Die neuen Preisregelungen für Apotheken – eine Erläuterung

by Gastautor

Die lang angekündigte Preisregelung für Medizinal-Cannabis in Deutschland ist da. Doch was genau verbirgt sich hinter der neuen Cannabis-Preisregelung, welche zwischen GKV-Spitzenverband (Vertretung der Krankenkassen) und ABDA (Vertretung der Apotheker) in Deutschland ausgehandelt wurde? Welche Auswirkungen auf den deutschen Cannabismarkt sind zu erwarten? Spoiler Alert. Die Antwort lautet 9,52€ pro Gramm.

Ein Gastbeitrag von Dr. Alessandro Rossoni

Stark vereinfacht. Der Steuerzahler finanziert das deutsche Gesundheitssystem. Daher liegt es im Interesse des Steuerzahlers – in unserem Interesse – das Gesundheitssystem so effizient wie möglich zu gestalten. Neben einer qualitativen Behandlung und einer guten Versorgung der Bevölkerung spielen daher die Kosten des Systems eine wichtige Rolle.

Die neue Preisregelung verfolgt primär das Ziel, die Gesamtkosten von Medizinal-Cannabis in Deutschland um ein Drittel zu reduzieren. Warum? Der aktuelle Preis steht in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang zu den Herstellungskosten. Aus Pressemitteilungen und Financial Reports der börsengelisteten Hersteller wird ersichtlich, dass die Produktionskosten von fertig verpacktem Medizinal-Cannabis unter 1€ pro Gramm liegen. Warum bezahlt ein Patient, dessen Behandlungskosten durch die Krankenkassen, und somit dem Steuerzahler, finanziert werden mehr als 20€ pro Gramm? 

Die neue Preisregelung hat ein System geschaffen, welches Patienten in zwei Gruppen einteilt: Zum einen die Patienten mit „Kostenübernahme“, deren Behandlungskosten mit Medizinal-Cannabis von den Krankenkassen übernommen werden, zum anderen die „Selbstzahler“, welche ihre Behandlung aus eigener Tasche finanzieren müssen.

Vor der Preisregelung

Für Selbstzahler gilt weiterhin das „alte System“: Apotheken sind nach Arzneimittepreisverordnung gesetzlich dazu verpflichtet auf den eigenen Einkaufspreis einen Rezepturaufschlag von 100% bzw. 90% zu berechnen.

Hier eine vereinfachte Berechnung aus der Perspektive einer Apotheke: 

  • Die Apotheke kauft ein Gramm Medizinal-Cannabis für 8€ und verkauft es für 16€ an den Patienten (Marge: 8€).
  • Die Apotheke kauft ein Gramm Medizinal-Cannabis für 10€ und verkauft es für 20€ an den Patienten (Marge: 10€).
  • Die Apotheke kauft ein Gramm Medizinal-Cannabis für 12€ und verkauft es für 24€ an den Patienten (Marge: 12€).

Es ist leicht zu erkennen, wie das “alte System” Anreize für höhere Preise fördert. Leider wurde dieses System von einigen Herstellern und Großhändlern zwecks Gewinnmaximierung ausgenutzt. So betrug der Apothekeneinkaufspreis der aktuell teuerste Sorte Medizinal-Cannabis sogar 15€ pro Gramm (entspricht 30€ pro Gramm Apothekenabgabepreis an den Patienten). Auch erinnern wir an eine bestimmte Kampagne eines Großhändlers, in der Apotheken mit besonders hohem Anteil an „preisinsensitiven“ Kassenpatienten aufgefordert wurden Medizinal-Cannabis doch bitte zum höchstmöglichen Preis einzukaufen. Durch höhere Margen würden die Apotheken schließlich selbst am meisten profitieren. Natürlich gelangte dieses Schreiben auch in die Hände der Krankenkassen und wirkte als einer der Katalysatoren für die aktuelle Preiskorrektur. Ein großes Lob gilt hier insbesondere der großen Mehrheit an Cannabis versorgenden Apotheken, denen die Gesundheit der Patienten wichtiger ist als der reine Profit! 

Nach der neuen Preisregelung

Das “neue System”, welches rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft getreten ist, verändert die Preise für Medizinal-Cannabis wie folgt: Zum einen wurde ein fester Erstattungspreis von 9,52€ pro Gramm eingeführt. Zum anderen ist der Rezepturaufschlag zum Apothekeneinkaufspreis von 100%, bzw. 90%, weitestgehend abgeschafft. Je größer das Rezept, umso geringer fällt der Aufschlag aus (100% Aufschlag für 1g – 15g, 39% Aufschlag für 15g – 30g, 27% Aufschlag für jedes weitere Gramm). 

Wir nehmen wieder die Perspektive einer Apotheke ein und werfen einen stark vereinfachten Blick auf ein Rezept über 100 Gramm Medizinal-Cannabis. Der Apothekeneinkaufspreis liegt hier bei 9,52€ pro Gramm: 

  • „Alt“: 952€ Apothekeneinkaufspreis, 1.904€ Apothekenabgabepreis (Marge: 952€).
  • „Neu“: 952€ Apothekeneinkaufspreis, 1.322€ Apothekenabgabepreis (Marge: 380€).

In Anbetracht der weiteren anfallenden Kosten für die Apotheken vor Ort, beispielsweise für Identitätsprüfungen, Beratung von Patienten, Arbeitskräfte, Offizin, Materialien etc. setzt das “neue System” die Apotheken stark unter Druck. Medizinal-Cannabis kann zu einem Verlustgeschäft werden, wenn der Apothekeneinkaufspreis über 9,52€ liegt. In diesem Fall muss die Apotheke die Differenz aus dem bereits reduzierten Rezepturaufschlag finanzieren. Hier die vorherige Berechnung am Beispiel der aktuell teuersten Sorte (Apothekeneinkaufspreis von 15€ pro Gramm):

  • „Alt“: 1500€ Apothekeneinkaufspreis, 3000€ Apothekenabgabepreis (Marge: 1500€).
  • „Neu“: 1500€ Apothekeneinkaufspreis, 1.322€ Apothekenabgabepreis (Marge: -178€).

Implikationen für den deutschen Markt – im Sinne des Patienten

Die eigentliche Tragweite dieser Preisregelung steht zwischen den Zeilen geschrieben. Denn was passiert, wenn eine Apotheke Medizinal-Cannabis für 8€ je Gramm einkauft? Es werden weiterhin 9,52€ pro Gramm erstattet! Daraus resultiert:

  • „Alt“: 800€ Apothekeneinkaufspreis, 1600€ Apothekenabgabepreis (Marge: 800€).
  • „Neu“: 800€ Apothekeneinkaufspreis, 1.322€ Apothekenabgabepreis (Marge: 522€).

Der Anreiz für höhere Einkaufspreise wurde somit abgeschafft. Apotheken profitieren umso mehr, je günstiger sie einkaufen, zum Teil auch, weil sie es „müssen“. Bereits zehn Tage nach Bekanntmachung der neuen Preisverordnung stellen wir fest, dass der Preisdruck entlang der Lieferkette weitergegeben wird: Von der Apotheke zum Großhändler/Importeur, vom Großhändler/Importeur zu den Herstellern – sowohl in der EU als auch außerhalb. 

Medizinal-Cannabis in Deutschland ist ein Stück erwachsener geworden. 

Über den Autor:

Dr. Alessandro Rossoni ist Co-Founder & COO der Nimbus Health GmbH, pharmazeutischer Großhändler und Fulfillment-Partner mit starkem Fokus auf Medizinal-Cannabis seit 2018, sowie einer der wenigen profitablen Unternehmen in diesem Bereich (https://nimbus.health).

Alessandro hat in der Biochemie der Pflanzen promoviert (Quantitative Biologie, Cluster of Excellence on Plant Sciences) und verfügt zudem über mehrere Jahre Erfahrungen als Unternehmensberater, zuletzt bei BCG und AlixPartners. 

Er steht im engen Austausch mit Stakeholdern entlang der Supply Chain – von Produzenten bis hin zu Apotheken und Patientenvereinigungen vor Ort. 

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1 comment

Philip J. Cenedella IV Mai 8, 2020 - 5:29 pm

Excellent article Dr. – thank you for the information in a concise manner!

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