Brauchen wir wirklich einen THC-Höchstgehalt in Cannabisprodukten?

by Gastautor

Ein Debattenbeitrag von Kai-Friedrich Niermann, Rechtsanwalt KFN+ Law Office

Die Debatten und Diskussionen um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland sind in vollem Gange. Der vom neuen Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, initiierte und bereits beendete Anhörungsprozess hat viele wichtige Detailfragen zur Diskussion gestellt, unter anderem auch die Frage, ob es einer THC-Beschränkung für Cannabisprodukte bedarf.

Diese Forderung wird insbesondere von den deutschen Suchtgesellschaften und Jugendschutzverbänden aufgestellt, und zuletzt wurde vom Beauftragten der Bundesregierung sogar eine Debatte darüber eingefordert.

Eine stringente Argumentation, warum eine THC-Begrenzung erforderlich sei, und welche Ziele sie verfolgen soll, wird dagegen kaum vorgebracht. Ein Argument ist, dass heutiges Cannabis nicht mehr mit dem Cannabis aus den siebziger Jahren zu vergleichen sei, weil die Züchtungen ungleich stärkere Sorten hervorgebracht haben. Ein höherer THC-Gehalt wird mit einem stärkeren High-Effekt und automatisch mit stärkeren Gesundheitsgefahren in Zusammenhang gebracht. Ob dieser Zusammenhang aber tatsächlich besteht, darf bezweifelt werden.

Zunächst einmal sind die verschiedenen Cannabis-Produkte für den Freizeitpark zu unterscheiden. So gibt es die getrocknete Blüte, die in der Regel durch Verbrennung geraucht oder durch Erhitzung inhaliert wird. Um die Potenz der Blüte zu erfassen, wird der THC-Gehalt getestet und in Prozent angegeben. Es ist richtig, dass der THC-Gehalt in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist. So ging der Bundesgerichtshof 1985 bei der Bestimmung der nicht geringen Menge noch von Sorten aus, die zwischen 3 % und 10 % THC-Gehalt haben können. Nach Angaben von Statista hat sich der THC-Gehalt der auf dem illegalen Markt erhältlichen Blüten von 10,6 % im Jahr 2006 auf 13,7 % im Jahr 2020 erhöht. Die medizinischen Cannabisblüten, die derzeit in den führenden deutschen online-Apotheken erworben werden können, reicht von 6 % bis 26 %, wobei die Sorten über 20 % fast das gesamte Angebot ausmachen.

Edibles und Getränke: Erfassung in Milligramm

Der THC-Gehalt bei Esswaren und Getränken, den sogenannten Edibles und Beverages, werden in den USA und Kanada nicht prozentual erfasst, sondern in Milligramm THC. Eine Verzehreinheit darf dabei in der Regel nicht mehr als 10 mg THC aufweisen, die gesamte Packung nicht mehr als 100 mg THC. Da oral aufgenommenes THC eine andere Wirkungsweise im Körper entfaltet, die Rauschwirkung sich insbesondere erst später entfaltet als beim Konsum über die Lunge, und erste Wirkungen ab 2,5 mg THC zu erwarten sind (2,5mg entspricht dem LOAEL – Lowest Observed Adversary Level), sind hier entsprechende Mengenbegrenzungen durchaus sinnvoll, sodass der Konsument in der Lage ist, das aufgenommene THC exakt zu dosieren. Natürlich müssen diese Produkte auch ausführliche Warnhinweise über die Wirkungsweise bei oraler Aufnahme enthalten.

Bei den sogenannten THC-Vape-Pens ergibt sich als Extrakt naturgemäß ein sehr hoher THC-Gehalt in Prozent, der aber unbedenklich ist, da mit E-Liquids typischerweise nicht so hohe Konzentrationen an THC durch das Erhitzen und Verdampfen aufgenommen werden kann, und diese Produkte eher zum Microdosing verwendet werden.

Bei den weiteren Produkten wie Haschisch und extrahierten THC-Ölen sollte ebenfalls der THC-Gehalt in Prozent und Milligramm pro Tropfen angegeben werden, damit der Konsument sein Dosierverhalten entsprechend darauf einstellen kann.

Medizinisches Cannabis ist in Deutschland seit 2017 legal. Eine Diskussion unter verschreibenden Ärzten, abgebenden Apothekern oder den sonst beteiligten Experten zu den hohen THC-Gehalten bei den medizinischen Cannabissorten hat bisher nicht stattgefunden. Im Bereich des medizinischen Cannabis werden die THC-Gehalte über 20 % nicht als problematisch angesehen. Insbesondere Schmerzpatienten benötigen viel und für den Körper schnell zugängliches THC in der Behandlung.

Blüten: Der Markt verlangt nach höherprozentigen THC-Gehalten

Eine Beschränkung des THC-Gehaltes in getrockneten Blüten, die an Konsumenten verkauft werden sollen, ist nicht zielführend. Der Markt verlangt nach höherprozentigen THC-Gehalten. Sollte eine Beschränkung zum Beispiel bei 15 % eingeführt werden, würden Blüten mit höherem THC-Gehalt weiterhin im illegalen Markt gehandelt werden. Außerdem würde die Polizei dann weiterhin Kontrollen durchführen müssen, ob der THC-Gehalt unter oder über 15 % liegt. Da diese Feststellung nur durch eine umfangreiche Analyse geklärt werden kann, müssten theoretisch weiterhin sämtliche Cannabis-Blüten beim Konsumenten beschlagnahmt und einer Analyse zugeführt werden. Eine solche Analyse nimmt aufgrund der Überlastung der Labore derzeit bis zu 6 Monaten Anspruch. Eine Entlastung der Polizeiarbeit und eine Verbesserung der Situation des Konsumenten bedeutet das nicht. Und wir wissen, sobald ein Kontrolldelikt Gesetzeskraft hat, wird es von den Ermittlungsbehörden auch angewendet werden. Das Cannabis-Verbot wurde in der Vergangenheit immer wieder von den unterschiedlichsten Polizeibehörden genutzt, um die tägliche Polizeiarbeit zu gestalten und Maßnahmen und Kontrollen durchzuführen.

Ein sachlicher Grund für diese Beschränkung ist ebenfalls nicht ersichtlich. Zum einen ist nur bei einem Teil der Verbraucher der Bedarf an hochprozentigen THC-Blüten vorhanden, viele Konsumenten wollen auch gerade niedrigere Werte, um zum Beispiel auf die Beimischung von Tabak verzichten zu können. Das Cannabis-Blüten mit einem THC-Gehalt zum Beispiel über 15 % gesundheitliche Schäden verursachen, wie zum Beispiel eine verstärkte psychische Abhängigkeit oder außergewöhnliche Psychosen, und damit über die normalen Gefahren des Gebrauchs von Cannabis und den Konsum beim Rauchen hinausgehen, ist wissenschaftlich nicht erwiesen.

Kennzeichnung: Konsumform und Dosierung wählen

Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die weitaus überwiegende Anzahl der Konsumenten bereits an die jahrelang im Markt befindlichen Produkte gewöhnt sind, und mit dem hohen THC-Gehalt überhaupt kein Problem haben. Welche positiven Auswirkungen diese Marktbeschränkung im Hinblick auf Jugendschutz, Verbraucherschutz und allgemeinen Gesundheitsschutz haben soll, kann auch von deren Verfechter nicht überzeugt erläutert werden. Solange der Konsument durch die Kennzeichnung sehen kann, wie viel Prozent THC in dem Produkt enthalten ist, kann er die passende Konsumform und die ebenfalls für sich passende Dosierung wählen. Vielmehr wäre zu erwarten, dass die hochprozentigen Sorten dann ausschließlich dem illegalen Markt weiterhin ein Betätigungsfeld geben.

Als mildere Maßnahme statt eines kompletten Verbotes höherprozentiger Cannabissorten sollte lieber die Aufklärung und Präventionsarbeit über Cannabis und dessen Wirkungsweise verbessert werden, und zwar durch die Landestellen für Suchtprävention als auch durch die Industrie. Ein aufgeklärter Konsument, insbesondere ein Erstkonsument, der über die unterschiedlichen Möglichkeiten, Cannabis zu sich zunehmen und „zu genießen“ ausreichend aufgeklärt ist, wird sich weniger häufig in Gefahr einer zu hohen Dosierung bringen als ein Konsument, der auf dem illegalen Markt angewiesen ist.

Mengenbegrenzungen beim Verkauf, werbefreie Verpackungen, eingeschränkte Öffnungszeiten, Anzahlbeschränkungen der Verkaufsstellen, THC-Höchstgehalte, staatlicher Anbau und Betrieb sind alles Vorschläge, um einen Anreiz- und Aufforderungscharakter zu vermeiden. Es soll mit allen Mitteln verhindert werden, dass der Cannabiskonsum in der Bevölkerung ansteigt. Wir wissen allerdings auch, dass weder in den USA noch in Uruguay oder Kanada der Konsum in der Bevölkerung angestiegen ist. Vielmehr ist er bei den Jugendlichen sogar zurückgegangen, während die Altersgruppen ab 40 Jahren vermehrt Cannabis ausprobieren. Auf der anderen Seite würde mit solchen Maßnahmen ein völlig überregulierter, bürokratisch aufgeblähter und wenig attraktiver Markt entstehen, der es von Anfang an schwer hat, sich gegen den illegalen Markt durchzusetzen. Die freie Wirtschaft ist bereit und in der Lage, diesen neuen, legalen Markt zu organisieren. Ein funktionierender, lizenzierter und regulierter Markt, der im besten Falle den illegalen Markt vollständig zurückdrängen soll, braucht dann aber auch attraktive Rahmenbedingungen und ein liberales regulatorisches Umfeld, um sich die größten Anteile vom illegalen Markt erobern zu können. Ob der Staat tatsächlich bereit und in der Lage wäre, diese Aufgabe zu übernehmen und erfolgreich und effektiv die Bekämpfung des illegalen Marktes voranzutreiben und abzuschließen, darf bezweifelt werden.

Wenn der Staat in die Grundrechte der Bürger und Wirtschaftsteilnehmer eingreift, geschieht das nicht zum Selbstzweck, sondern bedarf einer umfangreichen Rechtfertigung. Für die meisten der vorgeschlagenen, einschränkenden Regelungen ist eine solche Rechtfertigung, die auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würde, nicht ersichtlich.

Über den Autor

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Erst ist vertraut mit den Schnittstellen von nationalen und europäischen Regulierungen im Hinblick auf Verbraucherschutz und neue Cannabisprodukte. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Cannabis-Prohibition, da 1994 ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofes zum Eigenbedarf ergangen ist.

Hinweis: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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