“Eine Abwägung zwischen den Risiken einer Unterregulierung und den Risiken einer Überregulierung”.

Ein Interview mit Adrian Gschwend über das Schweizer Medizinalgesetz und die Pilotprojekte

by Hande Savus

Adrian Gschwend ist Leiter der Sektion Politische Grundlagen und Vollzug im Bundesamt für Gesundheit (Schweiz). Er ist zuständig für den Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes, politische Geschäfte und Rechtsetzung im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik.

Auf der CB Expo, die dieses Jahr im Rahmen der intertabac am 15. und 16. September in Dortmund stattfindet, wird er einer der Referenten sein. Tickets sind noch auf der Seite des Veranstalters verfügbar und die Leserschaft von krautinvest.de erhalten einen Rabattcode von 20 Prozent (cbexpo2023-krautinvest).

Wir haben die Gelegenheit genutzt um zuvor ein paar Fragen an Adrian Gschwend über das Schweizer Medizinal-Gesetz und die Pilotprojekte zu stellen.

krautinvest.de: Könnten Sie uns bitte die gesetzliche Implementierung und Umsetzung von Social -Cannabis- im Rahmen von Pilotprojekten erläutern? Wo sehen Sie mögliche Vergleichspunkte mit den geplanten Cannabis-Clubs in Deutschland und wo liegen die Unterschiede?

Adrian Gschwend: Im Rahmen der Piloversuche mit Cannabis können im Rahmen von wissenschaftlichen Studien verschiedene Vertriebs- und Verkaufsmodelle ausgetestet werden. Das Bundesamt für Gesundheit ist als Bewilligungs-behörde nicht verantwortlich für die Auswahl der Modelle bzw. der Versuche. Diese werden von Dritten initiiert (Unis, Städte u.a.). 

Es gibt bis dato einen Versuch in Zürich, wo Cannabis in sogenannten nicht-gewinnorientierten Social Clubs gekauft und gemeinsam konsumiert werden kann. Und im Kanton Genf gibt es einen Versuch mit einer “Cannabinotheque”, welche von einem Verein mit Unterstützung der betroffenen Gemeinde geführt wird. Die Details der Regelung in Deutschland sind uns noch nicht bekannt. Wir gehen aber davon aus, dass die Cannabis Social Clubs in Deutschland ein Selbstversorgungsmodell sind, wo die Konsumierenden gemeinschaftlich Cannabis zum Zweck des Eigenkonsums produzieren. In den Schweizer Pilotversuchen werden Selbstversorgungsmodelle im engeren Sinn noch nicht ausgetestet. Dies auch deshalb, weil die Anforderungen an die Cannanbisqualität in der Produktion sehr hoch sind und dafür primär spezialisierte, professionelle Produzenten in Frage kommen.

krautinvest.de: Eine gängige Kritik an Pilotprojekten wie “Weed Care” ist die Überregulierung. Wie sehen Sie diese Kritik? Weicht eine starke Regulierung der Projekte von einer möglichen Konsumerrealität  ab? 

Adrian Gschwend: Die Regelung eines legalen Zugangs zu Cannabis zu Genusszwecken ist immer eine Abwägung zwischen den Risiken einer Unterregulierung und den Risiken einer Überregulierung. Wenn die Regeln zu lasch sind, ist die Gefahr gross, dass gerade der problematische Konsum deutlich ansteigt. Ein Ruf nach Verboten wird dann sehr schnell wieder laut. Wenn die Regeln zu streng sind, besteht die Gefahr, dass der Schwarzmarkt bestehen bleibt. Die Regelung im Rahmen der Pilotversuche ist zwar streng, was den Gesundheitsschutz, den Jugendschutz und die Produktqualität anbelangt. Es können jedoch sehr viele Modelle ausgetestet werden, von nicht-gewinnorientierten Modellen der Selbstorganisation der Konsumierenden bis zu Modellen des kommerziellen Verkaufs. Der Rahmen für die Pilotversuche orientiert sich an den Anforderungen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit und ist Ergebnis des politischen Aushandlungsprozesses im Parlament. 

krautinvest.de: Im August 2002 gab es eine Änderung im Betäubungsmittelgesetz, die medizinischen Einsatz von Cannabis erlaubt bzw. der Zugang zu medizinischem Cannabis erleichtert. Was hat sich seitdem verändert und spiegelt sich diese Änderung auch in der praktischen Umsetzung wider? Was sagen die Ergebnisse der Begleitdatenerhebung nach einem Jahr?

Adrian Gschwend: Mit der Aufhebung des Verbots von Cannabis zu medizinischen Zwecken wurde der Umgang mit Cannabisarzneimitteln erleichtert. THC-haltige Arzneimittel unterstehen zwar immer noch wie andere beschränkt verkehrsfähige Betäubungsmittel den betäubungsmittelrechtlichen Kontrollen von Swissmedic. Es braucht für deren Verschreibung keine Ausnahmebewilligung des BAG mehr. Mit der Aufhebung des Verbots fällt auch das entsprechende Stigma weg, der Umgang mit Cannabis zu medizinischen Zwecken wurde normalisiert. Damit fallen auch gewisse Vorbehalte in der Ärzteschaft weg. Ungelöst ist die Frage der Vergütung solcher Präparate. Es fehlt an Wirksamkeitsnachweisen, die von den Herstellern erbracht werden müssten. Solange die nicht vorliegen, bleiben Cannabisarzneimittel eine Nischenanwendung.

Die begleitende Datenerhebung wurde mit der Inkraftsetzung der Gesetzesänderung am 1. August 2022 gestartet. Derzeit sind die vorliegenden Daten für Schlussfolgerungen noch nicht ausreichend. Das erste Mal ausgewertet werden die Daten nach einem Jahr. Im Unterschied zu der Erhebung in Deutschland werden die Wirkungen der Verschreibung von Cannabisarzneimitteln in der Schweizer Erhebung bei jedem Patienten während zwei Jahren nachverfolgt. Es können folglich Verläufe untersucht werden.

krautinvest.de: Das Schweizer Heroin-Modell, bei dem Suchtkranke medizinisches Heroin vom Staat erhalten, wurde 1990 eingeführt und gilt heute als erfolgreich. Wie schätzen Sie die Chancen für eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes bezüglich medizinischem Cannabis sowie für Pilotprojekte ein- werden diese Modell ähnlich erfolgreich?

Adrian Gschwend: Bei der heroingestützten Behandlung geht es um die Versorgung von stark abhängigen, suchtkranken Personen. Bei den Pilotversuchen werden Auswirkungen nicht nur auf abhängige Personen untersucht, sondern auch auf Personen, die nur gelegentlich konsumieren. Die Gemeinsamkeit der beiden Ansätze ist, dass mittels konkreten, wissenschaftlich begleiteten Versuchen die Suchtpolitik evidenzbasiert weiterentwickelt wird. Mit den Pilotversuchen kann die Diskussion um die Regelung von Cannabis auf eine sachliche Ebene gehoben werden. Sie bieten konkretes Anschauungsmaterial, was funktioniert und was nicht funktioniert. Damit haben sie das Potenzial, die Cannabispolitik nicht nur in der Schweiz, sondern auch international in eine neue Richtung zu lenken. 

krautinvest.de: Angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem deutschen Markt und der Legalisierungsdebatte, was raten Sie Ihren Kollegen in Deutschland?

Adrian Gschwend: Die deutsche Regierung hat angesichts der Widerstände auf europäischer Ebene eine weise Entscheidung gefällt: In einem ersten Schritt soll nun rasch der Konsum, der Besitz zum Eigenkonsum und die individuelle und kollektive Selbstversorgung legalisiert werden. Das ist eine Regelung, die bedeutend weniger komplex ist als die Regelung eines kommerziellen Cannabismarktes inklusive professioneller Produktion, Handel und Verkauf von Cannabis und sich entsprechend rasch umsetzen lässt. Die Konsumierenden werden damit auf die schnellstmögliche Weise entkriminalisiert. Gleichzeitig soll es – sehr ähnlich wie in der Schweiz mit den Pilotversuchen – in gewissen Regionen Modellversuche mit weitergehenden Regelungen geben. Gestützt darauf können die deutschen Behörden in einem zweiten Schritt falls sinnvoll eine umfassendere Regelung initiieren. Falls die Versuche erfolgreich ist, lässt sich eine Neuregelung auch besser gegenüber der EU und den UN-Behörden rechtfertigen. Das entspricht aus der Erfahrung der Schweizer Drogenpolitik einem evidenzbasierten und pragmatischen Weg, der auch nachhaltig erfolgversprechend ist. Entsprechend brauchen wir unseren deutschen Kollegen keinen Rat zu erteilen.

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