Verteuern die Energiekosten die heimische Cannabisproduktion?

Die wirtschaftliche Perspektive der deutschen Indoor-Produktion

by Moritz Förster

Die steigenden Energiepreise bringen deutschlandweit ganze Branchen in die Bredouille. Auch die energieintensive Indoor-Produktion von medizinischem Cannabis nach EU GMP Kriterien wird teurer. Doch wie stark wirken sich steigende Energiepreise schlussendlich auf die Indoor-Produktion von medizinischem Cannabis aus? Einige Rechenspiele.

Demecan, der einzige unabhängige deutsche Produzenten unter den drei hiesigen Anbauern von medizinischem Cannabis, teilt auf Anfrage mit, dass es seitens des BfArM bislang keine Bestrebungen wahrnehmen konnte, “auf die vergebenen Lose mit Preisanpassungen aufgrund der Energiekostensituation zu reagieren”. Das Unternehmen spüre bereits seit 2021 stetig steigende Energiekosten. Das BfArM selbst äußert sich dazu nicht. Die Vertragsinhalte seien grundsätzlich als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis zu behandeln. Aurora teilt zumindest mit, dass man derzeit mit dem BfArM im Gespräch sei.  Doch um wie viel Energie sprechen wir genau? Von den drei hiesigen Produzenten möchte dies niemand verraten.

Eine Spurensuche: 2020 hatte ein Forscherteam der York University in Toronto den Energieverbrauch von Cannabis modelliert. Die Forscher schätzen, dass die Energiekosten Indoor 20 bis 50 Prozent der gesamten Betriebskosten ausmachen. Umgerechnet 4.862 Kilowattstunden (kWh) verschlinge die Indoor-Cannabisproduktion je Quadratmeter jährlich, so das Ergebnis der Forscher, die ihr mathematisches Modell mit Daten aus der echten Welt abgleichen.

Und laut einer Crif-Studie sind aktuell zehn Prozent aller Unternehmen insolvenzgefährdet, insbesondere in energieintensiven Branchen. Neben steigenden Energiepreisen sorgen dafür auch instabile Lieferketten und Inflation. Der Informationsdienstleister hat für seine Studie drei Millionen Unternehmen untersucht und prognostiziert für das kommende Jahr 17.000 Firmeninsolvenzen – ein Plus von 17,2 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. Ähnlich kritisch das Ergebnis einer BDI-Umfrage, in der im September 81 Prozent der mittelständischen Unternehmen die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe als unternehmerisch herausforderndsten Faktor bewerten. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen sehen in den gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe eine starke (58 Prozent) oder existenzielle Herausforderung (34 Prozent).  Bringen die Energiepreise nun auch Cannabis-Produzenten in Deutschland in die Bredouille?

Wie viel Energie erfordert die Cannabis-Produktion? Eine Spurensuche

Ob und inwiefern Produzenten in Schieflage geraten können, hängt maßgeblich davon ab, wie viel Cannabis sich auf einem Quadratmeter produzieren lässt. Eine Umfrage unter nordamerikanischen Cannabis-Produzenten kam 2016 zu dem Ergebnis, dass jede Ernte im Schnitt umgerechnet 0,425 Kilogramm je Quadratmeter erbringt. Bei fünf Ernten jährlich – eine Zahl, die Experten auf Anfrage für realistisch halten – könnten Indoor-Produzenten also 2,1 Kilogramm jährlich je Quadratmeter ernten. Die drei vom BfArM beauftragten Produzenten dürfen hierzulande maximal 2,6 Tonnen jährlich produzieren. Erreichen sie diese Menge müssten sie, analog zu den Berechnungen der Forscher aus Toronto, dafür zusammen eine Fläche von über 1.223 Quadratmetern bewirtschaften. Der erforderliche jährliche Energiebedarf, sollte die Modellierung der York University zutreffen: knapp sechs Millionen Kilowattstunden (kWh).

Verteuern die Energiekosten die heimische Cannabisproduktion?

Neukundenpreis für Industriekunden je Kilowattstunde steigt auf 40,5 Cent

Laut des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (bdew) stiegen die Energiepreise für Industrieneukunden bis Juli 2022 hierzulande im Schnitt auf 40,5 Cent je Kilowattstunde. Kleine bis mittlere Industriebetriebe zahlten im Juli 2022 94 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Knapp 2,4 Millionen Euro wären, legt man den Juli-Energiepreis aus diesem Jahr zugrunde, für die Produktion der Höchstmenge von 2,6 Tonnen erforderlich. Je Gramm entspräche dies über 90 Cent. Zum Vergleich: 2021 lag der durchschnittliche Strompreis für neue Industriekunden noch bei 21,38 Cent je Kilowattstunde. Je Gramm Cannabis hätten Produzenten von medizinischem Cannabis in Deutschland vor einem Jahr noch mit Energiekosten von 49 Cent kalkulieren können.

So viel zu möglichen Rechenspielen. Wie groß der Anteil der Energiekosten an den gesamten Produktionskosten in Deutschland schlussendlich ist? Schwer zu sagen, solange keine transparenten Zahlen der Produzenten vorliegen. Das BfArM verkauft das hierzulande produzierte medizinische Cannabis für 4,30 Euro an Apotheken. Dies ist wohlgemerkt nicht der Preis, den die Produzenten selbst erhalten. Auch der BfArM-Logistikpartner Cansativa erhält schließlich seinen Teil und das BfArM darf zwar keinen Gewinn erwirtschaften, muss aber auch Kosten decken. Wie sich die 4,30 Euro letztlich verteilen, ist geheim.

Und wohlgemerkt handelt es sich bei den vom bdew genannten Zahlen um Preise für Neukunden. Die drei vom BfArM in Deutschland beauftragten Produzenten Demecan, Aurora und Tilrays Tochtergesellschaft Aphria könnten noch von ihren bestehenden Verträgen profitieren. Auch ist unklar, ob vorherigen Rechenbeispiele tatsächlich auf die drei Produzenten zu treffen. Wie viel sie aktuell für Energie ausgeben und wie hoch der Anteil der Energiekosten an ihren gesamten Produktionskosten ist, behalten die drei Unternehmen schließlich für sich.

Die exakte Kalkulation erschwert zudem, dass über den gesamten Zyklus der Pflanze betrachtet, Energie erforderlich ist: In der vegetativen Phase, für das Licht, für Heizung, Lüftung und Klimatisierung, für die Entfeuchtung und Trocknung. Ein Experte, der sich seit den 1990er Jahren mit der Cannabis-Produktion auseinandersetzt und nach der Jahrtausendwende für die großen US-amerikanischen und global agierenden Cannabis-Firmen die Kultivierung gemanagt hat, schätzt den CO2-Ausstoß je Kilogramm-Indoor-Cannabis auf knapp 658 Kilogramm.

Andere Quellen verweisen darauf, dass drei Prozent des gesamten kalifornischen Energiekonsums auf die Indoor-Cannabis-Produktion entfallen. Und eine neue Studie, die im März 2021 in der Zeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde, schätzt, dass je Kilogramm Cannabis Indoor insgesamt 2.283 bis 5.184 Kilogramm Treibhausgase entstehen – abhängig davon, wo produziert wird.

Verteuern die Energiekosten die heimische Cannabisproduktion?

Produktion von 400 Tonnen Cannabis erfordert Indoor über eine Billionen Kilowattstunden

Sollte die EU der Bundesregierung grünes Licht für die Legalisierung des Genussmittelmarktes geben, will die Bundesregierung zumindest vorläufig die gesamte Nachfrage durch heimische Produzenten decken. Dann geht es nicht mehr um 2,6 Tonnen, sondern um 400 Tonnen Cannabis jährlich. Stimmen das Modell der Forscher aus der York Universität und der berechnete jährliche Ernteertrag, ist dafür eine Fläche von knapp 19 Hektar erforderlich und ein jährlicher Energiebedarf von über 914.879.978 Millionen Kilowattstunden. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Automobil-Industrie soll 1,9 Billionen Kilowattstunden verbrauchen.

Nun will die Bundesregierung, um den Genussmittelmarkt mit Cannabis zu versorgen, nicht nur Lizenzen an Indoor-Produzenten, sondern auch für die Produktion im Glashaus vergeben. Dort sollen die Energiekosten, so die Forscher der York-Universität, nicht mehr 20 bis 50 Prozent, sondern zehn bis 15 Prozent ausmachen – insbesondere weil nicht das gesamte Sonnenlicht künstlich erzeugt werden muss. Die Kriterien für die Produktion will die Bundesregierung übrigens ganz grundsätzlich unter Beachtung der “Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung” definieren.

Damit hat sie die Formulierungen aus dem zunächst “geleakten” Entwurf etwas aufgeweicht. In dem hieß es noch, dass auch der Outdoor-Anbau möglich sei. Zudem schaffte es auch diese Passage nicht in das offiziell vorgestellt Eckpunktepapier: “Der Indoor-Anbau in Grow Rooms weist in Abhängigkeit vom Stromverbrauch und CO2-Emission des Strommixes besonders hohe Carbon Footprints auf.” Außerdem mahnte die Bundesregierung im geleakten Entwurf noch an: “Die Legalisierung könnte insgesamt zu einer erhöhten Nachfrage nach Strom durch kontrollierten Anbau führen.” Vor allem die erforderlichen Qualitätsstandards, die sich Outdoor schwerlich erreichen lassen, dürften die Bundesregierung schlussendlich zum Umdenken gebracht haben. Fraglich bleibt, ob sich in Deutschland angesichts des hohen Energieaufwands langfristig wettbewerbsfähig Cannabis Indoor für einen Genussmittelmarkt produzieren lässt, sollten Importe möglich werden – oder ob der Umstieg auf erneuerbare, günstigere und nachhaltige Energiequellen essenziell für das Überleben hiesiger Cannabis-Produzenten ist.

Denn im internationalen Vergleich sind die deutschen Energiepreise durchaus hoch. Laut Global Petrol Prices zahlten deutsche Industriekunden im März 2022 rund 32 Cent für eine Kilowattstunde, kanadische Industriekunden keine zehn Cent. Sollte sich der Faktor eins zu drei aktuell auch in der Indoor-Cannabis-Produktion widerspiegeln, würden Produzenten in Kanada nicht 90, sondern 30 Cent je Gramm Cannabis für die dafür erforderliche Energie ausgeben.

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