Nach Urteil des EuGH zu CBD: „Freier Warenverkehr anwendbar“

by Moritz Förster

Die europäische Hanf- und CBD-Industrie atmet auf. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt, dass CBD kein Betäubungsmittel ist. Die Folgen: EU-weit sollte nun der Grundsatz des freien Warenverkehrs gelten, der europäische Markt sich regulatorisch endlich harmonisieren – und die Kommission wird die Novel-Food-Anträge nicht länger vor sich herschieben können. Nach dem regulatorischen Hin und Her in den vergangenen Monaten – ist dieses Urteil der Befreiungsschlag für die Branche auf dem Weg raus aus der Grauzone? In jedem Fall präsentiert sich Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann – zugleich EIHA-Mitglied und anerkannter Cannabis- wie Hanf-Experte – im Interview guter Dinge.

krautinvest.de: Gebannt hat die europäische Cannabis-Industrie auf die heutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs geblickt, wie erleichtert kann sie sein?

Kai-Friedrich Niermann: Das ist ein historischer Tag für die Branche, wobei man die Einzelheiten des Urteils noch genauer auswerten muss. Hanfextrakte, und zwar aus allen Teilen der Pflanze, das heißt auch aus den Blüten- und Fruchtständen der Pflanze, werden vom europäischen Gerichtshof nicht als Betäubungsmittel eingestuft, sodass der Grundsatz des freien Warenverkehrs auf diese rechtmäßig in der Tschechischen Republik hergestellten und vermarkteten Produkte anwendbar ist. Diese Entscheidung könnte der Anfang für eine harmonisierte Rechtsanwendung in der gesamten EU sein, da sich nun jedes Unternehmen auf diese Entscheidung berufen kann. Ferner ist jetzt nicht mehr vorstellbar, dass die EU-Kommission an ihrer vorläufigen Meinung aus dem Juli 2020, dass Hanfextrakte aufgrund der Verweisung der europäischen Lebensmittelgrundverordnung zu Anhang 1 der Single Convention als Betäubungsmittel einzustufen sind, festhalten wird.

krautinvest.de: Du hast die Harmonisierung angedeutet. Wie werden Mitgliedsstaaten diese Entscheidung implementieren?

Kai-Friedrich Niermann: Das bleibt abzuwarten. Viele deutsche Eingangsgerichte klassifizieren derzeit auch Lebensmittel aus oder mit Hanf als Betäubungsmittel, unter Verweis auf die Gesetzesbegründungen zur Reform von 1997 und die juristische Kommentierung, denen der Rohstoff Hanf nur für die energetische Nutzung wieder zugänglich gemacht werden sollte, aber nicht um die Bevölkerung mit THC-schwachen Zubereitungen für persönliche Konsumzwecke zu versorgen. Solche Fälle werden jetzt mit Verweis auf die Entscheidung des EuGH einfacher zu lösen sein. Die Entscheidung erhöht den Druck auf den deutschen Gesetzgeber, dass Betäubungsmittelgesetz insoweit klarer zu regeln, um dem Hanfsektor eine klare regulatorische Perspektive zu bieten und damit gesicherte Wachstumschancen zu ermöglichen.

Hanf und seine Derivate nach Lebensmittelrecht “Risiko beim Vertrieb bleibt bestehen”

krautinvest.de: Heißt das, nun ist das regulatorischen Hick-Hack endgültig beendet?

Kai-Friedrich Niermann: Unverarbeiteter Hanfblättertee, wie bei Kräutertees üblich, ist seit Jahrzehnten im Einzelhandel zu erwerben. Hanfextrakte sind nach Auffassung der Bundesoberbehörden ausschließlich nach Lebensmittelrecht, und nicht nach Betäubungsmittelrecht zu bewerten. Außerdem sind Hanfblüten legal in Österreich, Belgien und Luxemburg zu erwerben, eine vergleichbare Situation wie bei der vorliegenden Entscheidung. Solange Hanf und seine Derivate nicht klar im Betäubungsmittelrecht, aber auch hinsichtlich der THC-Werte im Lebensmittelrecht klar geregelt werden, bleibt ein Risiko beim Vertrieb dieser Produkte bestehen. Die Oppositionsparteien haben dieses Problem bereits erkannt und durch verschiedene kleine Anfragen und Anträge die Regierung hierauf aufmerksam gemacht. Wir wollen hoffen, dass spätestens nach der nächsten Bundestagswahl Klarstellungen seitens des Gesetzgebers, auf Initiative einer neuen Bundesregierung, erfolgen werden.

“Spätestens in drei Jahren Produkte mit Hanfextrakt verkehrsfähig”

krautinvest.de: Was bedeutet die Entscheidung konkret für CBD-Unternehmen sowohl im CBD-Markt als auch im Pharma-Markt?

Kai-Friedrich Niermann: Zumindest werden nun Anträge auf Zulassung als neuartiges Lebensmittel seitens der europäischen Kommission wohl weiter bearbeitet werden, insbesondere der Gemeinschaftsantrag der EIHA. Damit können spätestens in drei Jahren Produkte mit Hanfextrakten legal als verkehrsfähiges Produkt vertrieben werden. Für den Pharmamarkt sehe ich keine tatsächlichen Auswirkungen.

krautinvest.de: Hinsichtlich Reklassifizierung in der Single Convention, war die Entscheidung ein erster Fingerzeig?

Kai-Friedrich Niermann: Wenn Cannabis und insbesondere Extrakte von Cannabis aus Anlage 1 der Single Convention gestrichen werden, wie es der Vorschlag der WHO vorsieht, gehen die Verweisungen der europäischen Verordnungen auf den Anhang der Single Convention im Hinblick auf Lebensmittel und Kosmetika ins Leere. Das wäre ein großer Fortschritt und würde viele derzeitige Rechtsunsicherheiten beseitigen. So wäre dann auch Hanfblütenextrakt in Kosmetika zulässig. Natürlich wäre es wünschenswert, für eine einheitliche Rechtsordnung in der Europäischen Union, dass das nun ergangene Urteil sich in seinen Konsequenzen entsprechend klar durch eine Reklassifizierung auch in der Single Convention widerspiegelt.

krautinvest.de: Und für die Zukunft – welche Entscheidungen knüpfen logisch an den eingeschlagenen Weg an?

Kai-Friedrich Niermann: Um sämtliche Unsicherheiten für den europäischen und globalen Hanfsektor zu beseitigen, sollte in der Single Convention auch eine neue Definition von Industriehanf beziehungsweise Nutzhanf eingeführt werden, die die unterschiedlichen THC-Richtwerte für die Biomasse nach der Ernte berücksichtigt. Die EIHA wird hier demnächst einen eigenen Formulierungsvorschlag vorbringen und der EU-Kommission vorlegen. Die Mitgliedstaaten der Single Convention müssten diese Änderungen dann umsetzen, und zukünftige Auslegungsschwierigkeiten der nationalen Gerichte bei der Anwendung ihrer Betäubungsmittelgesetze könnten vermieden werden.

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