Ein Plädoyer für einen Speicheltest für THC im Straßenverkehr

by Gastautor

Warum ein alleiniger THC-Grenzwert für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr keine optimale Lösung ist – weder für die Verkehrssicherheit noch für die individuelle Freiheit

Ein Gastbeitrag von Dr. med. Franjo Grotenhermen

In Österreich tut man es. Auch in Belgien, auf Zypern, in Tschechien und Frankreich, in Irland, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien und Spanien. So publizierte es das EMCDDA (European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction) in einem Bericht vom November 2022. Sie setzen im Kampf gegen einen akuten THC-Einfluss im Straßenverkehr und den damit verbundenen Gefahren auf einen Speicheltest. Die Niederlande fehlten damals noch auf der Liste, denn dort wurde der Speicheltests nach Aussage von Jan Ramaekers, Professor für Psychopharmakologie an der Universität Maastricht und Mitglied der Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums für Digitales und Verkehr zur Ermittlung eines THC-Grenzwertes im Blut. Die Gründe für die Einführung des Speicheltests seien pragmatischer Natur gewesen. Ein Speicheltests, der vor Ort von Polizeibeamten ohne großen Aufwand durchgeführt werden kann, erlaubt unmittelbar die Unterscheidung in Personen, die wenige Stunden zuvor THC-haltige Produkte inhaliert hatten, von denen, die THC-frei sind.

Üblicherweise soll ein Grenzwert bzw. ein Höchstwert versuchen, einen möglichst gerechten Ausgleich zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit schaffen oder zwischen den Belastungen der heutigen Generation und zukünftiger Generationen. Es gibt Höchstwerte für Nitrat-Konzentrationen im Trinkwasser oder Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Landstraßen. Es gibt Tausende solcher Grenzwerte oder Höchstwerte. In der Praxis ist es häufig nicht einfach, einen fairen Ausgleich zu schaffen, was sich allein schon darin zeigt, dass Behörden in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.

Was hat der bisherige Grenzwert von 1 ng/ml THC im Blutserum für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr im Vergleich zu dem nun geplanten Grenzwert von 3,5 ng/ml gebracht? Selbstkritisch müssen wir uns heute eingestehen, dass es vor allem mehr unschuldig sanktionierte Cannabiskonsumenten ohne einen relevanten Einfluss auf Personenschäden im Straßenverkehr gebracht hat. Dieser analytische Grenzwert hat viele falsch Positive gefunden, Personen, die angeblich unter dem Einfluss von THC standen, aber keineswegs mehr beeinträchtigt waren. Der Messwert war schlicht und ergreifend ungeeignet dafür, das zu messen, was er messen oder unterscheiden sollte, nämlich eine Differenzierung zwischen den durch THC beeinträchtigten Verkehrsteilnehmern und den unbeeinträchtigten. Eine Erhöhung des Grenzwertes auf 3,5 ng/ml wird die Zahl der falsch Positiven reduzieren, ohne die Verkehrssicherheit relevant zu reduzieren. Er stellt daher einen Schritt in die richtige Richtung dar. Viele regelmäßige Cannabiskonsumenten haben allerdings dauerhaft einen THC-Wert im Blutserum von über 3,5 ng/ml, auch wenn sie nicht mehr beeinträchtigt sind.

Die bisherige alleinige Reduzierung auf einen THC-Grenzwert hat noch einige weitere Nachteile mit sich gebracht, darunter eine Sanktionierung des Cannabiskonsums mit Mitteln des Straßenverkehrsrechtes. Wie der Widerstand gegen eine Legalisierung von Cannabis zeigt, haben sich viele Personen, die grundsätzlich gegen den Konsum von Cannabis und auch gegen Cannabiskonsumenten eingestellt sind, einen niedrigen Grenzwert aus politischen Gründen begrüßt. Die selben Personen wettern schließlich nun gegen die Erhöhung auf 3,5 ng/ml THC im Blutserum. Da werden (kultur-)politische Kämpfe ausgefochten, die mit der Sicherheit im Straßenverkehr nur marginal etwas zu tun haben.

Der Sicherheit im Straßenverkehr wird durch die geplanten sehr geringen Veränderungen von THC-Grenzwerten im Blutserum kaum beeinflusst.

Ich betreibe seit mehr als 10 Jahren eine ärztliche Praxis mit dem Schwerpunkt einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten. Neben den Kosten der Behandlung rangiert die Angst vor dem Verlust des Führerscheins mit großem Abstand vor allen anderen Sorgen, wie etwa der Sorge vor Stigmatisierung in der Ärzteschaft oder am Arbeitsplatz oder der Sorge vor einer Cannabisabhängigkeit oder anderer potentieller Nebenwirkungen. Wenn Cannabispatienten von der Polizei kontrolliert werden, so liegen die gefundenen THC-Blutserumwerte im Allgemeinen zwischen 5 und 30 ng/ml. Das sind Werte, die wir auch bei regelmäßigen Freizeitkonsumenten von Cannabis erwarten dürfen.

Der Speicheltest ist eine Glücksfall für lösungsorientierte Pragmatiker. Er ist ein Glücksfall für Akteure, die wollen, dass die Sanktionierung unschuldiger Bürger beendet wird. Und er ist ein Glücksfall für Akteure, die insbesondere im Straßenverkehr auf Nummer sicher gehen wollen. Niemand der unter dem akuten Einfluss von Cannabis stehen könnte, sollte am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Mit einem sensiblen Speicheltest, den die Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums vorgeschlagen hatte, würden alle Personen erfasst, die in den Stunden vor der Teilnahme am Straßenverkehr Cannabis konsumiert haben. 

Eine bessere Nachweismethode bzw. Differenzierungsmethode zwischen Delinquenten und Unschuldigen bei der Teilnahme von Cannabiskonsumenten am Straßenverkehr, wie ihn der Speicheltests gegenüber einem festen THC-Grenzwert im Blutserum eröffnet, hat viele weitere Nebeneffekte:

1. Vor allem auf dem Land sind viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf den Führerschein angewiesen. Die individuelle Mobilität mit dem eigenen Pkw ist heute oft noch eng mit den beruflichen Möglichkeiten verbunden. Wir stellen zwar einen bedrohlichen Fachkräftemangel oder einen generellen Arbeitskräftemangel fest, scheinen aber keine Probleme damit zu haben, Tausende von Cannabispatienten in ihrer für den Beruf erforderlichen Mobilität einzuschränken.

2. In der Langfassung ihrer Begründung zu den Vorschlägen hatte die Expertengruppe erläutert: „Mit Speicheltests bekäme die Polizei ein Messinstrument an die Hand, mit dem sie akuten Cannabiskonsum und somit ein potentielles Verkehrssicherheitsrisiko identifizieren kann. Dies dient auch der Verhältnismäßigkeit. Zugleich können hierdurch Kosten und Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit der Überprüfung der Blutwerte eingespart und dadurch Bürokratie abgebaut werden.“ Polizeibeamte könnten Delinquenten unmittelbar aus dem Straßenverkehr ziehen und die Allgemeinheit besser schützen.

3. Ein solcher Vortest würde Konsumentinnen und Konsumenten erst in die Lage versetzen, sich rational zu verhalten. Wenn sie einen ausreichenden Abstand von mehreren Stunden zwischen dem letzten Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr verstreichen lassen, so schützen sie sich vor Sanktionierung und die Allgemeinheit vor möglichen unfallbedingten Schäden.

4. In der Politik könnten ideologische Grabenkämpfe durch eine sachorientierte Debatte ersetzt werden.

5. In der Gesellschaft könnte eine sachorientierte Debatte und ein pragmatisches Ergebnis das Vertrauen in die Politik und deren Akteure vergrößern. Wir betonen in Sonntagsreden die Notwendigkeit, der Demokratieverdrossenheit entgegenzuwirken. Es gibt viele einzelne praktische Möglichkeiten, dies zu realisieren.

Über den Autor

Ein Plädoyer für einen Speicheltest für THC im Straßenverkehr

Franjo Grotenhermen absolvierte sein Studium der Medizin in Köln und arbeitete zunächst als Krankenhausarzt. Seit 1990 ist er chronisch erkrankt. Er ist Leiter des Zentrums für Cannabismedizin in Steinheim (NRW) mit dem Schwerpunkt Therapie mit Cannabis und Cannabinoiden. Grotenhermen ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) (seit 1997) und Geschäftsführer der Internationalen Allianz für Cannabinoidmedikamente (IACM) (seit 2000). Grotenhermen befasst sich seit mehr als 25 Jahren auch mit dem Thema Cannabis im Straßenverkehr. Er war im Jahr 1998 geladener Experte im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags, als dieser über die Aufnahme eines § 24 A in das Straßenverkehrsgesetz beriet. Zuletzt war er in den Jahren 2023/2024 Mitglied einer Expertengruppe des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, das einen neuen THC-Grenzwert im Straßenverkehr entwickeln sollte.

Disclaimer: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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