Ein frustrierter Blick auf die aktuelle Cannabis-Politik-Debatte, die komplett an der Realität vorbeigeht.
Disclaimer: Dieser Text ist ein Rant. Ich (Lisa Haag) kann die ganze aktuelle Berichterstattung, die Symbolpolitik und die politische Debatte rund um das Thema Cannabis einfach nicht mehr ertragen. Das geht so nicht weiter. Es geht mir nicht um eine sachliche Analyse, sondern um den Frust über eine Politik, die an Lösungen vorbeigeht und die eigentlichen Probleme ignoriert.
Die Kritik der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg an der Cannabis-Legalisierung lässt tief blicken, doch ihr Fokus ist grundlegend falsch gesetzt. Es geht nicht darum, die Legalisierung selbst zu verteufeln, sondern anzuerkennen, dass der gesetzliche Rahmen nicht ausreicht, um die dringend notwendigen Veränderungen umzusetzen. Ihre Aussage, „mafiöse Strukturen profitieren davon, dass der Markt für Cannabisprodukte rentabler ist als je zuvor und nicht durch legale Produktion gedeckt werden kann“, mag, Stand heute, zu Teilen stimmen – aber nicht, weil die Legalisierung ein Fehler ist, sondern weil sie aus Angst vor der CDU und den Opponenten in den eigenen Reihen halbherzig umgesetzt wurde. Der Geist der Prohibition ist deutlich in der Debatte spürbar. Alles dreht sich um die Gefahren von THC, jedoch ist das nicht, worüber wir sprechen sollten.
Legal = im gesetzlichen Rahmen. Illegal ist vielseitig.
Die derzeitige Cannabis-Politik leidet an einem grundlegenden Missverständnis: Während die Legalisierung den Konsum in den gesetzlichen Rahmen bringen soll, bleibt die Definition von „illegal“ ein weites Feld. Das reicht vom geteilten Joint unter Freunden über den Anbau von vier Pflanzen mit anschließender Weitergabe hin zu den kriminellen Machenschaften der organisierten Kriminalität wie der Mocro-Mafia. Der entscheidende Hebel, um dieses Spektrum zu beeinflussen, ist nicht das Verbot, sondern eine kluge Regulierung.
Die Vorstellung, dass der legale Markt – beispielsweise durch Anbieter wie die Cannabis-Teleklinik – eine echte Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellt, ist absurd. Der eigentliche Wettbewerber des legalen Marktes ist das organisierte Verbrechen, das weiterhin ungehindert floriert, wenn der legale Rahmen nicht funktioniert. Solange Konsumenten keinen einfachen, sicheren und erschwinglichen Zugang zu Cannabis haben, bleibt der illegale Markt die dominierende Kraft. Nur durch eine starke Regulierung können wir diese Strukturen verdrängen und den Markt endlich entkriminalisieren.
Das wahre Problem: Der illegale Markt floriert weiter
Der größte Fehler in der aktuellen Debatte liegt darin, dass wir die Gefahr des illegalen Marktes massiv unterschätzen. Dieser besteht nicht nur aus „ein paar Dealern im Park“, sondern ist ein hochgradig organisierter Teil der Kriminalität, der weit über Cannabis hinausgeht. Menschenhandel, Waffen, Terrorfinanzierung – alles hängt daran.
Doch statt dies durch einen gut regulierten legalen Markt zu bekämpfen, sehen wir uns einer Realität gegenüber, in der es „legal“ ist, Cannabis zu konsumieren, aber praktisch unmöglich, es legal zu kaufen. Das lässt Konsumenten weiterhin keine Wahl außer den illegalen Markt, der inzwischen sogar rentabler ist als zuvor, weil er durch die aktuelle Politik kaum noch verfolgt werden kann. Badenbergs Argument, dass der Verlust bestimmter Ermittlungswerkzeuge wie der Telefonüberwachung ein Problem darstellt, ist zwar nicht ganz falsch, aber das Kernproblem bleibt ungelöst: Solange der illegale Markt die einzige realistische Bezugsquelle ist, bleibt er unangreifbar.
Wen nimmt man mit – und welche Chancen verpassen wir?
Die aktuelle halbherzige Umsetzung der Cannabis-Legalisierung verfehlt nicht nur ihre Ziele, sondern lässt auch enorme Chancen ungenutzt. Eine funktionierende Legalisierung könnte nicht nur Konsumenten in einen sicheren, regulierten Rahmen holen, sondern auch breitere gesellschaftliche Gruppen einbinden: Landwirte, kleine und mittelständische Unternehmen, Start-ups, wissenschaftliche Forschung und den medizinischen Bereich. Jeder dieser Bereiche könnte von einer gut regulierten Cannabis-Industrie profitieren.
Stattdessen verschenken wir Milliarden an potenziellen Steuereinnahmen. Die Einführung einer Cannabissteuer wäre eine historische Gelegenheit, die viele Menschen sogar positiv aufnehmen würden – wie Götz Widmann treffend sagt, „die Steuer, die jeder gerne zahlt.“ Diese Mittel könnten dringend benötigte Projekte finanzieren, von Bildung über Prävention bis hin zur Bekämpfung von Abhängigkeitserkrankungen.
Weiterhin wird ein ganzer Arbeitsmarkt blockiert, der vom Anbau bis hin zur Verarbeitung und Vermarktung zehntausende Jobs schaffen könnte. Länder wie Kanada oder die USA zeigen, wie groß das wirtschaftliche Potenzial ist. Statt jedoch selbst aktiv zu werden, verlieren wir wertvolle Zeit und überlassen dem illegalen Markt das Geschäft.
Die Gründe für diese Blockade? Viele schieben es auf rechtliche Hürden wie Schengen, die EU oder die Single Convention on Narcotic Drugs. Doch diese internationalen Abkommen sind nicht unüberwindbar – viele Staaten haben bereits Wege gefunden, nationale Lösungen zu entwickeln, ohne ihre Verpflichtungen zu verletzen. Es fehlt weniger an rechtlichen Möglichkeiten als an politischem Mut, die Chancen einer umfassenden Legalisierung zu nutzen und die gesellschaftlichen Vorteile in den Vordergrund zu stellen.
Die eigentlichen Ziele werden verfehlt: illegaler Markt, Gesundheitsschutz, Jugendschutz
Die Legalisierung von Cannabis sollte drei zentrale Ziele erreichen: den illegalen Markt zurückdrängen, den Gesundheitsschutz stärken und den Jugendschutz gewährleisten. Doch in ihrer aktuellen Form bleibt die Politik weit hinter diesen Ansprüchen zurück.
1. Illegaler Markt:
Der illegale Markt bleibt das dominierende Angebot, weil es nicht ausreichend legale Alternativen gibt. Konsumenten greifen weiterhin auf illegale Quellen zurück – nicht aus Überzeugung, sondern weil legale Bezugsquellen fehlen oder unattraktiv sind. Ein funktionierender legaler Markt mit ausreichender Versorgung wäre der einzige Weg, um den illegalen Markt ernsthaft zu verdrängen.
2. Gesundheitsschutz:
Ein weiteres großes Versäumnis ist der Gesundheitsschutz. Während der legale Markt Qualität und Reinheit garantieren könnte, bleibt der illegale Markt voller Risiken. Cannabis-imitierende Stoffe wie synthetische Cannabinoide und gefährliche Verunreinigungen sind dort keine Seltenheit. Sanity hat in seinen Untersuchungen zwar einige Verunreinigungen wie E. coli oder Pestizidrückstände festgestellt, doch die größte Gefahr – die durch synthetische Streckmittel – bleibt unerforscht. Drogencheck-Angebote sind rar, und das Ausmaß des Problems wird weder erfasst noch ernsthaft adressiert. Gleichzeitig wird die Dimension des Problems kaum thematisiert, obwohl es naheliegend ist, dass diese Verunreinigungen einen großen Teil der Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit Cannabis ausmachen. In der Statistik erscheinen sie dann jedoch als »Cannabispsychose«. Auch in statistischen Erhebungen sind diese Produkte falsch dargestellt.
3. Jugendschutz:
Auch beim Jugendschutz hinkt die Umsetzung hinterher. Ein regulierter Markt könnte Altersgrenzen durchsetzen und illegale Dealer verdrängen, die keinerlei Interesse daran haben, an wen sie verkaufen. Solange der illegale Markt existiert, bleibt der Zugang für Jugendliche unkontrolliert und ungehindert.
Aufklärung statt Fixierung: Die unterschätzte Realität des illegalen Marktes
Ein Großteil der Konsumenten ahnt nicht einmal, dass sie nie reines Cannabis konsumiert haben. Viele erkennen die Unterschiede nicht oder kennen synthetische Streckmittel nur unter Begriffen wie „Haze Spray“. Erst durch die Möglichkeit, legales und sauberes Cannabis zu probieren, wird vielen klar, wie gravierend die Unterschiede sind. Sauberes Cannabis hat eine deutlich mildere, kontrollierbare Wirkung, und die gesundheitlichen Risiken durch Verunreinigungen oder synthetische Zusätze entfallen.
Diese Erkenntnis zeigt, wie wichtig es ist, Konsumenten aufzuklären und legale Alternativen anzubieten. Doch stattdessen ist die öffentliche Debatte häufig auf THC konzentriert – auf die psychoaktive Substanz, die Cannabis seinen „Rausch“ verleiht – und auf eine kleine Gruppe von Menschen mit problematischen Konsummustern. Dieser einseitige Fokus greift jedoch zu kurz: Ein Großteil der Konsumenten zeigt unproblematische Konsummuster und würde von Beratung und Zugang zu hochwertigem Cannabis profitieren.
Beratung spielt auch für diejenigen eine entscheidende Rolle, die negative Konsummuster entwickelt haben. Eine akzeptierende und aufklärende Haltung würde helfen, überdosierten Konsum zu vermeiden und schädliche Konsumpraktiken zu reduzieren. Indem legale Märkte sauberen Zugang bieten und gleichzeitig durch Aufklärung und Prävention unterstützen, könnten sie ein wirksames Mittel sein, um Gesundheitsrisiken zu minimieren – etwas, das der illegale Markt niemals leisten kann.
Nicht jeder, der ein Bier trinkt, wird automatisch als Alkoholiker betrachtet – ebenso wenig sollte jeder Cannabiskonsument pauschal stigmatisiert werden. Wie beim Alkohol gibt es auch beim Cannabis eine breite Spanne an Konsummustern, von gelegentlichem Genuss hin zu problematischem Gebrauch. Eine differenzierte Betrachtung ist entscheidend, um zwischen unproblematischem Konsum und echten Risiken zu unterscheiden. Pauschale Verbote oder Stigmatisierung schaden mehr, als sie nutzen, während Aufklärung und ein regulierter Markt die Grundlage für verantwortungsvollen Umgang schaffen können.
Berlin: Drei Drogen-Hotspots und die Realität der Konsumenten
Die Realität ist, dass Berlin mindestens drei bekannte Drogen-Hotspots hat, und es soll gerade einmal drei Minuten dauern, um sich per Telegramm nicht nur Cannabis, sondern auch Kokain zu bestellen. Dies zeigt, dass die Probleme weit über Cannabis hinausgehen. Dennoch hat die Politik es nicht geschafft, eine akzeptierende und unterstützende Struktur zu schaffen, die denjenigen hilft, die bereits konsumieren, und den illegalen Markt aktiv verdrängt. Das liegt meiner Meinung nach auch an langen Jahren ausgebremster Drogenpolitik durch die Große Koalition.
Ein Appell an die Politik: Wir benötigen Lösungen, keine Symbolpolitik
Die Kritik der Justizsenatorin an der Cannabis-Legalisierung, die sie als „Rückschritt in der Bekämpfung des illegalen Marktes“ bezeichnet, verkennt das eigentliche Problem: Wir halten an einem unzureichenden System fest, das weder den Konsumenten schützt, noch die Kriminalität wirksam bekämpft. Der wahre Rückschritt liegt nicht in der Legalisierung selbst, sondern in der fehlenden Regulierung, die es erlaubt, dass der illegale Markt weiterhin gedeiht.
Was wir dringend brauchen, sind umfassende Lösungen:
- Ein funktionierender legaler Markt: Konsumenten müssen Zugang zu qualitativ hochwertigem, sicherem Cannabis haben, das den illegalen Markt überflüssig macht. Nur ein regulierter Markt, der ausreichend Angebot und Vielfalt bietet, kann den illegalen Handel eindämmen.
- Drugchecking und Aufklärung: Durch flächendeckende, bundesweite Drugchecking-Angebote und transparente Informationskampagnen können Konsumenten die Gefahren von Streckmitteln erkennen und fundierte Entscheidungen treffen. Aufklärung ist der Schlüssel zu einem verantwortungsvolleren Umgang.
- Strikte Regulierung und Unterstützung für legale Anbieter: Der Staat muss legale Anbieter aktiv unterstützen und eine klare, harmonisierte Regulierung durchsetzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass legale Anbieter den illegalen Markt erfolgreich verdrängen können, ohne sich selbst in einem undurchsichtigen Dschungel von Zonenregelungen und uneinheitlichen Vorschriften wiederzufinden.
- Akzeptierende Hilfsangebote: Konsumenten, die sich vom illegalen Markt abwenden wollen, benötigen realistische, niedrigschwellige Hilfsstrukturen. Diese Angebote müssen leicht zugänglich und unbürokratisch sein, um die Entkriminalisierung effektiv voranzutreiben.
Zusätzlich müssen Zonenregelungen abgeschafft und Regeln harmonisiert werden. Es kann nicht sein, dass Konsumenten und Anbieter weiterhin unter einem unklaren, fragmentierten System leiden. Zentrale Vorgaben sollten nicht nur vor Gericht erstritten werden müssen, sondern endlich politisch klar und effizient umgesetzt werden. Der derzeitige Zustand frustriert nicht nur Konsumenten, sondern auch diejenigen, die sich eine durchdachte und ganzheitliche Lösung für die Probleme der Drogenpolitik wünschen.
Wenn Justizsenatorin Badenberg sagt, die Legalisierung füge „unserem Land langfristig Schaden zu“, dann liegt sie falsch: Aktuell wird weder die Kriminalität effektiv bekämpft, noch werden Konsumenten ausreichend geschützt. Es ist das Festhalten an einem halb garen System, das den größten Schaden anrichtet.