Nutzhanf-Potenzial in Deutschland?

Von Frankreich lernen

by Astrid Hahner

Verbände kritisieren massiv, dass die “Rauschklausel” für Nutzhanf (noch?) nicht aus dem CanG gestrichen wurde. Deutschland würde das Potenzial der nachhaltigen Industrie vergeuden. Tatsächlich waren die produzierten Mengen zuletzt rückläufig. Ein Blick gen Frankreich zeigt, wie es besser geht.

Seit 1996 dürfen zugelassene Nutzhanfsorten aus dem EU-Sortenkatalog in Deutschland wieder angebaut werden, allerdings nur von landwirtschaftlichen Betrieben und auch nur dann, wenn der Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC), dem in den Blüten enthaltenen psychoaktiven Wirkstoff, nicht über 0,3 Prozent liegt. Nutzhanf, welcher sich artenmäßig nicht von anderen Cannabis sativa L Sorten abhebt, unterliegt dabei allerdings nicht der Kontrolle der Bundesopiumstelle, sondern der Landesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)

Die BLE ist dafür zuständig, die Einhaltung der zulässigen THC-Gehalte der angebauten Nutzhanfsorten zu kontrollieren. Jeder Betrieb, der Nutzhanf anbaut, muss diesen bei der BLE und dem zuständigen Bundesland gesondert anmelden. Dafür stehen auf der BLE-Homepage die notwendigen Formulare zur Verfügung. Darüber hinaus müssen landwirtschaftliche Betriebe den Blühbeginn an die BLE melden. Mit der Ernte des Nutzhanfs darf wiederum erst begonnen werden, wenn die BLE diese freigibt. Ein hoher bürokratischer Aufwand für hiesige Landwirte, die mit Hanf wirtschaften möchten.

Anbaufläche von Nutzhanf in Deutschland betrug 2023 5.843 Hektar

Nachdem die Anbaufläche von Nutzhanf in Deutschland seit 2013 stetig anstieg, sank sie nun erstmals wieder und liegt 2023 bei 643 Betrieben mit 5.834 Hektar (bezogen auf das gesamte Bundesgebiet). Dies sind nach den vorläufigen Zahlen der BLE 246 Betriebe (-28 Prozent) und 1.109 Hektar (-16 Prozent) weniger als im Jahr zuvor. Die größten Anbauflächen pro Betrieb liegen in Brandenburg (34 Hektar), Thüringen (22 Hektar) und Sachsen-Anhalt (16 Hektar) – Die gesamten Details können der Abbildung unten entnommen werden. 

Über die Hälfte des europäischen Nutzhanfs wächst in Frankreich

Zum Größenvergleich: Die größten Anbauflächen Europas befinden sich in Frankreich. Dort wurde z.B. 2020 auf einer Fläche von 19.540 Hektar Hanf angebaut – Frankreich ist nach China sogar weltweit an der Spitze der Hanf-Exporteure. Insgesamt lag die Anbaufläche von Hanf in der Europäischen Union im gleichen Jahr bei 33.020 Hektar (Quelle: Statista). Über die Hälfte des europäischen Nutzhanfs wächst demnach in Frankreich. Der Anbau von Hanf wird im französischen Plan Stratégique National (PSN) in mehrfacher Hinsicht auch speziell gefördert, z.B. durch gekoppelte Subventionen für Hanfbauern, die vertraglich einer Hanf-verarbeitenden Genossenschaft angeschlossen sind.

Die französische Hanfindustrie konzentriert sich traditionell auf die Faser- und Saatgutproduktion, besonders dünnes, reißfestes Hanfpapier wurde in Frankreich schon im 14. Jahrhundert hergestellt und z.B. für Gebetsbücher und Bibeln verwendet. In jüngster Zeit hat zudem das Interesse am Anbau von EU-Hanfsorten zur Blütenernte aufgrund der Öffnung der französischen Vorschriften für rauchbare Hanfprodukte Fahrt aufgenommen. Im Durchschnitt werden in Frankreich aktuell 89 % der Jahresproduktion für Stroh verwendet, die restlichen 11 % für Hanfsamen. Diese Produktion speist sechs Hanfgenossenschaften (Chanvrières), die im Durchschnitt 100.000 Tonnen Faserstroh und 17.000 Tonnen Samen pro Jahr verarbeiten.

Das BLE teilte ferner mit, dass es keine Informationen darüber habe, zu welchem Zweck der jeweilige Nutzhanf in Deutschland angebaut würde, ebenso konnte es keine Auskünfte zu Import- und Exportmengen geben. Beim BvCW nachgefragt, erhielten wir zumindest folgende Richtwerte zur Einschätzung der anteiligen Verteilung der möglichen Erträge im Nutzhanfanbau – diese sind allerdings abhängig von der verwendeten Sorte und deren individuellen agronomischen Eigenschaften sowie den Kulturbedingungen (Bodenbeschaffenheit, Wetter):

Anbau von Hanfsorten zur Samengewinnung
Stroh: 2 bis 5 Tonnen pro Ha (davon 20% Fasern, 60% Schäben und ca 20% Staub und Reste der Blüte (konservativ gerechnet)
Samenertrag: zwischen 750 kg und 1,5 Tonnen pro Ha
Blütenertrag: keiner

Anbau von Hanfsorten zur Fasergewinnung
Stroh: 6 bis 10 Tonnen pro Ha (davon 25% Fasern, 55% Schäben und ca 20% Staub und Reste der Blüte (konservativ gerechnet)
Samenertrag: zwischen 300kg und 800kg pro Ha.
Blütenertrag: keiner

Anbau von Hanfsorten zur Ernte der Blüten
Keine Zahlen möglich, B2C in DE rechtliche Grauzone, sehr variabel

Berechnung der Rentabilität von Samen-/Faserhanf Anbau

Detailliertere Rechenbeispiele zur Rentabilität für landwirtschaftliche Betriebe bietet beispielsweise die Hanffaser Uckermark auf ihrer Homepage. Die brandenburgische Genossenschaft, welche sich auf die Herstellung von Textilien und Baustoffen aus Hanffasern spezialisiert hat, scheint nach dem Prinzip der französischen Chanvrières zu funktionieren: Lokale Absatzmärkte für die regionale Landwirtschaft mit Hanf(stroh) schaffen, die Lieferanten bestmöglich unterstützen, um den nachwachsenden Rohstoff Hanf(faser) gewinnbringend veredeln zu können. Ein Nachteil für die Rentabilität sind die relativ hohen Transportkosten von Hanfstroh vom landwirtschaftlichen Betrieb zur verarbeitenden Fabrik – hier hilft nur eine gut organisierte Logistik bzw. Zusammenschlüsse mehrerer kleiner Nutzhanf-Betriebe zu einer einzigen Lieferfahrt.

Veredelung des Rohstoffs Hanf: Marktwert von Hanfgarn seit 2002 verdreifacht

Stichwort Veredelung: Im Jahr 2020 betrug der Importwert von 1 kg Hanfgarn etwa 9,1 US Dollar, verglichen mit 0,94 Dollar für halb verarbeiteten Hanf und 1,38 Dollar für rohen oder gerösteten Hanf. Zwischen 2002 und 2020 hat sich der Marktwert von Hanfgarn fast verdreifacht. Der Importwert von halb verarbeitetem Hanf stieg im gleichen Zeitraum nur um etwa 40 Prozent bzw. 50 Prozent bei rohem oder geröstetem Hanf. (Quelle: UNTAC: Commodities at a glance: Special issue on industrial hemp. (2022).)

Textilien und feines Hanfpapier wie z.B. das international bekannte französische Zigarettenpapier OCB sind die am höchsten veredelten Produkte aus Hanfstroh, als Nebenprodukt fallen gröbere Fasern und holzige Anteile für die Bauindustrie, zur Energiegewinnung (potentiell: Holzpellets, Pressholz aus Hanfschäben) bzw. natürlich auch Samen (Öl, Protein, Saatgut) an. Aktuell, so Marijn Roersch van der Hoogte vom BvCW, gibt es nur vier solcher Fabriken deutschlandweit, die aktiv sind. In den nächsten 2 Jahren sollen aber mindestens vier hinzukommen und mit Fördergeldern die Forschung zur Erschließung des wirtschaftlichen Potentials von Nutzhanf vorangetrieben werden. Im Sinne der Proteinstrategie bieten Hanfsamen sehr hohen Nährwert und die Pflanzen sind von Natur aus robust, um auch klimatischen Veränderungen wie Trockenheitsperioden zu trotzen und können quasi pestizid- und düngemittelfrei kultiviert werden. Hanffasern sind außerdem sehr leicht, reiß- und zugfest, so dass sich auch Materialforscher und Ingenieure, z.B. aus der Automobilindustrie, vermehrt in die Thematik Hanf einarbeiten. Langfristig müssen erdölbasierte, nicht biologisch abbaubare Kunststoffe durch nachwachsende Materialien ohnehin ersetzt werden – Schreitet Deutschland nun mit Pioniergeist und unternehmerischer Weitsicht voran?

Teil 2: Strafverfolgung gegen Nutzhanf-/CBD Produzenten und Händler in Deutschland 2023

Deutschland ist bekannt dafür, die völkerrechtliche Single Convention von 1961 bzw.1972 im Bezug auf Hanf(blüten) sehr streng zu interpretieren. Obwohl Nutzhanfanbau korrekterweise nicht unter die Kontrolle der Bundesopiumstelle fällt, da es sich selbst nach Single Convention um ein landwirtschaftliches Erzeugnis handelt und nicht der Herstellung von Drogen und Medikamenten dient, kommt es hier nicht selten zu Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlichen Verstößen gegen das deutsche Betäubungsmittelrecht gegen Nutzhanf-/CBD-Produzenten und Händler. Wir haben bei den 16 zuständigen Landeskriminalämtern der Bundesrepublik nachgefragt, wie häufig genau das passiert ist.

Kein gesondertes Delikt, weil Nutzhanf und CBD auch Cannabis sind

Was bei der Auswertung der Antworten zunächst auffiel, war, dass der Fortschritt der Digitalisierung bzw. die Pflege der Kriminalstatistik in den LKAs bundesweit nicht einheitlich funktioniert und nicht eindeutig zwischen Drogenkriminalität und Ermittlungsverfahren wegen Nutzhanf und CBD unterschieden wird. 

Ein Großteil der LKAs teilte mit, dass Ermittlungsverfahren wegen Nutzhanf  in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht als gesondertes Delikt auftauchen, sondern ggfs. unter die einschlägigen Verstöße gem. §29 ff des BtmG fallen (unerlaubter Handel mit Cannabis und Cannabis-Erzeugnissen). Eine statistisch gesonderte Auswertung im Sinne unserer Anfrage sei daher nicht ohne erhebliche und händische Recherchearbeit möglich. Dies gelte auch bezogen auf den CBD-Handel, weil Verstöße gegen das BtmG, die diese Produkte betreffen, statistisch zusammengefasst unter den Oberbegriff „Cannabis“ fielen, da CBD ein Inhaltsstoff der den Anlagen I und III des BtmG unterstellten Cannabispflanze sei. 

Ob das im Umkehrschluss erklärt, weshalb Razzien wegen Nutzhanf und CBD mit einer Vehemenz durchgeführt werden, wie man sie nur im Kampf gegen das organisierte Verbrechen vermuten würde? Einige unserer Anfragen blieben nach einer Woche unbeantwortet.

LKA Berlin liefert interessante Zahlen zur “CBD Problematik”

Die umfangreichste Analyse erhielten wir vom LKA Berlin; erwartungsgemäß gab es in der Großstadt keine Beschlagnahmung von Hanffeldern oder Ermittlungsverfahren gegen Landwirte. Auch die “CBD-Problematik” sei erst “im Jahre 2019 erstmals aufgetaucht” (3 Ermittlungsverfahren). Im Jahre 2020 gab es in Berlin 29 Ermittlungsverfahren wegen CBD, im Jahr 2021 73 Ermittlungsverfahren, im Jahr 2022 sank die Zahl leicht auf 66. Bis November wurden in Berlin dieses Jahr nur noch 35 Ermittlungsverfahren wegen Handels mit CBD Produkten registriert. Zu den insgesamt 206 Ermittlungsvorgängen kam es bei 101 Vorgängen zu entsprechenden Sicherstellungen von CBD-haltigen Substanzen wie krautigem Material, Vape-Kartuschen oder Ölen (Gesamtwert unbekannt). 

Die Zahlen lassen vermuten: Nach “Auftauchen” der sogenannten “CBD-Problematik” in Nutzhanf wurde ein ganzer Wirtschaftszweig in bekannter deutscher Effizienz und Korrektheit im Keim erstickt, meist unter dem Vorwand eines Rauschgift-Deliktes, obwohl CBD bekanntlich nicht berauschend wirkt und die Polizei Wichtigeres zu tun hätte. In Deutschland hat sich unter anderem die Arzneimittelaufsichtsbehörde dafür stark gemacht, CBD als verschreibungspflichtigen Wirkstoff einzustufen bzw. CBD-haltige Lebensmittel als Novel Food. Damit waren die meisten freiverkäuflichen Produkte aus Nutzhanf nicht mehr verkehrsfähig. Parallel dazu kursieren in mehreren Bundesländern interne Rundbriefe aber auch öffentliche Pressemitteilungen, die ausdrücklich zur Verfolgung solcher Delikte auffordern bzw. über das Strafbarkeitsrisiko informieren, z.B.:

“Aus aktuellem Anlass weisen die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das Polizeipräsidium Karlsruhe darauf hin, dass der Umgang mit Produkten, die Cannabispflanzen oder -pflanzenteile enthalten und offensichtlich dem Konsum zu Rauschzwecken dienen, strafrechtlich nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten ist. Das gilt insbesondere auch für den Verkauf, Kauf und Besitz solcher Cannabidiol (CBD)-Produkte, die aus getrockneten Cannabisblüten, Cannabispflanzen oder Cannabispflanzenteilen bestehen und nach ihrer Art zum menschlichen Konsum und zur Erzielung von Rauschzuständen gedacht sind. Dabei ist es unerheblich, ob diese Produkte – wie z.B. Blüten, Tabak oder konsumfertige Joints – tatsächlich mehr oder weniger als 0,2 % von dem berauschenden Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten. Soweit Apotheken oder Händler mit CBD-Produkten wie Ölen, Seifen oder Cremes mit dem Wirkstoff CBD werben, fallen solche verarbeiteten Produkte dagegen grundsätzlich nicht unter die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes.”

Es ist höchste Zeit, die Rauschklausel zu streichen, ja. Das Dilemma, munkeln Brancheninsider, liege darin, dass die Streichung der Rauschklausel weitere Gesetze und Zuständigkeiten berührt, so dass eine Zustimmung durch den Bundesrat notwendig sei. Bei der aktuellen Sitzverteilung würde man also riskieren, dass das gesamte Projekt CanG deswegen scheitert. Ist das Festhalten an der Rauschklausel im Gesetzesentwurf also nur eine strategische Entscheidung der Ampel?

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