Quo vadis Cannabis? Der Jahresrück- und Ausblick für die deutsche Cannabisindustrie

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Kai-Friedrich Niermann, Anwalt bei kfn+

2023 war für die involvierte und interessierte Cannabisindustrie eine “Achterbahnfahrt”. Gingen im April noch alle davon aus, dass die Bundesregierung ein kommerzielles Vertriebsmodell vorstellen wird, wie noch im Koalitionsvertrag vereinbart, war das in der Bundespressekonferenz im April von Karl Lauterbach und Cem Özdemir vorgestellte 2-Säulenmodell dann schon eine herbe Enttäuschung. Diese Enttäuschung wurde dann vom überregulierten und äußerst prohibitiven Kabinettsentwurf im August noch übertroffen. Nicht einmal die Rauschklausel für Nutzhanf, wie schon lange von führenden Toxikologen vorgeschlagen und von der Industrie gefordert, wurde im Entwurf gestrichen.

Für die einzelnen, bereits jetzt am Markt erhältlichen Cannabis-Produkte zeichnet sich für die Zukunft der Verkehrsfähigkeit ein durchwachsenes Bild:

Hanfsamen:

Die europäische Kontaminantenverordnung für Hanfsamenprodukte ist im Januar 2023 in Kraft getreten, maßgeblich auf Initiative der EIHA. Damit gelten nun europaweit einheitliche THC-Werte für Hanfsamen, Hanfsamenmehl und Hanfsamenöl, so dass es auf den ARfD der EFSA nicht mehr ankommt. Für Hanfsamen und seine Derivate war das eine wichtige Entwicklung.

CBD-Öl:

Zuletzt wurden CBD-Öle als kosmetisches Mundpflegeöl in den Verkehr gebracht, da kosmetische Studien die antibakterielle Wirkung bei der Pflege des Mundraumes belegen konnten. Dogmatisch überzeugend wurde diese Vermarktungsmöglichkeit vom Verwaltungsgericht Hamburg, vom Oberverwaltungsgericht Hamburg sowie vom Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigt, da diese Produkte als Kosmetik bei richtiger Kennzeichnung nicht zur Aufnahme als Lebensmittel durch den Menschen bestimmt sind. Die Verwaltungsgerichte in Berlin und Sigmaringen stufen CBD-Öle dagegen pauschal als „Lifestyle“-Produkte und Lebensmittel ein. Alle Entscheidungen sind in Eilverfahren ergangen, die Entscheidungen in der Hauptsache stehen noch aus. Rechtskräftige Entscheidungen können allerdings noch Jahre auf sich warten lassen.

Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte 2022 einen Bescheid des BfArM, nach der auch ein unterdosiertes CBD-Öl, für das eine Tagesaufnahme von 18mg CBD empfohlen wurde, pharmakologische Effekte aufweist, und damit ein Arzneimittel ist. Diese Entscheidung ist im März 2023 vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof in einem Eilverfahren in zweiter Instanz bestätigt worden. Diese Entscheidungen widersprechen aber der ständigen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes, der für die Annahme eines pharmakologischen Effektes eine Erheblichkeitsschwelle annimmt, die mit der Dosierung überschritten werden müsse.

Ein weiteres Problem für die Vollspektrumextrakte wird die neue Definition von Cannabis im Konsumcannabisgesetz (KCanG) werden, so es denn in Kraft tritt. Danach werden Zubereitungen und Extrakte von Nutzhanf nicht mehr erfasst, sondern wohl nur noch CBD als Isolat. Das Problem stellt sich bereits nach derzeitiger Rechtslage, da teilweise vertreten wird, das für Zubereitungen bzw.  Pflanzenbestandteile THC als Einzelsubstanz der Anlage 1 BtMG anwendbar ist, und entsprechende Produkte damit Betäubungsmittel seien. Und zwar unabhängig von etwaig bestehenden sektoralen Vorschiften, wie zum Beispiel dem Richtwert der ARfD.

Nutzhanfblüten:

Es vergeht praktisch kein Tag, ohne das ein Ermittlungsverfahren gegen Händler von Nutzhanfblüten eingeleitet worden ist oder eine Durchsuchung von Laden und Lagerräumen stattgefunden hat. Dasselbe gilt für die Durchführung strafrechtlicher Hauptverhandlungen und Verurteilungen.

Trotzdem bleibt die Produktverfügbarkeit in ganz Deutschland hoch. In der Begründung zum KCanG steht ausdrücklich, dass die Rechtslage des BtMG für Nutzhanf unter Verweis auf die ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fortgeführt werden soll. Sollte die Rauschklausel tatsächlich im KCanG verbleiben, ist zu befürchten, dass die Strafverfolgung aufgrund dieser Entscheidung des Gesetzgebers versuchen wird, diese Produkte als pflanzliche Raucherzeugnisse endgültig vom Markt zu verbannen, auch wenn die Durchsetzung ähnlich wie bei den CBD-Ölen mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.

Die besseren wissenschaftlichen und dogmatischen Argumente sprechen dafür, einen „Missbrauch zu Rauschzwecken“ bei Nutzhanfblüten auszuschließen, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Wertungswiderspruch zum neuen KCanG. Warum sollte ein Konsument versuchen, sich mit Nutzhanf zu berauschen, wenn der Besitz von bis zu 25g richtigem Cannabis demnächst legal ist? Die Annahme, Konsumenten würden versuchen, sich für 150€ mit 15g verbackenen CBD-Blüten zu berauschen, erscheint dann noch absurder.

Hanfblättertee:                                               

Hanfblätter für Hanfblättertee weisen einen deutlich geringen THC-Gehalt als Hanfblüten auf, teilweise nur bis zu 1/10 im Vergleich. Trotzdem werden einige strafrechtliche Verfahren gegen Produzenten und Händler geführt. Teilweise wurden diese Produkte bei Ermittlungsmaßnahmen zwar beschlagnahmt, dann aber nicht zur Anklage gebracht. Aufgrund dieser Unsicherheiten ist Hanfblättertee fast vollständig aus dem deutschen Lebensmitteleinzelhandel verschwunden, was ein weiterer schwere Schlag gegen die Nutzhanfindustrie war.

Darüber hinaus wurde Hanfblättertee von einigen übereifrigen Behörden als neuartiges Lebensmittel eingestuft. Durch die Entscheidung der EU-Kommission im April 2023, wiederum maßgeblich auf Initiative der EIHA, Nutzhanfblätter als wässriger Aufguss in die Positivliste des Novel-Food Katalogs aufzunehmen, hatte sich diese Diskussion allerdings erledigt. Die Änderung gilt aber nur für wässrige Auszüge, also Tee. Ein alkoholischer Auszug zum Beispiel für einen Gin wäre davon nicht erfasst.

Bei beiden Produktkategorien (Hanfblätter als Tee/Lebensmittel und Blüten als pflanzliches Raucherzeugnis) sind immer noch die Klagen zweier Hanfunternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Verwaltungsgericht Braunschweig anhängig, mit der die Feststellung der Verkehrsfähigkeit auf Grundlage der europäischen Warenverkehrsfreiheit begehrt wird. Eine Terminierung sollte dieses Jahr erfolgen.

Nutzhanfblüten und Hanfblätter in Lebensmittel:

Nutzhanfblätter und -Blüten in Lebensmittel werden von Behörden regelmäßig als neuartiges Lebensmittel eingestuft, da eine 15-jährige Verzehrgeschichte vor 1997 nicht nachgewiesen werden könne. Kein Wunder, da Cannabis ja faktisch verboten war in dieser Zeit. Unzählige Beispiele aus der älteren Geschichte und Nachweise in Form von Rezepten aus ganz Europa interessieren Behörden nicht, eine Verbannung dieser Produkte vom Markt scheint Vorrang zu haben. Ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko, dass die umfangreiche Untersuchung nach der Novel-Food Verordnung rechtfertigen könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

CBD-Kosmetik:

Bei CBD-Kosmetik wird von Aufsichtsbehörden häufig darauf verwiesen, dass Cannabis-Extrakte in der Single Convention von 1961 in Anlage 1 erwähnt werden, und die europäische Kosmetikverordnung in Bezug auf unerlaubte Stoffe direkt auf diese Anlage verweist. An der Unzulässigkeit von der Verwendung von Isolaten oder Extrakten habe sich auch nichts durch die Entscheidung des EuGH im Kanavape geändert. Außerdem sei keine ausreichende Datenlage für CBD vorhanden, um den nach der Kosmetikverordnung erforderlichen Sicherheitsbericht zu erstellen.

Trotzdem sind bisher keine Verfahren bekannt geworden, in den der Vertrieb von CBD-Kosmetik erfolgreich untersagt werden konnte.

Vollspektrumextrakte werden voraussichtlich nicht mehr vom KCanG erfasst, sondern die Verwendung von CBD dürfte künftig nur noch als Isolat möglich sein, wie oben bereits erläutert.

CBD E-Liquids:

CBD E-Liquids galten lange als uneingeschränkt verkehrsfähig, nicht zuletzt aufgrund der bereits erwähnten Entscheidung des EuGH im Kanavape-Case, der genau ein solches Produkt betraf. Nunmehr wurde ein Berliner Verfahren bekannt, nach dem CBD als Produktbezeichnung einen gesundheitlichen Nutzen suggerieren soll, was nach dem Tabakerzeugnisgesetz nicht erlaubt sei. Dem Geschäftsführer wurde ein Bußgeld auferlegt.

Rechtssicherheit sieht anders aus! Ob diese Versuche, auch nikotinfreie CBD E-Liquids vom Markt zu verbannen, trotz der eindeutigen europäischen Rechtslage, bleibt abzuwarten. Hinzu kommt, dass sich auch hier das Problem der Vollspektrumextrakte nach neuem KCanG stellt.

Aromakerze mit CBD

Zuletzt wurden Aromakerzen mit 200mg CBD (zum Verbrennen per Docht) im deutschen Einzelhandel angeboten. Die Produkte sind als Aromatherapie gekennzeichnet, was wohlmöglich einen Ansatz für eine Vertriebsuntersagung nach dem Arzneimittelgesetz bietet. Die Verzweiflung über fehlende Marktperspektiven macht ein solches Produkt aber durchaus deutlich.

HHC

Das zuletzt äußerst populäre, halbsynthetische Cannabinoid HHC, das in E-Liquids und aufgesprüht auf Nutzhanfblüten in den Verkehr gebracht wird, wurde im Herbst 2023 verstärkt von lokalen Aufsichtsbehörden auf Grundlage des Tabakerzeugnisgesetzes angegriffen. Einzelnen Händlern wurde der Vertrieb untersagt, da ein berauschender Effekt nicht ausgeschlossen werden könne, und der verwendete Inhaltsstoff damit nicht sicher sei. Nun hat der 59. Sachverständigenausschuss entschieden, Änderungen der Anlage zum NPSG vorzuschlagen, die auch HHC betreffen würden. Einzelheiten sind noch nicht bekannt geworden, toxikologische Experten befürchten ein Verbot der ganzen Stoffgruppe. Da das neue KCanG aber ein generelles Extraktionsverbot für Cannabis vorsieht (bis auf CBD-Isolat), wäre eine Aufnahme ins NPSG eigentlich entbehrlich gewesen. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.    

Teilentkriminalisierung und Anbauvereinigungen

Zur prohibitiven Natur der Teilentkriminalisierung und der überregulierten Organisation der Anbauvereinigungen wurde bereits genug gesagt. Unklar ist aber meines Erachtens, ob eine illegale Herkunft unschädlich ist, oder das Cannabis aus dem Eigenanbau oder den Anbauvereinigungen stammen muss. Die Gesetzesbegründung erläutert zwar, dass die Herkunft unschädlich sein soll, es wird aber sicherlich Gerichte geben, die auch Wortlaut und Systematik zum Anlass nehmen werden, einen Legalitätsnachweis zu fordern. Zum einen aus einem eingeübten, repressiven Reflex bei Cannabis, zum anderen aber auch, um nicht den illegalen Markt weiter „zu fördern“. Wir werden sehen.

Wenn dann mit der unrealistischen Grenze von 50 Gramm der Eigenanbau faktisch verhindert wird, und sich aufgrund der zahlreichen bürokratischen Anforderungen nur wenige Anbauvereinigungen etablieren werden, hat sich an der Situation der Konsumentinnen und Konsumenten nur wenig verändert.

Obwohl jeder nicht erst seit Herbst 2023 über Bürokratieabbau redet, ist das Konzept der Anbauvereinigungen ein reines Bürokratiemonster. Anders geht es in Deutschland anscheinend nicht, vor allem wenn das Gesetz ausschließlich dem Gesundheitsschutz untergeordnet wird.

Ein weiterer Stolperstein wird noch die Rechtsverordnung zur Qualitätssicherung in den Anbauvereinigungen werden. Diese ist bereits jetzt vom KCanG vorgezeichnet. Der Landwirtschaftsminister muss diese Verordnung im Einvernehmen mit dem Gesundheitsminister und Zustimmung des Bundesrates ausarbeiten. Man kann sich vorstellen, was passieren wird, wenn der Bundesrat hierauf Einfluss erhält. Wohlmöglich müssen dann auch Anbauvereinigungen nach pharmazeutischen Standards anbauen, was dann wohl das endgültige Aus dieser legalen Beschaffungsalternative wäre.

Medizinisches Cannabis

Dafür hat sich die Bundesregierung überraschend für die Freigabe des medizinischen Cannabis-Anbaus in Deutschland entschieden. Es gibt zukünftig keinerlei Beschränkungen hinsichtlich Menge, Produktart und Anzahl der Genehmigungen. Einzige Voraussetzung ist die Herstellung nach den bekannten pharmazeutischen Standards. Die Begründung in den Formulierungsvorschlägen des BMG rechnet mit 100 Betrieben (!), die sich in Deutschland etablieren werden.

Mögliche Konsequenz: Deutschland hat 2022 ca. 25t importiert, 2023 werden es vielleicht bis zu 30t. Die drei heimischen Anbauer allein könnten 45t in der letzten Ausbauphase erreichen. Art. 21 der Single Convention von 1961, an die sich Deutschland fast schon sklavisch hält, schreibt aber vor, dass nur so viel importiert werden darf, wie nicht im Inland produziert werden kann.

Dürfen deshalb dann keine Importe mehr nach Deutschland erfolgen, wenn der Bedarf durch heimische Produktion gedeckt werden kann? Wer in Deutschland medizinisches Cannabis verkaufen möchte, muss es dann langfristig auch in Deutschland anbauen?  Bleiben Importe für Re-Exporte weiter möglich?

Und wen sollen 100 Betriebe alle versorgen? Müssen sich diese dann neue Exportmärkte suchen, wenn der Bedarf in Deutschland gedeckt ist? Und wird medizinisches Cannabis das neue Freizeitcannabis, wenn Cannabis aus dem BtMG herausgenommen wird und die Verschreibungen explodieren werden?

Die Freigabe des Anbaus für medizinisches Cannabis war eine Forderung der FDP aus dem Bundestagswahlkampf 2021. Deutschland solle zum Exportweltmeister für medizinisches Cannabis werden, so die Forderung, die unter anderem der Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg regelmäßig erhob. Was die Freigabe des Anbaus für den heimischen, aber auch für den globalen Markt bedeutet, kann jetzt noch gar nicht abgeschätzt werden.

Die Investition in die Errichtung einer Anlage in Deutschland, auch als Vorbereitung für die Modellprojekte in Säule 2 scheint, erscheint deshalb durchaus sinnvoll. Die Produktion für die Modellprojekte muss ebenfalls nach den Regelungen der Single Convention in Deutschland erfolgen.

Und können diese Anbaubetriebe dann nach Ablauf der Evaluierungsphase nach 5 Jahren, sofern die internationalen und EU-Regularien zu diesem Zeitpunkt möglich erscheinen lassen, den Vertrieb auf Genusscannabis umstellen, in bester GMP-Qualität?

Ist das der Masterplan der Bundesregierung?

Fazit

Fragen über Fragen, die der Entwurf und die geeinigten Änderungsvorschläge nach wie vor aufwerfen. Es verbleiben zahlreiche Widersprüche, Wertungsgegensätze und es drohen zahlreiche Konflikte mit dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit innerhalb der EU. Eine Klagewelle ist damit abzusehen.

Im schlimmsten Falle wird der Nutzhanf diese Reform nicht überleben, dafür aber der Markt für medizinisches Cannabis eine neue Renaissance erleben.

Über Kai-Friedrich Niermann

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 die nationale und internationale Cannabis-Industrie, mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen und Wirtschaftsstrafrecht. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Kai veröffentlicht auch Artikel bei Krautinvest, BusinessCann und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und sein Büro KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabis Unternehmen, als auch Unternehmen, die am entstehenden Freizeit-Cannabis Markt interessiert sind. Außerdem ist er Berater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat. Er ist Mitglied des Advisory Boards der International Cannabis Bar Association (INCBA) und im Vorstand von LEAP Deutschland e.V.

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