Kann ein 60 Jahre altes UN-Abkommen die Cannabis-Legalisierung stoppen?

by Micha Knodt

Die neue Bundesregierung hat die Re-Legalisierung von Cannabis angekündigt. Bisher hat sie sich jedoch nicht dazu geäußert, wie man das mit den UN-Einheitsabkommen über psychotrope Substanzen von 1961 in Einklang bringen möchte. Denn dies lässt den Mitgliedstaaten bei Cannabis zum Freizeitkonsum wenig Spielraum: 

Länder oder Gebiete, die Opium, Cannabis oder Cannabisharz herstellen, befinden sich in einer anderen Lage. Soweit sie privaten Landwirten den Anbau von Pflanzen gestatten, aus denen diese Drogen gewonnen werden, können sie die von den einzelnen Erzeugern geernteten Mengen nicht mit hinreichender Genauigkeit feststellen. Würden sie den Verkauf der Pflanzen an private Händler gestatten, könnten sie die Mengen, die in den kontrollierten Handel gelangen, nicht mit hinreichender Genauigkeit feststellen. Die Wirksamkeit ihrer Kontrollregelung würde dadurch erheblich geschwächt. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass die Erlaubnis des Ankaufs der Kulturen durch private lizenzierte Händler dazu führt, dass große Mengen von Drogen in illegale Kanäle abgezweigt werden. Diejenigen, die unter der Schirmherrschaft der Legaue of Nations und der Vereinten Nationen das Kontrollsystem für die Erzeugung von Opium, Kokablättern, Cannabis und Cannabisharz geplant haben, sowie die Verfasser des Protokolls von 1953 und des Einheitsübereinkommens sind daher zu dem Schluss gekommen, dass die Beschaffung der Kulturen sowie der Großhandel und der internationale Handel mit diesen landwirtschaftlichen Erzeugnissen nicht privaten Händlern anvertraut werden kann, sondern von den staatlichen Behörden der Erzeugerländer übernommen werden muss. Artikel 23, Artikel 26, Absatz 1 und Artikel 28, Absatz 1 verlangen daher ein staatliches Monopol für den Großhandel und den internationalen Handel mit dem betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnis in dem Land, das die Erzeugung zulässt.“

Wie genau diese nationale und internationale Kontrolle in Bezug auf Cannabis aussehen soll, beschreibt das Einheitsabkommen in den Artikel 23, 26 und 28.  

Artikel 23 des Abkommens besagt

 „Eine Vertragspartei, die den Anbau von Schlafmohn zur Herstellung von Opium zulässt, richtet, sofern sie dies noch nicht getan hat, eine oder mehrere staatliche Stellen (in diesem Artikel als Stelle bezeichnet) ein, um die in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen.“

Außerdem steht dort: “Alle Schlafmohnanbauer sind verpflichtet, ihre gesamte Opiumernte an die Agentur zu liefern. Und zwar so schnell wie möglich, spätestens jedoch vier Monate nach Abschluss der Ernte.“

Gemäß den Artikeln 26 und 28 gilt das gleiche Kontrollsystem für Koka und Cannabis.

Das Abkommen setzt aber nicht nur die Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung der in ihm aufgeführten Stoffe, es bildet bis heute die Grundlage der weltweiten Drogengesetzgebung. 

Wie schon im Internationalen Opiumabkommen von 1925 wurde neben Schlafmohn und Kokastrauch auch Cannabis als international kontrollierte Pflanze aufgenommen. Es wurde ein globales Meldesystem eingerichtet, in dessen Rahmen die Mitgliedsstaaten dem Suchtstoffkontrollrat ihre produzierten, exportierten, gelagerten und verwendeten Betäubungsmittel melden müssen. In den 1970er Jahren wurde das Übereinkommen um psychotrope Stoffe wie Amphetamin, Barbiturate oder LSD erweitert.

Fast unmöglicher Drahtseilakt

Um nicht nur die Verwendung von medizinischem Cannabis, sondern auch den Freizeitkonsum ohne internationalen Gegenwind legalisieren zu können, bedarf es eines zur Zeit fast unmöglichen Drahtseilakts. Denn eine nationale Regulierung aus nicht medizinischen Gründen sieht das Abkommen, das 1961 im Prinzip zur weltweiten Ausrottung von Cannabis, Opium und Koka ins Leben gerufen wurde, gar nicht erst vor. 

Daher ist es fast unmöglich, Cannabis zu legalisieren, ohne wenigstens formell in Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft zu geraten. Selbst die Legalisierung von medizinischem Cannabis gestaltet sich angesichts des Vertrages als schwierig, aber möglich. So hat es Deutschland geschafft, sein medizinisches Cannabis-Programm ohne Vertragsverstöße zu gestalten. Kanada und Uruguay haben dies weder bei medizinischem noch bei Cannabis zum Freizeitkonsum vermocht und erhalten deshalb regelmäßig Rügen des INCB (International Narcotic Control Board). So sollte man einen Blick auf die deutsche Regelung für medizinisches Cannabis werfen, um darüber einen Weg zur Legalisierung von Cannabis zum Freizeitgebrauch zu ebnen, der im Einklang mit dem Abkommen steht. 

Die Aufgaben der Cannabis-Agentur werden umfassender

Derzeit muss die dem BfArM angegliederte Cannabisagentur alle in Deutschland produzierten, medizinischen Cannabisprodukte erst ankaufen, um sie an die Großhändler zu vertreiben. Natürlich hantiert die Agentur in Bonn nicht selbst mit den Blüten. Sie hat diese Aufgabe an eine Frankfurter Firma delegiert, die Agentur an sich ist verantwortliche Kontrollinstanz. Will man Cannabis auch für den Freizeitkonsum legalisieren, müsste die Cannabisagentur auf diesem Feld genauso verfahren und die gesamte Ernte verwalten.

Anders als die Deutsche Cannabisagentur oder das niederländische OMC (Office of Medical Cannabis) kauft die kanadische Agentur die Ernte der medizinischen Produzenten nicht auf. Weil die Erzeuger direkt an die Patienten oder seit 2018 sogar an Freizeit- Konsument*innen verkaufen dürfen, verstößt Kanada selbst mit seinem Programm für medizinisches Cannabis seit Jahren gegen das Abkommen. Das INCB ist als Kontrollbehörde der UN für die Einhaltung des Abkommens zuständig und ermahnt Kanada immer wieder aufgrund dieser Praxis.

Wege zur Umgehung des Einheitsabkommens

Uruguay, Bolivien und Kanada mussten sich bereits mit dem Thema auseinandersetzen und haben unterschiedliche Ansätze gewählt, um Entscheidungen auf nationaler Ebene mit den internationalen Vereinbarungen in Einklang zu bringen:

Bolivien: Raus und wieder rein

Bolivien hat dies im Jahr 2009 getan. Die Regierung schlug vor, einige Bestimmungen zum Koka-Blatt aus dem Vertrag von 1961 zu streichen. Dieser Vorschlag wurde von den anderen Vertragsparteien abgelehnt. Am 29. Juni 2011 trat Bolivien mit Wirkung vom 1. Januar 2012 aus dem einheitlichen Übereinkommen aus und trat am 10. Januar 2012 mit einem Einspruch zu Artikel 50 wieder bei. Bolivien erklärte, dass es den Anbau, den Handel und den Konsum von Kokablättern in seinem Land erlauben würde. Fünfzehn Vertragsparteien legten innerhalb eines Jahres Einspruch ein, womit das für eine Ablehnung erforderliche Quorum von einem Drittel aller Staaten deutlich verfehlt wurde. So wurde Bolivien am 11. Januar 2013 wieder als Vertragspartei eingestuft. Nationen, die Cannabis legalisieren, könnten das Gleiche mit einem Einspruch gegen das internationale Cannabisverbot versuchen.

Uruguay: Ignorieren und aussitzen

Uruguay wurde kurz vor der Legalisierung von Cannabis von der UN-Drogenbehörde (International Narcotic Control Board – INCB) gerügt. Der ehemalige INCB-Präsident Raymond Yans warf Uruguays Ex-Präsident Mujica 2013 vor, eine “Piratenhaltung” einzunehmen, weil seine Regierung Cannabis legalisierte. 

Mujica wehrte sich daraufhin vehement gegen die Vorwürfe, die wiederholt gegen sein Land erhoben worden waren. Mujica reagierte auf die Kritik des ehemaligen INCB-Vorsitzenden:

“Sagen Sie dem alten Mann, er soll aufhören zu lügen. Wir können uns in Uruguay treffen, wann immer er will. […]. Er sitzt in einer bequemen Position auf der internationalen Bühne und glaubt, dass er Unsinn erzählen kann.”

So klare Worte  sind von Olaf Scholz zum Thema Cannabis wohl nicht zu erwarten. 

Aber trotz der Drohgebärden hat die internationale Gemeinschaft Uruguay bis heute nicht sanktioniert, weil man dort Cannabis legalisiert hat. 

Das INCB hat auch zahlreiche Beschwerden an die Vereinigten Staaten verschickt, weil dort immer mehr Bundesstaaten Cannabis legalisieren. Das INCB erinnerte die USA erstmals 2012 an die Tatsache, dass die Legalisierung des Anbaus und des Besitzes von Cannabis in den US-Bundesstaaten Colorado und Washington gegen den Vertrag verstoße und forderte die US-Regierung auf, die Konformität mit dem Einheitsabkommen wieder herzustellen. Auch hier ist das Gegenteil eingetreten, jetzt ist Cannabis in vielen Bundesstaaten legal und die UN sind weit davon entfernt, die USA deswegen zu sanktionieren. 

Kanada: Nicht einhalten und rechtfertigen

Bereits auf der 59. Sitzung der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (CND) im März 2016 bestätigte die Unterstaatssekretärin für Gesundheit Kanadas, Hilary Geller, die Pläne Kanadas zur Legalisierung von Cannabis zum Freizeitkonsum. Geller stellte gleichzeitig klar, dass “die (kanadische) Regierung sich weiterhin für eine starke internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung des weltweiten Drogenproblems einsetzt und, wo immer möglich, versuchen wird, ihre Ziele für eine neue Regelung mit den Zielen des internationalen Drogenkontrollrahmens und dem Geist der Übereinkommen in Einklang zu bringen.”

Kein anderer Staat außer Kanada hat bisher eine solche Position der “Nichteinhaltung” eingenommen. Mit seiner Ankündigung hat Kanada den Grundstein für eine anhaltende Debatte darüber gelegt, wie Cannabis auf nationaler Ebene reguliert werden kann, ohne internationale rechtliche Verpflichtungen zu verletzen. Auch Kanada wurde trotz wiederholter Rügen des INCB bis heute nicht wegen seiner Cannabis-Politik sanktioniert.

Indien: Eine Generation aussetzen

Indien hat es 1961 vorgemacht. Weil man meinte, das Cannabisverbot lasse sich aufgrund der kulturellen Eigenheiten des Landes nicht von heute auf morgen umsetzen, musste Indien die Vorgaben erst ab 1985 vollständig erfüllen. In Nepal war es ähnlich, hier wurde Cannabis allerdings schon 1976 offiziell verboten. Deshalb konnten die ersten Hippies in den frühen 1970er in Kathmandu auch noch ganz legal Haschisch erwerben. 

Indien hatte sozusagen eine Generation Zeit erbeten, um eine Jahrtausende alte Tradition auszumerzen. Zwar erfüllt Indien mit der Verabschiedung seines „Narcotic Acts“ seit 1985 formaljuristisch alle Bedingungen des Einheitsabkommens – ohne seitdem jedoch entscheidend Einfluss auf das Konsumverhalten seiner Landsleute genommen zu haben. Cannabis ist in Indien immer noch Teil religiöser Zeremonien, gesellschaftlich viel tiefer verwurzelt als Alkohol und deshalb auch 36 Jahren nach dem Verbot omnipräsent.

Deutschland hat mit seinem Gesetz zur medizinischen Verwendung von Cannabis gezeigt, dass man hier durchaus in der Lage ist, eine Aufgabe, an der Kanada und Uruguay vorher gescheitert waren, zu bewältigen: Die Homogenisierung nationalen und internationalen Rechts bei medizinischem Cannabis in Form eines gut vorbereiteten, nationalen Gesetzes. Deshalb dient das Deutsche Gesetz zur Verwendung von medizinischen Cannabis derzeit als Blaupause für viele andere Länder. Das alleine ist eine gute Voraussetzung, seine Hausaufgaben beim Thema Cannabis zum Freizeitkonsum gründlicher zu erledigen als die bisherigen Kandidaten Uruguay und Kanada.

Kann das Einheitsabkommen geändert werden?

Eine Änderung des 60 Jahre altem Abkommens wäre ein komplexer, jahrelanger Prozess. Eine Regulierung von Cannabis zum Freizeitkonsum bedarf der Unterstützung durch die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten. Eine solche erfordert intensive Verhandlungen, Koalitionsbildung und Unterstützungserklärungen auf hoher Ebene. Kurzfristig wird Deutschland also nichts anderes übrig bleiben, als einen der zuvor beschriebenen Ansätze zu wählen. Ob der kanadische Vorstoß oder die Herangehensweise Boliviens hier völkerrechtlich als Vorbild dienen kann oder ob man sich einen ganz neuen Ansatz überlegen muss, ist Aufgabe der Juristen, die sich alsbald mit dem Thema beschäftigen werden.

Ziel eines solchen Prozesses muss es sein, allen Mitgliedstaaten, die dies wünschen, die Möglichkeit zu geben, Freizeit- und medizinisches Cannabis in Zukunft zu regulieren. Die Gesetzgebung in internationalen Abkommen ist nie unumstößlich und kann geändert werden, wenn der demokratische Wille der Nationen dies erfordert.

Will Deutschland wirklich schnell regulieren, sollte man nolens volens damit rechnen, mit dem Unmut eines Teils der Staatengemeinschaft beim Thema Cannabis umgehen zu müssen – so wie es Kanada und Uruguay seit Jahren vormachen. 

Quellen:

  • Das Abkommen (UN)
  • INCB rügt Kanada wg. Freizeitkonsum (INCB)
  • INCB rügt Kanada wg. Medizinprogramm noch 2018 (INCB)
  • und Uruguay (INCB und nochmal INCB)
  • Antwort von Uruguays Präsident (SSDP)
  • Bolivien tritt ein und aus (UN)
  • Indien verabschiedet Cannabis Verbot erst 1985 (Wikipedia)
  • Kanada argumentiert (UN)

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