Reklassifizierung von Cannabis in der UN: Ungarn landet vor dem EuGH

Vertragsverletzungsverfahren eskaliert

by Moritz Förster

Am 2. Dezember 2020 reklassifizierten die Vereinten Nationen Cannabis. Fortan wird Cannabis und Cannabisharz nicht mehr in der Anlage IV aufgeführt, in der nicht-verkehrsfähige Suchtstoffe ohne medizinischen Nutzen angeführt sind, sondern in Anlage I. Mehr als zwei Jahre später hat die damals mit 27 zu 25 Stimmen denkbar knappe Abstimmung für Ungarn ein Nachspiel. Entgegen der Position der EU votierte Ungarn gegen die Reklassifizierung. Da die Regulierung von Drogen auf UN-Ebene nach Ansicht der Kommission aber eine europäische Angelegenheit ist, nicht alleinige Sache der Mitgliedsstaaten, schaltet die Kommission nun den Europäischen Gerichtshof ein ein.

Im November 2020 hatte der Rat der EU im Vorfeld der Abstimmung auf UN-Ebene beschlossen, fast allen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu folgen – also dafür zustimmen, dass Cannabis reklassifiziert werden soll. Ziel der Reklassifizieurng war wohlgemerkt nicht, die Tür für Cannabis als Genussmittel aufzustoßen, sondern den medizinischen Mehrwert von Cannabis und der in der Pflanze enthaltenen Cannabioniden anzuerkennen; Forschung und medizinischen Nutzen zu erleichtern.

Doch bei näherem Hinschauen entpuppt sich die Ausgangslage als verzwickt – und könnte auch als Beispiel dafür taugen, wie wichtig für Deutschland bei der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel das Zusammenspiel von UN-Verträgen und EU-Recht ist. Denn über die Reklassifizierung abgestimmt hatte Anfang Dezember 2020 die Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (engl. CND – Commission on Narcotic Drugs). Die EU, auch nicht der Rat, ist dort selbst kein stimmberechtigtes Mitglied, allerdings waren zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stimmberechtigt, darunter Ungarn.

Wieso diese nun einheitlich im Sinne der EU und nicht jeweils autark im Sinne ihrer jeweiligen nationalen Präferenzen abstimmen sollen? Der zuletzt viel zitierte Rahmenvertrag von 2004, in dem die EU Kriterien festlegt, wie Mitgliedsstaaten Suchtstoffe kontrollieren sollen, bezieht sich unmittelbare auf die Klassifizierungen der UN. Alle Änderungen in den UN-Verträgen wirken sich daher unmittelbar auf die europäische Rechtslage aus. Es sei daher notwendig, dass der Rat die abstimmenden Mitgliedsstaaten autorisiere, die Position der EU zu vertreten, schlussfolgert der Rat im Vorfeld der Abstimmung der Suchtstoffkommission.

In zwei der zur Abstimmung stehenden Punkte votierte Ungarn allerdings entgegengesetzt der zuvor vereinbarten EU-Positionen. Die Kommission leitete daraufhin im Februar 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Da Ungarns Antworten nicht zufrieden stellend gewesen seien, habe die Kommission nun den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet, heißt es weiterhin in dem offiziellen Schreiben. Kritisch aufgestoßen ist dem Rat der EU dabei auch ein extrem kritisches Statement Ungarns im CND, das die gemeinsame Position der EU konterkariert. Unter anderem heißt es dort seitens Ungarn, dass Cannabis ein stark süchtiges Potenzial habe und dass eine Reklassifizierung zu mehr Konsum führen werde. Dass durch die Reklassifizierung nur der medizinische Nutzen anerkannt werden sollte, lässt der ungarischer Sprecher dabei außen vor und bezeichnet eine Reklassifizierung als “unverantwortlich”.

Soweit so gut. Doch während Ungarn sich im Dezember 2020 an eine restriktive Cannabis-Regulierung klammer wollte, tritt die aktuelle deutsche Bundesregierung für eine progressivere Cannabis-Politik und eine Legalisierung von Cannabis als Genussmittel ein. Obwohl beide Positionen au contraire zueinander stehen, birgt die Logik dahinter einige Gemeinsamkeiten – und sowohl die Aktivitäten der Kommission als auch ein anstehendes Urteil des EuGH könnten relevant für das deutsche Vorhaben sein. Denn zum einen zeigt sich, dass die Organe der EU – sowohl der Europäische Rat als auch die Kommission – anerkennen, dass das europäische Recht den Vorgaben der völkerrechtlichen Verträge folgt. Sollte Bundesregierung daher mit internationalen Verträgen brechen, ist schwer vorstellbar, dass die Kommission darüber hinweg sieht. Andersherum gilt aber auch: Sollte die Bundesregierung einen Weg finden, im Einklang mit völkerrechtlichen Verträgen Cannabis als Genussmittel zu legalisieren, könnte dies auch die Chancen erheblich steigern, dass dies auch schlagartig Zweifel auf europäischer Ebene beseitigt. Genau über dieses Spannungsverhältnis debattierten wir bereits im Herbst des vergangenen Jahres im Podcast mit Alfredo Pascual von Seed Innovations und dem Maastrichter Wissenschaftler Robin Hofmann.

Zum anderen birgt die Situation eine weitere Erkenntnis: Nicht nur die Kommission, auch jeder Mitgliedsstaat der EU kann den EuGH einschalten. Das ungarische Beispiel steht symptomatisch für die extrem divergierenden Positionen auf EU-Ebene. Sollte die Kommission einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Cannabis-Legalisierung grünes Licht geben, könnte es dennoch zu einer Klage vor dem EuGH kommen. Ausgang offen.

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1 comment

bart wakker Februar 20, 2023 - 9:25 am

Wie auch immer, es kann nicht sein dass Länder in Sachen Drogenpolitik nicht autonom sind.
Denn auf EU und UN Ebene wird sich nie etwas tun, d.h. damit wären die veraltetet Gesetze und Ansichten für immer Zementiert, und verursachen viel Unrecht und Leid. Das dürfen wir nicht akzeptieren, zur Not Ausstieg aus allen relevanten Verträgen.

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