UN reklassifiziert Cannabis: Hintergründe, Stimmen, Auswirkungen – die Analyse

by Janika Takats

UN stimmt der (teilweise) Neubewertung von Cannabis zu und die EU-Kommission stuft CBD als Lebensmittel ein.

Die erste Woche im Dezember 2020 brachte gleich zwei erfreuliche Neuigkeiten für die internationale Cannabisbranche. Nicht nur hat die UN-Suchtstoffkommission einer Neubewertung von Cannabis zugestimmt, auch die EU-Kommission verkündete, dass CBD zukünftig als Lebensmittel angesehen werden kann.

Von Janika Takatas

Die UN-Suchtstoffkommission (engl. CND – Commission on Narcotic Drugs) hat am 02.12.2020 der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugestimmt, Cannabis und Cannabisharz aus der Anlage IV des Einheitsabkommens für Betäubungsmittel der UN zu entfernen. Ein Schritt, den Branchenvertreter als historische Wende ansehen, da die Vereinten Nationen damit den medizinischen Nutzen von Cannabis offiziell anerkennen. Nach einer dreijährigen Auswertung des aktuellen Standes der Wissenschaft durch führende Experten hatte die WHO im Januar 2019 mehrere Empfehlungen zur Neubewertung von Cannabis vorgelegt. Die einzelnen Mitgliedsstaaten nahmen sich anschließend fast zwei Jahre Zeit, um die Empfehlungen auszuwerten und ihre Position bei der Abstimmung zu entwickeln. An der Abstimmung in Wien waren 53 Staaten beteiligt, die aktuell Mitglieder der CND sind. 

In der Empfehlung 5.1 schlug die WHO vor, Cannabis und Cannabisharz aus dem Anhang IV des UN-Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel (engl. Single Convention on Narcotic Drugs) zu streichen. Der Vorschlag wurde mit 27 Ja zu 25 nein Stimmen und einer Enthaltung angenommen. Die übrigen Vorschläge der WHO, darunter Dronabinol und seine Stereoisomere (Delta-9-THC) zu Anhang I des Übereinkommens hinzuzufügen und Anhang I eine Fußnote zu Cannabidiol-Präparaten zu schreiben, die klarstellt, dass „Zubereitungen, die überwiegend Cannabidiol und nicht mehr als 0,2 Prozent Delta-9-Tetrahydrocannabinol enthalten“ nicht unter internationaler Kontrolle stehen, wurden hingegen von der Staatengemeinschaft abgelehnt. 

Das Gewicht der Entscheidung

Die Suchtstoffkommission ist das zentrale Gremium für Drogenpolitik der Vereinten Nationen. Sie entscheidet über die Einstufung von Suchtstoffen und damit darüber, welchen Kontrollen diese unterliegen. Damit übt sie weitreichenden Einfluss auf die Drogengesetzgebungen der über 180 Staaten aus, die das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der UN ratifiziert haben. Das Abkommen kategorisiert Drogen in vier Tabellen bzw. Anhängen, die die Verkehrsfähigkeit in unterschiedlichem Maß einschränkt. Diese werden regelmäßig unter Berücksichtigung der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse aktualisiert. 

Substanzen in Anhang I sind dabei am stärksten beschränkt. Die Einschränkungen nehmen in Kategorie II und III sukzessiv ab. Der Anhang IV enthält ausschließlich Stoffe, die auch bereits in Tabelle I enthalten sind, die jedoch einen Sonderstatus haben. Sie werden als nicht verkehrsfähig eingestuft, ihnen wird kein medizinischer Nutzen zugesprochen und sie werden noch restriktiver behandelt als Substanzen, die ausschließlich in Kategorie I aufgeführt sind. In dieser Kategorie befand sich Cannabis bisher gemeinsam mit Stoffen wie Heroin oder Kokain.

Cannabis verbleibt in der Anlage I des Einheitsabkommens und zählt damit weiterhin zu den Substanzen mit dem höchsten Kontroll- bzw. Einschränkungslevel, wird jedoch verkehrsfähig. Die Neubewertung von Cannabis und Cannabisharz erfolgte rund 60 Jahre nachdem die Pflanze im Jahr 1961 in die Anlage IV aufgenommen wurde. Auch damals folgte die UN einer Empfehlung der WHO aus dem Jahr 1954, die – auf Drängen des damaligen Vorsitzenden der UN-Drogenkommission Harry Anslinger – Cannabis als gefährliche Droge ohne medizinischen Nutzen bewertete. 

Die Entscheidung der CND hat zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf die internationalen Kontrollen, da es in der Hand der nationalen Regierungen liegt, die Drogengesetze zu verfassen. Dennoch nutzen viele Staaten die Vorgaben der UN als Richtlinie für ihre eigenen Gesetze, sodass der Abstimmung eine große symbolische Bedeutung zukommt. 

Die Debatte um die Neubewertung von Cannabis im Vorfeld der Abstimmung hat jedoch auch gezeigt, wie gespalten die Staatengemeinschaft in dieser Frage ist. Während Länder wie Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien oder die USA für die Empfehlung stimmten, waren Russland, Ägypten, China oder Brasilien strikt dagegen. Diese Nationen werten den Konsum von Cannabis weiterhin als enorme Gefahr und versuchen daher, diesen mit allen Mitteln zu unterbinden. 

Konsequenzen für Forschung und Entwicklung

Jetzt, da die CND den medizinischen Nutzen von Cannabis offiziell anerkannt hat, kann der Umgang im medizinischen Kontext vereinfacht werden. Vertreter der Industrie hoffen darauf, dass die Neubewertung durch die UN nationale Regierungen dazu veranlasst, ihre eigene Klassifizierung zu überdenken und Cannabis als Medizin zugänglich zu machen. Auch für die Forschung ergeben sich durch die Neubewertung neue Möglichkeiten. Abgesehen davon, dass Forscher nun auf mehr Gelder seitens ihrer Regierungen hoffen können, wird sich zukünftig der internationale Austausch erleichtern. Bisher war es beispielsweise mit enormem Aufwand verbunden, Cannabisproben in ein anderes Land zu schicken, um dort auf die Möglichkeiten von Speziallaboren oder ähnlichem zurückzugreifen, sodass Arbeitsaufteilung und Kooperationen kaum möglich waren. 

Daniela Kreher, Geschäftsführerin und Gründerin des Knowmad Instituts (Europäisches Institut für Multidisziplinäre Studien zu Menschenrechten und Wissenschaften) hat den Entscheidungsprozess der CND aktiv begleitet. Für sie bedeutet der Ausgang der Abstimmung, dass die UN den medizinischen Wert von Cannabis nun offiziell anerkannt hat und damit den Erkenntnissen der WHO zustimmt. Dass nicht alle Empfehlungen der WHO angenommen wurden, hat, ihr zufolge, vornehmlich ideologische und politische Gründe. Nicht alle Länder messen den Erkenntnissen der Wissenschaften die gleiche Bedeutung zu wie die westlichen Nationen, so ihre Erfahrung. 

Mit der Entscheidung wurde international der Weg bereitet Cannabis zu regulieren. Länder, die bisher keine gesetzlichen Regelungen zu medizinischem Cannabis hatten, werden nun gezwungen, den Zugang zu erleichtern, weil sie die Konventionen zu Medikamenten unterschrieben haben, zu denen Cannabis nun zählt. Daher müssen Gesetzte angepasst werden, um wieder konform mit den Auflistungen der CND zu sein, erklärt die Expertin im Interview.

Deutschland verfügt bereits seit 2017 über eine gesetzliche Regulierung von medizinischem Cannabis. Gesetzesänderungen auf Grund der UN-Neubewertung sind daher nicht unmittelbar zu erwarten. Dennoch sieht Kreher die Bundesregierung durch die UN-Entscheidung in der Pflicht. „Das Gesetz an sich ist gut, jedoch muss dessen Umsetzung verbessert werden. Durch die internationale Einstufung von Cannabis als Medizin, wurde die Möglichkeit geschaffen, Cannabis auch als solche zu kontrollieren und den Anbau, den Transport und die Verarbeitung zu standardisieren.“ Dies würde sich unmittelbar auf die Qualität und damit auf die Sicherheit für die Patienten auswirken und hoffentlich auch auf die Preisgestaltung.

Freude in der Cannabisbranche

Verschiedene Lobbyverbände der Branche begrüßten die Entscheidung der Suchtstoffkommission und rechnen mit einem Aufschwung für die Branche sowie einen erleichterten Zugang für Patienten. „Nach diesem internationalen Impuls erwarten wir weltweit Erleichterungen im Umgang mit Medizinalcannabis. Dies begrüßen wir sehr, da Importeure, Anbauer und Distributoren in Zukunft mit weniger bürokratischen Hürden rechnen können“, teilte der Branchenverband Cannabiswirtschaft (BvCW) in einer Presseerklärung mit. „Sehr bedauerlich bleibt, dass die Klarstellungen gegenüber Cannabis-Extrakten und -Tinkturen sowie gegenüber Nutzhanf und CBD nicht angenommen wurden. Wir halten an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der WHO fest und blicken zuversichtlich auf die noch ausstehende Behandlung des Vorschlags 5.0 der WHO“, teilte BvCW-Geschäftsführer Jürgen Neumeyer mit. In dem erwähnten Vorschlag empfiehlt die WHO Zubereitungen, die als reines Cannabidiol gelten, nicht in die Übereinkommen aufzunehmen. Die Entscheidung darüber steht noch aus. 

Auch der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoid unternehmen (BPC e.V.) begrüßte die Entscheidung der UN. Dadurch „wird endlich klargestellt, dass Cannabis nicht mit tödlichen Suchtstoffen wie z. B. Heroin oder Opioiden gleichzusetzen ist. Das wird sich hoffentlich positiv auf eine Legalisierung von medizinischem Cannabis weltweit auswirken“, ließ der Verband verlauten. Wies aber auch darauf hin, dass Probleme bei der Verschreibung und der medizinischen Nutzung nicht gänzlich verschwinden werden, da Cannabis nicht aus der Anlage I gestrichen wurde. 

Der BPC erklärte zudem, dass „die Skepsis gegenüber Cannabinoiden für den medizinischen Gebrauch […] auch in Deutschland immer noch einen Großteil der öffentlichen Debatte“ bestimme. Deutschland hat das Potenzial von Cannabis für medizinische Zwecke bereits seit 2017 gesetzlich anerkannt. Dieses gilt es weiter auszubauen und zu fördern sowie noch bestehende Hürden, z. B. beim Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen, abzubauen“, so die Auffassung des Verbandes. Von der Politik wünscht sich der BPC „einen aktiven Beitrag zur Forschungsförderung, um die wissenschaftliche Evidenz zur Anwendung von Cannabis in der Medizin zu erweitern und eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Cannabinoidtherapien zu ermöglichen.“

Daniela Kreher weist jedoch auch darauf hin, dass damit neue Herausforderungen und Fragen einhergehen. So wird man in Zukunft klären müssen, wie zum Beispiel mit dem geistigen Eigentum, also mit Patenten für Medikamente oder Saatgut, umzugehen ist. „Dabei sollten auch ökologische und ethische Aspekte eine Rolle spielen“, fordert Kreher. „Wenn nur noch bestimmte Sorten für Medizin angebaut werden dürfen, würden traditionelle Sorten und Anbaumethoden, wie sie in einigen Ländern teilweise seit Jahrhunderten praktiziert werden, verschwinden. Dies würde die Sortenvielfalt gefährden und kleine lokale Produzenten benachteiligen. Das Knowmad Institut setzt sich dafür ein, dass das nicht passiert, sondern gerechte und verantwortungsvolle Regulierungen implementiert werden“, so Kreher weiter.

Entscheidung der EU-Kommission zu CBD

Nur kurze Zeit nach der Abstimmung der CND gab die EU-Kommission bekannt CBD nicht – wie zuvor in Erwägung gezogen – als Betäubungsmittel einzustufen. „Im Lichte […] des jüngsten Urteils des Gerichtshofs […] hat die Kommission ihre vorläufige Bewertung überprüft und kommt zu dem Schluss, dass Cannabidiol nicht als Droge im Sinne des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 betrachtet werden sollte, da es keine psychotrope Wirkung hat. Demzufolge kann Cannabidiol als Lebensmittel eingestuft werden“, teilte die Kommission, ebenfalls am 02. Dezember, in einer schriftlichen Bestätigung an die European Hemp Association (EIHA) mit. 

Eine Reaktion der EU-Kommission wurde in der CBD-Branche mit Spannung erwartet, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) Mitte November entschieden hatte, dass CBD nicht als Betäubungsmittel zu bewerten sei. Die EU-Kommission hat damit ihre ursprüngliche Einschätzung revidiert und sich der Bewertung des EuGHs angeschlossen. Der Präsident des EIHA Daniel Kruse bezeichnete die Entscheidung als „wegweisend“. EIHA-Geschäftsführerin Lorenza Romanese erklärte zudem: „Jetzt, da CBD als Lebensmittel eingestuft wird, sind wir mit unseren Novel Food Anträgen des EIHA Konsortiums, CBD als Novel Food zuzulassen, perfekt aufgestellt. Damit werden wir endlich Sicherheitsstandards und -bewertungen für unsere wachsende Industrie erreichen.“ 

Im Zuge der Überprüfung der EU-Kommission waren rund 50 Novel Food Anträge verschiedener CBD-Hersteller gestoppt worden. Deren Bearbeitung kann nun weitergehen. Die Initiative Pro CBD setzt dabei auf „einen konstruktiven und wissenschaftlich fundierten Dialog mit Behörden und Politik“. Nun gelte es, „bundesweit einheitliche Standards für CBD-Produkte zu etablieren und diese in entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu verankern“, ließ die Initiative in einer Presseerklärung verlauten. 

Zwar wird es noch einige Zeit dauern, bis der Markt vollständig reguliert ist, nach monatelanger Ungewissheit kann die Branche nun dennoch zuversichtlich in die Zukunft blicken. Sowohl die Suchtstoffkommission der UN, also auch die EU-Kommission haben mit ihren Entscheidungen wichtige Signale gesetzt. Diese gilt es nun in nationale Bestimmungen umzusetzen.

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