Countdown zur Wahl mit Kai-Friedrich Niermann: Reform der Cannabis-Politik?

by Gastautor

Sieben Wochen vor der Bundestagswahl: Wie ist die derzeitige Ausgangssituation in der Parteienlandschaft? Welche Chancen hat die Reform der Cannabis Politik in Deutschland – und ist vielleicht sogar eine vollständige Legalisierung wahrscheinlich? Was könnte eine Reform gefährden, selbst wenn eine Legalisierung bereits beschlossen ist?

Ein Gastbeitrag von Kai-Friedrich Niermann.

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen positionieren sich seit Jahren eindeutig für eine Legalisierung von Cannabis. Mit dem Cannabiskontrollgesetz haben sie auch die regulatorischen Blaupause für eine Legalisierung geschaffen. Die Projektion der Forschungsgruppe Wahlen aus Mai sah die Grünen mit 25% sogar einen Prozentpunkt vor der CDU. Damit könnten die Grünen sogar die Bundeskanzlerin stellen. In dieser Konstellation sind mehrere Koalitionen möglich, von Schwarz-Grün bis zu einer Ampelkoalition (Grüne, SPD, FDP), gegebenenfalls sogar eine Linksregierung aus Grünen, SPD und Linke.

Aktuell ist noch alles offen

Erfahrungsgemäß unterliegen diese Zahlen bis zum tatsächlichen Wahlabend noch weiteren Schwankungen. Die Grünen geraten auch zunehmend unter Beschuss geraten, insbesondere ihre Kanzlerkandidatin. Unglückliche Vorschläge, wie eine Erhöhung der Spritpreise kurz vor der Wahl, oder ungeschickte Gesten, wie Laschets Lacher bei den Flutopfern, können sodann noch mal zu Veränderungen führen.

Das hohe Niveau der Grünen in den Umfragen sollte aber nicht mehr deutlich unter 20 % fallen, sodass sie auf jeden Fall für die Regierungsbeteiligung benötigt werden.

Jamaika-Koalition?

2017 war rechnerisch eine sogenannte Jamaika-Koalition (CDU, Grüne, FDP) möglich, oder eine Große Koalition. Die SPD signalisierte noch in der Wahlnacht, für eine weitere Große Koalition nicht zur Verfügung zu stehen, sodass zunächst die Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition die Koalitionsverhandlungen aufnahmen.

Das Cannabiskontrollgesetz war Teil der Koalitionsverhandlungen. Im vorläufigen Koalitionsvertrag fand sich folgende Passage: „[Wir werden ein Cannabiskontrollgesetz auf den Weg bringen. Damit wollen wir Cannabiskonsumenten wirksam entkriminalisieren und legale lizenzierte Abgabestellen für Cannabis mit effektivem Jugend- und Gesundheitsschutz schaffen.]“

Die eckigen Klammern innerhalb dieses Abschnittes wiesen darauf hin, dass dieser Punkt noch Verhandlungsmasse war, und noch nicht abschließend als Teil des Koalitionsvertrages bestätigt wurde.
Am 19. November 2017 erklärte FDP-Chef Christian Lindner sodann den Abbruch der seit gut vier Wochen laufenden Jamaika-Sondierungen, weil er lieber gar nicht als falsch regieren wollte. Diese Entscheidung führte dann zu einer 3. Auflage der Großen Koalition. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition fanden sich an keiner Stelle Regelungen zu Cannabis, mit dem Ergebnis, dass in der Cannabis-Politik seit vier Jahren Stillstand herrscht.

Countdown zur Wahl mit Kai-Friedrich Niermann: Reform der Cannabis-Politik?
Mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl 2021

Die FDP wird sicherlich nicht noch einmal nach vier Wochen die Verhandlungen über die Beteiligung an einer neuen Regierung abbrechen können, und so das Land in eine erneute Regierungskrise stürzen, falls sie ernsthaft für eine Regierungsbeteiligung benötigt wird. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass sich, je nach dem Ausgang des Wahlabends, komplizierte Konstellationen ergeben, die Verhandlungen bis in das neue Jahr erforderlich machen.

Wahlversprechen zu Cannabis – halten oder brechen?

Ob die Grünen auf ihrer Forderung nach der Einführung eines Cannabiskontrollgesetzes bestehen bleiben, oder der Entwurf des Gesetzes als Verhandlungsmasse in den Koalitionsverhandlungen genutzt wird, um andere Ziele, zum Beispiel im Umweltschutz oder in der Sozialpolitik durchzusetzen, bleibt abzuwarten.
Angesichts der jahrelangen Forderungen nach diesem Gesetz und einer Reform der Cannabis-Politik (das Cannabiskontrollgesetz wurde das erste Mal 2015 im Bundestag beraten) und der ca. 4-5 Millionen regelmäßigen Konsumenten in Deutschland, ist es derzeit nur schwer vorstellbar, dass die Grünen ihr Wahlversprechen brechen werden. Noch mal 4 Jahre Stillstand in dieser Frage wird der Partei von einer großen Anzahl von Wählerinnen und Wählern wahrscheinlich nicht verziehen werden.

Zum ersten Mal tritt ein Regierungschef nicht mehr zur Wahl an. Der Ausgang der Wahl und der Regierungsbildung ist daher völlig offen. Wem traut die Bevölkerung zu, das Land in welcher Koalition zu führen, ist die große Frage. Die Zersplitterung der politischen Lager, wie wir es auch aus anderen europäischen Demokratien kennen, wird nach der Bundestagswahl eventuell zu erschwerten Koalitionsverhandlungen und -bedingungen führen.

Fast jegliche Konstellation kann daher derzeit in Betracht gezogen werden. In jeder wahrscheinlich möglichen Konstellation ist aber mindestens eine Partei für eine Reform der Cannabis-Politik und für eine regulierte Abgabe. Außerdem haben wir 2021 eine andere Situation als 2017, da wir international beobachten können, dass eine Legalisierung funktioniert und ausschließlich positive Effekte auf für die Gesellschaft im Hinblick auf Konsumentenschutz, Freiheitsrechte, Arbeitsplätze und Steueraufkommen ausübt.

Was selbst bei einer beschlossenen Legalisierung die Reform gefährden könnte.

Schauen wir uns mit dem Cannabiskontrollgesetz der Grünen als regulatorischen Blaupause einmal die wichtigsten Beschränkungen an, die die Legalisierung tatsächlich ernsthaft gefährden können. Beide Beschränkungen finden wir in § 21 CannKontrollG. Danach dürfen Cannabisfachgeschäften nicht in direkter räumlicher Nähe zu Schulen oder sonstigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche betrieben werden. Und zum anderen können die Länder Mindestabstände zwischen Cannabisfachgeschäften sowie Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl von Cannabisfachgeschäften festlegen.

Mindestabstände zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche folgen aus dem Leitmotiv des Gesetzesentwurfes, einer sozialen Verantwortung und dem Jugendschutz gerecht werden zu wollen. Mit der Begrenzung der Anzahl der Fachgeschäfte auf Länderebene soll wohl möglich ein Preiskampf und dementsprechend der Verdrängungswettbewerb verhindert werden. Ähnliche Regelungen kennen wir mit dem Apothekengesetz, das die Anzahl von Apotheken gebietsmäßig beschränken kann, damit eine permanente Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gewährleistet ist.

Ob und wie die Länder rechtstechnisch hiervon Gebrauch machen können, ergibt sich aus dem Entwurf des CannKontrollG nicht. Der rechtstechnische Weg über eine Verordnungsermächtigung wurde hier nicht gewählt.

Diese Regelung könnte dazu führen, wenn die Bundesländer exzessiv davon Gebrauch machen sollten, dass die gesamten Legalisierungsbemühungen konterkariert werden. Wie wir in vergleichbaren Erfahrungen aus den USA (zum Beispiel Kalifornien) und Kanada geschehen haben, wurden dort zu wenige Verkaufsstellen lizenziert und dementsprechend konnte der Schwarzmarkt dort zunächst weiterhin eine größere Bedeutung beibehalten.

In vielen innerstädtischen Bereichen sind zahlreiche Einrichtungen für Kinder und Jugendliche vorhanden (Schulen, Kindertagesstätten, Kindergärten, Jugendzentren etc.), sodass Mindestabstände womöglich gar nicht eingehalten werden können. Eine solche Beschränkung, exzessiv angewandt, könnte dazu führen, dass Cannabisfachgeschäften nur außerhalb der Innenstädte genehmigt werden können, zum Beispiel in Gewerbegebieten. Dort ist seit Jahrzehnten anerkannt, dass sogenannte Vergnügungsstätten wie Diskotheken, Nachtklubs und Spielotheken durchaus zulässig sind.

Sollte eine solche Regelung ähnlich unbestimmt Gesetz werden, könnte die CDU/CSU, in einer Koalition zur Legalisierung gezwungen, zum Beispiel in den Bundesländern die Entstehung eines wirksamen regulierten Marktes verhindern. Und nachher auf ihre Argumente verweisen, die sie bis zum Schluss gegen eine Legalisierung vorgebracht hat, zum Beispiel das mit einer Legalisierung der Schwarzmarkt nicht ausgetrocknet werden kann.

Hier sind alle Interessengruppen aufgerufen, und insbesondere die Industrie, sich rechtzeitig in den Entscheidungsprozess mit einzubringen und auf eine eindeutige, funktionierende Regelung hinzuwirken.

Über die Besteuerung des THC-Cannabis

Die Cannabis-Steuer wird ebenfalls ein entscheidender Hebel sein, um Konsumenten einen Anreiz für den Wechsel vom Schwarzmarkt in den regulierten Markt zu geben. Selbstverständlich spielt die kontrollierte Qualität auch eine Abgabe, aber deutlich höhere Preise als 10 € pro Gramm werden viele Konsumenten abschrecken und veranlassen, sich weiterhin auf dem Schwarzmarkt einzudecken.

Eine Cannabis Steuer in Höhe von 2,60 € für getrocknete Blüten ist für den Anfang als Ausgangssteuerbetrag realistisch, wie in der Haucap Studie vorgeschlagen. Das Cannabiskontrollgesetz sieht 4 € pro Gramm vor, das Programm der FDP völlig unrealistische 10 € für 100 mg THC, was den Grammpreis auf bis zu 30 € treiben kann. Für den Gesetzgeber sollte das oberste Ziel sein, den Schwarzmarkt auszutrocknen, und damit eines der Hauptziele der Reform erreichen zu können. Für Steuererhöhungen ist im Verlaufe der Entwicklung des regulierten Marktes immer noch Zeit.

Auch hier wird es für die Industrie darauf ankommen, sich frühzeitig in die Diskussionen über die Höhe dieser Steuer einzuschalten.

Wenn eine Einigung auf eine Legalisierung tatsächlich nicht möglich ist

Der Wunsch nach einem Wechsel und Veränderung in der Politik ist nach 16 Jahren Merkel-Regierung groß. Angesichts der zahlreichen Jobverluste aufgrund der Corona-Pandemie, und der einfachen gesetzgeberischen Stellschraube, an der man drehen kann, wäre es fahrlässig, diese Chance auf positive gesellschaftliche Veränderungen nicht zu ergreifen. Vor allem im Hinblick auf Entkriminalisierung, Wirtschaftswachstum, neue Jobs und effektiveren Jugend- und Konsumentenschutz.

Sofern eine sofortige Legalisierung nicht erreicht werden kann, ist aber zumindest mit einer Entkriminalisierung der Konsumenten zu rechnen. Ein weiterer, vollständiger Stillstand in der Reformpolitik wie seit 2017 ist äußerst unwahrscheinlich. Möglich wäre eine Einigung auf Modellprojekte, auf die sich eine neue Kollektion verständigen kann. Modellprojekte sollen die Gefahren und Voraussetzungen einer legalen Abgabe von Cannabis an Erwachsene erforschen. Allerdings ist die Datenlage aufgrund der weltweiten Entwicklungen in den Staaten, die Cannabis vollständig legalisiert haben, derzeit bereits außerordentlich gut. Weitere Modellprojekte zur wissenschaftlichen Erforschung sind eigentlich nicht erforderlich und verursachen vor allen Dingen erst einmal eine große Verzögerung und vor allem große Kosten im Hinblick auf das Studiendesign und die begleitende, wissenschaftliche Auswertung. Der Erkenntnisgewinn solcher Modellprojekte dürfte dann am Ende gering sein, da die kontrollierte und regulierte Abgabe an Erwachsene die einzige Alternative ist.

Über Kai-Friedrich Niermann
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 ausschließlich im Bereich Cannabis mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Zuletzt sprach er auf dem ICBC 2020 Virtual global Symposium, auf der Re:publica 2019 und der EuroAMCBC in Prag über den rechtlichen Rahmen für einen zukünftigen Freizeit-Cannabismarkt in Deutschland, auf dem First Asian Hemp Summit in Hongkong und am Cannabis Law Institute in New York. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel, z.B. auf der Prohibition Partners Plattform und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und seine Anwaltskanzlei KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabisunternehmen und er ist Rechtsberater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat.

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