Konsolidierung im Cannabismarkt? “Die Hochpreisigkeit wird es nicht mehr geben”

by Moritz Förster

Rechtsanwalt Peter Homberg, Partner der Wirtschaftskanzlei Dentons, sprach im Vorfeld der International Cannabis Conference (ICBC) mit krautinvest.de über mögliche Änderungen bei der Verschreibung von medizinischem Cannabis, eine anstehende Marktkonsolidierung, IP-geschützte Applikationsformen, klinische Studien, Cannabis-IPOs, einheitliche EU-weite Regeln für medizinisches Cannabis und vieles mehr.

Key Facts:

  • Die komplexe Erstattungspraxis auf Seiten der GKV wird beibehalten.
  • Ein Weg für Exklusivität eigener Produkte: Applikationsformen patentieren.
  • Klinische Studien: Wir erleben immer wieder Überraschungen erleben – die erforderliche Effektivität kann nicht immer belegt werden. Ein negativer Ausgang kann Auswirkungen auf den Gesamtmarkt haben.
  • In ein bis zwei Jahren sind die ersten deutschen Cannabis-Unternehmen für einen erfolgreichen IPO bereit.
  • Die EU wird zum Anbietermarkt.
  • Wir brauchen einheitliche Standards für medizinisches Cannabis in der EU.

krautinvest.de: Hallo Herr Homberg. Seit März 2017 genießt medizinisches Cannabis eine besondere Stellung in der pharmazeutischen Industrie. Blüten und Cannabis-Extrakte, nicht nur Fertigarzneimittel, dürfen verschrieben werden. Patient:innen müssen chronisch erkrankt und austherapiert sein. Es besteht ein Genehmigungsvorbehalt. Bleibt es auch in den kommenden Jahren bei diesem Prozess?

Peter Homberg: Wir müssen zwei Prozesse betrachten: Erstens die Frage der Erstattung. Und zweitens die Dokumentationspflicht gegenüber dem BfArM: Welchem Patienten wird welche Anwendung mit welchem Erfolg verschrieben?

Ich gehe davon aus, dass die bisherige komplexe Erstattungspraxis auf Seiten der GKV beibehalten wird. Die Kassen wollen sehr genau prüfen, wer Cannabis als Medizin bekommt, um unbedingt zu vermeiden, dass Patienten, die die Voraussetzung nicht erfüllen, Cannabis erhalten. Auch die Dokumentationspflicht wird uns noch eine Weile begleiten, ebenso der grundsätzlich positive therapieoffene Ansatz.

Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass 2017 sehr rasch die gesetzliche Grundlage für Verschreibungen über den Umweg als Rezepturarzneimittel geschaffen wurde. In der Anfangsphase führte das wegen des „Apothekenzuschlags“ für Rezepturarzneimittel zu einer unglaublichen Erstattungshöhe von 20 Euro oder mehr je Gramm. Inzwischen erleben wir bereits eine Preis-Erusion – kaum einer verkauft noch für den Höchstpreis von 9,52 Euro, der seit der neuen Preisverordnung gilt.

krautinvest.de: Im Falle von Cannabisblüten sind Unternehmen nicht incentiviert zu forschen, weil es keine oder kaum Chancen der Patentierbarkeit gibt. In welchen Fällen können forschende Cannabis-Firmen wie ihre IP schützen?

Peter Homberg: Es gibt unterschiedliche Ansätze der Industrie Exklusivität für ihre Produkte zu erlangen. Das geht sicherlich nicht, wenn sie nur Blüten anbauen und vertreiben. Ein Weg ist, Applikationsformen zu patentieren – etwa Inhalationsgeräte oder Pflaster, etc. Natürlich besteht darüber hinaus die Option, Fertigarzneimittel auf den Markt zu bringen. Dies erfordert allerdings umfangreiche klinische Studien, und aus meiner langjährigen Zeit in der pharmazeutischen Industrie weiß ich nur allzu gut, dass wir dabei immer wieder Überraschungen erleben, dass also die erforderliche Effektivität nicht immer belegt werden kann. Zugegeben verhält es sich bei Cannabis etwas anders, schließlich zeigt sich in der Begleiterhebung bereits, dass Cannabis eine positive Wirkung hat. Dennoch besteht die Gefahr, dass eine klinische Studie mit negativem Ausgang für eine Indikation Auswirkungen auf den Gesamtmarkt haben kann.

krautinvest.de: Von was für Investitionskosten sprechen wir dabei?

Peter Homberg: Für eine klinische Studie mit einem Cannabis-Produkt bis Ende der klinischen Phase 2b sind je nach Indikation Summen zwischen 80 und 150 Millionen denkbar. Das ist weniger als bei anderen pharmazeutischen Produkten, da z.B. keine umfangreiche Toxizitäts-Prüfung erforderlich ist. Wir wissen ja bereits: Cannabis ist sicher.

krautinvest.de: Unter anderem um solche Investitionen zu stemmen, schielen bereits einige Cannabis-Firmen auf einen IPO. In Kanada erlebten wir nach einem ersten Hype Kursstürze. Sind deutsche Cannabis-Firmen bereit für den Börsengang?

Peter Homberg: Der IPO ist eine der Varianten, um Kapital für unternehmerische Tätigkeiten einzuwerben. Wenn ich als Unternehmer forschen und wachsen will, brauche ich Kapital. Für einen IPO benötige ich allerdings erstens eine gute und überzeugende Storyline und ich muss zweitens Nachhaltigkeit nachgewiesen haben. Dafür sind Cannabis-Unternehmen in Deutschland zwar auf einem sehr guten Weg, aber noch relativ jung. Ich denke daher, dass in ein bis zwei Jahren die ersten Unternehmen für einen erfolgreichen IPO bereit sind.

Wir haben anderswo auch Unternehmen gesehen, die ohne Nachweis nachhaltigen Gewinns an die Börse gegangen sind – etwa in Kanada. Aus meiner Sicht sollten Unternehmen erst einmal eine gewisse Form der Profitabilität nachweisen, um einen erfolgreichen Börsengang zu bewerkstelligen. Außerdem sollte ein stabiler und nachvollziehbarer Business Plan selbstverständlich sein. Schlussendlich lautet die entscheidende Frage, wie groß die Unternehmen sind und wie viel Kapital sie einsammeln können.

krautinvest.de: Inzwischen tummeln sich um die 100 Großhändler in Deutschland. Sehen wir zukünftig mehr M&A?

Peter Homberg: Sicherlich werden wir eine Konsolidierung im deutschen Markt erleben. Wir werden perspektivisch nicht 30 bis 40 Distributoren für medizinische Cannabisprodukte im deutschen Markt sehen. Zu welchen Preisen die Cannabis-Vertriebsunternehmen verkauft werden, ist schwierig vorherzusagen. Die Hochpreisigkeit aus der Anfangszeit wird es aber aus meiner Sicht nicht mehr geben. Ich denke, dass man da inzwischen Abstriche machen muss und sich auch erst noch zeigen wird, wer bereit ist zu kaufen.

krautinvest.de: Und was wird sich jenseits der Distribution und der Forschung ändern?

Peter Homberg: Wir werden kurzfristig sicherlich in Europa den einen oder anderen Anbieter von Cannabisblüten und Extrakten sehen. Ich denke etwa an Unternehmen aus Portugal, Spanien, Griechenland oder auch Malta. Die EU wird sich daher zum Anbietermarkt wandeln, was zu einem weiteren Druck auf die derzeitigen Preise führen könnte. Es bleibt auch noch abzuwarten, wie sehr das „deutsche Cannabis“ dazu beitragen wird.

krautinvest.de: Stichwort EU. EU weite Cannabis-Programme werden teils für überflüssig erklärt. Unternehmer:innen beklagen wiederum einen regulatorisch stark fragmentierten Markt auf Länderebene. In der EU führt Deutschland mit weitem Abstand. Brauchen wir eigene einheitliche Regeln auf Länder- und EU-Ebene für medizinisches Cannabis?

Peter Homberg: Ganz eindeutig: Ja! Wir brauchen einheitliche Standards sowohl innerhalb der EU als auch auf nationaler Ebene. Im März 2019 wurde dementsprechend eine Resolution des Europäischen Parlaments  bei der Kommission eingereicht, um auf EU-Ebene einen einheitlichen Rahmen für Cannabis zu implementieren. Aktuell arbeitet die Kommission an einer Direktive für die Harmonisierung des europäischen Markts für Cannabis in den europäischen Ländern. Das ist auch dringend erforderlich. Denn alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union handhaben medizinisches Cannabis unterschiedlich, das ist für den europäischen Binnenmarkt sehr ungünstig. Genau deswegen wurde die European Cannabis Association gegründet. Wir setzen uns bei der ECA insbesondere für eine industriefreundliche Harmonisierung ein.

Hinweis: krautinvest.de ist auch in diesem Jahr Medienpartner der ICBC. Unsere Leser erhalten mit dem Code MJUVIPB2B Rabatt für die ICBC (zum Ticket-Shop) und mit dem Code MJUVIPGIF  für das Global Investment Forum (zum Ticket Shop). Auf der ICBC gibt Peter Homberg am Donnerstag, den 26. August, um 9.30 Uhr ein Update über regulatorische Änderungen in Europa und Deutschland hinsichtlich medizinischem Cannabis.

Über Peter Homberg

Peter Homberg ist Partner im Berliner Büro von Dentons. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Life Sciences, IP, Gesellschaftsrecht und M&A-Transaktionen im Life Sciences- und Hightech-Sektor sowie bei F&E- und Kooperationsverträgen, grenzüberschreitenden IP-Lizenzierungen und IP-Strategien. Darüber hinaus verfügt er über umfangreiche Erfahrung in der rechtlichen Beratung zu Compliance-Fragen. Er leitet den deutschen Life-Sciences-Bereich und den Sektor für europäisches Cannabis. Peter berät unter anderem Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Diagnostik, Biotechnologie, Medizinprodukte und medizinischer Cannabis – von Start-ups bis hin zu großen börsennotierten Unternehmen. Darüber hinaus verfügt er über umfassende Transaktionserfahrung in Südostasien. Peter ist Mitglied der Licensing Executive Society (LES), der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) sowie des Pharma-Lizenz-Club Deutschland e.V. Er hält regelmäßig Vorträge auf Seminaren und Konferenzen, ist Autor zahlreicher Fachartikel und sonstiger Veröffentlichungen zum Gesellschafts- und IP-Recht im Bereich der Biowissenschaften und des medizinischen Cannabis.

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