Paul-Lukas Good leitet mit dem Verein Swiss Cannabis Research im Kanton Zürich die größte Cannabis-Studie im Rahmen der Schweizer Pilotprojekte. Bis zu 7.500 Probanden können daran teilnehmen, wobei an 5.000 Personen Cannabisprodukte abgegeben werden dürfen. Nun will Paul-Lukas Good auch bei möglichen Pilotprojekten in Deutschland eine federführende Rolle spielen. Dafür hat er mit Mitstreitern den Verein Cannabis Forschung Deutschland (CFD) gegründet. Die Stadt Wiesbaden hat den CFD gemeinsam mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) bereits als Teil eines anstehenden bundesweiten Pilotprojekts kommuniziert – allerdings ohne, dass bis dato per Verordnung eine Behörde für das Einreichen der Anträge definiert wurde. Seit kurzem kursieren Gerüchte, dass vor allem die Finanzierung der zusätzlichen Stellen in der Behörde der größte Streitpunkt sein soll. Im Interview zeigt sich Paul-Lukas Good dennoch guter Dinge, dass es zeitnah mit Pilotprojekten in Deutschland losgehen kann und erläutert, wie die Zusammenarbeit mit den Städten und dem ZIS laufen soll.
krautinvest.de: Hallo Paul-Lukas, die Stadt Wiesbaden hat angekündigt, im Rahmen eines bundesweiten Pilotprojekts mit der Abgabe von Cannabis starten zu wollen. Begleitet werden soll dieses Pilotprojekt vom ZIS und vom CFD. Allerdings warten aktuell alle gebannt darauf, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) endlich die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) als zuständige Behörde für das Bearbeiten und Bewilligen der Anträge bestimmt. Geht ihr davon aus, dass noch vor der nächsten Bundestagswahl Pilotprojekte in Deutschland anlaufen?
Paul-Lukas Good: Ich bin positiv gestimmt, dass Modellprojekte in Deutschland stattfinden werden. Zurzeit wird viel über öffentliche Sicherheit und organisierte Kriminalität diskutiert: Wer die öffentliche Sicherheit stärken will, der muss für Pilotprojekte sein; denn sie drängen die organisierte Kriminalität zurück. Ich glaube, hierzu wird es einen überparteilichen Konsens geben. Wir sehen sodann in der Säule eins eine genügende gesetzliche Grundlage dafür, auch eine entsprechende Verordnung wurde vorbereitet, um eine zuständige Behörde zu benennen, die Anträge entgegennimmt und prüft. Gegenteilige Informationen der Regierung gibt es nicht. Von daher bin ich optimistisch, dass es zu solchen Projekten kommen wird.
krautinvest.de: Wie sähe denn in einem solchen bundesweiten Pilotprojekts die Zusammenarbeit des ZIS, des CFDs und den beteiligten Städten aus?
Paul-Lukas Good: Durch meine Funktion bei Swiss Cannabis Research bin ich mit dem ZIS in Kontakt gekommen, als bekannt wurde, dass im Frühjahr im Rahmen des CanGs in Deutschland Projekte möglich werden sollen. Wir haben dann zeitnah mit der Planung begonnen. Bundesweit bedeutet zunächst einmal, dass wir planen, mit verschiedenen Städten in Deutschland zusammen zu arbeiten. Unsere Struktur sieht vor, dass der Verein für die Umsetzung zuständig ist und für die Lieferkette. Die Forschung läuft komplett unabhängig und wird durch das ZIS gewährleistet. Ein wissenschaftlicher Fachbeirat bringt seine Expertise ein. Im Projektbegleitungs-Gremium treffen sich Kommunen und Städte, Lieferketten, der Verein und die Forschung.
“Wir untersuchen dabei die optimale Anzahl an Verkaufsstellen im Spannungsfeld von öffentlicher Sicherheit einerseits und Gesundheit auf der anderen Seite.”
krautinvest.de: Was soll denn genau erforscht werden?
Paul-Lukas Good: Geplant ist ein gesundheitsorientiertes Forschungsprojekt zur Untersuchung der Folgen der Abgabe von Cannabis zum Freizeitkonsum. Wir untersuchen dabei die optimale Anzahl an Verkaufsstellen im Spannungsfeld von öffentlicher Sicherheit einerseits und Gesundheit auf der anderen Seite. Unsere Hypothese lautet, dass mehr Verkaufsstellen den Schwarzmarkt besser zurückdrängen und damit die öffentliche Sicherheit stärken; auf der anderen Seite aber auch die öffentliche Gesundheit beeinträchtigen können. Was ist vor diesem Hintergrund die optimale Anzahl an Verkaufsstellen je 100.000 Personen?
krautinvest.de: Inwiefern beeinträchtigen mehr Verkaufsstellen die öffentliche Gesundheit?
Paul-Lukas Good: Zu viele Verkaufsstellen könnten den Konsum steigern.
krautinvest.de: Wie die Stadt Wiesbaden mitgeteilt hat, sollen dort Apotheken Cannabis als Genussmittel abgeben, in anderen deutschen Städten sollen dies Fachgeschäfte übernehmen. Welche Rolle spielt die Abgabe durch Apotheke verglichen mit Fachgeschäften?
Paul-Lukas Good: Die Forschungsleitung ist agnostisch zur Frage, in welchem Setup die Cannabisprodukte abgegeben werden. In der Schweiz haben wir allerdings gute Erfahrung mit Fachgeschäften gemacht. Meine persönliche Erfahrung ist, die Kunden schätzen Fachgeschäfte mehr als die Apotheke insbesondere wegen der Spezialisierung und umfassenden Beratung. Von Vereinsseite schätzen wir Fachgeschäfte deshalb und wünschen uns, dass es auch in Deutschland Fachgeschäfte gibt.
krautinvest.de: Welche Erkenntnisse konntet ihr in der Schweiz noch gewinnen, die auch für hiesige Pilotprojekte spannend sein könnten?
Paul-Lukas Good: Die meisten Studienteilnehmer in der Schweiz reizen die monatliche Maximalmenge bei weitem nicht aus, sie konsumieren Cannabis als Genussmittel. Die allermeisten Konsument:innen haben ihren Konsum also im Griff. Zudem helfen Pilotprojekte dabei, Konsument:innen bei der Reflektion ihres Konsums zu unterstützen, problematischen Konsum besser zu erkennen und im Bedarfsfall niederschwellig Hilfe anzubieten. Dies alles leistet der Schwarzmarkt nicht. Schlussendlich sehen wir in der Schweiz, dass Konsument:innen neben Fachgeschäften auch das Coffee-Shop-Modell rege nutzen und schätzen.
krautinvest.de: In der Schweiz sind die Pilotprojekte in den Regionen allerdings auf einige hundert oder einige tausend Probanden begrenzt. Diese müssen nachweisen, dass sie bereits vor dem Pilotprojekt Cannabis konsumiert haben und sich registrieren. Ganz anders sieht es in dem “Weed Experiment” in den Niederlanden aus, das nach langer Vorlaufzeit endlich anläuft. Dort können alle Erwachsenen in den partizipieren Coffee Shops legal Cannabis erwerben. Welches Modell ist besser?
Paul-Lukas Good: Zunächst einmal ist es wichtig, zu verstehen, dass die Forschung in Pilotprojekten von einer leistungsfähigen Lieferkette mit breiter Produktpalette abhängig ist, denn nur dann werden sich Konsument:innen für den Einkauf über ein Pilotprojekt entscheiden. Sie haben ja Auswahl: neben Pilotprojekten den medizinischen Markt oder den Schwarzmarkt. Deshalb ist ein Studiendesign wichtig, das es Konsument:innen möglichst einfach macht, am Projekt mitzumachen. Ein solches Modell ist besser als eines mit sehr hohen Hürden.
krautinvest.de: Wann wird denn die erste Abgabe von Cannabis als Genussmittel an Erwachsene in Deutschland im Rahmen des Pilotprojekts erfolgen?
Paul-Lukas Good: Ich gehe davon aus, dass dies noch vor der nächsten Bundestagswahl der Fall sein wird. Wie gesagt: ich kenne keine Partei, die die organisierte Kriminalität nicht zurückdrängen will. Genau dies tun Pilotprojekte.