Die verhinderte Legalisierung

Von der politischen Kunst mit einem Gesetz einen gesellschaftlichen Wandel zu versprechen, und dabei alles beim Alten zu belassen

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Kai-Friedrich Niermann

Der Entwurf des Cannabisgesetzes, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 16.8.2023 in der Bundespressekonferenz vorgestellt und anschließend in verschiedenen Medien hochgelobt hat, lässt einen nach intensiver Lektüre auch zwei Wochen später noch ratlos zurück.

Die Verfasser des Entwurfes sind von dem offensichtlichen Bemühen gelenkt gewesen, eine neue gesetzliche Grundlage für den Umgang mit Cannabis zu schaffen, aber im Prinzip nichts verändern zu wollen. An unzähligen Stellen in der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass die alten Regelungen aus dem BtMG übernommen worden sind, und im Prinzip fort gelten sollen.

Selbst wenn das Gesetz am 1.1.2024 Inkrafttreten sollte, macht sich ein Konsument immer noch strafbar, wenn er Cannabis bei sich hat, da ein legaler Eigenanbau noch nicht stattfinden konnte, und Anbauvereinigung ebenfalls keine Ernte bisher einfahren konnten.

Denn nach § 2 (Umgang mit Cannabis) des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) bleibt Cannabis grundsätzlich verboten. Dieses Verbot wird in § 3 insofern wieder eingeschränkt, als dass der Besitz von 25 g Cannabis möglich ist.

Gemäß § 2 Nummer 7 KCanG ist es allerdings verboten, sich Cannabis verschaffen, oder gemäß Nummer 8 Cannabis zu erwerben oder entgegenzunehmen, wobei die Abgrenzung dieser beiden Tatbestandsalternativen unklar bleibt.

  • 34 Abs. 1 Nummer 7 und 8 stellen genau diese Tatbestände unter Strafe, es drohen Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe.

Beschaffe ich mir also nach dem 1.1.2024 Cannabis (auch unter 25 g) auf dem illegalen Markt (von welchem illegalen Markt auch immer), begehe ich eine Straftat. Dasselbe gilt auch, wenn ich einen Teil meiner eigenen Ernte aus dem Homegrow an eine Freundin oder einen Freund abgebe oder entgegennehmen.

Betrifft die erworbene oder abgegebene Menge eine sogenannte nicht geringe Menge nach § 34 Abs. 3 Nummer 4 KCanG, liegt ein besonders schwerer Fall vor, und es gilt eine Mindestfreiheitsstrafe von 3 Monaten.

Die nicht geringe Menge wurde von der Rechtsprechung in den achtziger Jahren entwickelt, und beträgt derzeit 7,5 g THC. Habe ich also 50 g Cannabis mit einem THC-Gehalt von 20 %, liege ich deutlich über dieser Grenze. Zwar geht Gesetzesbegründung auf Seite 153 davon aus, dass man aufgrund der geänderten Risikobewertung an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten könne, und diese in Zukunft deutlich höher liegen müsse. In strafrechtlichen Verfahren und von dort beauftragten Sachverständigen wird dann gerne erst einmal eine Verdoppelung vorgenommen, sodass nicht unwahrscheinlich ist, dass ich bei 100 g Cannabis mit 20 % Wirkstoffgehalt in den Bereich der nicht geringen Menge.

Aber wie kann man dann legal an Cannabis herankommen?

Bleiben also nur der Eigenanbau und die Anbauvereinigung.

Beim Eigenanbau von drei Pflanzen kann ich schnell die eben erwähnte Menge von 100 g erreichen. Vielleicht hat man zuerst gedacht, die Entwurfsverfasser müssten vergessen haben, dass man auch die Ernte seiner drei Pflanzen zu Hause über die allgemeine Besitzgrenze hinaus lagern darf. Dem ist aber mitnichten so, denn wenn man die Gesetzesbegründung schaut, soll die Pflanze „sukzessive“ abgeerntet werden, sodass ich immer drei lebende Pflanzen im Bestand haben kann, aber maximal 25 g besitzen darf.

Da stellt sich die Frage, ob das Gesundheitsministerium sich beim Anbau von Cannabis überhaupt einmal hat beraten lassen, oder ob hier bewusst der Eigenanbau konterkariert werden soll. Es ist nahezu unmöglich, eine Pflanze so anzubauen, dass sie unter 25 g Ertrag abwirft, geschweige denn dass ich sie sukzessive ernten kann. Wenn das Cannabis erntereif ist, dann muss es auch komplett geerntet, getrocknet und getrimmt werden. Um lediglich 25 g bei einer Pflanze zu erzielen, müsste ich sie schon ziemlich schlecht behandeln, oder es müsste erst eine eigene Genetik hierfür entwickelt werden. Wenn ich doch im Frühjahr und Sommer in meinem Garten oder auf meinem Balkon drei Pflanzen anbauen und sie dann Ernte, und als durchschnittlicher Konsument 10-12 g im Monat verbrauche, kann ich so meinen gesamten Jahresbedarf damit decken. Wenn ich als Konsument mehr benötige, kann ich Indoor auch noch größere (gleichzeitig) Mengen ernten, die dann aber ebenfalls gelagert werden müssten. Aus welcher gesundheitspolitischen Erwägung sollte das nicht möglich sein?

Bleiben die Anbauvereinigungen. Die Anbauvereinigung werden in den §§ 11-30 des KCanG geregelt. Zu den überbordenden bürokratischen Verpflichtungen, die eine Anbauvereinigung erfüllen soll, ist schon einiges gesagt worden. Ob sich überhaupt jemand findet, der sich diesen Wahnsinn an Vorschriften antun wird, und eine Anbauvereinigung gegründet, bleibt abzuwarten.

Hinzuweisen ist aber noch mal auf § 17 des KCanG, nach der das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ermächtigt wird, im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen, in dem die Qualitätsanforderungen an die Produktion von Cannabis in Anbauvereinigung geregelt werden soll. Die genannten Kriterien kommen der Produktion von medizinischem Cannabis sehr nahe. Wann diese Rechtsverordnung erlassen wird, ob der Bundesrat zustimmt, ob die Anforderungen überhaupt erfüllbar sind und ob vorher bereits Genehmigungen für Anbauvereinigungen erteilt werden können, ist alles völlig offen.

Bin ich also kein Patient, kann ich nicht selbst Cannabis in meinem befriedeten Besitztum anbauen, oder finde ich keine Anbauvereinigung, die zeitnah eine Versorgung gewährleisten kann, mache ich mich beim Erwerb von Cannabis nach wie vor strafbar, wenn auch mit einem etwas geringeren Strafrahmen als vorher (3 Jahre statt bisher 5 Jahre). Theoretisch müsste ich bei einer Kontrolle auch den Nachweis einer legalen Bezugsquelle meines Cannabis-Besitzes erbringen, da ich es mir ja ansonsten unerlaubt verschafft habe?

Hinzu kommen die zahlreichen Konsumverbote, die potenziell dazu geeignet sind, Cannabis komplett aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.

Die Jugend und die Gesundheit schützen zu wollen, ist ein hehres Ziel des Gesetzgebers. Wenn diese Motive aber zum Anlass genommen werden, die bürgerlichen Freiheiten von 4-5.000.000 Konsumentinnen und Konsumenten weiterhin einzuschränken, und die Alternativen der Beschaffung von legalem Cannabis so zu beschränken, dass sie nicht funktionieren werden, kann man sich schon fragen, welcher Paradigmenwechsel hier eingeleitet werden soll. Die Konsumenten sind nach wie vor auf dem illegalen Markt angewiesen, mit den dort bekannten und vorhandenen Risiken für ihre Gesundheit. Der Geist, den dieses Gesetz atmet, wird gleich in § 2 des KCanG deutlich, der ausdrücklich normiert, dass Cannabis verboten ist. Wie wir im vorstehenden gesehen haben, entspräche dieses Postulat mit dem vorliegenden Entwurf tatsächlich der der dann neuen Realität.

Von verfassungsrechtlicher Seite, sprich vom Bundesverfassungsgericht, ist nach den veröffentlichen Entscheidungen aus dem Juli 2023 ebenfalls in absehbarer Zeit keine Abhilfe zu erwarten. Zusammenfassend kann man sagen, dass bei der Frage der Regulierung von Cannabis nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nach wie vor die sogenannte Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers maßgeblich ist. Die Richtervorlagen konnten nicht darlegen, dass Cannabis überhaupt nicht gefährlich ist, sodass der Gesetzgeber nach wie vor berechtigt ist, entsprechende Regularien aufzustellen. Dass der Gesetzgeber aufgrund neuer kriminologischer Erkenntnisse oder sonstiger Liberalisierungstendenzen zu einer bestimmten Behandlung einer von Verfassung wegen gesetzlich zu regelnder Frage gezwungen sei bzw. die getroffene Regelung als mögliche Lösung ausschließen muss, konnten die Richtervorlage ebenfalls nicht aufzeigen.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit die sogenannte prozessuale Lösung, mit der dem Übermaßverbot Rechnung getragen werden soll. Von der Verfolgung von Gelegenheitskonsumenten kann nämlich gemäß § 31a oder § 29 Abs. 5 BtMG abgesehen werden. Die Richtervorlagen waren nicht in der Lage, dieser prozessualen Lösung verfassungsrechtlich durchgehend durchgreifende Bedenken entgegenzustellen. Die mangelnde einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte sei kein Verstoß in der Rechtsetzung, sondern in der Rechtsanwendung. Nur wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen ist, sei auch das Grundgesetz verletzt.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liege auch nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht stellt darauf ab, dass der Gesetzgeber den Genuss von Alkohol wegen der herkömmlichen Konsumgewohnheiten in Deutschland und im europäischen Kulturkreis nicht effektiv unterbinden könne. Ein Verzicht auf das Verbot des Rauschmittels Cannabis sei deswegen aber nicht geboten. Ein bloßer Hinweis auf angeblich geänderte kulturelle Gewohnheiten in Bezug auf Cannabis reiche hierfür nicht aus.

Für die Amtsgerichte, die die Verfahren dem Verfassungsgericht vorgelegt haben, müssen die ausgesetzten Verfahren jetzt zu Ende bringen und das geltende Recht anwenden

Erwerbe ich unter der neuen Rechtslage Cannabis nicht nach den Vorschriften, bin ich sogar schlechter gestellt, da Vorschriften zur Einstellung des Verfahrens bei geringen Mengen, wie oben zitiert aus dem ehemaligen BtMG, nicht übernommen wurden. Ebenfalls verschlechtert hat sich der Status von medizinischen Cannabis Patienten, für die die Konsumverbote ebenfalls gelten.

Soll der Paradigmenwechsel noch einigermaßen gerettet werden, sind im anstehenden parlamentarischen Verfahren mindestens noch die folgenden Veränderungen vorzunehmen:

  • Cannabis ist nicht verboten, sondern reguliert,
  • Besitzgrenze deutlich erhöhen, mindestens auf 50 g,
  • die Ernte aus dem Eigenanbau von drei Pflanzen darf vollständig zu Hause gelagert werden,
  • Cannabis darf unentgeltlich abgegeben werden, sowohl aus dem privaten Eigenanbau als auch zwischen Anbauvereinigungen, umso die unvermeidlichen Unter- und Über Produktionen auszugleichen, und so viel legales Cannabis wie möglich zur Verfügung stellen zu können,
  • der Erwerb von bis zu 25 bzw. 50 g ist ebenfalls straffrei zu stellen, egal aus welcher Quelle das Cannabis bezogen wird,
  • auf bisher vorgesehenen Konsumverbote und Abstandsregelungen wird verzichtet, das Verbot wird lediglich auf die unmittelbare Nähe von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche beschränkt,
  • Überschreitungen der zulässigen Besitzgrenzen stellen keine Straftaten da, sondern allenfalls Ordnungswidrigkeiten; strafbar ist allein der unerlaubte Anbau und Handel mit Cannabis,
  • das Extraktionsverbot wird aufgegeben, um schonendere Konsumformen zu ermöglichen und den illegalen Markt effektiv zu bekämpfen,
  • das Tatbestandsmerkmal des Missbrauchs zu Rauschzwecken bei der Definition von Nutzhanf entfällt, da ansonsten die Fortführung der bisherigen Rechtsprechung und die Verbannung sämtlicher CBD-Produkte vom Markt droht; ebenso müssen Extrakte aus Nutzhanf vom Gesetz erfasst werden,
  • die Regelungen zu den Anbauvereinigung müssen noch mal deutlich entbürokratisiert werden, und zusätzlich sollten sich mehrere Anbauvereinigung zum gemeinsamen Anbau in einer Genossenschaft zusammenschließen dürfen, um so eine ausreichend effektive Produktion sicherstellen zu können,
  • Anbauvereinigungen können auch „Social“ sein, d. h. der gemeinsame Konsum in den Vereinsräumlichkeiten muss möglich sein, da so auch eine soziale Kontrolle der Konsumenten ermöglicht wird, und sich abseits der Öffentlichkeit die Cannabis-Kultur in Deutschland weiter entwickeln kann.

Aus Gründen des Jugendschutzes und des Gesundheitsschutzes sind die vorgesehenen Einschränkungen und Beschränkungen weder erforderlich, geeignet oder sonst verhältnismäßig, und werden als Vorwand genutzt, um den Status quo der Prohibition fortzuschreiben.

Wenn es im parlamentarischen Verfahren nicht gelingt, deutliche Verbesserungen im zuvor genannten Sinne zu erreichen, droht diese Legalisierung zu einem Treppenwitz der Geschichte zu werden. Das haben die Millionen von Konsumentinnen und Konsumenten nicht verdient, aber auch nicht die die Gesellschaft als Ganzes. Kommen wir hier nicht entscheidend voran, werden wir die bisherigen Verhältnisse mit illegalem Markt, organisierter Kriminalität, verunreinigten Produkten und verfolgten und geschädigten Konsumenten für die nächsten Jahrzehnte festschreiben. Gesellschaftlicher Wandel, hin zu einer modernen, eigenverantwortlichen und liberalen Gesellschaft, die Jugend- und Gesundheitsschutz ernst nimmt, aber auch die bürgerlichen Freiheiten von Millionen, ist mit diesem „Mindset“ aus dem Bundesgesundheitsministerium jedenfalls nicht möglich.

Über Kai-Friedrich Niermann

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 ausschließlich im Bereich Cannabis mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Kai veröffentlicht regelmäßig Artikel bei Krautinvest, BusinessCann und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und sein Büro KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabis Unternehmen, als auch Unternehmen, die am entstehenden Freizeit-Cannabis Markt interessiert sind. Außerdem ist er Berater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat, und Mitglied des Advisory Boards der International Cannabis Bar Association (INCBA) und im Vorstand von LEAP Deutschland e.V.

Disclaimer: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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