Überangebot an medizinischen Cannabisblüten – Linus Weber redet Tacheles

by Moritz Förster

Der Handel mit medizinischem Cannabis in Deutschland ist ein schnelllebiges Geschäft. Der Engpass-Phase folge die Gründung von 90 Distributoren. Trennt sich nun die Spreu vom Weizen? Welche Distributoren überzeugen schlussendlich die Apotheken: die mit der größten Auswahl oder die mit der besten Marke im Sortiment? Ein Blick auf den medizinischen Cannabis-Markt mit Linus Weber von Nimbus Health – der verrät, dass er aufgrund der Praxis, Bedrocan an den “Höchstbietenden” zu versteigern, nicht von einer zeitnahen Marktkonsolidierung ausgeht, und erläutert wieso “One Shots” ebenso problematisch sind wie ein und dieselbe Blütensorte vom selben Hersteller in mehrfacher Ausführung unter unterschiedlichen Markennamen. Ganz offen und ehrlich redet Linus Weber auf krautinvest.de Tacheles über die Marktentwicklung von medizinischem Cannabis.

krautinvest.de: Vor zwei Jahren war von Engpässen die Rede, die Margen entsprechend hoch. Erleben wir bereits ein Überangebot?

Linus Weber: Es stellt sich seit Ende des dritten Quartals 2020 ein Überangebot von Cannabisblüten ein. Verschreiber und Apotheken werden überschwemmt mit Informationen zu neuen Sorten. Ein wirklicher Mehrwert ist nicht zu erkennen, insbesondere dann, wenn einige Produkte mit Absicht als „One Shot“ deklariert werden. Sie sind einmalig verfügbar und dann nie wieder. Gleichzeitig ist ein und dieselbe Blütensorte vom selben Hersteller in mehrfacher Ausführung unter unterschiedlichen Markennamen zu finden. Auf der anderen Seite haben wir aber weiterhin das Problem von punktuellen Lieferengpässen oder gar sukzessiven Lieferausfällen. Das ist absolut nicht sinnvoll für die kontinuierliche Therapie bei Patienten und schadet dem Ruf von Cannabis als Medizin. Denn welcher Arzt und welche Ärztin möchten ein Medikament verschreiben, bei denen Sie nicht wissen, ob die ausgesuchte Therapie nächsten Monat noch verfügbar ist?

Zum Hintergrund: 2017 rückt Deutschland ins Rampenlicht der globalen Cannabismärkte. Als das Gesetz Cannabis als Medizin in Kraft tritt, erhofften sich nordamerikanische Produzenten ausgehend von Hochrechnungen anhand der eigenen Bevölkerung 800.000 Patienten*innen (Handelsblatt). Die Unternehmensberater von Prohibition Partners prognostizieren für den gesamten, nicht nur den medizinischen, europäischen Cannabismarkt ein potenzielles Volumen von 56 Milliarden Euro. Doch Kanada und die Niederlande bleiben bis 2019 die einzigen Länder, in denen Unternehmen medizinische Cannabisblüten für den deutschen Markt produzieren. Die kanadischen Firmen importieren meist über eigene Tochtergesellschaften.

Bereits im November 2016 hatte Canopy Growth dafür den deutschen Distributor MedCann aufgekauft. 2017 übernahm Aurora Cannabis Pedanios, das heutzutage als Aurora Deutschland firmiert (Übersicht über Deals und Investments). Lizenzierte Unternehmen gehen für Millionen über den Tisch. Unabhängige deutsche Händler mit den erforderlichen Lizenzen beziehen über das OMC Bedrocan. Aufgrund der strikten EU GMP Vorgaben für den Anbau und ausbleibender Exportgesetze etwa in Israel oder Nordmazedonien entpuppt sich der Handel als lukrativ. Die Zahl der Patienten steigt rascher als das Angebot. Verbunden mit den landesweiten “Engpässen”: nicht nur Patienten*innen, die verzweifelt versuchen, an die richtige Sorte zu gelangen, sondern auch entsprechend hohe Margen entlang der gesamten Handelskette. In Deutschland rufen die Kanadier und ihre deutschen Mitstreiter Summen auf, von denen sie anderswo nur träumen können. Deutschland anno 2017: Willkommen im Cannabis-Schlaraffenland für Händler.

Zeiten, die längst passé sind. Die neue Preisregelung gebot dem Markttreiben im April 2020 Einhalt. Ohnehin hat das lukrative Geschäft Konkurrenz hervorgerufen. 90 Distributoren für medizinisches Cannabis sollen inzwischen um den gleichen Topf aus 200 kg Bedrocan im Monat wetteifern. Bereits seit 2018 als unabhängiger Distributor mittendrin: Linus Weber mit Nimbus Health. Seiner Ansicht nach sei die Vielzahl der Händler auf “den Hype” zurückzuführen, “der generell um das Produkt Cannabis bestehe. Linus weist zugleich daraufhin, dass weiterhin nur gut 20 Distributoren Apotheken beliefern würden.

Die Zeiten, in denen ein Großhändler durch seine Lizenz allein für mehrere Millionen den Besitzer wechselt, sind lange vorbei.

krautinvest.de: Angesichts der immensen Anzahl an Distributoren bleibt weniger Bedorcan je Distributor übrig. Wird sich der Vertrieb in diesem Jahr konsolidieren? Wenn ja, wer wird überleben?

Linus Weber: Der Markt hat sich im Jahr 2020 stark gewandelt und bietet nicht mehr die Möglichkeit mit Cannabisblüten profitabel zu agieren, schon gar nicht mit Bedrocan allein.

Ich glaube trotzdem nicht, dass sich der Markt dieses Jahr stark konsolidieren wird. Denn warum sollten einige Großhändler ein sicheres Geschäft abgeben, wenn sie ihr monatliches Kontingent an den Höchstbietenden versteigern können? Ich glaube eher, dass durch die breite Streuung und durch neue Produkte, Bedrocan an Bedeutung verliert und in Zukunft vom Markt weniger nachgefragt wird. Damit werden einige Großhändler nicht umgehen können und deshalb auf lange Sicht das Geschäft einstellen. Leere Großhandelshüllen werden heute bereits zu sehr geringen Preisen veräußert. Die Zeiten, in denen ein Großhändler durch seine Lizenz allein für mehrere Millionen den Besitzer wechselt, sind lange vorbei.

Um die Frage mit dem Überleben zu beantworten würde ich argumentieren, dass nur die Unternehmen sich durchsetzen werden, welche über professionelle Services eine langfristige Nachfrage für Ihre Produkte schaffen und es dabei schaffen auf eine schlanke Kostenstruktur achten. Das heißt nur wer aktiv die Nachfrage steigert und den Markt vergrößert, sprich Ärzte und Ärztinnen überzeugt Medizinal-Cannabis-Therapien anzuwenden, wird auf lange Sicht im Markt bleiben.

Bei Extrakten hat sich das Überangebot NOCH nicht eingestellt. Die Nachfrage nach Extrakten steigt quartalsweise um circa 20 Prozent, jedoch längst nicht so schnell, dass die in den Startlöchern befindlichen Produkte komplett abgenommen werden.

krautinvest.de: Auf Produktionsseite steht eine Diversifizierung der Bezugsländer, zumindest was Blüten betrifft, aber immer noch aus. Portugal und Spanien haben sich zu Kanada und den Niederlanden gesellt. Nordmazedonien, Israel, Uruguay, Malta, Australien – seit Jahren kursieren weitere mögliche Länder, in denen für den europäischen Markt produziert werden könnte. Exportgesetze bleiben aus, EU GMP-Zertifizierungen ziehen sich hin. Woran scheitert der Import aus neuen Ländern?

“Nachfrage durch Datengrundlage steigern”

Linus Weber: Der Import scheitert häufig an dem fehlenden pharmazeutischen Verständnis vieler Teilnehmer. Es sind bestimmte Schritte notwendig, bevor ein Produkt als Arzneimittel in Deutschland zugelassen werden kann. Hierzu zählen eben nicht nur eine Herstellung nach EU-GMP, sondern viele weitere unterstützende Prozesse und Faktoren, welche implementiert werden müssen.

Meiner Meinung nach benötigen wir keine große Diversifikation im Hinblick auf die herstellenden Länder. Produktqualität, zusätzliche Daten, welche in bestimmten Ländern gesammelt werden können, oder gar Studien bereichern das Portfolio einzelner Unternehmen. Nur wenn wir als Industrie beginnen, Ärzten eine Datengrundlage zu bieten, schaffen wir es die Nachfrage nach Cannabisblüten wieder zu steigern. Ich denke, dass Australien, Israel, Neuseeland und Kanada beziehungsweise die USA in Zukunft zu den Hauptproduktionsländern zählen werden.

Nimbus Health agierte nach eigenen Auskünften bereits im ersten vollen Jahr profitabel. Gründe dafür seien laut Linus Effizienz und Service beruhend auf einem voll digitalen „Backbone“, das alle Prozesse der Warenwirtschaft ebenso wie das Qualitätsmanagement digital abbilde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Großhändlern verfügt Nimbus Health über ein eigenes Lager. Deutschlandweit beliefert Nimbus Health Apotheken binnen 24 Stunden. Linus: “Das macht uns schneller als alle Vollsortimentler.” Die firmeneigenen Lagerräume und Leistungen würden inzwischen von mehreren Firmen genutzt. So entwickelt sich Nimbus Health, auch dank zusätzlicher Lizenz als pharmazeutischer Hersteller, immer weiter zu einer One-Stop-Plattform für GxP Leistungen und Fulfillment.

Eigene „Nimbus“ Produkte seien nicht am Markt. Das sei, sagt Linus, “auch nicht geplant.”: “Wir stellen unsere hocheffiziente Plattform unseren Partnern zur Verfügung, sodass diese mit geringen Kosten Ihre Marke oder Dienstleistung in Deutschland bekannt machen können. Wir verdienen dann durch die Umsätze der einzelnen Produzenten.”

krautinvest.de: Ein anderes Thema: Einfacher als der Import von Blüten scheint der Import von EU GMP zertifizierten Ölen zu sein. Wieso?

“Cannabisextrakte das wachstumsstärkste Segment.”

Linus Weber: Die Einfuhr scheint nur auf den ersten Blick einfacher, weil wir gerade viele neue Produkte sehen.

krautinvest.de: Ist der Trend hin zu mehr Ölen tatsächlich nachfragegetrieben?

Linus Weber: Es ist konsequent, dass Unternehmen stetig versuchen, ihr Portfolio sinnvoll zu erweitern. Zum einen haben viele Hersteller Schwierigkeiten damit, Cannabisblüten in der notwendigen Qualität nachhaltig herzustellen und verarbeiten diese bevorzugt weiter zu Extrakten. Zum anderen sind Cannabisextrakte seit ihrer Einführung das wachstumsstärkste Segment. Darüber hinaus gab es diverse Forderungen seitens der Krankenkassen an Verschreiber in Zukunft bitte weniger Blüten zu verschrieben und dafür Extrakte einzusetzen. An mancher Stelle ist das sicherlich begründet, jedoch können Extrakte insbesondere bei Schmerzspitzen die schnelle Wirkung durch die Inhalation von Cannabisblüten nicht ersetzen.

Alles in allem haben die genannten Faktoren dazu geführt, dass nun eine Vielzahl von Produkten in den Startlöchern sind und demnächst in Therapien eingesetzt werden können. Ich hoffe, die Großhändler investieren in die Nachfrage und überzeugen neue Verschreiber, welche bisher keine Alternative in einer Cannabis-Therapie gesehen haben. Nur so wächst der Markt und es gibt eine Existenzberechtigung für die jeweilige Marke.

“Produkte aus Australien, Neuseeland und Israel werden neue Qualitätsstandards setzen”

krautinvest.de: Abschließend ein Blick gen Zukunft: Deutschland, Dänemark, Australien, Italien, Malta stehen in den Startlöchern. Welche Länder werden sich in diesem Jahr als Produzenten für medizinisches Cannabis profilieren auch jenseits von Ölen?

Linus Weber: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Produkte aus Australien, Neuseeland und Israel zunächst neue Qualitätsstandards setzen werden. Wenn die Daten- und Studienlage aus den Heimatmärkten dazu genutzt wird, neue Verschreibungen zu generieren, können diese Länder neben Kanada und zukünftig auch den USA um die Pole Position auf dem Europäischen Markt buhlen.

2020 habe das siebenköpfige Team von Nimbus Health nach eigenen Angaben mehr als 200kg Cannabisblüten der Sorte Bedrocan in Eigenregie an 200 deutsche Apotheken ausgeliefert. Inzwischen führe das Unternehmen neben den fünf Cannabisblüten-Sorten aus dem Hause Bedrocan Produkte von Aphria, IMC und Althea. Unterstützt wird Nimbus Health von Investoren aus den Bereichen Pharma, Food, Logistik, Finance und aus der Startup-Szene. Andere Großhändler würden die Nimbus-Health-Plattform für Lagerung, Kommissionierung, Inverkehrbringen nutzen.

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