Schinnenburg über synthetische Cannabinoide: “Die Bundesregierung hängt hinterher”

by Moritz Förster

Er ist Zahnarzt, Jurist und – “war” muss man alsbald sagen – Bundestagsabgeordneter für die FDP: Dr. Wieland Schinnenburg setzte sich in den vergangenen vier Jahren vehement für eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland ein, auch für eine Liberalisierung der heimischen Produktion. Zeit zurück und voraus zu blicken: Der scheidende Bundespolitiker kritisiert im Interview mit krautinvest.de scharf die aktuelle Gefahr durch synthetische Cannabinoide, äußert sich zur heimischen Produktion und verspricht, dass sich die FDP in jedem Fall weiter für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene sowie faire Bedingungen für die Cannabisbranche in Deutschland einsetzen werde. Klare Worte, nur beim Thema “Ampel” oder “Jamaika” weicht Schinnenburg gekonnt aus. Dafür verrät er aber, wie seine Karriere nach Zahnmedizin, Jura und Politik weitergeht. Das Interview.

krautinvest.de: Dr. Schinnenburg, Sie haben sich zusammen mit weiteren Abgeordneten in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung gewendet, kurz vor der Bundestagswahl. Mit welcher Intention?

Dr. Wieland Schinnenburg: Die Corona-Pandemie hatte kaum Auswirkungen auf den europäischen und weltweiten Drogenmarkt, die Verfügbarkeit von Drogen bestand weiter fort, wie den beiden jüngsten Berichten, dem EU-Drogenbericht 2021 sowie dem World-Drug Report des Office on Drugs and Crime der United Nation (UNODC) entnommen werden kann. Wir wollten wissen, wie sich die Situation auf dem deutschen Drogenmarkt entwickelt hat. Medienberichte weisen regelmäßig auf die gestiegene Verbreitung von synthetischen Cannabinoiden hin, auch dazu wollten wir nähere Informationen von der Bundesregierung erhalten.

krautinvest.de: Unter anderem erläutert die Bundesregierung auch ihre Strategie, um der Gefahr durch synthetische Cannabinoide entgegenzutreten – immerhin verstarben im letzten Jahr laut offizieller Statistik neun Menschen -, und geht auf Qualitätskontrollen ein. Reichen die Maßnahmen aus?

Dr. Wieland Schinnenburg: Beim Thema synthetische Cannabinoide hängt die Bundesregierung sichtlich hinterher. Sie kann nicht einmal Schätzungen zum Aufkommen von synthetischen Cannabinoiden in Cannabisprodukten in Deutschland nennen, Qualitätskontrollen hält die Bundesregierung nicht für notwendig. Als Freie Demokraten setzen wir uns seit Jahren für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene ein. Nur so kann tatsächliche Qualitätssicherung stattfinden und Gesundheitsschäden reduziert werden.

krautinvest.de: Ein anders zentrales Anliegen Ihrerseits ist die heimische Produktion. Es zeigt sich eine zunehmende Differenzierung der Bezugsländer für medizinisches Cannabis. Die FDP hat sich immer für einen starken heimischen Markt für die Produktion von Medizinalcannabis eingesetzt, auch um Deutschland in einen Exportmarkt zu wandeln. Kritiker entgegen unter anderem, dass sich der Anbau im Vergleich zu anderen Standorten hierzulande nicht rechnet. Ist der Zug angesichts des Fortschritts in anderen Ländern endgültig abgefahren?

Dr. Wieland Schinnenburg: Die Befürchtung ist gerechtfertigt, dass der weltweite Cannabismarkt bereits unter den Hauptakteuren aufgeteilt ist. Wenn wir die Branche in Deutschland fördern und wirtschaftliche Hindernisse durch enorm hohe Regularien reduzieren, kann der Wirtschaftszweig auch hier wachsen.

krautinvest.de: Zurück zum Thema “Recreational”. Nach der Bundestagswahl kommt es voraussichtlich zur “Ampel-” oder “Jamaika-“Koalition. Viele Marktteilnehmer schielen mit wachem Auge auf einen neuen Markt. Für wie wahrscheinlich halten Sie persönlich eine Legalisierung in der kommenden Legislaturperiode?

Dr. Wieland Schinnenburg: Wie bereits vor der Wahl bin ich nach wie vor optimistisch, dass sich in der nächsten Legislaturperiode endlich eine kontrollierte Abgabe umsetzen lässt. Die FDP wird sich in jedem Fall weiter für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene sowie faire Bedingungen für die Cannabisbranche in Deutschland einsetzen.

krautinvest.de: Stünden die Chancen auf Modellprojekte und eventuell darüberhinausgehende sogar auf eine Legalisierung in einer SPD-geführten Bundesregierung besser?

Dr. Wieland Schinnenburg: Was auf Länderebene passiert, ist schwierig zu beurteilen. Die kontrollierte Abgabe von Cannabis muss ohnehin auf Bundesebene entschieden werden.

krautinvest.de: Sie verlassen den Bundestag. In den letzten vier Jahren ist der Markt für medizinisches Cannabis stetig gewachsen. Die Vorbehalte gegen eine Legalisierung bröckeln parteiübergreifend. Wir scheinen in Deutschland an einem historischen Wendepunkt zu stehen. Gehen Sie mit einem lachenden oder weinenden Auge oder arbeiten Sie aktiv weiter?

Dr. Wieland Schinnenburg: Natürlich verlasse ich die Bundespolitik mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe mich in den letzten Jahren als Bundestagsabgeordneter mit großer Freude für die Themen Drogen, Sucht und Psychotherapie eingesetzt. Natürlich bleibe ich der Politik auch weiterhin in der Bezirksversammlung Nord in Hamburg treu. Daneben stehen auch neue Schritte an, so werde ich mich vorerst auf meine Kabarett- bzw. Schauspielkarriere fokussieren.

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