noch von deutschen Behörden. Das kann nicht angehen, dass Unternehmen, die investiert und Personal eingestellt haben, vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Ich fühle mich in meiner unternehmerischen Freiheit eingeschränkt, zumal keine wissenschaftliche Basis für das Vorgehen der Kommission existiert. Die WHO handelt nicht leichtsinnig und sie hat zeitgemäß und basierend auf den aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen mitgeteilt: CBD ist kein Rauschmittel und hat so gut wie keine Nebenwirkungen.

Dr. Stefan Meyer: Die betroffenen Firmen sind zur Zeit hoch sensibilisiert und wollen nicht unbedingt in die Öffentlichkeit “gezogen” werden. Aber wir stehen mit einigen in direkten Kontakt.

Ich sehe das so: Diese mögliche Entscheidung ist eine existentielle Bedrohung für diese Firmen. Das betrifft nicht nur in Deutschland ansässige Firmen. Alle diese Firmen würden mit einer solchen Entscheidung, CBD als Droge zu deklarieren, ihrer wirtschaftlichen Basis beraubt und das obwohl die WHO eindeutig festgestellt hat, „Cannabidiol zeigt kein Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotential und die Nebenwirkungen sind minimal.“ (E/CN.7/2020/CRP.4, Seite 57)

Neben den CBD Kunden, die man in einen eventuellen Schwarzmarkt treibt, wären auch Städte und Kommunen die Verlierer, denn es würden weniger Gewerbesteuern gezahlt werden. Steuern, die man insbesondere jetzt dringend benötigt und es würden viele direkte und indirekte Arbeitsplätze in Deutschland und der gesamten EU verloren gehen.

Marijn Roersch van der Hoogte: Unsere Partner und wir werden uns auf jeden Fall an die lokalen und bundespolitischen Volksvertreter wenden. Bei uns sind Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Zukunft eines Teils der Branche bedroht. 

krautinvest.de: Wie sehen die nächsten Schritte des BvCW e.V. als Branchenvertreter bezüglich der Thematik aus?

Jürgen Neumeyer: Wir haben die beiden zuständigen Bundesminister angeschrieben, also Frau Klöckner im Landwirtschaftsministerium und Herrn Spahn im Gesundheitsministerium. Gleichzeitig haben wir die drogenpolitischen Berichterstatter und die Sprecherinnen und Sprecher für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag informiert und um entsprechende Einflußnahme gebeten. Für betroffene CBD-Unternehmen haben wir ein Musteranschreiben zur Verfügung gestellt, dass diese an ihre regionalen Wahlkreis-Abgeordneten senden können und auf ihre – zumeist bedrohte – Lage hinweisen können. 

krautinvest.de: Sind wirklich alle Pflanzenteile betroffen? Ist CBD-Isolat okay? Spielt es eine Rolle ob ein Produkt THC-frei ist? Was ist mit klar regulierten Themen wie Kosmetika, sind dann wieder bestimmte Zutaten nicht mehr verkehrsfähig?

Dr. Stefan Meyer: Betroffen wären, so sagt die EU-Kommission, “CBD, das aus den blühenden und fruchtenden Spitzen der Hanfpflanze (Cannabis sativa L.) gewonnen wurde.” Man könnte also wahrscheinlich auch weiterhin CBD-Extrakte aus Blätter und Stängeln herstellen – und das, weil auf und in diesen keine nennenswerte Mengen an THC-sind. 

Bemerkenswert ist, dass synthetisches CBD in der gesamten Diskussion keine Erwähnung findet. Bleibt dies so, würden natürlich hergestellte CBD-Produkte als Betäubungsmittel extrem reguliert sein, wohingegen den chemisch hergestellten, synthetisierten CBD-Produkten der Vorzug gegeben würde. Bekanntlich ist China hier der Weltmarktführer und die EU-Kommission sollte sich genau überlegen, ob sie das wirklich so will. 

Spielt es eine Rolle ob ein Produkt THC-frei ist? Jein, da sowohl CBD als THC gleichermaßen beurteilt werden und entsprechend neue Grenzwerte gefunden werden müssen. So wie wir es bisher verstanden haben sind alle Produkte betroffen.

Marijn Roersch van der Hoogte:  Es scheint im Kern darum zu gehen, die gefragten CBD-Produkte als frei handelbare Nahrungsergänzungsmittel vom Markt zu nehmen. Hanfsamen und deren Folgeprodukte sind momentan offenbar nicht betroffen. Auch der Stängel als Rohstoff bliebe außen vor. Wirtschaftlich interessanter wäre es aus Sicht der Hanfbauern, natürlich auch die Blüten ernten zu können. Nur die Blüten und Produkte hieraus würden nach der neuen EU-Auffassung auf der Kippe stehen. Fraglich bleibt auch, ob der europäische Markt für CBD-Kosmetik weiterlebt, da Hanfextrakt als Betäubungsmittel dann vermutlich auch nicht als Inhaltsstoff von Cremes, Salben, Shampoos oder Ölen möglich sind. 

Noch ist es zu früh, alle Konsequenzen dieser vorläufigen Beurteilung abzuschätzen. Es wäre aber ein erheblicher Rückschlag für die Mehrfachnutzung des hiesigen Hanfanbaus. Dass über die Cannabinoid-Grenzwerte für Nahrungsergänzungsmittel weiter diskutiert wird, ist zu erwarten. Für den bestehenden Food-Sektor wäre ein zu niedriger CBD-Grenzwerte (wie beim THC in Nahrungsmitteln) allerdings auch problematisch, da die Nutzhanfsorten nicht entsprechend gezüchtet sind. Sie enthalten in der Regel zwischen 1 und 4-5% Cannabidiol und der Grenzwert sollte sich am natürlichen Gehalt der Pflanze orientieren.

krautinvest.de: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hätte ein solches Verbot für die Europäische Union und seine Mitgliedsländer? Wie groß wäre der wirtschaftliche Schaden für die lokale Wirtschaft? Wie weit gehen die Auswirkungen in die Wertschöpfungskette vom Bauern zum Produzent und Verkäufer? 

Dr. Stefan Meyer: Nahezu die gesamte CBD-Branche in Europa stünde vor dem “Aus”. Hanfbauern, Import/Export, Extrakteure, Produzenten, Distributoren, Einzelhändler, und viele mehr. Die europäische Hanfindustrie braucht die Mehrfachnutzung des Nutzhanf – also Hanffasern, Hanfsamen, Hanfblätter und Hanfblüten – und die daraus resultierende Wertschöpfung. Andernfalls wird unsere europäische Cannabiswirtschaft gegen den internationalen Wettbewerb nicht konkurrieren können. Und die Konsumentinnen und Konsumenten, die bisher positive Erfahrungen mit CBD gemacht haben, würden nach anderen Bezugsquellen fragen. Wir sind uns sicher, dass sich ein neuer Schwarzmarkt bilden würde. Das braucht niemand!

Und, wer soll das kontrollieren und durchsetzen? Lebensmittelaufsicht, Staatsanwälte, Richter – und damit letztlich der Steuerzahler? Das Ganze wird um so unverständlicher im Lichte der WHO, die keinerlei Missbrauchs- und Suchtpotential für CBD und CBD-haltige Produkte festgestellt hat. Man muss sich also fragen, wer möchte einen solchen Schritt? Wir hören Stimmen aus der pharmazeutischen Wirtschaft wie zum Beispiel der Verband Cannabisversorgender Apotheken (VCA), die diesen Schritt begrüßen. Wir sehen es auch so, dass man praktikable Lösungen bei der die Qualität und Kundenakzeptanz und -zufriedenheit im Vordergrund stehen schaffen muss. Wir sehen das Thema aber nicht rein pharmazeutisch, sondern in der dualen Nutzung abhängig von der Konzentration. Fakt ist aber: Wenn CBD als Betäubungsmittel eingestuft wird, kann es nicht gleichzeitig ein Nahrungsmittel sein und damit auch kein Novel Food – der CBD-Markt wäre von heute auf morgen tot.

Man muss die derzeitige undurchsichtige Faktenlage sehr vorsichtig entwirren und versuchen die folgenden Fragen in Bezug auf Hanfextrakte als alltägliches normales Gebrauchsmittel sachlich beantworten:

1. Was soll verboten werden? 
Nachdem eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe der WHO quasi die Ungefährlichkeit von CBD festgestellt hat, möchte die WHO eine Neueinstufung von Marihuana und Haschisch in die niedrigste Kategorie, die Anlage I – und CBD-Präparate mit einem THC-Gehalt unter 0,2 % sollen gänzlich ganz aus dem Einheitsabkommen fliegen. Und ausgerechnet zu diesen Zeitpunkt möchte die EU-Kommission jedes CBD-Präparate strikt nach dem bisherigen Wortlaut der Konvention behandeln. Das ist nicht nur für mich persönlich unbegreiflich und nicht nachvollziehbar.

2. Was bleibt erlaubt?
Das ist bisher unklar, wahrscheinlich aber werden alle CBD-Produkte betroffen sein, deren CBD aus EU-Nutzhanfsorten hergestellt werden. Das synthetische CBD wird hingegen wohl erlaubt bleiben. Dessen Herstellung wird dann wohl unter dubiosen umweltrechtlichen Gegebenheiten in China oder lediglich durch die europäische (vor allem deutsche) Chemie- und Pharmaindustrie etc. erfolgen. Man muss sich fragen ob der Verbraucher solche Produkte möchte? Viele BvCW-Mitglieder und ich persönlich ebenso möchten lieber CBD-Produkte aus EU-zertifiziertem Nutzhanf der nach strengen Regularien geprüft ist und ein Gütesiegel trägt.

3. Wenn würde es betreffen?
Ganz sicher die vielen tausenden Mitarbeiter, deren Job mehr oder weniger von Hanfprodukten abhängen, sowie die CBD-Firmen für CBD-Naturkosmetik und CBD-Öle.

4. Wer profitiert von einer Entscheidung?
Dieser Frage sollte sich jeder Einzelne selbst beantworten. Fakt ist, CBD-Kosmetik und -Öle aus der Apotheke wären teurer aber nicht automatisch qualitativ besser. Wahrscheinlich verlagert sich dann die Nachfrage noch mehr ins Internet oder in den Direktvertrieb und danach gibt es hierdurch noch weniger Qualitätskontrollen.  

Marijn Roersch van der Hoogte: Wenn sich die CBD-Kritiker durchsetzen, wird ein wichtiges Zugpferd, des jetzige Nutzhanfanbau in Europa wegfallen. Das wiederum würde die Entwicklung und Ausbreitung vom Hanfanbau als zukunftssichere, dürreresistente und chemie-freie Kultur bremsen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Rolle von Hanf als Bodenaufbereiter, insbesondere unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen, nicht genug gewürdigt wird. Hanf lockert den Boden und als Tiefwurzler ist er weniger vom Niederschlag abhängig. Deswegen ist der Hanf in der Fruchtfolge vorteilhaft für weitere Kulturen. Genau das, was die Landwirtschaft gerade braucht. Wenn die Blütenernte wegfallen würde, fiele ein wichtiger Anreiz für den Hanfanbau weg. Als Rohstoff  ist er ein guter klimaneutraler Bau- und Heizstoff und effizienter Öllieferant für Industrie, Mensch und Tier.

Zu den Auswirkungen auf die Arbeitsplätze brauchen wir eine vernünftige Marktübersicht. Verlässliche Marktdaten sind ein mittelfristiges Ziel unseres Verbandes. Daran arbeiteten wir schon vor der Meldung der EU-Kommission. Als junger Verband können wir dazu vermutlich erst in ein paar Wochen mehr sagen. 

krautinvest.de: Die Single-Convention ist es ja, die diese Thematik ausgelöst hat. Schließt diese Nutzhanf und seine Verwendung nicht aus? Welche Rolle spielen jetzt die genaue Definitionen der wirtschaftlichen Verwendung von Nutzhanf? Welche Rolle spielt die erwartete Neubewertung von Cannabis und dass die WHO eigentlich Anfang letzten Jahres in Bezug auf die Single-Convention empfohlen hat: “Cannabidiol (CBD): Hinzufügen einer Fußnote, dass Produkte, die überwiegend CBD und nicht mehr als 0,2% Delta-9-THC enthalten, nicht unter internationaler Kontrolle stehen. Sie sind ausdrücklich ausgeschlossen, da kein relevantes Risiko für die öffentliche Gesundheit besteht.”

Jürgen Neumeyer: Es ist nicht die Single-Konvention an sich, sondern ihre Interpretation, manchmal auch ihre Übersetzung in nationale Sprachen und die historische Idee, bestimmte Substanzen und Pflanzen “an sich” zu verbieten und der damit verbundene Wunsch, diese dann auch regulieren oder ganz verbannen zu können. Auf internationaler Ebene soll es ja derzeit gerade zu einer Neubewertung der sogenannten “Suchtstoffe”, und damit auch von Cannabis und Cannabinoiden, kommen. Wir erwarten das im Dezember 2020. Hierzu will auch die WHO, dass Cannabis eigentlich aus den Anlage IV, in der auch Heroin oder Kokain stehen, entfernt und in die Anlage I umklassifiziert wird. CBD-Präparate mit einem THC-Gehalt von unter 0,2 Prozent sollen laut WHO dann gar nicht mehr über das Einheitsabkommen erfasst sein. Und genau diesem Ansatz widerspricht die EU mit ihren derzeitigen Aktivitäten, beziehungsweise “vorläufigen Einschätzungen”.

Der gesamte Vorgang und die große Eile mit der die EU diesen Entscheidungsprozess erstaunlicherweise nun voran treibt, ist und bleibt unverständlich und öffnet Raum für Spekulationen. Man hat das Gefühl, dass hier gegen die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und einen jahrelangen Prozesse innerhalb der Expertengremien der WHO entschieden wird. Mich würde schon interessieren, wer, wann, wo mit welchen Erkenntnissen an welcher Stelle interveniert hat, damit die vorliegende “vorläufige Einschätzung” der EU-Kommission so zustande kam?! Dazu haben wir leider noch keine Aussagen. 

Marijn Roersch van der Hoogte: Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass die CBD-Produkte bis zu einer bestimmten Konzentration an CBD auch weiterhin als Nahrungsergänzungsmittel gelten und erst ab einem bestimmten CBD-Gehalt als apothekenpflichtiges Präparat. Einen vergleichbaren Sachverhalt gibt es auch schon bei anderen Nahrungsergänzungsmitteln, wie mit Vitamin C oder Echinacea.

Dr. Stefan Meyer: Dem stimme ich zu. Um unsere CBD-Produkte noch sicherer für die Konsumenten zu machen setzt sich der BvCW für die Einführung eines Gütesiegel für CBD-Produkte ein – quasi eine TÜV-Plakette. Die Bewertung und Einschätzung werden wir natürlich nur im Schulterschluss mit einer anerkannten und zertifizierten Messstelle tätigen, zertifiziert, nachvollziehbar und vollständig dokumentiert.

krautinvest.de: Welche Rolle spielt, dass Großbritannien gerade eine Regelung für CBD-Produkte getroffen hat? An sich wäre ja der komplette europäische Markt betroffen. Wisst ihr, wie die Reaktionen in anderen europäischen Ländern auf diese Meldung ist?

Dr. Stefan Meyer: Der Umgang mit CBD bei unseren europäischen Nachbarn ist ein wichtiges Argument. So gelten innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten jeweils unterschiedliche Grenzwerte. Das ist auch der Grund, warum sich die Kommunikation mit den Partnerorganisationen aus den EU-Ländern aktiviert. Dort ist man inzwischen über die EU-Position sehr verunsichert.

krautinvest.de: Welche Rolle spielt Deutschlands nationale Gesetzgebung und das BtMG in dieser Diskussion? Habt ihr etwas getan um  dieser Situation auch auf nationaler und lokaler Ebene politisches Gehör zu verschaffen?   

Dr. Stefan Meyer: Auch nach deutschem Recht ist reines CBD bisher kein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). CBD zur medizinischen Nutzung ist nach einer Änderung auch in der Anlage 1 der Arzneimittelverordnung aufgeführt wie auch andere Stoffe wie Zink, Vitamin C oder Vitamin E. Auch für diese gibt es eine Abgrenzung als Nahrungsergänzungsmittel. Es liegen keinerlei wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die es sinnhaft erscheinen lassen, CBD in die Liste der Substanzen der entsprechenden 3 Anlagen des deutschen BtMG aufzunehmen, und es damit als Betäubungsmittel einzustufen. Darauf haben wir in unserem Schreiben an die Bundesregierung hingewiesen. 

krautinvest.de: Was sind für Euch die Drei wichtigsten Argumente, die jetzt in die Diskussion gebracht werden müssen?

Jürgen Neumeyer: Es gibt sicherlich noch mehr Argumente für die Thematik, wir sehen im Wesentlichen folgende Punkte die jetzt in die Diskussion gebracht werden sollten:

  1. CBD ist nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, weder Betäubungsmittel noch Suchtstoff. Viele Anwender berichten, dass CBD eher hilfreich als schädlich ist. Maximal bleibt es bei manchen Personen wirkungslos.
  2. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit einer guten, und wachstumsstarken Branche sichern. Wir brauchen keinen weiteren Schwarzmarkt. 
  3. Die CBD-Branche in Deutschland möchte Qualitätsstandards, Verbraucherschutz und sinnvolle Regulierungen. Bedenken gegenüber unseriösen CBD-Produkten können wir verstehen. Diese wollen wir auch nicht. Wir stehen als Cannabiswirtschaft zum konstruktiven Dialog bereit. 

krautinvest.de: Wie können Unternehmer selbst aktiv werden? Welche Informationen stellt ihr den Firmen zur Verfügung um vor Ort Lobbyarbeit zu machen und ihre unternehmerischen Interessen zu vertreten? 

Jürgen Neumeyer: Wir bekommen täglich Anrufe und schriftliche Anfragen, die sich bei uns zur aktuellen Situation erkundigen. Als Verband darf man aber keine juristische Beratung für Nichtmitglieder machen; können wir derzeit auch noch nicht. Hierfür gibt es entsprechende Anwälte. Als Branchenverband stellen wir unseren Mitgliedern wissenschaftliche Hintergrundinformationen, einschätzende Bewertungen und Weiteres selbstverständlich zur Verfügung. Für den vorliegenden Fall haben wir ein Musteranschreiben offen für alle Firmen an ihre regionalen Abgeordneten zur Verfügung gestellt, das sich jeder runterladen und in seiner Region nutzen kann. 

Dr. Stefan Meyer: Wir raten jedem Betroffenen, ob Firma oder Privatperson: Schreiben Sie an die Abgeordneten Ihres Vertrauens! Wehren Sie sich, bevor ein mögliche Neubewertung die CBD-Endverbraucher kriminalisiert beziehungsweise den CBD-Firmen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird.

Als CBD-Fachbereichskoordinator des BvCW´s und als Chemiker kann ich die EU-Entscheidungsansätze nicht nachvollziehen. Aber eigentlich können wir uns als Cannabiswirtschaft nicht vorstellen, dass die angestrebten Überlegungen Realität werden, denn dies würde der gesamten Nutzhanf-Wirtschaft in Europa widersprechen. 

Also: Bitte setzen Sie sich unsere gemeinsamen Interessen ein, begründen Sie es mit wissenschaftlicher Erkenntnis und mit Praxiserfahrung, nutzen Sie die Vorlage und schreiben Sie möglichst vielen Entscheidungsträger’innen! Kontaktieren Sie ihre Landtags-, Bundestagsabgeordneten und die Mitglieder im EU-Parlament. Diskutieren und gestalten sie mit!

Über den Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V.:
Der Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. (www.cannabiswirtschaft.de) wurde Ende des Jahres 2019 gegründet. Er versteht sich als “Stimme der Cannabiswirtschaft” in Deutschland und vertritt alle alle Branchensegmente und Unternehmensgrößen gegenüber Politik ,Verwaltung und Öffentlichkeit. Die Fachbereiche gliedern sich in „Nutzhanf“, „Medizinalhanf“, „CBD/Cannabinoide“ sowie “Technik, Handel & Dienstleistung”. Der BvCW bündelt industriepolitische, technologische und wirtschaftliche Expertise und setzen sich für bessere politischen Rahmenbedingungen ein.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung, Nutzung und Verkehrsfähigkeit von Produkten keinerlei Vorschläge. Es handelt sich um keine Rechtsberatung. Der Inhalt ist ein rein redaktionell und nicht-kommerziell, dient der allgemeinen Information und spiegelt die Position der Interviewpartner wider.

Transparenzhinweis: MJ Universe GmbH ist Mitglied des Branchenverbands Cannabiswirtschaft e.V.

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1 comment

Cyrus August 26, 2020 - 2:47 am

Auf der Seite https://www.change.org/cbd-is-food gibt es mittler Weile schon eine Petition, an der über 4000 Leute teilnehmen. Wenn sich Firmen hier anschließen wollen, bitte ich sie hiermit darum, die Petition in ihre Newsletter, Social Auftritte und Blog Beiträge mit aufzunehmen – ich werde sie im Gegenzug als Unterstützer der Petition namentlich nennen.

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