Plan B? Spanien, Schweiz, die Niederlande und Malta im Cannabis-Check

Bisherige Ansätze des tolerierten und legalen Cannabiskomsums

by Moritz Förster

Die CSU veröffentlicht am ersten März ein Gutachten: Das Ergebnis, heißt es bereits im Vorfeld, sei “eindeutig”. Unter anderem gehe es darum, die völker- und europarechtlichen Grenzen zu prüfen. Wie auch immer der “juristische Praxischeck” von Professor Bernhard Wegener – der Völker- une Europarechtler wurde von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek für das Gutachten beauftragt – schlussendlich aussehen wird: Der Blick auf andere europäische Länder zeigt, dass auch jenseits des von der Bundesregierung präferierten “Interpretationsansatzes” eine neue Cannabis-Regulierung angestoßen werden kann. Ein “Praxischeck” der anderen Art mit den Niederlanden, der Schweiz, Spanien und Malt – ein Check, der für die Bundesregierung wahrscheinlich wichtigere Erkenntnisse liefert als die ohnehin schon reichlich erörterten europa- und völkerrechtlichen Verträge. Was ist Deutschlands bester Plan B?

Die Niederlande

Jenseits des tolerierten Coffe-Shop-Graumarktes haben die Niederlande ein Pilotprojekt initiiert, in dem komplett legal produziertes und distribuiertes Cannabis in zehn Gemeinden von allen dort ansässigen Coffee Shops an Konsument:innen abgegeben werden soll. Zur Erinnerung: Nicht nur die Produktion, der Handel und der Verkauf von Cannabis für medizinische Zwecke, sondern auch für wissenschaftliche Zwecke ist legal. Dass damit einst wahrscheinlich eher klinische Studien gemeint waren, weniger sozialwissenschaftliche Forschung, dürfte aus juristischer Sicht kein Hindernis darstellen.

Vorteile: “Pilotprojekt” hört sich nach einem kleinen Experiment an. Dem ist nicht so. In der Theorie verkaufen alle Coffee Shops in den zehn teilnehmenden Gemeinden legal produziertes Cannabis. In drei Gemeinden nur an Erwachsene mit Wohnsitz in den Niederlanden, in sieben Gemeinden an alle Erwachsenen. Persönliche Daten werden nicht erhoben. Das Pilotprojekt ist also durchaus flächendeckend.

Nachteile: Initiiert 2017 ist immer noch kein einziges Gramm legal in den Niederlande produziertes Gras verkauft worden. Der Start scheitert unter anderem daran, dass alle Produzenten eine Due Diligence durchlaufen müssen, die sich hingezogen hat. Zudem eröffnen Banken Cannabis-Unternehmen keine Konten, da diese bis dato ja alle illegal wirtschafteten.

Quintessenz: Das niederländische Pilotprojekt könnte ein sehr spannendes Vorbild für Deutschland sein. Eine so große zeitliche Verzögerung wie in den Niederlanden muss aber vermieden werden. Das könnte auch gelingen: Schließlich hat sich hierzulande bereits eine professionelle Industrie für medizinisches Cannabis etabliert. Diese Unternehmen verfügen über Konten, teils bereits über EU GMP zertifizierte Produktionsstätten. Spannend: Hochgerechnet könnte solch ein Pilotprojekt das Bundesgebiet flächendeckend mit Cannabis bedienen. Zumal je nach Ziel der Studie gerade die Auswirkung einer flächendeckenden Versorgung auf den Konsum Jugendlicher und auf den illegalen Markt im Fokus stehen sollte (ein Pilotprojekt im kleinen Rahmen also alleine aus wissenschaftlichen Gründen gar keinen Sinn ergibt). Besonders attraktiv für die Bundesregierung: Alle Erwachsenen könnten analog zum Modell in den Niederlanden bundesweit Zugang haben und niemand wird dadurch verschreckt, dass er seine persönlichen Daten vor dem Cannabis Kauf preisgeben muss.

Die Schweiz

Das Experiment Weed Care ist Anfang des Jahres in Basel angelaufen. Aktuell erhält die Hälfte der 374 Teilnehmenden legal Cannabis. Die andere Hälfte folgt in sechs Monaten. Die Daten aller Teilnehmenden werden von der Studienleitung erhoben. Höchste Sicherheit bei der Datenspeicherung garantiert, heißt es.

Vorteile: Kontrollierte Abgabe, legale Produktion in der Schweiz. Die Studie ist bereits angelaufen.

Nachteile: Keine flächendeckende Versorgung. Zugang zu legalem Cannabis nur für Studienteilnehmer:innen. Die Datenspeicherung dürfte einigen Personen Bauchschmerzen bereiten.

Quintessenz: Nach den vollmundigen Ankündigungen dürfte ein solch kleines Pilotprojekt der Ampel-Koalition Glaubwürdigkeit und Wählerstimmen kosten. Auch das Abspeichern persönlicher Daten dürfte viele Konsument:innen hierzulande abschrecken. Der illegale Markt wird damit kaum zurückgedrängt.

Malta

Auf Malta sollen sich NGOs in einer Art Vereinskonstrukt selbst versorgen dürfen. Profit dürfen sie dabei nicht erwirtschaften. NGOs können sich ab Ende Februar bewerben, die maltesische Behörde prüft jede Bewerbung und kontrolliert die NGOs. Schlupfloch für dieses Modell: Die internationalen Verträge untersagen zwar die Legalisierung aller Schritte entlang der Wertschöpfungskette, nicht aber den privaten Konsum. Auch der Eigenanbau ist im kleinen Rahmen für den privaten Konsum erlaubt – Luxemburg hatte ebenfalls den Eigenanbau zuhause gestattet.

Vorteile: Das maltesische Modell könnte ein pragmatischer Ansatz sein, Cannabis zu entkriminalisieren. Spannend an Malta: Die Behörden scheinen die NGOs kontrollieren zu wollen. Auch Produktsicherheit dürfe damit bis zu einem gewissen Maße gewährleistet werden.

Nachteile: Ob es Malta gelingt, im großen Stil den illegalen Markt zurückzudrängen, bleibt abzuwarten. Gut möglich, dass die NGOs eher was für alteingesessene Cannabis-Liebhaber werden. Der DHV kritisiert die Auflagen in jedem Fall scharf und kann sich kaum vorstellen, dass dieses Modell attraktiv für viele Malteser ist.

Quintessenz: Die deutsche Cannabis-Industrielobby dürfte starke Einwände gegen das maltesische Modell haben. Profite dürfen die NGOs nicht erwirtschaften, selbst die Gehälter ihrer Angestellten werden streng kontrolliert. Der “Milliardenmarkt” wäre damit dahin. Doch es geht bei der Legalisierung ja nicht in erster Linie um monetäre Anreize. Blickt man auf die eigentlichen Ziele der Bundesregierung , steht und fällt das Zurückdrängen des illegalen Marktes mit der flächendeckenden Durchschlagskraft der legalen NGOs. Und die Erfahrungen aus Kanada und den USA zeigen, dass nur ein attraktiver legaler Wettbewerber in der Lage ist, bereits etablierte illegale Cannabis-Verkaufsstrukturen zurückzudrängen. Noch ist es zu früh, um ein finales Fazit zum maltesischen Modell zu ziehen.

Spanien

Mit den spanischen Cannabis Social Clubs ist das so eine eigene Sache. Es gibt kein Gesetz, dass sie gestattet. Die historisch gewachsenen Clubs berufen sich darauf, dass der private Konsum als solcher keine Straftat darstellt. Der Anwalt Francisco Azorín bezeichnet sie daher als “Zwischenschritt bis zur Legalisierung”. Die Anzahl der Clubs ist zwar groß, allerdings werden sie von der Polizei und von den Behörden lediglich toleriert – und das auch nicht immer. Zwischenfälle sind an der Tagesordnung.

Vorteile: Mehr als die reine Entkriminalisierung des Konsums.

Nachteile: So wie in Spanien sollte die Bundesregierung das Projekt nicht angehen. Wenn schon Vereinsmodell zugelassen werden, dann unter klaren Richtlinien, damit die Verantwortlichen – sowohl Betreiber als auch Ordnungshüter Auflagen und Grenzen im Vorfeld klar kennen. Auch sollte gewährleistet sein, dass die Vereine ausschließlich geprüfte und kontrollierte Produkte anbieten – ansonsten stellt sich die Frage, inwieweit die Vereine zu mehr Produktsicherheit beitragen.

Fazit: Besonders spannend dürfte für die Ampelkoalition als Plan B ein flächendeckendes wissenschaftliches Pilotprojekt sein mit einer komplett legalisierten Wertschöpfungskette. Das größte Fragezeichen ist dabei, ob die verbleibende Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl ausreicht, um ein solches Pilotprojekt in die Wege zu leiten. Setzt die Ampelkoalition dagegen auf ein Vereinsmodell, muss sie auch auf diesem Wege Jugendschutz und Produktqualität garantieren – und dafür Produktion, Verkauf und Vertrieb auf Vereinsebene regulieren und kontrollieren. Andernfalls büßt sie Glaubwürdigkeit ein. Aber wer weiß: Vielleicht hat die Bundesregierung ja doch Erfolg mit ihrer Cannabis-Legalisierung im großen Stil durch den Interpretationsansatz.

Übrigens: In einer Linkedin-Umfrage unter fast 100 Cannabis-Professionals waren 37 Prozent der Auffassung, dass die Ampel-Koalition schlussendlich ein Pilotprojekt initiiert, 19 Prozent glauben an Cannabis-Social Clubs. Etwas mehr als ein Fünftel der Teilnehmenden geht davon aus, dass die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben wie geplant durchkommt. Genauso viele glauben an ein Scheitern der Bundesregierung.

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