Was ist jetzt eigentlich mit der Lidl-Hanf-Aktion: Lebensmittel oder Droge?

by Lisa Haag

Heiß her ging es im August bei Lidl. Bundesweit waren Hanfprodukte im Rahmen einer großen Aktion in den eigenen Filialen verfügbar. Doch kaum waren sie im Sortiment, waren sie auch schon wieder raus. Nachdem es im Sommer heiß her ging, ist es ruhig geworden. Zeit einmal die Ereignisse Revue passieren zu lassen und aufzuräumen, was eigentlich geschehen ist. Die große Analyse gemeinsam mit Rebecca Wiegärtner, Spezialistin für Food & Retail.

Die Ereignisse im Überblick

Welche Verwürfe stehen im Raum?

Die Polizei ermittelt nun im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes sowie gegen ein Vergehen nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Weiterhin wird angegeben, dass auch von einem Verstoß gegen die Novel-Food-Verordnung auszugehen ist. Ermittelt wird laut Pressemeldung gegen unbekannt. Ist nicht klar, wer die Produkte endlich in den Verkehr gebracht hat bzw. wer die Verantwortung (und somit Haftung) für den Fall übernimmt? Der Verstoß gegen die Novel-Food-Verordnung begründet sich in der vermeintlichen Anwesenheit von Cannabinoide. Hier verweist man auf das BVL (“Dem BVL ist derzeit keine Fallgestaltung bekannt, wonach Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln, also auch in Nahrungsergänzungsmitteln, verkehrsfähig wäre.” Quelle: BVL).

Was war denn jetzt drin?

21 Produkte – von Cannabis-Cookies über Hash Brownies bis Cannabis-Energy-Drinks waren aktionsmäßig über das Sortiment erhältlich. Laut eigenen Angaben des Zwischenhändlers Green Dealers enthalten die Produkte jedoch kein Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol (CBD).

 Darunter:

  • geschälte und ungeschälte Hanfsamen
  • Hanfsamenöl
  • verschiedene Sorten “Hash-Brownies” und Muffins “Mary&Juana”
  • diverse Schokoladen
  • verschiedene Sorten Cannabis-Cookies mit Tee im Deckel
  • diverse Proteinriegel
  • Getränke “SoStoned” und “Cannabreeze”
  • Kartoffelsnack “Hanfgeschmack”
  • Hanftee gebraut und Tea of Mind Cannabis Tea
  • Mogota reiner Hanftee

Der Rückruf

In allen Lebensmitteln sei ein erhöhter Gehalt von Tetrahydrocannabinol (THC) festgestellt worden, dem rauschwirkenden Bestandteil der Hanfpflanze (Cannabis). Lidl zog entsprechend alle Lebensmittel aus dem Verkehr. Ein Verzehr dieser Lebensmittel könne unerwünschte gesundheitliche Folgen mit sich bringen, unter anderem Stimmungsschwankungen und Müdigkeit. „Aufgrund dessen sollten Kunden den Rückruf unbedingt beachten und die Produkte nicht weiter verwenden“, warnte das Unternehmen.

“Der Verzehr dieses Lebensmittels führt ganz sicher nicht zu unerwünschten gesundheitlichen Folgen wie beispielsweise Stimmungsschwankungen oder Müdigkeit. Ganz im Gegenteil handelt es sich bei Hanfprodukten, wie auch diesem Hanfsamenöl, um sehr gesunde und absolut sichere Lebensmittel. Ich verweise auf die entsprechenden schriftlichen Studien und Bewertungen, die schon 2017 von unserem Verband in einem Positionspapier (Sinnvolle Richtwerte für THC in Lebensmitteln) aufgezeigt und erläutert wurden”, kommentierte Daniel Kruse, Präsident der EIHA, den Warenrückruf.

Wie verkehrsfähig waren die Produkte?

Schaut man sich die Produkte näher an, stellt man schnell fest, dass nicht alle davon unbedingt verkehrsfähig sind. Nehmen wir beispielsweise Mogota reinen Hanftee. Ist der Missbrauch ausreichend ausgeschlossen, wenn der reine Hanftee kuvertiert ist? Darf dieser überhaupt an Endverbraucher abgegeben werden? Schließlich wurden in den letzten Jahren zahlreiche Razzien aufgrund reinen Hanftees durchgeführt wie z.B. in München bei Unternehmer Wenzel Cerveny oder bei Freiburger Unternehmer Tobias Pietsch von Hanfnah und vielen anderen kleinen Hanfgeschäften im Bundesgebiet. Ist es dann nur gerecht, dass die Polizei auch bei Lidl einrückt? Hat vielleicht einer dieser kleinen Händler die Initiative ergriffen und Lidl angezeigt? “Die Ermittlungsbehörden agieren willkürlich und schikanieren kleine Händler sowie inzwischen auch große Discounter”, erklärt Wenzel Cerveny per Pressemeldung für den Cannabis Verband Bayern. Cerveny fordert die Politik auf, das Potenzial von Nutzhanf als umwelt- und klimaschonenden Rohstoff zu heben und Rechtssicherheit für Händler zu schaffen.

Auch schlechte Presse ist Presse?

Vertriebspartner für die Eurphoria-Produkte ist die “The Green Dealers” UG, mit einem Stammkapital von 1.500 Euro. Eine Unternehmenswebsite zum Zwischenhändler findet man nicht. Die Produkte wurden unter anderem vom tschechischen Hersteller Euphoria bezogen. Der Deal mit Lidl war für The Green Dealers gleichzeitig sein Marktdebut. Laut eignen Angaben hat das Unternehmen rund 1.5 Millionen Artikel an Lidl geliefert. Geschäftsführer des Vertriebspartners Brunn spricht davon, dass aktuell noch “der Kaufanreiz lediglich beim Hanf-Geschmack” und bei der „interessanten Aufmachung“ lägen. Ob er damit die Kifferklischee-typische Vermarktung „Marie&Joana, Joint auf der Verpackung, Hash-XYZ” oder die zumindest, über die Aufmachung implizierte, Ähnlichkeit zu sogenannten THC-Edibles meint, sei mal dahingestellt. 

“Eigentlich kann man sagen: Das ist ganz klar Verbrauchertäuschung. Zeitgemäße Vermarktung von Hanf geht anders. Im Zweifel hätte es der Aktion geholfen, wäre man auf die gesundheitsfördernden Aspekte von Hanf in der Ernährung eingegangen”, kommentiert Food & Retail Expertin Rebecca Wiegärtner für krautinvest.de. “Sicherlich hätte man aber nicht so intensiv die öffentliche Diskussion angeregt. Aber: Wenn man bedenkt, dass Hanf ein ernst zu nehmender nachhaltiger Rohstoff ist, ein hochwertiges Protein und eine Vielzahl von ernährungsphysiologisch sinnvollen Inhaltsstoffen enthält, hätte man auch eine andere Strategie fahren können. Besonders wenn man sich die Herausforderungen anschaut, denen die Weltbevölkerung landwirtschaftlich und ernährungstechnisch gegenübersteht. Es ist traurig zu sehen, für welche Vermarktungsstrategien sich manche Firmen beim Hanf entscheiden. Es geht nicht um den nachhaltigen Rohstoff und dass vollwertige Lebensmittel, sondern ums schnelle (nicht nachhaltige) Geld.”

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht

Ein Unternehmer ist selbst verantwortlich für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln. Aber wer ist der verantwortliche Unternehmer? Lidl? The Green Dealers? Die Hersteller? “Der Handel holt erfahrungsgemäß Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen ein. Jedoch ist auch bekannt, dass in der Hanfbranche problematische und vermeintliche Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen im Umlauf sind. Regulatorische Sicherheit bieten meiner Meinung nach nur Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen von gängigen und etablierten Instituten” so Wiegärtner. “Weiterhin herrscht keine Einigkeit, was die verschiedenen Laboranalyseverfahren angeht. Das macht die Sache nur noch schwieriger.” Wer ist nun also in der Verantwortung?

Was ist jetzt eigentlich mit der Lidl-Hanf-Aktion: Lebensmittel oder Droge?
Rebecca Wiegärtner ist Spezialistin für Food&Retail und hat viele Jahre Erfahrung mit Vermarktungsstrategien für erklärungsbedürftige Produkte wie z.B. Hanf.

Wollen wir nicht eigentlich weg vom Stigma?

Welche Zielgruppe sollte mit den Produkten angesprochen werden? Konsumenten, die sich einen Rausch erhoffen, mit Produkten die nicht berauschen? “Unentschlossene zum Thema Hanf fühlen sich dadurch negativ bestätigt. Durch den Rückruf ist die Verunsicherung noch größer. Auch im Einzelhandel fiel die Aktion negativ auf und Hanflebensmittel werden es dadurch sicher in Zukunft schwerer haben.” gibt Rebecca Wiegärtner zu bedenken. “Es ging nicht um ein nachhaltiges Geschäft und den Markt für alle und zur Bereicherung vieler aufzumachen, sondern darum den eigenen Vorteil für sich zu sichern.” Es wäre zielführender gewesen, sich an vorhandene Regularien zu halten und so das aktuelle Potenzial der Pflanze auszureizen.

Ohne Lobby keine Chance

Eins zeigt die Aktion allerdings deutlich: Es muss noch viel passieren. Vor allem auf Seite der Lobbyarbeit. Man sieht, dass der Markt noch stark fragmentiert und heterogen ist. Es fehlen noch viele Dinge. Letztlich geht es darum, einen langen Atem zu haben. “Um die Pflanze in ihrer Gesamtheit zu nutzen, führt kein Weg daran vorbei, zumindest Nutzhanf aus dem Betäubungsmittelgesetz zu streichen. Erst dann können auch Nutzhanf-Blüten für die Nahrungs- und Genussmittelindustrie genutzt werden.”, so Wiegärtner.

Warten auf das Ergebnis

Seit August gibt es keine neuen Meldungen mehr zu den Ereignissen. Daher heißt es so lange: Abwarten. Die 1.5 Millionen Produkte gehen dann in die Vernichtung. Was für eine Lebensmittel-Verschwendung.

Über Rebecca Wiegärtner:
Geboren im Vereinigten Königreich und aufgewachsen in England und Deutschland bei britischen und deutschen Eltern. Sie studierte an Universitäten in Deutschland, England und China. Nach dem Studium war Sie für Unternehmen der Lebensmittelbranche als Produkt- und Key-Account-Managerin auf internationaler und leitender Ebene für Marken- und Eigenmarkenunternehmen im ökologischen und konventionellen Lebensmittelsektor tätig. Sie ist selbstständige Beraterin für die Lebensmittelindustrie und den Handel, spezialisiert auf Strategien für zukunftsweisende Food- und Lifestyle-Produkte mit hohem Impact.

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