G-BA Beschluss: Dunkle Aussichten für Cannabis-Patient:innen

Ein Gastbeitrag von Gero Kohlhaas

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Gero Kohlhaas

Ende Oktober veröffentlichte der Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) seine Vorschläge für die Integration von Cannabisarzneimitteln in die Regelversorgung der Krankenkassen. Sachverständige, Unternehmen, Berufsverbände und Dachverbände sind dazu eingeladen, bis zum 30. November Stellungnahmen zum Papier einzureichen. Für Cannabis-Patient:innen und solche, die es werden möchten, könnte es eng werden.

Cannabismedizin (insbesondere in Form von Blüten) würde nach diesen Plänen nach wie vor eine Nachfragearznei bleiben, ein Mittel also, welches vor allem Patienten nachfragen, die damit bereits gute symptomenlindernde Erfahrungen gemacht haben. Es wird nirgends als gleichwertige Therapie-Option empfohlen und  Hausärzte sollen nur noch im Ausnahmefall verordnen können.

Patienten haben sich für die Zukunft von politischer Seite zum Beispiel die Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts erhofft, oder zumindest eine Prüfung durch die Kasse, die das Gesetz nicht ad absurdum führt und die Patient:innen scharenweise vor die Sozialgerichte treibt. Die Vorschläge des G-BA geben den Krankenkassen im Falle der Umsetzung jedoch eine Grundlage für mehr Ablehnungen bei gestärktem Genehmigungsvorbehalt. Zwar ist seit 2016 bekannt, dass der G-BA nachschärfen möchte. Dass die Situation sich für Patienten, sollte es nach den Plänen des G-BA gehen, dermaßen verschlechtern würde, wirkt trotzdem aus der Zeit gefallen. Eine angemessene Versorgung und Schaffung von echter Evidenz rückt damit in weite Ferne.

Die mangelhafte Begleiterhebeung stellt ironischerweise weitestgehend keine Basis für die Vorschläge des G-BA dar, lässt man zum Beispiel die Diskriminierung von Cannabisblüten und Hausärzten zu.  Eine der wenigen klaren Erkenntnisse aus der Begleiterhebung ist, dass die Therapie mit Blüten tendenziell besser vertragen wird (weniger Abbrüche und Nebenwirkungen) und auch die Wirksamkeit war deutlich besser als die von Standardpräparaten. Einzig die Dosierung war bei Blüten deutlich höher was aber daran liegen kann das die monatliche Verschreibungshöchstmenge bei Blüten 100 mal so hoch ist wie bei Extrakten.

Einzig zu begrüßen wäre, dass eine vom G-BA vorgesehene Veränderung Verbesserungen für tödlich erkrankte Patienten bringen würde, da für diese Patientengruppe dann statt einer bereits jetzt verkürzten Entscheidungszeit gar keine Genehmigung der Krankenkassen mehr vorliegen müsste. 

Rückschritt: Cannabis als Mittel der letzten Wahl

Die übrigen Änderungsvorschläge würden die Situation für Patienten in eine katastrophale(re) Richtung lenken, die gerade ältere Cannabispatienten gut kennen: Geforderte Austherapiertheit würde wieder allgemeiner Standard. Der medizinische Dienst der Krankenkassen, der jetzt schon trotz anderer Gesetzeslage gern auf weitestgehender Austherapiertheit besteht, würde sich freuen. Denn die Situation soll für Patienten dahingehend weiter verschärft werden, dass allgemein anerkannte Leistungen zunächst erfolglos durchgeführt werden müssen. Cannabis würde so nicht mehr nur zu einem Mittel der zweiten Wahl, sondern wieder zu einem Mittel der letzten Wahl gemacht werden. Bestenfalls schwerst- bis tödlich Erkrankten soll Cannabismedizin, möglichst nicht in Blütenform, zur Verfügung stehen. 

Es  ist zu erwarten, dass aufgrund eines bereits in der Begleiterhebung unterstellten und vom G-BA argumentativ übernommenen Missbrauchspotentials und anderen Fehlzuschreibungen, wie zum Beispiel zu schneller Anflutung, die Bereitschaft zur Unterstützung einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln, gerade mit Blüten, sinken würde. Speziell für die Verordnung von Cannabisblüten sollen nach dem Willen des G-BA zukünftig  besondere Voraussetzungen gelten, die Notwendigkeit, sie zu verordnen, soll im Gegensatz zu einem Fertigpräparat besonders begründet werden. Einzig wenn beispielsweise die inhalative Anwendungen von Extrakten nicht ausreichend sei, sieht der G-BA die Verordnung von Blüten als erforderlich an. 

Auch hierüber dürfte sich der Medizinische Dienst der Krankenkassen freuen, denn bereits jetzt wird ein Großteil der Anträge auf Kostenübernahme abgelehnt. Anders als vom Gesetzgeber im Cannabis-als-Medizin Gesetz ursprünglich vorgesehen, in welchem von Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen die Rede ist. 

Aus diesem Grunde ist es besonders frappierend, dass der G-BA eine Streichung genau dieses Passus „Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung (… ) einer  “nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnende(n) Genehmigung der Krankenkasse“ vorschlägt. Schon jetzt wird dem Gesetz die Ablehnungspraxis des MDK nicht gerecht, für die Zukunft soll die verletzte Rechtsgrundlage ganz gestrichen werden.

Rechtfertigungsdruck gefährdet die Patientenversorgung

Aufgrund mit mehr Begründungs- und letztendlichen Rechtfertigungsdruck einhergehenden höheren Dokumentationsanforderungen an verschreibende Ärztinnen Uhr Ärzten ist davon auszugehen, dass die ärztliche Bereitschaft zur Behandlung mit Cannabisarzneimitteln durch solche Erschwernisse sinken wird. Obwohl eine Steigerung der ärztlichen Verschreibungsbereitschaft nötig ist, denn zu viele Patient:innen sind noch un- und unterversorgt. 

Cannabispatient:innen haben jetzt bereits Schwierigkeiten, verschreibende Ärzte zu finden, die vorgeschlagenen Änderungen würden diese Situation ganz klar verschärfen: Die Angst vor Regress, die Anforderung an die Dokumentation, der nötige Arbeitsaufwand – dazu das Stigma, dem Ärzte, die Cannabismedizin verschreiben, bereits jetzt ausgesetzt sind.

Geplant ist eine Verschärfung hinsichtlich des ärztlichen Arbeitsaufkommens, dazu gehören eine besondere Begründung, Konkretisierung auf die Nutzung von Blüten oder Extrakten, besondere Verschreibungsanforderungen für die einfach anzuwendenden Blüten. Aus Patientensicht ist dies eine der vielen Absurditäten, da begründbare Einschätzungen von Ärzten doch für jede Verschreibung eines Arzneimittels erforderlich sein sollen. Die bereits vorliegende Sonderregelung, dass Ärzte die Verschreibung in einem genehmigungspflichtigen Antrag begründen müssen, stellt für Patienten und Ärzte bereits nun eine viel zu hohe Hürde dar.

Antragspflicht bei Sortenwechsel bzw. bei Wechsel der Darreichungsform gefährdet den Therapieerfolg

Noch dazu würde unterteilt zwischen THC-dominanten, ausgewogenen und CBD-dominanten Cannabisblüten – um von einer in eine andere Klasse wechseln zu können, wäre nach dem Ansinnen des G-BA eine erneute Genehmigung seitens der Krankenkasse nötig. 

Dieser Punkt widerspricht der Erfahrungspraxis vieler Patienten, als auch der Behandlungspraxis von Ärzten: Nicht wenige Cannabispatient:innen müssen Extrakte und Medizinalhanfsorten aus verschiedenen Spektren erproben, bis Präparate gefunden werden, auf die ihre Leiden gut ansprechen. Viele Cannabispatient:innen bekommen Sorten aus den verschiedenen Spektren verordnet, zwischen denen das G-BA mit harter Konsequenz unterscheiden will. 

Und die vom G-BA offenbar bevorzugten Cannabisfertigarzneimittel erweisen sich leider allzu oft als unverträglich – im Gegensatz zu Cannabisblüten, zu denen viele Patienten aus diesem Grund wechseln. Auch stellen Cannabisblüten die gemessen am Wirkstoffgehalt meist günstigere Therapieoption dar. 

Es müssten dem G-BA zufolge zukünftig also gleich mehrere Anträge pro Patient:in gestellt werden. Auch dies bedeutet wieder vermehrte Antragsarbeit für Arzt und Patient. Es würde auch den bürokratischen Aufwand der Krankenkassen erhöhen – und eine starke Gefährdung für den Therapieerfolg darstellen, wenn zum Beispiel nur eines von zwei Präparaten,  die sich ergänzen sollen,  genehmigt wird. 

Es geht noch komplizierter: Hausärzte brauchen nun “fachärztliche Supervision”

Zukünftig sollen bezogen auf “jeweils einschlägige Grunderkrankungen” nur Ärzte mit Facharzt-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen, sowie solche in einer Ausbildung, Cannabis verordnen dürfen. Hausärzten würde die Verschreibung von Cannabismedizin nicht allein und nur in einem Tandem mit einem (passenden) Facharzt gestattet sein: Es ist auch zu sagen, dass Patienten die Cannabis als Medizin nutzen, meist an diversen Krankheiten und Symptomen leiden welche alle ein wenig gelindert werden durch Cannabis. Hier ist der Hausarzt der, bei dem die Stricke zusammen laufen und der den besten Überblick haben sollte, welche Therapien und Maßnahmen denn angebracht wären und welche nicht – und die sollen jetzt aus der Entscheidung genommen werden. Wenn sie “sicherstellen” (sic!), dass sich der Patient “zu Beginn der Behandlung und mindestens einmal im Halbjahr” im Rahmen einer Konsiliarbehandlung einem die Anforderungen erfüllenden Arzt vorstellt. 

Dies ergibt angesichts generell  bestehender Versorgungslücken, Disparitäten zwischen ländlichen Gebieten und Ballungsräumen und eines sich verschärfenden Fachärztemangels keinerlei Sinn. Das sind nur wenige hier angeführte Gründe, nach gegen eine solche Verkomplizierung sprechenden Fakten muss nicht lange gesucht werden. Nicht nur bilden Hausärzte einen großen Teil der verschreibenden Ärzteschaft dar, sie kennen die oft chronisch Kranken meist auch am besten und erfüllen eine wichtige Lotsenfunktion im Gesundheitswesen.

Aus Sicht eines Cannabispatienten ist es im Gegenteil wünschenswert, dass es mehr verschreibende Hausärzte gibt. Nicht wenige Patienten sind dazu gezwungen, große Strecken zu verschreibenden Ärzten und Kliniken zurückzulegen, weil Hausärzte bereits jetzt den Regress oft fürchten. Wohnortnahe Versorgung durch Hausärzte ist in jedem Fall erstrebenswert – die vom G-BA vorgeschlagenen Änderungen stellen durch die Verkomplizierung der Verordnungsfähigkeit von Hausärzten eine deutliche Verschlechterung des jetzigen Zustandes dar.

Indikationsfreie Verordnung adé

Während in den letzten Jahren Krankenkassen und ihre medizinischen Dienste entgegen der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers Indikationskataloge für eine Behandlung mit Cannabismedizin schufen, die eigentlich nicht existieren sollten, nimmt der G-BA diese Praxis auf und definiert Grunderkrankungen und Diagnosen, die einer Behandlung zugrunde liegen sollten.  

Patienten, die bereits mit Cannabisblüten therapiert werden und solche, die eine Behandlung für sich oder ihre Familienmitglieder anstreben, haben gute Gründe, vorsichtig zu sein, noch mehr Gründe, um aktiv zu werden und sich für Verbesserungen des Status Quo einzusetzen – und gegen diese beabsichtigten eindeutigen Verschlechterungen. Einen negativen Abfall vom jetzigen verbesserungsbedürftigen Zustand darf es nicht geben. 

 

Über den Autor:

Gero Kohlhaas ist Cannabispatient und Soziologe, Sprecher des Patientenverbandes SCM, setzt sich für deutsche Cannabispatienten  als Country Representative im IACM Patient Council ein und ist Vorstandmitglied der ACM e.V.

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