Cannabis als Medizin – Hype or Hope? Eine Sicht aus dem Klinikalltag

by Gastautor

Auf noch immer niedrigem Niveau nimmt Cannabis in der Medizin stetig an Bedeutung zu. Es ist in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund gerückt.

Ein Kommentar von Dr. Anton Burkhard-Meier über “Cannabis in der Medizin”.

Die Cannabispflanze hat in den letzten Jahren den Sprung aus der Hippie-Szene in die Mitte von Gesellschaft und Medizin geschafft. Nicht nur THC, das jahrzehntelang als einziger therapeutischer Wirkstoff galt und seit 2017 nach Rezeptausstellung von Apotheken bezogen werden kann, auch um das weniger psychoaktive, frei verkäufliche CBD hat sich ein wahrer Hype aufgetan. Die Cannabispflanze hat den Sprung aus der Hippie-Szene in die Mitte von Gesellschaft und Medizin geschafft. Durch seine zahlreichen, möglicherweise synergistisch wirkenden Inhaltsstoffe und diversen förderlichen Effekte stellt Cannabis für viele Patienten eine Art Wundermittel dar. Im klinischen Alltag auf einer onkologischen Station fragen regelmäßig Patienten, ob man ihre Krebs-bedingten Symptome nicht auch mit Cannabis behandeln könnte. Dabei handelt es sich vor allem um Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schlafprobleme und Schmerzen.

Gefragt sind dann wir als Ärzte, die der zunehmenden Popularität von Cannabisarzneimitteln ausgesetzt sind, geeignete Patienten für eine Behandlung zu selektieren. Das Hauptproblem der Ärzteschaft ist das fehlende Wissen über das Endocannabinoid-System und die Anwendung von Cannabisarzneimitteln. Im Studium wird die Thematik nur am Rande besprochen, wobei vor allem auf die Gefahren einer Intoxikation oder Sucht und weniger über eine mögliche therapeutische Anwendung eingegangen wird. Im zweiten Schritt stellt man dann fest, dass die Datenlage in den meisten möglichen Einsatzgebieten von Cannabis sehr lückenhaft ist. Klinische randomisierte Placebo-kontrollierte Studien entscheiden heute darüber, ob Arzneimittel eine Zulassung erhalten sollten. In Deutschland liegen lediglich Zulassungen für die Fertigarzneimittel Nabiximols (Sativex) bei therapierefraktären Spastiken bei Multipler Sklerose, Nabilon (Canemes) bei therapierefraktärer Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie und CBD (Epidiolex) bei zwei seltenen Epilepsieformen vor.

Das bedeutet, dass diese Arzneimittel bei den genannten Indikationen ohne weiteren Aufwand rezeptiert werden können. Für Cannabis in Blüten- bzw. Extraktform sowie das THC-Isolat Dronabinol als Rezepturarzneimittel gestaltet sich eine Verordnung schwieriger. Nach Antragstellung sollte bei „schwerwiegender“ Erkrankung, Ausreizung von Standardtherapien sowie potenziellem positiven Nutzen eine Therapie mit Cannabis von den Krankenkassen übernommen werden. Es ist also in Deutschland trotz fehlender Evidenz eine derartige „experimentelle“ Verordnung ermöglicht worden. Diese Art der medizinischen Freigabe stellt ein Novum in Deutschland dar und sorgt im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin für Stirnrunzeln.

Sollte eine Behandlung mit Cannabis dennoch Eingang in den klinischen Alltag auf unserer onkologischen Station finden? Es ist festzuhalten, dass Cannabis in der Tat mehrere wissenschaftlich belegte Effekte vereint, die für einen Krebspatienten sehr förderlich sind. Es gibt keine andere Substanz, die gleichzeitig Schmerzen und Übelkeit lindern sowie Appetit, Geschmack und Schlaf verbessern kann. Es ist also möglich, dass man einem Patienten mit einem einzigen Arzneimittel sehr umfassend helfen kann. In Zusammenschau aller randomisierten kontrollierten Daten, die heute für Medizinalcannabis vorliegen, ist festzuhalten, dass in den meisten Indikationen lediglich ein geringer Effekt bestätigt wurde. Lediglich bei chronischen neuropathischen Schmerzen und Spastiken ist in einer Metaanalyse eine moderate Symptomverbesserung beschrieben worden. Hierbei sei gesagt, dass es oft schwer ist, eine Evidenz in diesen sehr subjektiven Endpunkten (z.B. Verbesserung der Lebensqualität) mittels randomisierter Placebo-kontrollierter Studien zu erzeugen. Einige nicht-interventionelle Beobachtungsstudien zeigen hingegen eindrücklichere Ergebnisse. Zum Beispiel hat eine Begleitstudie des BfArM beeindruckende Ergebnisse hervorgebracht, unter anderem eine Verbesserung der Schmerzen bei 70% und Verbesserung von Inappetenz bei 64% der Patienten. Die Diskrepanz der verschiedenen Studien zeigt den weiteren Forschungsbedarf für Medizinalcannabis auf.

Das Nebenwirkungsprofil ist verglichen mit Opioiden, die man durch Cannabis eventuell reduzieren kann, sehr günstig. Müdigkeit und Schwindel treten am häufigsten auf.

Meiner Meinung nach ist gerade bei Krebspatienten, bei denen eine Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund steht, ein Therapieversuch mit Medizinalcannabis absolut berechtigt. Es bieten sich wegen der unkomplizierten Applikation insbesondere die oralen Aufnahmeformen, wie Vollspektrumextrakte oder Dronabinol an. Wichtig ist, sich nicht von Patienten drängen zu lassen, sondern selber genau zu überprüfen, inwiefern die jeweilige Person von einer Behandlung profitieren könnte.

Über Dr. Anton Burkhard-Meier

Bereits im Studium hat Anton die ersten Therapieansätze mit cannabinoidhaltigen Arzneimitteln intensiv verfolgt. Er arbeitet als Assistenzarzt in der Onkologie in München. Darüber hinaus konnte er bereits klinische Erfahrung in Nepal, Frankreich und der Schweiz sammeln. Sein erklärtes Ziel ist es, Cannabis als Medizin in Deutschland weiter zu etablieren. Er ist bei der HEYDAY AG der Leiter Medical Affairs und verantwortet dabei vor allem die fachliche Entwicklung der Produkte und den dazugehörigen Aufbau des Sortiments.

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