Was bedeutet der EU-weit einheitliche THC-Höchstwert in Hanfsamenprodukten?

by Lisa Haag
Dr. Dirk Lachenmeier vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Karlsruhe (CVUKA) über die Konsequenzen des EU-weit angekündigten THC-Höchstwerts

Das Interesse von Verbraucher:innen an hanfhaltigen Lebensmitteln wächst kontinuierlich. Laut einer 2020 durchgeführten Untersuchung müssen allerdings viele Produkte aufgrund der enthaltenen Menge an THC als nicht sicher für den menschlichen Verzehr eingestuft werden – eine Einstufung, die auf der akuten Referenzdosis (ARfD) von 1 µg THC pro Kilogramm Körpergewicht beruht. Ein THC-haltiges Lebensmittel gilt demnach als gesundheitsschädlich, wenn die niedrigste Dosis mit toxischem Effekt, der LOAEL (lowest observed adverse effect level), überschritten wird. Der LOAEL von THC entspricht laut der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) einer Dosis von 2,5 mg täglich

Nun wird es für Lebensmittel aus Hanfsamen bald EU-weit verbindliche THC-Grenzen geben. Nach einer Stellungnahme des Ständigen Lebensmittelausschusses hat die europäische Kommission auf Basis der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 Höchstwerte für THC in Lebensmitteln aus Hanfsamen festgelegt: 3,0 mg/kg für Trockenprodukte (Mehl, Proteine, Samen) und 7,5 mg/kg für Hanfsamenöl (krautinvest.de berichtete). Die Vereinheitlichung ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings bleibt weiterhin offen, was für andere hanfhaltige Lebensmittel (z.B. aus Hanfblüten oder -blättern) gilt. 

krautinvest.de: Guten Tag Dr. Lachenmeier. Kommen wir gleich zum Thema. Die EU hat THC -Höchstwerte angekündigt. Sehen Sie darin eine Verbesserung oder Verschlechterung?

Dirk Lachenmeier: Es ist eine ganz klare Verbesserung. Persönlich habe ich mich seit über 20 Jahren für derartige Höchstwerte eingesetzt. Eine solche EU-weit klare und eindeutige Regel ist dem bisherigen nationalen Flickenteppich grundsätzlich zu bevorzugen und schafft einheitliche Standards sowohl für die Lebensmittelindustrie als auch die amtliche Überwachung. 

Sobald THC in den Anhang der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln aufgenommen wurde, dürfen Lebensmittel in der gesamten EU nicht mehr in den Verkehr gebracht werden, wenn sie diesen Höchstgehalt überschreiten.

Aus meiner Sicht entsprechen die Höchstwerte einem Kompromiss zwischen dem Anspruch an ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes, und den lebensmitteltechnologischen Möglichkeiten, Kontaminanten auf so niedrige Werte zu begrenzen, wie sie durch gute Praxis sinnvoll erreicht werden können. Im Bereich der Hanfsamen haben wir in der Anwendungspraxis der ehemaligen Richtwerte des BgVV, die etwas niedriger lagen als die angekündigten EU-Höchstwerte, seit der Jahrtausendwende nur in wenigen Einzelfällen Probleme gehabt. Bei sorgfältiger Erntetechnologie scheint es mir daher kein Problem zu sein, die Höchstwerte einzuhalten. Die amtliche Überwachung wird diesen Bereich auch nach Einführung der Höchstwerte mit großer Aufmerksamkeit weiter beobachten.

krautinvest.de: Gilt die Aktualisierung denn bereits bzw. ab wann ist mit einem Inkrafttreten zu rechnen?

Dirk Lachenmeier: Die Veröffentlichung der Aktualisierung wurde nach Informationen von Wirtschaftskreisen angekündigt. Leider liegen mir keine Erkenntnisse zum Veröffentlichungstermin der EU-Kommission vor. 

 

Update: Seit dem 11. August 2022 gilt die neue Commission Regulation (EU) 2022/1393 

 

krautinvest.de: Betrifft der THC-Höchstwert auch THCA? Inwiefern wird hieraus ein Gesamtwert gebildet?

Dirk Lachenmeier: Ja. Der Höchstgehalt bezieht sich auf die Summe von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC) und Delta-9-Tetrahydrocannabinolsäure (Δ9-THCA), ausgedrückt als Δ9-THC.  Auf den Gehalt an Δ9-THCA wird ein Faktor von 0,877 angewandt, und der Höchstgehalt entspricht somit der Summe von Δ9-THC + 0,877 x Δ9-THCA.  

krautinvest.de: Betrifft der THC-Höchstwert alle Zutaten aus Hanf?

Dirk Lachenmeier: Nein, die aktuell vorgeschlagenen Höchstwerte der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 betreffen nur Erzeugnisse, die THC als Kontaminante enthalten. Das sind von den Hanfsamen abgeleitete Erzeugnisse, d.h. Hanfsamen als solche, gemahlene Hanfsamen, entfettete oder teilweise entfettete Hanfsamen und andere aus Hanfsamen gewonnene Erzeugnisse sowie Hanfsamenöl. Der Hanfsamen ist grundsätzlich zunächst cannabinoidfrei und wird erst bei der Ernte mit Cannabinoiden aus den Blättern und Blüten in mehr oder weniger hohen Anteilen kontaminiert, je nachdem mit welcher Sorgfalt die Prozessierung erfolgt. THC wird den Hanfsamenprodukten somit nicht absichtlich hinzugefügt, sondern ist ein Rückstand, der durch die Behandlungsmethoden im Ackerbau bedingt ist, und entspricht somit der Definition eines Kontaminanten in der Verordnung (EWG) Nr. 315/93 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln.

In anderen Hanfprodukten, wie beispielsweise Tees aus Blättern oder Blüten, aber auch in Gesamthanfextrakten, die die Grundlage für viele CBD-Produkte wie CBD-Öle liefern, liegen die Cannabinoide dagegen nicht als Kontaminante vor, sondern sind bereits natürlich vorhanden oder werden den Lebensmitteln absichtlich hinzugefügt, zum Beispiel um einen bestimmten CBD-Gehalt einzustellen. Für diese Produkte sind daher nach meinem Kenntnisstand derzeit keine Höchstgehalte vorgeschlagen worden. Es ist zu erwarten, dass Höchstgehalte für THC in den Spezifikationen der Novel-Food-Zulassungen für CBD-Produkte implementiert werden, sofern diese positiv von der EFSA und der EU-Kommission beschieden werden.

krautinvest.de: Inwiefern hebelt der neu angestrebte THC-Höchstwert aktuelle Urteile aus (z.B. VGH Bayern zu LOAEL)?

Dirk Lachenmeier: Die aktuellen Urteile betrafen ausschließlich CBD-Produkte und in keinem Fall Hanfsamenprodukte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Blüten, Blätter und Extrakte teilweise die 100-1000fachen Gehalte an THC haben als die Samen. Insofern ist lediglich bei diesen Materialien in Einzelfällen eine gesundheitsschädlich hohe THC-Aufnahme zu erwarten, die die Schwelle des LOAEL (lowest observed adverse effect level) überschreitet. Insofern haben die neuen Höchstwerte für diesen Produktbereich keinerlei Auswirkung. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 9.3.2022, 9 S 3426/21) unsere gutachterlichen Bewertungen kürzlich vollumfänglich bestätigt hat. Sofern nachvollziehbar dargelegt wird, dass der festgestellte THC-Gehalt eines Lebensmittels den von der EFSA 2015 ausgegebenen LOAEL-Wert (2,5 mg) überschreitet, ist es wegen seines Gehalts an THC gesundheitsschädlich und deshalb nicht sicher (Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a BasisVO) und darf somit nicht in den Verkehr gebracht werden.

Diese horizontale lebensmittelrechtliche Regelung wäre im Übrigen auch bei Hanfsamenprodukten anzuwenden, wenn diese die THC Höchstwerte soweit überschreiten, dass gleichzeitig der LOAEL überschritten wäre.

Insofern ist die kurze Antwort „nein“. Die neue Regelung hebelt die aktuellen Urteile nicht aus.

krautinvest.de: Inwiefern spielen Messunsicherheiten eine Rolle? Sollte es auch eine klare Vorgabe an das angewandte Messverfahren geben?

Dirk Lachenmeier: Die Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 macht keine spezifischen Vorgaben zu Analysenverfahren und Messunsicherheiten. Neben den allgemeinen horizontalen Regelungen zu Analysenmethoden, Validierung und Akkreditierung in der Lebensmittelkontrolle gibt es aber die Empfehlung (EU) 2016/2115 zum Monitoring von Δ9-Tetrahydrocannabinol, seinen Vorläufern und anderen Cannabinoiden in Lebensmitteln. Danach sollte als Analysemethode für das Monitoring vorzugsweise die chromatografische Trennung in Verbindung mit Massenspektrometrie (LC-MS oder GC-MS) im Anschluss an eine angemessene Reinigung (flüssig-flüssig (LLE) oder Festphasenextraktion (SPE)) herangezogen werden. Vorzuziehen sind chromatografische Verfahren, die die Bestimmung von Δ9-THC, seinen Vorläufern und anderen Cannabinoiden in Hanf enthaltenden Lebensmitteln getrennt ermöglichen.

Die Methoden sind ausgereift und in den amtlichen Laboren etabliert und liefern eine sehr gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse, wie ein aktueller Ringversuch der Government Chemists gezeigt hat, an dem sich auch unser Haus erfolgreich beteiligt hat.

Problematisch sind nur Labore, die teilweise noch unspezifische und unempfindliche Methoden wie GC-FID oder HPLC-DAD einsetzen, und damit überhaupt nicht die Nachweisempfindlichkeit erreichen, die notwendig ist, um die Höchstwerte von THC zu überprüfen. Solche Analysen sehe ich leider immer wieder bei meinen Kontrollen. Hier verkaufen Labore unzureichende Analysen und geben negative Ergebnisse mit hoher Nachweisgrenze aus (z.B. als „n.n. <0,3% THC“). Mit einem derartigen Ergebnis sollten sich Produzenten nicht zufriedengeben. Die Nachweisgrenze des Labors sollte optimaler Weise um den Faktor 10 niedriger als der Grenzwert sein (d.h. bei einer Höchstmenge von 3 mg/kg sollte die Nachweisgrenze im Bereich 0.3 mg/kg liegen, was 0,00003% entspricht).

krautinvest.de: Herzlichen Dank für den Einblick. 

Über Dr. Dirk Lachenmeier:

Dr. Dirk Lachenmeier ist als Lebensmittelchemiker und Toxikologe in der amtlichen Lebensmittelüberwachung am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe tätig. Er ist Experte auf dem Gebiet pflanzlicher Lebensmittel, wobei der Arbeitsschwerpunkt im Bereich NMR-Analytik sowie den Produktbereichen Cannabis und Kaffee liegt. Er hat über 400 Publikationen auf dem Gebiet verfasst.

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