“Leute, lasst uns die Legalisierung richtig machen”

Die Geschichte einer außergewöhnlichen Cannabis- Apothekerin

by Hande Savus

Dr. Parniyan Alamdari steht in ihrem eigenen Labor und zerkleinert Cannabisblüten. Sie fängt an zu schmunzeln. „Was würden meine Eltern wohl denken, wenn sie mich jetzt sehen könnten: Fünf Jahre Pharmaziestudium, vier Jahre PhD, und jetzt stehe ich hier in meiner eigenen Apotheke mit einem Grinder in der Hand und zerkleinere für Stunden Cannabisblüten. “

Sie ist Inhaberin der Alexander Apotheke in Groß-Umstadt, einer der wenigen Cannabisapotheken in Deutschland. Einer der Anlaufstellen für medizinisches Cannabis im, wie sie es liebevoll bezeichnet, „Cannabis-Loch“ Hessen. In diesem Bundesland gebe es kaum Apotheken, die den Verkauf von medizinischem Cannabis anbieten. Im Januar 2022 eröffnet Parniyan wider Erwarten zur Freude der Menschen von Groß-Umstadt, einer Stadt mit ca. 21.000 Einwohner:innen im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg eine Apotheke mit Cannabisangebot. Die inzwischen 32 Jährige hat aufgrund ihres jungen Alters und ihres Vorhabens mit mehr Skepsis der Anwohner:innen gerechnet, diese hingegen seien begeistert, „dass da endlich jemand ist, der sich damit wirklich auskennt.“ Im Durchschnitt habe ihre Apotheke 200 und 250 Patient:innen am Tag.

Vernarbt schmerzfrei

Schon als sie zehn Jahre alt ist, weiß sie, dass sie im Labor stehen und Sachen miteinander mischen will. Als Teenager wird ihre Vorstellung konkreter: Sie will Apotheker:in sein. Dafür zieht sie mit 20 Jahren aus dem Iran nach Heidelberg, wo sie Pharmazie studiert. Außer ihrer Schwester und ihrem Bruder sei ihre gesamte Verwandtschaft noch im Iran. Der Beginn des Studiums gestalte sich schwierig: Sie müsse die Sprache lernen und falle mehrmals durch Prüfungen, erinnert sie sich im Gespräch. Einige ihrer deutschen Mitstudierenden trauten ihr in dieser Zeit nicht zu, dass sie den Abschluss schaffe. Sie sei nicht intelligent, nicht fleißig genug. Parniyan erzählt heute gelassen: „Dann habe ich gesagt, hockt euch mal hin und schaut mir zu.“ Ihren Aussagen folgen Taten: Sie sei die Einzige aus ihrem Jahrgang, die sich selbstständig gemacht und eine der Wenigen, die promoviert habe. „Diese Kommentare hinterlassen Narben“, erzählt sie, aber das habe sie nur noch stärker und schmerzfreier gemacht. Diese Schmerzfreiheit helfe ihr heute noch, wenn sie aufgrund ihres Geschlechts und ihres Alters als Geschäftsfrau nicht ernst genommen werde und sich durchsetzen müsse.

"Leute, lasst uns die Legalisierung richtig machen"

2014: Krakau Volleyball WM. Im Iran sei es für Frauen verboten, ins Stadion zu gehen.

Der Zufall will Cannabis

Dass sie ausgerechnet eine “Cannabis”-Apotheke betreibt, verdanke sie einigen Zufällen. Während der Legalisierung von medizinischem Cannabis habe sie in einer Apotheke als Angestellte gearbeitet. „Dort habe ich das erste Mal medizinisches Cannabis verkauft“, erinnert sie sich. Geliefert wurde es in einer schwarzen Box. Beim Öffnen dieser Box habe die ganze Apotheke nach Cannabis gerochen. „Die Leute, die in die Apotheke kamen, haben uns gefragt, was wir da eigentlich machen“, erzählt Parniyan lachend.

Während ihrer Promotion habe sie bei Farmako, einem medizinischen Cannabis-Unternehmen, als Pharmareferentin gearbeitet. „Da war ich zum ersten Mal mit einem Cannabis Unternehmen in Kontakt.“ In dieser Zeit habe sie viel über die Cannabispflanze als Medikament und die Pflanze lieben gelernt. Da sie selbst immer wieder Vorfälle mit der Bandscheibe habe, wisse sie, wie es sei, mit Oxcycodon und Morphium vollgepumpt zu sein. „Ich weiß, was die Wirkstoffe mit dir machen.“ Da habe Cannabis eindeutig mehr Vorteile als Nachteile.

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2017: Erste Cannabis Lieferung in der Neuenheimer Apotheke in Heidelberg

Zu Kiffern degradiert?

Zu häufig höre Parniyan gegenüber medizinischen Cannabis-Patient:innen kritische Stimmen aus den eigenen Reihen: „Solche Leute will ich nicht in meiner Apotheke sehen“, sei ein klassischer Satz, den andere Apotheker:innen ihr und ihrem Cannabis-Angebot sowie den Patient:innen entgegenbringen. Man dürfe nicht vergessen, dass mit der Formulierung „solche Leute“ Patient:innen gemeint sein, die Cannabis auf Rezept als Medizin verschrieben bekommen haben. Sie werden dennoch zu Kiffer:innen degradiert, findet Parniyan.

Ihre Augen strahlen, wenn sie von den zahlreichen Studien erzählt, die die positiven medizinischen Wirkungen von Cannabis, aber auch zur LSD und Ketamin belegen. Dennoch verschließe sich eine Mehrheit des Fachpersonals gegenüber diesen innovativen Ergebnissen und das auf Kosten von gesundheitsfördernden Einsatzmöglichkeiten dieser Substanzen für Patient:innen.

Auch ein Großteil der Ärzte und Ärztinnen sei skeptisch. Sätze wie: „Wenn es sich rumspricht, dass ich Cannabis verschreibe dann habe ich nur noch Junkies, in meiner Praxis“ seien keine Seltenheit. Dieses Verhältnis sei absurd, da dieselben Mediziner:innen Oxycodon, Fentanyl und Morphium verschreiben. Dennoch weiß sie: „Ärzte werden ziemlich allein gelassen.“ Es gebe kaum Fortbildungen zu medizinischem Cannabis und einen Mangel an Außendienstler:innen von Cannabis-Pharma-Unternehmen, die den Einsatzbereich ihrer Produkte vermitteln.

Ihr Kampf gegen das Stigma

 Der Stigmatisierung aufgrund fehlenden Wissens wolle Parniyan durch eigenständig organisierte Veranstaltungen entgegenwirken. Sie wolle einen Raum für Fragen erschaffen. „Ich will dem medizinischen Fachpersonal zeigen, wie sie Cannabis verschreiben können; wie sie einen Antrag bei der Krankenkasse erstellen können und bei welchen Patienten Cannabis eingesetzt beziehungsweise welche Sorte verwendet werden kann.“ Es sei wichtig, Ärzte und Ärztinnen zu überzeugen. Denn der Status quo zeige, dass nicht genügend Rezepte für Patient:innen erstellen werden.

Die positiven Auswirkungen der Legalisierung auf den medizinischen Markt

Die Legalisierung könne positive Auswirkung auf den medizinischen Markt haben, zeigt sich Parniyan optimistisch. „Denn durch die Legalisierung könnte die Produktion sich einfacher gestalten, wodurch die Kosten sinken.“ Zudem haben Patient:innen legale Möglichkeiten, an den Abgabestellen Cannabis zu kaufen, wodurch die Krankenkassen entlastet wären. Wodurch dann Patient:innen, die sich die private Versorgung nicht leisten können, durch die Krankenkassen einfacher Rezepte erhalten könnten. So ihre Hoffnung.

Auf die Kritik, dass die Patient:innen durch die Legalisierung unversorgt bleiben könnten, reagiert Parniyan gelassen: „Aus meinem eigenen Alltag weiß ich, dass es tonnenweise Cannabis gibt, welches keine Verwendung findet und schließlich vernichtet werden muss“, erklärt die 32-Jährige. Cannabis sei nur sechs Monate haltbar, und zu Zeit zeichne sich die Tendenz ab, dass Cannabis in den Apotheken eher weggeschmissen werde, als das ein Mangel bestehe. Zudem hat die Bundesregierung im Eckpunktepapier betont, dass der medizinische Cannabismarkt parallel bestehen bleibt.

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Pharmaziestudium. Herstellung vom goldenen Paracetamol.

Veränderung des Mindsets durch Entkriminalisierung

Parniyans Herzensangelegenheit sei es, neben all den Debatten um die Legalisierung den Fokus auf die Entkriminalisierung zu setzen. Die Entkriminalisierung könne das Mindset der breiten Bevölkerung verändern: Durch sie werde die Vorstellung, dass ein Mensch, der Cannabis konsumiere, eine kriminelle Person oder ein Junkie sei, aus der Welt geschaffen. Ohne Entkriminalisierung von Cannabis wäre der Konsum nach der Legalisierung noch immer schambehaftet, prognostiziert sie. Zudem haben viele Menschen Angst vor Cannabis, die keine Berührungspunkte damit haben. „Die Menschen haben Angst um ihre Kinder.“ Parniyan sei derzeit mit dem Bürgermeister von Groß-Umstadt im Gespräch. Sie wolle die Bewohner:innen von Groß-Umstadt und Darmstadt einladen zu einer offenen Runde. „Ich will die Leute informieren, ich will ihnen die Angst vor dem Thema Cannabis nehmen“, erklärt sie entschlossen. „Von meiner Sorte gibt es halt nicht viele – also, dass man vergleichsweise jung ist und sich selbstständig macht und sich dann auch noch mit Cannabis beschäftigt, sich einsetzt. Wenn ich das nicht mache, wer macht es?“  Aber allein komme sie damit nicht weiter, zwar könne sie in Groß-Umstadt ein Anlaufstelle für die Sorgen der Bevölkerung sein, aber dies müsse nachhaltiger und flächendeckender geschehen. Ein erster Schritt in diese Richtung sei die Vernetzung von Cannabis-Apotheker:innen untereinander. Ihre Apotheke sei beispielsweise vernetzt mit der Apotheke Lux99. 

Vision und Mission

„Meine Mission habe ich sehr deutlich für mich formuliert, ich möchte gerne eine der Gesichter sein, die Cannabis repräsentieren“, erzählt sie lächelnd. „Ich weiß, dass ich noch einen weiten Weg vor mir habe.“ Sie scheint die perfekte Kandidatin zu sein: Sie beurteilt das ganze Thema aus einer anderen Perspektive, sie ist jung, aber sie kennt sich aus. Optimistisch, aber nicht naiv. Dazu hat sie ihre eigene Apotheke, in welcher sie direkt etwas verändern und umsetzen kann. “Leute, lasst uns die Legalisierung richtig machen. Wenn es einmal gemacht wird, dann können wir nichts mehr rückgängig machen. Es ist eine einmalige Sache. Entweder machen wir es richtig oder wir haben verkackt.“

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