Cannabis-Klinikenmodelle: Zweiklassengesellschaft oder Segen für Cannabis-Patient:innen?

eine Analyse von Astrid Hahner

by Astrid Hahner

Warum gibt es immer mehr spezialisierte Cannabis-”Kliniken” in Deutschland?* Sind die Angebote seriös? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es? Und: Für welchen Anbieter würde ich mich als Patient:in entscheiden? Welche Probleme im deutschen Gesundheitssystem machen die Modelle möglich?

*Anm. d. Red. 10.10.2023: In einem Leserbrief wurden wir korrekt, wie wir finden, darauf hingewiesen, dass der Begriff “Kliniken”, welcher in der Branche häufig gebraucht wird, im Deutschen missverstanden werden kann. Es handelt sich bei den Cannabis-“Kliniken” nicht um spezialisierte Krankenhäuser, “clinics” werden im Englischen auch Arztpraxen genannt und der Begriff wurde in den letzten Jahren eingedeutscht. Bei krautinvest.de werden wir uns in Zukunft daher bemühen, von “Privatarztpraxis-Netzwerken oder -Anbietern” bzw. “Telemedizin-Plattformen” zu sprechen.

In Deutschland steht es seit 2017 theoretisch jedem niedergelassenen, approbierten Arzt bzw. Ärztin der Humanmedizin (ausgenommen Zahnärzt:innen) frei, Cannabis als neue Therapieoption für austherapierte, schwerkranke Patient:innen in Betracht zu ziehen. Meist wird Cannabis verordnet, um zumindest die subjektiv empfundene Lebensqualität für solche Patient:innen zu steigern, denen konventionell nicht (mehr) geholfen werden kann. Die Legalisierung von medizinischem Cannabis führte seither zu einer gestiegenen Nachfrage seitens der Patient:innen nach qualifizierter Versorgung und fachkundiger Beratung. Die Suche nach Ärzt:innen, die offen sind für einen Therapieversuch mit Cannabis, gestaltet sich allerdings schwer.

Bis heute hat auch lediglich der hiesige Fachverband für Schmerzmediziner (DGS) reagiert und eine Praxisleitlinie für die Verwendung von Cannabinoiden in der Schmerztherapie publiziert, mit erkennbarem bias für Monotherapien mit Dronabinol oder eingestelltem Extrakt in Sprayform statt einem phytotherapeutischen Ansatz (sprich: Blüten) – die übrigen Fachkreise tappen weitestgehend im Dunkeln und zeigen sich verunsichert oder gar ablehnend. 

Dabei zeigt alleine schon die Auswertung der Begleiterhebung, dass Patient:innen mit unterschiedlichsten Indikationen von einer Cannabis-Therapie profitieren können und speziell Blüten am besten vertragen werden. Selbst chronische Schmerzpatient:innen, die ja im Vergleich zu anderen Indikationen die besten Chancen auf eine Kostenübernahme haben, kämpfen trotzdem weiterhin darum, das Rezepturarzneimittel Cannabis in der traditionellen Einnahmeform als Kassenleistung vom behandelnden Arzt verschrieben zu bekommen. 

Ganz nebenbei gesagt: Selbst die Begleiterhebung bildete nur rund die Hälfte der tatsächlichen Cannabis-Verordnungen ab – denn nur Patient:innen, denen eine Kostenübernahme von ihren Krankenkassen gewährt wurde, wurden in der Datenerhebung überhaupt mit berücksichtigt. Nach wie vor werden etwa 40% der Anträge auf Kostenübernahme in erster Instanz abgewiesen, die Kostenübernahme wird nicht selten vor Sozialgerichten erstritten und manche Patient:innen versuchen es erst gar nicht, weil der Aufwand hoch ist und sie keinen niedergelassenen (Kassen-)Arzt finden, der sie in ihrem Vorhaben unterstützt – ob aus Unwissenheit, Unsicherheit bzgl. Risiken oder Verschreibungsmodalitäten, Skepsis bezüglich der Wirkung von Cannabinoiden oder schlicht dem unwirtschaftlich hohen Zeitaufwand – bleibt dahingestellt.

Aus diesem Notstand heraus wurden immer mehr private Cannabis-Klinik-Anbieter gegründet Eine Auflistung der privaten Klinikanbieter in alphabetischer Reihenfolge finden Sie unter diesem Link

Diese “Kliniken” bzw. Praxisnetzwerke engagieren freie Ärzt:innen und Fachpersonal, welche sich in Fortbildungen gesondert auf medizinisches Cannabis und dessen Anwendungsmöglichkeiten spezialisiert haben. Sie werben meist mit einer umfassenden Betreuung, sowohl vor Ort als auch virtuell, einschließlich individueller umfangreicher  Anamnese und Beratung, Diagnosestellung, Rezeptausstellung, Therapieüberwachung, Dosierungs- und Einnahmeempfehlungen. Private Cannabis-Kliniken bieten zudem eine diskrete Umgebung, wo Patient:innen offen über ihren Wunsch nach einem Therapieversuch mit Cannabis (oder eine bereits erprobte Selbstmedikation) sprechen können. 

Nach wie vor ist der Patient:innenstatus in Deutschland die einzige Möglichkeit, legal mit Cannabis gesicherter (pharmazeutischer) Qualität und gleichbleibendem Wirkstoffgehalt versorgt zu werden – das wird sich auch mit den zukünftigen Anbauclubs oder der Möglichkeit des Eigenanbaus nicht ändern. Patient:innen sollte durch die zukünftigen Gesetzesänderungen auch nicht suggeriert werden, auf die ärztliche Überwachung ihrer medizinisch indizierten Therapie verzichten zu können, zu sollen oder zu müssen. Dies betont im Kabinettsentwurf des MedCanG explizit Artikel 2. Vielmehr müsste es gerade jetzt den niedergelassenen (Kassen-)Ärztinnen erleichtert werden, die Therapieoption Cannabis (auch: CBD) niederschwellig und ohne Furcht vor Regressen zumindest probeweise einsetzen zu dürfen; mit realistischeren Zeitaufwand-Berechnungen für die Abrechnung nach der ärztlichen Gebührenordnung (GOÄ), und vor allem durch geeignete Weiterbildungsmaßnahmen zu Cannabis als Medizin.

Was viele nicht wissen: Auch Kassenärzt:innen können in begrenztem Maß Privatleistungen ihren Patient:innen nach GOÄ (Faktor 2,3) direkt in Rechnung stellen. Ein kurzes Folge-Beratungsgespräch beim Hausarzt, das zur Ausstellung eines BtM-Rezepts für Cannabisblüten (dann ebenfalls privat zu zahlen) genutzt wird, kostet dann beispielsweise nur etwa zehn Euro. 

Insgesamt erfüllen private Cannabis-Kliniken aktuell eine wichtige Rolle im Versorgungssystem, indem sie Fachwissen, individuelle Betreuung und spezialisierte Dienstleistungen im Bereich medizinisches Cannabis den Patient:innen flächendeckend zugänglich machen. Da es meist bei der Privatverordnung bleibt und kein Kostenübernahmeantrag gestellt werden kann, da dies nur mit einem Kassenarzt möglich ist, können sich allerdings nur relativ wohlhabende Bürger:innen die Therapie langfristig überhaupt leisten (siehe Auflistung der Preise, welche sich exklusive der Kosten für das verschriebene Cannabis aus der Apotheke verstehen). Ein schwaches Bild für das pflichtkrankenversicherte und chancengleiche Deutschland, nicht zuletzt sind gerade schwerkranke Patient:innen oft krankheitsbedingt wirtschaftlich schlechter gestellt (durch Verdienstausfälle, Arbeitsunfähigkeit, Anstellung von Menschen mit Behinderung  im Niedriglohnsektor, Teilzeitbeschäftigung, etc.). Ferner befeuert das Stigma “Kiffen auf Rezept” bzw. “Privatrezept gegen Geld” natürlich auch die Skepsis in der Gesellschaft und unter den übrigen Kassen-gebundenen Ärzt:innen, ob eine Cannabis-Therapie wirklich als seriös einzustufen sei. Dabei wird oft vergessen, dass sich auch private Klinik-Anbieter an die gesetzlichen Vorgaben halten müssen und Patient:innen im Zweifel abweisen, beispielsweise dann, wenn die Erkrankung nicht schwerwiegend (genug) ist zur Verordnung eines Betäubungsmittels, oder in der Anamnese Kontraindikationen festgestellt werden.  

Was die Einstufung als Betäubungsmittel angeht, so können sich Ärzt:innen und Patient:innen über die anstehenden Gesetzesänderungen freuen: Cannabis wird nach den Plänen von Karl Lauterbachs Ministerium nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden, so dass bestimmte bürokratische Mehrbelastungen und Sicherheitsvorschriften abgebaut werden, sowohl auf Seiten der Ärzt:innen bzw. der Praxis-Administration, als auch in den Apotheken. 

Die größte Hürde auf dem Weg zu einer besseren und sozial gleichberechtigten Patientenversorgung mit Cannabis ist die fehlende Akzeptanz der neuen Therapie-Option seitens der Krankenversicherungen. Diese bleibt durch Wegfall des BtM-Status aber weitgehend unberührt, zumal im MedCanG Kabinettsentwurf Passagen aus dem Betäubungsmittelgesetz übernommen wurden, welche Rezepterschleichungen unterstellen. Die privaten Cannabis-Klinik-Anbieter werden sich darüber vermutlich nicht beschweren, denn das Geschäftsmodell beruht darauf, dass viele gesetzlich Krankenversicherte Privatärzte aufsuchen und die Therapiekosten aufgrund der Herausforderungen bei der Kostenübernahme durch die GKV als Selbstzahler begleichen müssen, wenngleich dies so vom Gesetzgeber nie vorgesehen war

Das sieht auch Daniela Joachim, Vorstandsvorsitzende beim Bund deutscher Cannabispatienten e.V. so und kommentierte unlängst einen LinkedIn Post zur Eröffnung einer neuen Telemedizin-Plattform für Cannabis wie folgt:

“Wieso frustriert es mich, vom gefühlt siebenunddrölfzigsten Telemedizinanbieter für Cannabis-Privatrezepte zu lesen?

Zum einen, weil oft der Wegfall des BtM-Status von Medizinalcannabis mit einem leichteren Zugang für kranke Menschen gleichgesetzt wird. Nur helfen weder Privatrezepte auf dem Postweg, noch versandbereite Apotheken denjenigen Schwerkranken, für die 2017 Cannabis als Medizin überhaupt legalisiert wurde, da hier einfach zu viele auf eine Kostenerstattung ihrer Krankenkasse angewiesen sind.

Nicht falsch verstehen: Ich begrüße es, dass die engen Hürden des § 13 BtMG künftig wegfallen, und Medizinalcannabis auch bei weniger schwerwiegenden Erkrankungen angewandt werden darf. Nur wird hier die Zweiklassenmedizin immer weiter forciert, da es sich die wenigsten Kranken, die auf Medizinalcannabis angewiesen sind, als Selbstzahler leisten können, mangels entsprechendem Einkommen.

Der zweite Punkt, warum mich weitere Privatrezeptmanufakturen frustrieren, ist die sterbende Hoffnung, dass es solche Anlaufstellen irgendwann auch für Kassenpatienten geben könnte. Wenn dort noch mit Videosprechstunden gearbeitet würde – ein Traum für alle, die aktuell stundenlang wegen eines Rezepts durch Deutschland fahren müssen.”

 

Disclaimer: Transparenzhinweis – Redaktionelle und inhaltliche Verantwortung übernimmt für diesen Artikel die Herausgeberin, MJ Universe GmbH, vertreten durch Lisa Haag

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