Die Entwicklung europäischer Cannabismärkte – achter Report von Prohibition Partners

Medizinisches Cannabis, Lieferketten und wirtschaftliche Abwärtsspirale?

by Hande Savus

Prohibition Partners werfen in ihrem achten Cannabis Report einen zufriedenen Blick auf aktuelle Entwicklungen. Neben medizinischem Cannabis sind Lieferketten, geschäftliche und finanzielle Entwicklungen, CBD und Novel Food im Fokus des Berichts. Prohibition Partners analysiert die Entwicklungen im Jahr 2022, führt Interviews mit Expert*innen der Branche und erstellt einen europaweiten Überblick und einen Ausblick auf das Jahr 2023.

Nachfolgend eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Ergebnissen. Der gesamte Report ist auf der Seite von Prohibitions Partner erhältlich. Die Zusammenfassung zum Prohibition Partners Report “Adult-Use Cannabis in Europe“ vom Vorjahr findet ihr auf krautinvest.de.

Das wichtigste in Kürze

Nach Angaben von Prohibitions Partner hat die medizinische Cannabisindustrie in Europa im letzten Jahr ein stetiges Wachstum verzeichnet und wird voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres einen Umsatz von über 516 Millionen Euro erreichen. In dieser Zeit werde Großbritannien zum zweitgrößten europäischen Markt aufsteigen.

Zudem gebe es eine große und zunehmende Vielfalt an Lieferanten aus verschiedenen Ländern, wobei Deutschland und Großbritannien den überwiegenden Teil der neuen Lieferungen erhalten.

Es gebe auch Fortschritte in Richtung regionaler regulativer Harmonisierung, eine Monographie über CBD-Blütenprodukte werde auf europäischer Ebene von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erstellt. Der europäische CBD-Markt bleibe zwar weiterhin komplex, aber das Bild werde zunehmend klarer. Die Kombinierte Marktgöße aller CBD-Kategorien im Jahr 2023 betrage über zwei Milliarden Euro. Der bedeutendste Trend sei der Anstieg von CBD-Blütenprodukten in mehreren Ländern, was viele rechtliche Fragen und Herausforderungen aufwerfe, insbesondere in Gerichtssälen in ganz Europa. Ein weiteres bemerkenswertes Phänomen sei das Auftauchen von Hexahydrocannabinol (HHC), einem halbsynthetischen Cannabinoid, das in seiner Wirkung THC ähnele.

Vier europäische Länder arbeiten an der Entwicklung regulatorischer Modelle für einen legalen Genussmittelmarkt für Erwachsene: Deutschland, die Tschechische Republik, die Schweiz und die Niederlande. Jedes Land gehe auf seine eigene Weise vor, obwohl die Gruppe in diejenigen aufgeteilt werden kann, die geografisch begrenzte Pilotprogramme durchführen (Schweiz und Niederlande) und diejenigen, die Vorschriften für einen landesweiten Markt erstellen (Deutschland und Tschechische Republik). Allerdings wurde der Report noch vor bekanntwerden des neuen Eckpunktepapiers publiziert. Deutschland setzt nun zufolge sowohl auf landesweite Cannabis Clubs als auch auf regionale Pilotprojekte. In allen Ländern, so die Autoren, bleibe das Inkrafttreten eines vollständigen Marktes zeitlich nicht absehbar. Positiv zu bewerten seien die Pilotprojekte,  beispielsweise das bereits angelaufene in der Schweiz.

Medizinisches Cannabis

Obwohl das Jahr 2022 finanziell herausfordernd für die medizinische Cannabisindustrie gewesen sei, gebe es positive Entwicklungen in Bezug auf Regulierung, Marktwachstum und industrielle Aktivitäten. Laut Prohibition Partners sei das vergangene Jahr für die europäische medizinische Cannabisindustrie relativ stabil gewesen, demnach seien keine großen Veränderungen zum Vorjahr festzustellen. Das Vereinigte Königreich verzeichne ein starkes Wachstum, während Deutschland eine hohe Wettbewerbsintensität erlebe, aber ein stabiles Wachstum und stabile Margen entlang der Wertschöpfungskette aufweise. Dänemark und Portugal seien wiederum zu wichtigen Anbauländern in Europa aufgestiegen, während die Marktanteile von Produkten aus den Niederlanden oder Kanada abnehmen. Die Lieferketten seien dezentralisiert und es gebe eine vielversprechende Bewegung zur Harmonisierung von Produktstandards.

Prohibition Partners teilt die Länder in verschiedene Kategorien ein: freie Märkte, eng kontrollierte Märkte, Pilotprogramme, Märkte im Übergang, langsame Märkte und Ausnahmezugangsmärkte. Zu den freien medizinischen Märkten gehören demnach Deutschland, das Vereinigte Königreich und die Tschechische Republik, während die eng kontrollierten Märkte die Niederlande, Italien und Polen umfassen. Pilotprogramme gebe es in Irland, Frankreich, Dänemark und Luxemburg. Die Märkte im Übergang seien Märkte, in denen sich die Vorschriften kürzlich geändert haben, wie z. B. in der Schweiz. Märkte mit niedriger Patient*innenzahl aufgrund mangelnder Infrastruktur seien Kroatien, Malta, Portugal, Zypern, Griechenland und Nordmazedonien. Die Märkte mit außergewöhnlichem Zugang seien Finnland, Norwegen und Schweden.

Prohibition Partners illustriert die unterschiedlichen Regularien sowie die Umsetzung in europäischen Ländern in eigenen Übersichtstabellen für Italien, Dänemark, Tschechien, Irland, Malta, Portugal, Polen, das Vereinigte Königreich und Deutschland. Jedes einzelne System weist dabei individuelle Besonderheiten auf. Diese unterscheiden sich in Kostenerstattung beziehungsweise Deckung durch die Krankversicherungen, zugelassene Verschreiber*innen und Verschreibungsbedingungen, zu behandelnde Pathologien, verfügbaren Produkten sowie das Preis- und Leistungsverhältnis.

Beispielsweise dürfen in Deutschland alle Ärzte und Ärztinnen medizinisches Cannabis verschreiben. Patient*innen können ein medizinisches Cannabis-Rezept erhalten, wenn keine allgemeine Standardtherapie für ihre Krankheit existiere, die Standardtherapie aufgrund von Nebenwirkungen und Krankheitsstatus des* der Patient*innen nicht angewendet werden könne oder wenn es eine vernünftige Möglichkeit gebe, dass medizinisches Cannabis eine positive Wirkung auf den Krankheitsprozess oder auf schwere Symptome haben könne. Unlängst entfachte darüber auch eine rege Debatte im Rahmen des G-BA-Beschlusses. Die meisten behandelten Erkrankungen seien in Deutschland Schmerzen, Spastik, Anorexie, Epilepsie, ADHS und Tourette-Syndrom. Es gebe seit Februar 2023 über 300 Produkte (Blüten + Extrakte) auf dem Markt. Für Privatpatient*innen betrugen die durchschnittlichen Preise im August 2022 €12,1 pro Gramm für Blüten und €10,5 pro Milliliter für Öl.

Zum Vergleich: In Malta können verschreibungspflichtige Medikamente von jedem*jeder Arzt* Ärztin verschrieben werden, wenn keine andere Behandlungsoptionen vorhanden seien. Der Arzt* die Ärztin müsse jedoch zunächst die Zustimmung des öffentlichen Gesundheits-Superintendenten einholen. Die Krankenkasse erstatte die Kosten nur in begrenzten Fällen, wie bei einem stationären Krankenhausaufenthalt oder bei einkommensschwachen Patient*innen mit chronischen Erkrankungen. Ansonsten müsse der*die Patient*in die Kosten selbst tragen. Die verschreibungsfähigen Pathologien seien MS, chronische Schmerzen, Chemotherapie-Nebenwirkungen und Behinderungen. Es gebe viele verschreibungspflichtige Cannabisprodukte wie getrocknete Blüten, Cannabisextrakte und Öle, die von verschiedenen Herstellern erhältlich seien und zwischen 10 und 16,50 € pro Gramm kosten.

Lieferketten

Der Analyse von Prohibition Partners zufolge habe sich der europäische Markt für medizinisches Cannabis 2022 diversifiziert, da neue oder erhöhte Importe aus verschiedenen Ländern die steigende Nachfrage decken. Die Anzahl der europäischen Produzenten von medizinischem Cannabis steige, aber es gebe immer noch wenige Hauptakteure. Deutschland bleibe der größte Markt für medizinisches Cannabis in Europa, wobei die Nachfrage nach wie vor konzentriert seien.

Prohibition Partners hebt hervor, dass ein wesentliches Merkmal vieler Produkte in Europa sei, dass sie gemäß GACP-Standards angebaut und vor Ort oder in der EU unter EU-GMP-Bedingungen verarbeitet werden. Dies führe zu einem EU-GMP-zertifizierten Endprodukt. Die beiden größten Lieferanten des Marktes, Kanada und die Niederlande, hätten ihren Marktanteil verloren, während Australien, Afrika, Südamerika, Israel und die Karibik sowie einige europäische Länder den Markt bedienen. Die europäische Produktion sei zwar wachsend, aber es gebe immer noch nur eine begrenzte Anzahl von wichtigen Akteuren, welche in Portugal, Dänemark, den Niederlanden, Spanien und Deutschland ansässig seien.

In Deutschland habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Daten veröffentlicht, die zeigen, dass die deutschen Importe von medizinischem Cannabis im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr um 647 Kilogramm oder 6,5 % gestiegen seien, so Prohibition Partner. Es gebe keine Daten zur Aufschlüsselung der Exportländer von BfArM, aber es gebe Anzeichen dafür, dass der Anteil der kanadischen Exporte am Gesamtmarkt (nach Volumen) 2022 erneut gesunken sei, wie bereits 2021. Dies sei hauptsächlich auf zwei unabhängige Faktoren zurückzuführen: Erstens auf die Zunahme des Wettbewerbs von EU-GMP-zertifizierten Produzenten in etablierten Exportländern wie Australien, Portugal, Uruguay, Spanien und Dänemark sowie auf neue Exportländer wie Jamaika, Südafrika, Lesotho, Uganda, Israel, Kolumbien, Nordmazedonien, Neuseeland, St. Vincent und die Grenadinen; zweitens auf die Verlagerung der Produktion für den europäischen Markt von Kanada nach Europa.

Prohibition Partners zufolge bewegt sich der Markt insgesamt auf Überangebote zu, wenn er diese nicht sogar bereits erreicht habe. Es gebe auch Berichte über einer Inkonsistent bei der Kennzeichnung und begleitenden Daten von Produkten sowie eine allgemeine Verwirrung auf Seiten der Ärzte*Ärztinnen bei der Verschreibung von medizinischem Cannabis an Patient*innen. Zudem seien die Gewinnmargen im Vorlauf der Lieferkette unter Druck, aber einige Unternehmen seien bereit, kurzfristig auf Margen zu verzichten – in der Erwartung, dass der medizinische oder Genussmittelmarkt in den kommenden Jahren boome.

Finanzieller Gesamtüberblick

Obwohl die europäische “Green Wave” 2021 Investitionen und Investoren in die aufstrebende Cannabisindustrie lockte, fielen die Aktienwerte europäischer Cannabisaktien scharf ab. Besonders risikobehaftete Sektoren wie die medizinische Cannaibsindurstrie erlebten 2022 in Europa eine hohe Volatilität, resümiert Prohibition Partners. Die zusätzlichen Anforderungen, die von der Financial Conduct Authority (FCA) angekündigt worden seien, hielten zusätzliche viele davon ab, gezielt die London Stock Exchange (LSE) anzuvisieren. Die Invasion der Ukraine durch Russland führte zudem zu einem Rückgang der globalen Märkte um zweistellige Prozentzahlen, was auch die Cannabis-Aktien erheblich beeinträchtigte. Schwankungen in den Preisen für Gas und Energie beeinflussten zudem die Produktion von EU-GMP-zertifiziertem medizinischem Cannabis, das in Innenräumen angebaut werden müsse und große Mengen an Strom und Wasser benötige – siehe hierzu auch unsere eigene Berechnung. Eine “180-Grad-Wende in der Stimmung” im vierten Quartal 2022 führte jedoch zu einer Erholung und einer Zunahme des verfügbaren Kapitals und des regulatorischen Fortschritts, so die Analyse von Prohibition Partners. Somit seien die Marktwerte der europäischen Cannabis-Unternehmen  um durchschnittlich 64% zurückgegangen, und viele Unternehmen innerhalb des Sektors hätten mit öffentlichen Streitigkeiten, schlechtem Finanzmanagement, hohen Fluktuationsraten im Management und niedrigen Renditen zu kämpfen. Auch ein Blick auf den “ausgereifteren nordamerikanischen Cannabis-Markt” zeigt, dass dort ebenfalls viele große Unternehmen, Millionenverluste meldeten. Der Zugang zu Banken und Versicherungen sowie die regulatorischen Hürden erschwerten zudem den Zugang zu institutionellen Investoren. Nur zwei der 30 von BusinessCann im Jahr 2022 verfolgten europäischen Cannabis-Aktien, die hauptsächlich Umsätze außerhalb des Cannabis-Sektors erzielten, erzielten Kurssteigerungen.

Trotz der negativen Bilanz, bleibt der Bericht von Prohibition Partners optimistisch: Es gebe Hoffnung auf eine Konsolidierung des Marktes und die Stärkung profitabler Unternehmen, die möglicherweise einen größeren Marktanteil einnehmen werden. Die letzten Monate des letzten Jahres und die ersten Monate von 2023 wiesen auch auf eine Zunahme von Investitionen, verfügbarem Kapital und auf regulatorischen Fortschritt hin.

So seien 2022 mehrere bedeutende Investitions- und Regulierungsereignisse in der europäischen Cannabisindustrie verzeichnet worden: Zu den bemerkenswerten Ereignissen gehörten die größte jemals in Europa durchgeführte Cannabis-Investmentrunde in Höhe von 37,6 Millionen Euro durch die Berliner Firma Sanity Group, die Börsennotierung von Cantourage an der Frankfurter Wertpapierbörse und die Aufnahme der griechischen Firma Hellenic Dynamics an der Londoner Börse. Auch krautinvest.de hatte VC-Finanzierungsrunden 2021 und 2022 verglichen.

Ausblick

Prohibitions Partner zufolge bleibt Europa weltweit im Zentrum der Aufmerksamkeit in Bezug auf die Entwicklung der Cannabisindustrie. Dies liege nicht nur daran, dass der Kontinent das Potenzial habe, zum größten Markt aufzusteigen, sondern auch, weil Europa für internationale Akteure offen sei. Für den Erfolg entschieden sei eine klare Vision der Marktteilnehmer und Akteure: Anpassungsfähigkeit, sowie Spezialisierung und Strategie.  Das Wachstum und die Entwicklung der europäischen medizinischen Cannabisindustrie bleiben nach Einschätzung von Prohibition Partners unvorhersehbar. Die Größe des europäischen Gesundheitsmarktes und der anhaltende Schwung des medizinischen Cannabis auf regionaler Ebene bedeute, zeigen auf der einen Seite die vielen Möglichkeiten. Auf der andern Seite hätten die vergangenen Jahre jedoch gezeigt, dass Taktiken, die darauf abzielen, die zukünftige Marktdominanz um jeden Preis zu erreichen, fehlschlagen, wenn die Geschwindigkeit der Marktentwicklung die Erwartungen nicht erfülle.

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