Löst Cannabiskonsum Psychosen aus? Eine neue Studie lässt Zweifel aufkommen.

by Astrid Hahner

Eine der größten Vorbehalte gegen die Verwendung von Cannabis als Medizin, mehr noch gegen die Legalisierungs-Bestrebungen oder den Konsum bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist die Sorge, dass substanz-induzierte Psychosen und Schizophrenie-Erkrankungen durch frühen und hochfrequenten Cannabis-Konsum begünstigt werden. Die Argumentation des Bundesgesundheitsministeriums stützt sich in diesem Kontext vor allem auf eine Studie von 2021, welche in verschiedenen Bereichen des Gehirns von Früheinsteigern Ähnlichkeiten mit den für Schizophrenie typischen Veränderungen in der grauen Substanz gefunden hat. Es gibt überdies viele wissenschaftliche Publikationen, die belegen, dass regelmäßiger Cannabis-Konsum mit dem Auftreten schizophrener Erkrankungen oder der Lebenszeitprävalenz von Psychosen korreliert, besonders wenn der Konsum bereits in der Pubertät begann.

Selten wird in der Argumentation beachtet, dass nicht abschließend geklärt ist, ob dieser Zusammenhang wirklich kausal ist, d.h. ob durch Cannabiskonsum Schizophrenie oder eben die strukturellen Veränderungen der grauen Substanz verursacht wurden. Denkbar ist auch, dass neurologische und psychiatrische Grunderkrankungen der Grund sind, weshalb anteilig vermehrt Betroffene es sind, die durch Substanzgebrauch ihr Bewusstsein oder das Erleben verändern möchten. Eine 2018 in Nature publizierte genetische Analyse kommt zu der Schlussfolgerung, dass bestimmte genetischen Risiko-Dispositionen für psychiatrische Erkrankungen, unter anderem auch Schizophrenie, mit der Tendenz, Cannabis zu konsumieren (wie auch anderen Risikoverhalten), überlappen. 

Eine kürzlich in Psychiatry Research  publizierte Studie überraschte dahingehend die Fachwelt: Sie untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Freizeitkonsum von Cannabis und verschiedenen Outcomes bei 210 Jugendlichen und Heranwachsenden (Durchschnittsalter 16,54) mit einem klinisch hohen Risiko (CHR) für Psychosen über einen Zeitraum von 2 Jahren. Es stellte sich heraus, dass CHR-Jugendliche, die kontinuierlich Cannabis konsumierten, im Laufe der Zeit eine bessere neurokognitive Leistung und soziale Funktionsfähigkeit zeigten und weniger Medikamente einnahmen im Vergleich zu Nicht-Konsument:innen. Überraschenderweise verbesserten sich die klinischen Symptome im Laufe der Zeit, obwohl die Medikamenteneinnahme verringert war.

Die EDIPPP-Studie war eine nationale, multizentrische klinische Studie zur Prävention von Psychosen bei jungen Menschen, finanziert von der Robert Wood Johnson Foundation (2007–2011). Diese Untergruppe umfasste 210 CHR-Teilnehmer, die mit dem Strukturierten Interview für Psychosis-Risk Syndromes (SIPS) (McGlashan et al., 2010) beurteilt wurden. 

Der kontinuierliche Cannabiskonsum über einen Zeitraum von 2 Jahren korrelierte nicht mit einer erhöhten Übergangsrate zur Psychose und weder klinische Symptome, Funktionsniveau noch die neurokognitive Gesamtleistung verschlechterten sich. Lediglich Positivsymptome wie Halluzinationen waren bei dauerhaftem Cannabis-Konsum leicht, aber nicht signifikant im Vergleich zu Nicht-Konsumenten, erhöht. 

Das Ergebnis dieser kleinen und zeitlich sehr begrenzten Studie liefert nun keinen stichhaltigen Beweis dagegen, dass Cannabiskonsum ein Risikofaktor in der komplexen, multifaktoriellen Erkrankung Schizophrenie ist oder psychotische (Positiv-)Symptome verursachen kann. Das sicherlich überraschende Ergebnis unterstützt aber eher die Hypothese, dass Hochrisiko-Patient:innen, auch Jugendliche, bewusst oder unbewusst Cannabis als Selbstmedikation einsetzen, in dieser Studie durchaus mit gewissem (kurzfristigen) Erfolg. Interessant wäre in diesem Zusammenhang, ob der Erfolg auch vom THC zu CBD Verhältnis im konsumierten Cannabis abhängt, da CBD eher antipsychotische Wirkung nachgesagt wird.

 

Begriffserklärungen und Abgrenzungen: Cannabispsychose vs. Schizophrenie

Als Psychosen werden Krankheitsbilder zusammengefasst, die u.a. mit Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Störungen des Denkens, der Sprache und der Gefühlswelt verbunden sind. Eine Drogenpsychose wird durch den Konsum von Drogen hervorgerufen, zum Teil schon beim ersten Kontakt, und kann unter Umständen irreversibel sein. Die Cannabis-Psychose ähnelt dabei sehr den psychotischen Schüben einer paranoiden Schizophrenie; daher ist eine exakte Unterscheidung in der Anamnese schwierig. Im Vergleich mit allen anderen genannten Drogenpsychosen hat die Cannabis-Psychose die günstigste Prognose. Im Unterschied zu einer echten psychiatrischen Grunderkrankung wie der Schizophrenie erkennt ein Drogenkonsument mit psychotischen Symptomen häufig, dass seine Halluzinationen nicht real sind.

Nach dem allgemein anerkannten Vulnerabilitäts-Stress-Modell nach Nüchterlein und Liberman entsteht eine Schizophrenie-Erkrankung durch aktuelle und chronische Stressoren unterschiedlicher Art (sozial, psychologisch, biologisch) vor dem Hintergrund einer erhöhten „Anfälligkeit“ (z.B. genetische Risikofaktoren). Inzwischen konnten mehrere Gen-Mutationen identifiziert werden, welche mit der Entwicklung von Schizophrenie korrelieren und auch Verwandtschaftsanalysen zeigen, dass die Anfälligkeit für Schizophrenie erblich ist.

 

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