Kirsten Kappert-Gonther über EU-Regularien: “Es ist ein Jammer”

Grünen-Abgeordnete kritisiert die vorherrschende Meinung

by Moritz Förster

Die Grünen hatten bereits im März 2015 einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, um Cannabis als Genussmittel zu legalisieren. CDU und SPD, damals gemeinsam an der Regierung, lehnten diesen Vorschlag 2017 ab. Auch ein erneuter Anlauf der Grünen mit dem gleichen Entwurf scheiterte drei Jahre später. 2018 brachten die Grünen den Entwurf erneut im Bundestag ein, am 29. Oktober 2020 lehnte Schwarz-Rot diesen erneut ab. Zu den Grünen-Abgeordneten, die den Gesetzesentwurf zeichneten, zählte neben dem heutigen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auch Kirsten Kappert-Gonther, die seit 2001 Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist.

Heutzutage sieht die politische Landschaft in der Bunderepublik anders aus: Die SPD regiert in einer Ampel-Koalition. Gerade auch auf Drängen von Grünen und FDP vereinbarten die Koalitionspartner im November 2021 im Koalitionsvertrag, die Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften zu legalisieren. Diesen Plan konkretisierte zunächst ein Eckpunktepapier im Oktober 2022, bevor im April in einem zweiten Eckpunktepapier die ursprünglichen Legalisierungspläne abgespeckt wurden. Der Grund: Einwände der Europäischen Kommission in informellen Gesprächen und mögliche Komplikationen mit europäischem Recht.

Hatten die Grünen im Cannabis-Kontrollgesetz noch den Aus- und Wiedereintritt aus der Single Convention analog zu Bolivien vorgeschlagen, setzt die Ampel-Koalition nun anscheinend auf einen dialogorientierten Ansatz, um den Rahmenvertrag von 2004 und das Schengener Abkommen perspektivisch zu ändern – und leitet durch die entkriminalisierte Produktion und Abgabe in nicht-kommerziellen Cannabis Clubs sowie durch regionale Pilotprojekte parallel eine Zeitenwende ein.

Dennoch bleiben die Pläne weit hinter den Inhalten des Cannabis-Kontrollgesetzes der Grünen zurück. krautinvest.de wollte vor diesem Hintergrund von Kirsten Kappert-Gonther wissen, wie sie die geplante Cannabis-Neuregulierung und den ersten geleakten Kabinettsentwurf beurteilt.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther:

„Wir überwinden die Prohibition von Cannabis und stärken den Jugend- und Gesundheitsschutz. Wir holen Millionen Konsumierende aus der Kriminalisierung und machen den Weg frei für legale Alternativen. Durch gefährliche Streckmittel wie Blei oder zugesetzte synthetische Cannabinoide auf Cannabis vom Schwarzmarkt wurden die Risiken des Konsums nur verschärft. Jetzt stärken wir den Gesundheitsschutz. Mit dem Eigenanbau und der Erlaubnis von Cannabis Clubs kann sichergestellt werden, dass Cannabis keine gefährlichen Streckmittel enthält.

Ziel bleibt die umfassende Legalisierung mit der flächendeckenden kontrollierten Abgabe in lizensierten Fachgeschäften. Es ist ein Jammer, dass nach der vorherrschenden juristischen Meinung, die EU-Regularien derzeit noch dem Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften im Wege stehen. Um weiter voranzukommen, sollen Modellprojekte wissenschaftlich begleitet die legale Abgabe erproben. Dabei wird es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen. Es müssen wirksame Regeln für den Jugendschutz umgesetzt werden. Je mehr erwachsene Konsumierende Zugang zu legalen Alternativen haben, desto entschiedener wird der Schwarzmarkt eingedämmt. Es sollte klargestellt werden, dass auch die Abgabe von Edibles und Beverages erlaubt wird, denn sie tragen im Vergleich zur Inhalation zur Harm Reduction bei.

Hier ist auch das Parlament und die Beratung im Gesundheitsausschuss gefragt.

Gleichzeitig kann Kanada weiter ein Vorbild für Deutschland sein. Dort funktioniert die umfassende Legalisierung einschließlich der Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften sehr gut.“

Disclaimer: krautinvest.de ist Medienpartner der diesjährigen ICBC Berlin, die am 29. und 30. Juni 2023 in Berlin stattfindet. Unsere Leser:innen erhalten über diesen Link 25 Prozent Rabatt auf Tickets. Dr. Kirsten Kappert-Gonther diskutiert am Donnerstag, den 29. Juni, um 10:40 Uhr in einem Panel mit Jürgen Neumeyer (BvCW), Erwin Rüddel (CDU), Hakan Demir (SPD) und Roman Rogat (FDP) über den Status Quo der Policy-Reform der deutschen Bundesregierung.

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