Flickenteppich medizinisches Cannabis? Jakob Sons wünscht sich “bundeseinheitliche Betrachtung”

by Moritz Förster

“Streng reguliert!” Wenn eine Branche diese Aussage für sich beanspruchen kann, dann medizinisches Cannabis. Entsprechend begehrt ist rechtliche Expertise in der Branche. Gut, wer diese bereits im Gründerteam hat. Im unabhängigen Familienunternehmen Cansativa verantwortet Jakob Sons als studierter Jurist alle regulatorischen Punkte. Auf krautinvest.de wirft Jakob einen kritischen Blick auf das Urteil des OLG Hamburg. Bezeichnet eine wesentliche Tatsachengrundlage “bei Licht betrachtet” als realitätsfern und die Entscheidung des Gerichts dennoch als “vermutlich völlig richtig”. Nun sei die Aufsichtsbehörde gefragt, sich hierzu zu positionieren und insbesondere die Haltung zur Thematik von unzerkleinerten Blüten zu klären. Ohnehin scheinen die Bundesländer medizinisches Cannabis weiter komplett unterschiedlich zu handhaben. Einige würden es als Wirkstoff, andere als Arzneimittel einordnen. “Wird man bloß als Wirkstoffhändler überwacht, kann das ein Wettbewerbsvorteil darstellen”, so Jakob. Das komplette Interview über den Status Quo der Regulierung von medizinischem Cannabis – und über die Zukunft.

krautinvest.de: Laut OLG Hamburg ist Cannabis ein Rezepturausgangsstoff, kein Arzneimittel. Distributoren müssen auf eine entsprechend rechtskonforme Etikettierung achten. Du hast in einer Linkedin-Debatte hinterfragt, inwieweit sich das Urteil, Cannabis als Rezepturausgangsstoff zu definieren, auch auf unzerkleinerte Blüten anwenden lässt. Kannst du deine Kritik konkretisieren?

Jakob Sons: Die wesentliche Annahme des OLG war folgende: Wesentliche Herstellungsschritte in der Apotheke, ergo kein Arzneimittel auf Großhandelsstufe „Dies zugrunde gelegt ist vorliegend mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei den streitgegenständlichen Cannabisblüten – zum Zeitpunkt des Vertriebs durch die Antragsgegnerin auf der Großhandelsebene – noch wesentliche Herstellungsschritte bis zum abgabefähigen Endprodukt ausstehen. (…) Da im Hinblick auf die Herstellung der vorgenannten Rezepturarzneimittel mit dem Mahlen, Sieben, Dosieren und Abpacken in der Apotheke noch wesentliche Bearbeitungsschritte zu erfolgen haben, sind die streitgegenständlichen Cannabisblüten (noch) nicht als Arzneimittel, sondern als (Ausgangs-)Stoff nach § 3 Ziffer 2 AMG, nämlich Pflanzen, Pflanzenteile und Pflanzenbestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, anzusehen“ Es gab jedoch einen wichtigen Einwand: Gilt diese Einschätzung auch bei der Abgabe unzerkleinerter Blüten? Dann gibt es ja wohlmöglich keine wesentlichen Herstellungsschritte mehr in der Apotheke. „Der Antragsteller hat allerdings vorgetragen, dass keine Pflicht bestehe, NRF-Rezepturen zu verordnen, sondern dass auch eine Verordnung von unzerkleinerten Cannabisblüten möglich sei. Insoweit nimmt der Antragsteller auf den Beitrag „Cannabis auf Rezept – Das müssen Apotheker zum Start wissen“, der vom 9. März 2019 stammt und auf der Webseite DAZ.online veröffentlicht worden ist (Anlage ASt 20), Bezug. Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten und hat ausgeführt, dass der Apotheker auf der Grundlage des individuellen ärztlichen Rezepts eine Identitätsprüfung vornehmen müsse und zudem die patientengerechte Aufbereitung und das Abpacken zwingende Voraussetzungen für die Abgabe des Rezepturarzneimittels seien.“ Die Frage hat das Gericht also angedeutet, aus zivilprozessrechtlichen Gründen aber nicht geklärt, da dieser Vortrag zwischen den Parteien streitig war und keine hinreichende Glaubhaftmachung vorlag (Glaubhaftmachung im einstweiligen Rechtsschutz ist das Äquivalent zum Beweis im normalen Verfahren). Der Antragsteller hat seinen streitigen Vortrag zur legalen Verwendbarkeit der streitgegenständlichen Cannabisblüten schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht, insbesondere ergibt sich die erforderliche Glaubhaftmachung nicht aus dem als Anlage ASt 20 vorgelegten Beitrag aus der Zeitschrift DAZ.online. Es kann daher nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass es sich bei den streitgegenständlichen Cannabisblüten um Funktionsarzneimittel i.S.v. Art. 1 Ziffer 2 lit. a) RL 2001/83/EG bzw. § 2 Abs. 1 Ziffer 2a) AMG handelt.“ Es muss aber die Auseinandersetzung mit der rechtlichen Behandlung von unzerkleinerten Blüten auf der Großhandelsstufe geben. Es gibt nicht nur eine Sonder-PZN zur Abrechnung unveränderter Blüten, sondern ausweislich der GKV-GAMSI-Informationen wird ein Großteil der Blüten auch unverändert abgegeben. Das Gericht gründet eine wesentliche Entscheidung schlicht auf einer Tatsachengrundlage, die bei Licht betrachtet realitätsfern ist. Dennoch hat das Gericht hier vermutlich völlig richtig entschieden, da im Zivilprozess nur diejenigen Tatsachen berücksichtigt werden, die auch von den Parteien vorgetragen und glaubhaft gemacht werden (bzw. im normalen Prozess bewiesen werden). Die Entscheidung ist daher nicht richtig oder falsch – man kann schlicht keine verallgemeinerungsfähigen Schlüsse ziehen.

“Aufsichtsbehörde ist gefragt, Thematik von unzerkleinerten Blüten zu klären”

krautinvest.de: Worauf müssen denn Hamburger Distributoren und Apotheker fortan besonders achten?

Der Beschluss wirkt nur zwischen den Parteien und entfaltet keine direkten Auswirkungen für Dritte. Die Aufsichtsbehörde ist meines Erachtens jetzt gefragt, sich hierzu zu positionieren und insbesondere die Haltung zur Thematik von unzerkleinerten Blüten zu klären. Der Nachteil bei zivilrechtlichen Entscheidungen zu solchen Themen ist stets, dass die Gerichte den Sachverhalt nur so bewerten, wie er ihnen von den Parteien präsentiert wird. Im Verwaltungsverfahren bzw. dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt dagegen der Grundsatz der Amtsermittlung – ein Verwaltungsgericht hätte (anders als das Zivilgericht) den Sachverhalt von Amts wegen genauer ermitteln müssen.

krautinvest.de: Nun ist medizinisches Cannabis ohnehin ein regulatorischer Flickenteppich. Wie unterschiedlich handhaben die einzelnen Bundesländer die Regulierung von medizinischem Cannabis?

Jakob Sons: Wir sehen weiterhin eine Bandbreite, die von der Einordnung als Wirkstoff (API) bis zum Arzneimittel reicht.

Wettbewerbsvorteil bei Überwachung als Wirkstoffhändler

krautinvest.de: Und wie wirkt sich diese ungleiche Regulierung auf das alltägliche Geschäft der Distributoren in verschiedenen Bundesländern aus?

Jakob Sons: In erster Linie kommt es stets auf die Einschätzung der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde an. Danach richten sich die Distributoren regelmäßig, weil nur dort die Überwachungszuständigkeit liegt. Auf Ebene des reinen Großhandels spielt das Thema auch eher ein geringere Rolle. Wesentlich sind diese Regelungen für die Importeure, die zu prüfen haben, ob ein Produkt als Wirkstoff oder als Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden muss. Letzteres setzt ungleich höhere Anforderungen. Wird man bloß als Wirkstoffhändler überwacht, kann das ein Wettbewerbsvorteil darstellen, weshalb neben Verbraucherschutzvereinigungen auch Marktakteure Abmahnungen ausbringen.

Der studierte Jurist Jakob Sons gründete das Familienunternehmen Cansativa, noch immer befinden sich 70 Prozent der Gesellschaft im Besitz der Familie Sons, gemeinsam mit seinem Bruder Benedikt. Zwei Jahre nach Gründung arbeitet Cansativa als unabhängiger Importeur und Distributor für medizinisches Cannabis nach eigenen Angaben mit Aphria, Aurora, Bedrocan, Canopy Growth, Four20 Pharma, IMC, Spectrum Therapeutics, THC Pharm und Tilray zusammen. Außerdem beauftragte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Cansativa als einzigen Händler mit den Logistik- und Dienstleistungen im Großhandel für den gesamten deutschen Cannabisanbau der nächsten vier Jahre. Jakob bezeichnet sein Unternehmen als “Multibrand-Distributor”, also als das Unternehmen mit dem breitesten Medizinalcannabisportfolio im deutschen Markt. Als „One-Stop-Shop“ habe sich Cansativa mit seiner Auswahl bei 1.000 Apotheken etabliert. Im Portfolio: mehr als 30 verschiedene Blüten, mehr als fünf Vollspektrumextrakte sowie Dronabinol- und Cananbidiol-Isolate.

krautinvest.de: Inzwischen soll es deutschlandweit rund 90 Distributoren für medizinisches Cannabis geben. Alle samt handeln mit einem streng regulierten Betäubungsmittel. Aus rein rechtlicher Sicht: Wie oft passiert es deines Erachtens, dass rechtliche Vorgaben teilweise unwissentlich missachtet werden?

Jakob Sons: Noch viel zu oft. Man trifft immer wieder Händler, die mit einem Qualitätssicherungssystem aus der Vorlagensammlung an den Start gehen und Qualität im Alltag nicht leben. Das Aufsetzen eines Qualitätssicherungssystems nützt jedoch nichts, wenn nicht die gesamte Organisation selbiges mit Leben ausfüllt. Dabei geht es weniger im harte Verstöße, zum Beispiel gegen betäubungsmittelrechtliche Vorschriften, sondern um Nachlässigkeiten, zum Beispiel im Rahmen der Überwachung von Dienstleistern, die strukturelle Risiken begünstigen. Das Ergebnis sieht man dann meistens erst, wenn die Organisation, Sendungsvolumina und Absatzmengen steigen. Viel größer als im pharmazeutischen Bereich sind die Defizit im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel. Hier kann man kleinere Compliance-Defizite genauso beobachten wie strafrechtlich relevante Verstöße gegen arznei- und betäubungsmittelrechtliche Vorschriften.

“Bundeseinheitliche Betrachtung von Cannabisblüten entsprechend den Marktgepflogenheiten wäre wünschenswert

krautinvest.de: Aber nochmal zurück zu der unterschiedlichen Handhabung auf Ebene der Bundeländer, was wäre die Lösung, wie sähe dein regulatorisches Idealszenario auf Bundesebene aus?

Jakob Sons: Eine bundeseinheitliche Betrachtung von Cannabisblüten entsprechend den Marktgepflogenheiten wäre wünschenswert. Dies gilt vor allem für das Thema der Abgabe unveränderter Produkten. Unsere Haltung dazu ist eindeutig: Wir präferieren die Überwachung als Arzneimittel, da dies ein höheres Maß an Produktsicherheit und eine stärkere Transparenz in den Lieferketten gewährleistet. Am Ende profitiert der Patient von einem sicheren Produkt. Flankiert werden sollte dies von einer Reform der Apothekenbetriebsordnung, die dem Apotheker erlauben muss, auf eine DC zu verzichten, wenn das Produkt als Arzneimittel in den Verkehr gebracht wurde und ein Prüfzertifikat vorliegt.

Evidenz im Zusammenhang mit Fertigarzneimitteln

krautinvest.de: Abschließend ein Blick auf EU-Ebene. Ließe sich die Vision eines harmonisierten europäischen Marktes für pharmazeutisches Cannabis realisieren? Wie weit entfernt sind wir noch?

Jakob Sons: Im Bereich der neuartigen Lebensmittel (Novel Food) sowie Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika bietet der europäische Binnenmarkt einheitliche Regeln. Hier ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch Produktinnovationen im Bereich der Lebensmittel Marktreife erreichen. Im Bereich der Betäubungsmittel existiert kein harmonisierter Binnenmarkt – diese Regulierung liegt im Aufgabenbereich der Mitgliedsstaaten. Wie schnell hier Entwicklungen möglich sind, lässt sich ohne Glaskugel nicht wirklich beantworten. Wir sehen durchaus Entwicklungen, beispielsweise in Frankreich, die auf eine Liberalisierung von Cannabis als Medizin hindeuten. Der europäische Markt insgesamt lässt sich jedoch kurzfristig vermutlich nur mit mehr Evidenz locken – bestenfalls im Zusammenhang mit der Zulassung von neuen Fertigarzneimitteln. Der Entwicklungs- und Investitionsaufwand ist dabei naturgemäß sehr hoch. Der adressierbare Markt bei der indikationsbezogenen Zulassung kann dagegen klein bis winzig sein. Ebenfalls heißt Zulassung nicht gleich Kostenübernahme durch die Versicherung – der Weg aufs Rezept kann bisweilen mühselig sein.

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