Neues Sprachrohr der pharmazeutischen Cannabis-Wirtschaft? Die Stimmen zum Auftakt

by Moritz Förster

Acht Cannabis-Distributoren und ein Produzent gründen gemeinsam den neuen Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen. Bereits die Gründungsveranstaltung zeigt: Mehr als überfällig ist der Schulterschluss mit den Krankenkassen – Stichwort Genehmigungsvorbehalt. Auch die Politik scheint dringend auf einen kompetenten Partner für Information und Diskussion im Bereich Cannabis angewiesen. Der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen – steht nun vor der Mammutaufgabe diesen Diskurs eben nicht meinungsbasiert – sondern zunehmend anhand von Fakten und Evidenz zu führen. Die wichtigsten Stimmen.

Antonia Menzel, Public Affairs der Sanity Group über die Ziele: “Die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten durch die Versorgung mit Cannabinoid-Arzneimitteln verbessern sowie die zukunftsfähige Weiterentwicklung von Cannabinoid-Therapien.” Der Verband wolle die Stimme von Cannabinoid-Unternehmen “in Deutschland, Europa und International” werden, er bilde ein Forum für “Austausch, Information”, Neumitglieder seien “Herzlich Willkommen”.

“Bei Anbau, Versorgung, Darreichung und Forschung herrscht große Verunsicherung – wir wollen Abhilfe schaffen.” Ganz oben auf der Agenda stehen laut Menzel die “Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts”, “staatliche Forschungsförderung”, “innovativer Dosierungsformen”, sowie das Generieren von “mehr Evidenz”.

DEMECANs Dr. Adrian Fischer, fordert insbesondere aus Sicht eines produzierende Gewerbes, „Qualitätsstandard von medizinischem Cannabis zu etablieren.“ Ein großes Anliegen ist ihm dabei die „Quantifizierung der Varianz des Wirkstoffgehalts“. Dafür erforderlich: „Eine Datenbank für die Quantifizierung der Ergebnisse“

“Deutschland weite Harmonisierung durch Aufklärung”

Maximilian Schmitt (Cannaflos) findet, dass es in Deutschland trotz vorher erwähnter Defizite “ein rundes Konzept” gebe, verweist etwa auf die “Monographie für Cannabisblüten”. Seine Botschaft: “Der Dialog mit Kassen und Politik ist von elementarer Bedeutung.” Der junge, stark wachsende, aber bereits mit Regulierung behaftete Markt brauche Spielraum, standardisierte Produkte zu entwickeln. Außerdem sei die Regulierung “von Bundesland zu Bundesland” unterschiedlich. “Wir müssen einen einheitlichen Rahmen schaffen”, so Schmitt. Gerade auch, weil Deutschland “eine Vorreiterrolle in Europa” einnehme: “Wir haben Verantwortung gegenüber anderen EU-Nationen.” Der Verband wolle nun “Klarheit und Transparenz schaffen”, so Schmitt: “Wir streben eine Deutschland weite Harmonisierung durch Aufklärung an.” Harmonisierung Deutschlandweit. Durch Aufklärung.

Linus Weber von Nimbus Health verweist auf die Aufgabe der Mitgliedsunternehmen, die “Versorgung der Patienten” sicher zu stellen. Aufgabe des Verbands sei dabei “oft die Reduktion von Herausforderungen”. Die Situation ist schließlich komplex: “Cannabis ist kein typisches Medikament in Tablettenform, sondern ein Naturprodukt und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Zollanforderungen gelten international.” Entsprechend “vielschichtig” sei die Logistik. Dennoch “erfinden junge Unternehmer gerade eine neue Industrie”. Ihre Aufgabe: “Verfügbarkeit plus Nachlieferung ‘Just in time‘” – also “Apotheken innerhalb weniger Minuten mit Cannabis” zu beliefern; und zwar “sicher, ausreichend plus Temperatur konstant” Vom Verband erhofft sich Weber nun den Aufbau “verschiedener Kompetenzzentren” sowie die “Verbindung von Produktion und Forschung”. “Wir wollen den zukunftsorientierten Weg in die Medizin weitergehen”.

“Wir verfügen nicht über die Ressourcen eines großen Pharmaunternehmens.”

Finn Age Hänsel von der Sanity Group sieht “THC als Grund für die Stigmatisierung der Pflanze”. Sein ganz großes Anliegen: die Forschung. Abhängig von den “Indikationen und der Ausprägungen der Patienten” müssen “Kombinationen oder Einzelsubstanzen” erforscht werden: “Studien, die für andere Medikamente gemacht wurden, fehlen.” Erschwerend bei Cannabis: Cannabinoide würden bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich wirken. Spannend sei auch die Frage: “Lindern Cannabinoide nur Symptome, oder verfügen sie über Heilkräfte?” Hänsel verweist zwar auf “jede Menge Studien, über 3.000 weltweit”, aber: “Dabei handelt es sich um Kleinstudien”, also “anekdotische Evidenz”: “Tiefe Studien – etwa Phase II / III fehlen”, so Hänsel. Ohne solche Evidenzen werde Cannabis in der Medizin “immer hinterfragt”. Allerdings zweifelt Hänsel daran, dass die Studien entstehen werden: “In Deutschland ist die Forschung immer noch getrieben von einzelnen Lehrstühlen und Unternehmen, staatliche Förderung wird noch nicht wirklich praktiziert.” Es herrsche eine Ungleichheit: Auf der einen Seite eine große Anzahl an Patienten, auf der anderen die “ausbaufähigen Forschungsergebnisse”. “Wir verfügen nicht über die Ressourcen eines großen Pharmaunternehmens.” Der Hintergrund: “Cannabinoide kann man nicht patentieren. Deshalb existiert Respekt und Angst, dass man mit Beweisen auch dem Wettbewerb hilft. Das ist ein Marktversagen.” Hänsels Forderung in Sachen Forschung: “Damit Privatunternehmen nicht zu stark ins Risiko gehen, müssen wir dies durch staatliche Forschung begrenzen.” Er wünsche sich, dass der “Staat” sich “als Vorreiter aktiv in Forschung” einbringe und verweist auf bereits gemeinsam Forschungsleitlinien wie in Israel, Portugal: “Das steht aber noch nicht oben auf der Agenda des Gesundheitsministeriums.”

Hänsels weiteres Anliegen: Das Stigma von Cannabis als Verband zu kämpfen. Auch dafür sei es wesentlich, zu beweisen, dass “Cannabinoide als Arzneimittel Berechtigung” haben: “Wir glauben, dass Cannabinioide wirkliche Wirkstoffe sind, die Evidenzen zeigen werden”. Die Politik solle zudem ermöglichen, dass “wir innovativ sein können”. Beispielsweise wünscht er sich mehr Spielraum zwischen Cannabinoid basierten Fertigarzneimittel und dem Naturprodukt – Kapsel könnten etwa ein Beispiel dafür sein.

Und die Ziele des Verbands für die nahe Zukunft? Ihn durch “weitere Marktteilnehmern” erweitern, so Hänsel. Zehn Prozent der Marktteilnehmer würden bereits abgebildet. Das Ziel läge bei 50 Prozent oder mehr. Schließlich will der Verband die Stimme der pharmazeutischen Cannabis-Industrie sein.

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