Grundlegende Änderungen in der zukünftigen Verschreibungspraxis von Medizinalcannabis

Ein Überblick zum G-BA-Beschluss

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Peter Homberg

Am 25. Oktober 2022 erließ der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen Beschluss über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie, die insbesondere die Verschreibungspraxis im Bereich des Medizinalcannabis grundlegend verändern könnte.

Die Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses

Der G-BA ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er setzt sich aus Vertreter/-innen der gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbringern sowie unparteiischen Mitgliedern und einem unparteiischen Vorsitzenden zusammen. Patientenvertreter/-innen besitzen zwar ein Mitberatungs- und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht. Der G-BA bestimmt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die ca. 73 Millionen Versicherten in Deutschland beanspruchen können. Darüber hinaus beschließt er Maßnahmen der Qualitätssicherung für Praxen und Krankenhäuser. 

Im Bereich des medizinischen Cannabis, dessen Verschreibungsfähigkeit 2017 mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften etabliert wurde, ist der G-BA unter anderem gemäß § 31 Abs. 6 S. 9 des Sozialgesetzbuch (SGB) V dazu beauftragt, innerhalb von sechs Monaten nach Übermittlung der Ergebnisse einer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführten nicht-interventionellen Begleiterhebung, basierend auf ebendiesen Ergebnissen, „das Nähere zur Leistungsgewährung in den Richtlinien zu regeln“. 

Am 06. Juli 2022 veröffentlichte das BfArM den Abschlussbericht dieser Begleiterhebung, sodass der G-BA nun am Zug ist, in Form einer Richtlinie auf diese Ergebnisse zu reagieren.

Inhalt des Beschlusses

Zunächst sei erwähnt, dass es sich bei dem Beschluss um einen über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens handelt, sein Inhalt also noch nicht final oder rechtsverbindlich ist (dazu mehr unter „Verfahren“). Auch werden innerhalb des Beschlusses zu vielen inhaltlichen Aspekten mehrere Positionen vertreten, sodass konkrete Details jedenfalls noch ausgearbeitet werden. Es kann jedoch zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass die finale Beschlussfassung das Mindestmaß der jeweils liberalsten Position nicht unterschreiten wird.

Von einer künftigen Änderung der Arzneimittel-Richtlinie erfasst wird Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten sowie Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, auf deren Versorgung Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung weiterhin einen Anspruch haben werden, sofern eine alternative, allgemein anerkannte Leistung nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Gegebenenfalls könnte zukünftig eine besondere Begründungspflicht für die Verordnung von getrockneten Blüten bestehen. Für Ärzt/-innen werden zusätzliche Dokumentations- und Überprüfungspflichten hinsichtlich einer Zweckmäßigkeit einer Cannabis-Therapie hinzukommen.

Weiterhin wird die Leistung dem Genehmigungsvorbehalt der gesetzlichen Krankenkasse unterliegen; jedoch ist die Genehmigung auch bei Wechsel des Cannabisarzneimittels in der Regel nur einmalig einzuholen. 

Maßgebliche Verschärfungen wird es voraussichtlich bei der notwendigen Qualifikation der verordnenden ärztlichen Person geben. Während bislang auch Allgemeinmediziner/-innen Cannabis als Arzneimittel verschreiben konnten, so könnte dies zukünftig ausschließlich Fachärzt/-innen vorbehalten sein. Das jeweilige Fachgebiet würde in einem Anhang der geänderten Arzneimittel-Richtlinie an das jeweilige Krankheitsbild gekoppelt definiert werden. So könnten zukünftig beispielsweise ausschließlich Fachärzt/-innen der Gastroenterologie zur Behandlung von Darmbeschwerden; der Neurologie zur Behandlung von Epilepsie; der Neurologie oder Psychiatrie/ Psychotherapie zur Behandlung von ADHS medizinischen Cannabis verschreiben dürfen. Unabhängig dieser Festlegungen sollen aber Fachärzt/-innen der Anästhesie, Neurologie oder welche mit einschlägigen Weiterbildungen im Bereich Schmerz-/Palliativmedizin eine Cannabis-Therapie einleiten können, sofern die Behandlung des Symptomkomplexes Schmerz im Vordergrund steht.

Beweggründe

Im Rahmen dieses Beschlusses hat der G-BA die Tragenden Gründe veröffentlicht. Darin wird, mit Berücksichtigung des Auftrages in § 31 Abs. 6 S. 9 SGB V, insbesondere auf die Ergebnisse der Begleiterhebung des BfArM eingegangen.

Während das Fazit der Begleiterhebung im Großen und Ganzen eher positiv auffiel, hatte das BfArM im Abschlussbericht insbesondere hinsichtlich der Verschreibung von Cannabisblüten Bedenken geäußert. Im Vergleich zu anderen Cannabismedikamenten waren die Patient/-innen dort deutlich jünger und der THC-Gehalt höher. Es mangele an wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit der Effektivität und Sicherheit solch hoher Dosen auseinandersetzten. Auch war der Anteil der männlichen Patienten im Vergleich auffallend hoch. Die naheliegende Sorge: eine fehlende Abgrenzung zwischen therapeutischen Effekten und eines durch den Konsum von Cannabisblüten eingeleiteten temporären, mit Abhängigkeitspotenzial behafteten Wohlbefindens.

Auf diese Aspekte wird der G-BA wohl mit der besonderen Begründungspflicht für die Verschreibung von Cannabisblüten und zusätzlichen Dokumentations- und Überprüfungspflichten reagieren.

Auch die erheblichste Änderung, nämlich die Spezifikation der notwendigen fachärztlichen Qualifikation, ist eine Reaktion auf ein vom BfArM identifiziertes Missbrauchspotenzial. Indem die Verschreibungsfähigkeit auf Personen mit spezifischen fachärztlichen Qualifikationen und Erfahrungen begrenzt wird, soll sichergestellt werden, dass das Fehlen von Therapiealternativen für das spezifische Krankheitsbild sicher beurteilt werden kann. 

Verfahren

Mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 hat der G-BA ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet. Eine Anzahl betroffener Organisationen und Behörden, wie etwa der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V., der Bundesverband Deutscher Apothekenverbände e.V., der Branchenverband der Cannabiswirtschaft, der Bundesverband der pharmazeutischen Cannabinoid-Unternehmen, die Bundesärztekammer und die Cannabisagentur beim BfArM, haben innerhalb einer vierwöchigen Frist die Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Auswertung der Stellungnahmen erstellt der Unterausschuss des G-BA eine begründete Beschlussvorlage für das Plenum. Das Plenum fasst dann einen Beschluss, wenn dafür mindestens sieben Stimmen abgegeben werden, und legt diesen dem Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung der Rechtmäßigkeit vor. Hat dieses innerhalb der zweimonatigen Frist am Richtlinienbeschluss nichts zu beanstanden, so wird dieser im Bundesanzeiger veröffentlicht und tritt damit rechtsverbindlich in Kraft.

Fazit und Ausblick

Der Beschluss des G-BA vom 25. Oktober 2022 sieht eine deutliche Verschärfung der Verschreibungspraxis von medizinischem Cannabis vor. Dies folgt als Reaktion auf die Ergebnisse der vom BfArM geführten Begleiterhebung.

Zwar ließe sich kritisieren, dass jene Ergebnisse laut eigener Berichterstattung des BfArM eine möglicherweise nicht-repräsentative Datenmenge wiedergeben. So wurden trotz Berichterstattungspflicht lediglich 21.000 Therapien im Zeitraum 2017-2022 von den verschreibenden Ärzt/-innen gemeldet (das BfArM selbst schätzt die Anzahl allein zwischen 2017 und 2020 durchgeführter Therapien auf ca. 70.000), von denen wiederum lediglich 16.809 als vollständige Einträge in die Begleiterhebung einflossen. Der gesetzgeberische Auftrag, basierend auf dieser Begleiterhebung Näheres zur Leistungsgewährung in den Richtlinien zu regeln, wurde 2017 jedoch klar definiert.

Unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Richtlinien des G-BA, mit Ausnahme der nicht einschlägigen Sonderregelung des § 92 Abs. 3 SGB V, sieht das Gesetz nicht vor. Betroffene Vertragsärzt/-innen können diese nur inzident im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen belastende Verwaltungsakte überprüfen lassen. Auch Versicherte können nur eine Inzidenzkontrolle der Richtlinien erreichen. Lehnt die Krankenkasse die Gewährung einer Leistung aufgrund einer Richtlinie ab, können Versicherte die Leistung gemäß § 13 Abs. 3 SGBV selbst beschaffen und anschließend eine Leistungsklage auf Erstattung der verauslagten Kosten erheben. Das Aufsuchen einer fachärztlichen Praxis könnte aber zukünftig für Betroffene unumgänglich sein.

Über den Autor

Peter Homberg ist Partner im Berliner Büro von Dentons und Head of European Cannabis Group. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Life Sciences, IP, Gesellschaftsrecht und M&A-Transaktionen im Life Sciences- und Hightech-Sektor sowie bei F&E- und Kooperationsverträgen, grenzüberschreitenden IP-Lizenzierungen und IP-Strategien. Darüber hinaus verfügt er über umfangreiche Erfahrung in der rechtlichen Beratung zu Compliance-Fragen. Er leitet den deutschen Life-Sciences-Bereich und den Sektor für europäisches Cannabis. Peter berät unter anderem Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Diagnostik, Biotechnologie, Medizinprodukte und medizinischer Cannabis – von Start-ups bis hin zu großen börsennotierten Unternehmen. Darüber hinaus verfügt er über umfassende Transaktionserfahrung in Südostasien. Peter ist Mitglied der Licensing Executive Society (LES), der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) sowie des Pharma-Lizenz-Club Deutschland e.V. Er hält regelmäßig Vorträge auf Seminaren und Konferenzen, ist Autor zahlreicher Fachartikel und sonstiger Veröffentlichungen zum Gesellschafts- und IP-Recht im Bereich der Biowissenschaften und des medizinischen Cannabis.

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