Potenzielle Legalisierung – das hoffnungsvolle Echo aus der Cannabis-Industrie

by Redaktion

Wie beurteilen Deutschlands führende Industrievertreter eine mögliche Cannabis-Legalisierung? Wir haben uns umgehört: Weitestgehend hoffen die Gründer und Geschäftsführer erfolgreicher Cannabis-Unternehmen auf Wachstumschancen, mehr Kontrolle und dadurch auch auf eine bessere Prävention als auf dem Schwarzmarkt. Sie verweisen auf Steuereinnahmen und sinkende Kosten für den öffentlichen Haushalt. Zugleich diskutieren sie die konkrete Ausgestaltung: Abgabe über Fachgeschäfte oder Apotheke? Anbau in Deutschland oder Import? Und mahnen angesichts der halben Rolle rückwärts in Luxemburg – dort ist nur der Eigenanbau legalisiert – auch, dass bis dato nichts in Stein gemeißelt ist. Außerdem melden sich kritische Stimmen zu Wort: Cannabis sei eher ein pharmazeutisches Produkte, keines für den Genuss. Wir waren auf Stimmenfang.

Wachstumsmarkt, Steuereinnahmen und Entlastung des Staatshaushalts

Timo Bongartz, General Manager Fluence: “Wir haben in Deutschland bereits eine starkes Ökosystem an Unternehmen, die eine Cannabis-Legalisierung erfolgreich und strukturiert umsetzen können. Ob Startup oder Konzern, ob Industrie, Handel oder Kapitalgeber, die Marktteilnehmer sind bereit. Nun gilt es, politisch und gesellschaftliche auszuloten, ob und wie man den Weg der Legalisierung bestreiten möchte.”

Niklas Kouparanis, Co-Founder und CEO der Bloomwell Group: “Eine Legalisierung bahnt sich deutlich an, auch wenn Cannabis in Deutschland sicherlich nicht über Nacht legalisiert wird. Schließlich ist es einer der wenigen Punkte, in dem sich alle Koalitionspartner weitestgehend einig sind. Die Crux ist die konkrete, regulatorisch anspruchsvolle, Ausgestaltung – ich gehe stark von einem zukünftigen Recreational-Verkauf durch Apotheken aus. Die Produktsicherheit für den Konsumenten muss hier an erster Stelle stehen. Wohlgemerkt sprechen wir im Fall einer Legalisierung in Deutschland von dem bis dato größten legalen Markt weltweit. Aus unternehmerischer Sicht wäre es fahrlässig, wenn ich für diesen Markt keine Strategie entwickelt hätte. ‘Die Ampel steht auf grün.'”

Benedikt Sons, Co-Gründer und CEO von Cansativa: “Positiv! Ein echter Wachstumstreiber für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Steigende Steuereinnahmen und zahlreiche neue Arbeitsplätze könnten die deutsche Wirtschaft ankurbeln. Einhergehend die Entlastung von Justiz und Behörden durch den Wegfall von Kleinstdelikten rund um Cannabis – diese schlucken nicht nur Zeit und Papier, sondern kosten den Staat auch enorm viel Geld. Gesellschaftlich ist aus unserer Sicht das Thema Cannabis bald salonfähig, erfährt mehr und mehr Unterstützung und es gilt nun mit dem richtigen regulatorischen Rahmen gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches legales Cannabisprogramm zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist Cannabis kein bedenkenfreies Produkt und es ist wichtig, dass die Abgabe unter gewissen Auflagen erfolgt, um Missbrauchsrisiken zu reduzieren und insbesondere Schutzbedürftige zu schützen bzw. über Gefahren aufzuklären.”

Lars Müller, CEO von Synbiotic: “Die neue Regierung in Deutschland gibt uns jetzt nochmals zusätzlichen Rückenwind. Die Details sind zwar noch nicht bekannt, aber wir erwarten einen deutlichen Schritt vorwärts, was das Thema Legalisierung und Kommerzialisierung betrifft.”

Individuelle und unternehmerische Freiheit gewährleisten

Kai-Friedrich Niermann, Anwalt und Industrieberater: “Die Legalisierung von Cannabis ist überfällig. Eine neue Cannabis-Politik ist für die staatliche und gesellschaftliche Modernisierung, die die neue Regierung ankündigt, unverzichtbar. Die persönliche Freiheit des Einzelnen und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Unternehmen, eingebettet in einen wohl regulierten Rahmen der sozialen Verantwortung, müssen gestärkt und die gescheiterte staatliche Repressionspolitik abgelöst werden.”

Kontrollierte Abgabe statt Auswüchse auf dem Schwarzmarkt

Finn Age Hänsel, Gründer Sanity Group: “Es hängt natürlich viel von der regulatorischen Ausgestaltung der Abgabe ab, aber generell kämpfe ich bereits seit mehr als 20 Jahren für eine Liberalisierung der Cannabisnutzung und freue mich, wenn sich in der Politik nun etwas bewegt. Eine kontrollierte Abgabe und ordentliche Regulierung löst mehr Probleme als die Auswüchse auf einem wachsenden Schwarzmarkt weiter hinzunehmen. Und ganz nebenbei eine Cannabissteuer auch, Corona-bedingte Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen, ohne jemanden mehr zu belasten.”

Tobias Pietsch, Inhaber: “Die Cannabislegalisierung ist gesellschaftlich unabdingbar. Wir werden viele der aufgekommenen Probleme verbessern können.”

Dr. Adrian Fischer, Arzt und Naturwissenschaftler, Mitgründer und Geschäftsführer von Demecan: „Statt einer pauschalen Legalisierung bedarf es einer klugen Deregulierung. Dazu zählen die Aufklärung und der Jugendschutz. Außerdem braucht es strenge Qualitätskontrollen des Anbaus und der Produktion, z.B. durch die bereits bestehende deutsch ese Cannabisagentur, die auch das medizinische Cannabis kontrolliert, sowie eine Beschränkung der Produktion auf zertifizierte Hersteller, idealerweise aus Deutschland. Natürlich ist Cannabis als Genussmittel auch ein potenzieller Milliardenmarkt, der Steuereinnahmen und Arbeitsplätze verspricht. Und zudem könnten die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte entlastet werden. Klar ist aber, dass im Rahmen einer Legalisierung auch Fragen beantwortet werden müssen, wie die nach der Kompensierung von faktisch eben doch vorhandenen Risiken, die auf das Gesundheitssystem zukämen. Oder wo Verbraucherinnen und Verbraucher das Cannabis beziehen sollen. In lizenzierten Fachgeschäften oder doch in Apotheken, die Cannabis als Medikament schon seit 2017 ausgeben? Fest steht: Apothekerinnen und Apotheker verfügen bereits über das entsprechende Wissen über die Wirkstoffe, können Dosis und Reinheit bewerten. Denn am Ende muss das Ziel sein, Bürgerinnen und Bürger Zugang zu einem kontrollierten, qualitativ hochwertigen Produkt zu gewähren und sie vor gefährlicher Ware vom Schwarzmarkt zu schützen.“

Regulatorische Herausforderung

Stephen Murphy, CEO & Co-Founder Prohibition Partners: “Ich gehe davon aus, dass die Legalisierung in Deutschland voranschreiten wird, allerdings werden sowohl die Entwicklung als auch die Umsetzung der erforderlichen Voraussetzungen einige Zeit in Anspruch nehmen. Es handelt sich um eine Maßnahme im Bereich der öffentlichen Gesundheit, nicht um eine wirtschaftliche Maßnahme der Regierung. Daher ist ein gut überlegtes Vorgehen erforderlich, das heißt die Lieferkette wird nicht zu stark von den derzeitigen Standards abweichen. Ich würde eine (kleine) Wette darauf abschließen, dass Deutschland vor den USA legalisiert!”

Koordination auf europäischer Ebene

Daniel Kruse, Unternehmer und EIHA Präsident: “EIHA begrüßt die Cannabis-Legalisierung in Deutschland, die einen weiteren Schub für die europäische Hanfindustrie bringen wird und dazu beiträgt, die jahrzehntelange Stigmatisierung von Hanf zu beenden. Wir fordern die Bundesregierung allerdings auf, den neuen rechtlichen Rahmen eng mit den europäischen Partnern zu koordinieren und sich für eine europaweit harmonisierte Nutzhanf- und Cannabis-Strategie einzusetzen. Außerdem muss die Legalisierung so sozial verantwortlich und gerecht wie möglich gestaltet werden, auch im Hinblick auf Jugendschutz, Prävention und Teilnahme am Straßenverkehr.”

Mehr als Eigenanbau – Skepsis bleibt

Alfredo Pascual, Vice-President of Investment Analysis bei Seed Innovations: “Es ist noch zu früh, um mit Sicherheit zu wissen, wann und wie Cannabis für Erwachsene in Deutschland legalisiert werden wird. Im benachbarten Luxemburg hat die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 eine vollständige Legalisierung versprochen. Drei Jahre später sieht es nun allerdings so aus, als würde man sich darauf beschränken, den Anbau einiger weniger Pflanzen für den Eigenbedarf zu Hause zu erlauben. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch lange nicht ideal. Ich hoffe, dass die deutschen Politiker der neuen Regierung, so sie überzeugt sind, dass Cannabis legalisiert werden sollte, den Mut haben werden, über das hinauszugehen, was ihre Kollegen in Luxemburg gemacht haben.”

Cannabis ist ein pharmazeutisches Produkt

Linus M. Weber – Founder & M.D.: “Cannabis ist ein legales Arzneimittel und das müssen wir in Deutschland noch breiter durchsetzen, damit mehr Patienten behandelt werden können. Hierfür ist eine Legalisierung als Genussmittel nicht förderlich, sondern drängt potentielle Verschreiber und Patienten wieder zurück. Meines Erachtens ist der einzige richtige Weg, Cannabis weiterhin nur pharmazeutisch anzubieten. Ob es allerdings weiter verschrieben werden muss oder auch Produkte mit niedrigem THC Gehalt ohne Verschreibung in Apotheken verfügbar gemacht werden können, sollte man im Detail prüfen.”

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