Alfredo Pascual: mit Argusaugen in die Glaskugel blicken

by Moritz Förster

Seit 2018 hat er als Journalist bei MJ Business Daily die Unternehmern der Cannabis-Industrie kritisch begleitet. Prognosen und Versprechen auf Herz und Nieren geprüft. Statt in die Glaskugel zu blicken, echte Umsatzentwicklungen für seine Analysen zugrunde gelegt: Alfredo Pascual verfügte über so viel Expertise wie nur wenige Cannabis-Journalisten weltweit. Das Präteritum gilt wohlgemerkt nur für seine Berufsbezeichnung. Im April wechselte Alfredo die Seiten. Bei der Investmentgesellschaft FastForward Innovations ist er nun mitten drin im unternehmerischen Geschehen, statt medialer Beobachter an der Seitenlinie.

In unserem Steckbrief mit den herausragenden Persönlichkeiten der europäischen Cannabis-Industrie kritisiert Alfredo die anfängliche “Propaganda” der Industrie, freut sich aber auch, dass sich der Diskurs von imaginären Märkten hin zu echten Problemen verlagert hat. Sein großes Ziel als Vice President of Investment Analysis für die nächsten drei Jahr: Dazu beizutragen, dass FastForward Innovations als der Cannabis-Investmenfonds Europas anerkannt wird. Dafür muss ihm nun das Kunststück gelingen, die “imaginären” von den “realisierbaren” Geschäftsmodellen zu differenzieren. Rein evidenzbasiert geht das nicht, denn besonders spannend sind innovative Unternehmen, die es in dieser Form nicht gibt – und diese Zukunft muss er fortan prognostizieren.

krautinvest.de: Wann hast Du zum ersten Mal gedacht: “Mensch, ich muss in der legalen Cannabisindustrie aktiv werden!”? Was hat dich veranlasst, voll und ganz in die Cannabis-Industrie einzusteigen?

Alfredo: Ende 2016 habe ich in Deutschland angefangen, in der Cannabisbranche zu arbeiten, unmittelbar nach meinem Master in Public Policy. Als Student war ich von der Reform der Drogenpolitik fasziniert. Da ich ursprünglich aus Uruguay stamme, war ich mit der dortigen “vollständigen” Legalisierung ab 2013 vertraut. Ende 2016 wusste ich, dass Deutschland im Begriff war, den Zugang zu medizinischem Cannabis durch das sogenannte Cannabisgesetz neu zu regeln und zu erweitern. Ich zählte eins und eins zusammen und erkannte die Gelegenheit, Teil der entstehenden internationalen Cannabisindustrie zu werden.

krautinvest.de: Rückblickend auf die vergangenen Jahre in der Industrie: Was sind bisher für dich persönlich deine Highlights?

Alfredo: Vor ein paar Jahren waren öffentliche Informationen über die Cannabisindustrie jenseits Nordamerikas überwiegend Propaganda. Sie waren nützlich, um die Aufmerksamkeit von ungebildeten Investoren zu erregen, aber von geringem Wert für unternehmerische Entscheidungen. Es war auch eine tickende Bombe, die zu viel versprach und zu wenig lieferte. 2018 hatte ich die Chance, mich MJBizDaily anzuschließen, einer Plattform, die es mir ermöglichte, realistische Geschäftseinblicke zu geben, um Unternehmen zu helfen, die aktuelle Markt- und Regulierungssituation zu verstehen. Einigen in der Branche gefiel es nicht, als sie sahen, dass ich anfing, aktuelle Umsatzzahlen zu veröffentlichen, anstatt rosige, 10-Jahres-Gazillion-Marktprognosen. Aber ich denke, die meisten haben verstanden, dass wir, wenn wir jemals in diese vielversprechende Zukunft kommen wollen, zuerst die Gegenwart verstehen und viele Engpässe lösen müssen. Jetzt im Jahr 2021 bin ich froh, dass sich das Gespräch über das Cannabisgeschäft in Europa weitgehend von diesen langfristigen Projektionen imaginärer Märkte auf das verlagert hat, was heute passiert und was wir tun sollten, um den Zugang zu medizinischem Cannabis für Patienten zu erweitern.

“Das Wichtigste ist die Mainstreamisierung”

krautinvest.de: Und was sind Deiner Meinung nach die wichtigsten bisherigen Entwicklungen und Ereignisse in der Cannabis-Industrie der letzten fünf Jahre?

Alfredo: Ich könnte die üblichen großen regulatorischen Änderungen erwähnen, aber ich denke, das Wichtigste, was in den letzten fünf Jahren in der Cannabisbranche passiert ist, ist ihre allmähliche, immer noch andauernde “Mainstreamisierung”.

krautinvest.de: Zwischen internationalen Märkten und Schattenwirtschaft: Woran entscheidet sich Deiner Meinung nach, ob die europäische Cannabis-Industrie durchstartet?

Alfredo: Ärzte:innen werden oft als “Gatekeeper” dafür verantwortlich gemacht, dass die medizinische Cannabisindustrie nicht schnell genug wächst. Entsprechend oft lese ich auf Fragen wie diese, von Forderungen, dass wir Ärzte:innen aufklären müssen. Es ist eine einfache Antwort und wer würde dem nicht zustimmen? Ich vertrete hier allerdings eine entgegengesetzte Position: Ich glaube nicht, dass wir Ärzte in einem einseitigen Prozess ausbilden müssen. Es ist zu arrogant, davon auszugehen, dass wir die Wahrheit kennen und dass wir diese einfach an unwissende Ärzte vermitteln müssen. Wir können nicht erwarten, dass Ärzte:innen uns ernst nehmen, wenn wir nicht zuerst über die Demut und die Fähigkeit verfügen, ihre Sichtweise zu verstehen. Fangen wir also zunächst damit an, Ärzte:innen besser zu verstehen, bevor wir ihnen Dinge über das Endocannabinoid-System an den Kopf werfen.

krautinvest.de: Wie kann die Industrie dazu beitragen, dass Wachstum anhält und Cannabis sich als nachhaltige Wirtschaft etabliert?

Alfredo: In der medizinischen Cannabisbranche sollten sich Unternehmer:innen zunächst die Frage stellen: “Was verlangen Patienten:innen, Ärzte:innen oder andere Unternehmen der Branche?” Erst wenn diese Frage beantwortet ist, sollten sie sich die Frage stellen: “Was kann ich produzieren?” Zu oft sehe ich Unternehmen, die mit der letzteren Frage beginnen.

krautinvest.de: Was sind Deine unternehmerischen Ziele in Sachen Cannabis in den nächsten drei Jahren?

Alfredo: Dass FastForward Innovations als der Cannabis-Investmentfonds in Europa anerkannt wird.

krautinvest.de: Welcher Markt/ welches Thema ist in Sachen Cannabis Deiner Meinung nach aktuell am spannendsten? Warum?

Alfredo: Die Bundestagswahl 2021 und die Aussichten auf eine Recreational-Legalisierung in Deutschland oder zumindest einen besseren medizinischen Markt.

krautinvest.de: Welches Buch legst Du allen Cannabis-Unternehmern als Pflichtlektüre ans Herz?

Alfredo: The Lean Startup.

krautinvest.de: Beschreibe Dich in drei Adjektiven, die dich am besten charakterisieren:

Alfredo: Jeder, der diese Frage öffentlich beantwortet, sollte als eines der drei Adjektive auch “eitel” nennen;)

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