„Es geht um Menschen. Nicht um Drogen.“

Ein Gespräch mit Philine Edbauer über die Initative MyBrainMyChoice.

by Hande Savus

Durch die angestrebte Teillegalisierung ist der Diskurs über Drogenpolitik in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dabei habe schon immer jeder eine Meinung über Drogen gehabt, erklärt Philine Edbauer. Durch das Vorhaben der Ampelregierung, Cannabis zu entkriminalisieren, seien von ihr langersehnte Debatten und politische Fragestellung nun präsenter den je.

Mit der Initiative MyBrainMyChoice setzt sich die Wahlberlinerin seit insgesamt acht Jahren für eine neue und menschenrechtskonforme Drogenpolitik ein. Dabei steht, wie der Name der Initiative verrät, die Autonomie der einzelnen Personen im Vordergrund. Philine, die seit acht Jahren für einen Paradigmenwechsel kämpft und als Sachverständige auch im Bundestag ihre Expertise einbringt, hat mit krautinvest.de über die Ziele der Initiative gesprochen.

Von der Theorie zur Erfahrung der Menschen

Offen und ehrlich beschreibt Philine, ihre Erkrankung an der idiopathischen Hypersomnie und Fibromyalgie sowie den daraus resultierenden chronischen Schmerzen ihre Einstellung zu “Drogen” geprägt hat. Für sie und andere Betroffene fungieren Drogen als effektive Mittel zur Bewältigung des Alltags, schreibt sie. Häufig stoßen sie jedoch auf Unverständnis und Stigmatisierung von außen, insbesondere in Bezug auf die Behandlung mit gesellschaftlich als “Drogen” stigmatisierten Medikamenten: „Die Realität ist leider, dass wir damit konfrontiert sind, für faul und nicht arbeitswillig gehalten zu werden; man solle mehr rausgehen, Sport machen, es sei nur eine Kopfsache, man wolle sich von der Kasse eine Drogenabhängigkeit bezahlen lassen.“

Zudem setzt sich Philine wissenschaftlich-theoretischen Zugang mit der (internationalen) Drogenpolitik auseinander – während ihres Studiums forschte sie unter anderem zum “War on Drugs auf den Philippinen”. Mit My Brain My Choice will sie nun die gesellschaftliche Debatte in gänzlich neue Bahnen lenken.

Zu einfach hätte sich durch die fast ausschließlich auf Prohibition abzielende Politik der Gedanke – „Die haben einmal Crystal Meth genommen, dann ist ihr Hirn eh verloren“ nicht nur in den Gesetzen gespiegelt, sondern auch in den Köpfen verankert. Philine betont, dass dies nicht nur eine irreführende Annahme sei, sondern am Beispiel der Philippinen auch eine tödliche. Der War on Drugs fordert Jahr für Jahr zahlreiche Menschenleben. Die genau Zahl der Toten seit 2016 ist unbekannt. In Dokumenten, die dem Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vorliegen, wird die Zahl der zivilen Opfer auf 12.000 bis 30.000 geschätzt.

Da auch in Europa und Deutschland Personen, die illegale Drogen nehmen, immer noch stigmatisiert werden, entschied sich Philine, neben ihrem Studium in verschiedenen Thinktanks zur Drogenpolitik mitzuarbeiten und nach Möglichkeiten zu suchen, selbst etwas zu verändern. Ihre Motivation war es, „nicht so sehr theoretisch zu arbeiten, sondern von den Erfahrungen der Menschen auszugehen und sie immer in den Mittelpunkt zu stellen“.

„Es geht um Menschen. Nicht um Drogen.“
Philine Edbauer als Rednerin bei der re:publica 2023. Rede: Warum die Drogenpolitik ein Menschenrechtsproblem ist. Bild (c) re:publica

Die Initiative MyBrainMyChoice

Aus dieser Grundhaltung gründete Philine im Jahr 2017 MyBrainMyChoice.  Ein Ziel der Initiative besteht darin, nicht nur die gesundheitlichen Aspekte einzelner Substanzen zu beleuchten, sondern diese auch im Kontext der (internationalen) Drogenpolitik zu betrachten. Die Initiative wird von einer vielfältigen Gruppe von Menschen unterstützt, die sich freiwillig engagieren und unterschiedliche Fachkenntnisse einbringen. Philine: „Wir haben verschiedene Personen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen. Da ist jemand, der spezialisiert ist auf Tabakpolitik und eine andere  ist Expert*in im Bereich Harm Reduction.“

Die Regionalwissenschaftlerin unterstreicht nachdrücklich, dass es sich bei MyBrainMyChoice um eine Initiative handle. Ihrer Auffassung nach stehe dabei die Idee des Netzwerks im Vordergrund. „Diese Form der Zusammenarbeit spiegelt sich auch in unseren Kampagnen.“

Ihre Augen leuchten, ihr Gesicht strahlt und ihre Stimme geht leicht nach oben, wenn sie über – wie sie sie liebevoll nennt – ihre „Babys“ spricht: die drei aktuellen Kampagnen, an denen MyBrainMyChoice beteiligt ist bzw. die von MyBrainMyChoice initiiert worden sind. In diesen stecke nicht nur „unendlich viel Arbeit” und Herzblut, sondern sie spiegeln sinnbildlich die Vision des netzwerkartigen Wissens wider.

Cannabis regulieren: ein Praxisleitfaden

Die erste Kampagne ist die deutschsprachige Ausgabe des praktischen Leitfadens für die Cannabislegalisierung. Transform veröffentlichte 2013 erstmals How to regulate Cannabis. Seitdem hat sich die weltweite Cannabislandschaft grundlegend verändert, und die neu gewonnene Erkenntnis der legalisierten Märkte sowie neue Kapitel über Programme zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit wurden in die erweiterte dritte Auflage eingearbeitet. MyBrainMyChoice hat die 3. Auflage übersetzt und im Frühjahr 2023 zusammen mit dem Akzept e.V. auf Deutsch herausgegeben. 

Für Philine ist die soziale Gerechtigkeit das Schlüsselthema der Legalisierungsdebatte und fehle derzeit im öffentlichen Diskurs. „Soziale Gerechtigkeit wird in Deutschland bis lang nicht so tief behandelt. Soweit meine begrenzten Ressourcen es zulassen, versuche ich in Gesprächen mit Politiker*innen diese Themen zu pushen“, sagt Philine, die neben #MyBrainMyChoice im gemeinnützigen Bereich der europäischen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik arbeitet.

Leitfaden und Glossar für entstigmatisierende Sprache

Auf Anfrage und in Kooperation mit dem Therapieverbund Ludwigsmühle entstand das zweite Projekt. „Der Geschäftsführer Dr. Dirk Gastauer und ich haben beide gemerkt, dass Leute immer wieder Schwierigkeiten haben, die richtige Sprache zu finden. Er im Behandlungskontext, in der Suchthilfe, und ich in den Alltagsgesprächen mit Leuten, die Drogen nehmen. Die sind sich nicht sicher, kann man jetzt eigentlich Drogen sagen oder ist es schon abwertend.“ Als weitere Kooperationspartner haben sie den Fachverband Drogen- und Suchthilfe fdr+, den Akzept e.V., den JES Bundesverband und die Deutsche Aidshilfe hinzugeholt.

Daraus sei die Idee für den Leitfaden und Glossar für entstigmatisierende Sprache. Eine Einladung zum Gespräch über Drogen und Sucht entstanden. Nach über einem Jahr der  Zusammenarbeit und als Ergebnis von mehreren Workshops unter der Leitung von Philine (Initiative MyBrainMyChoice) entstand das fortlaufende Projekt. 

Beispielsweise wird im Glossar der Begriff „Substanz“ als fachlich neutraler Begriff ohne politische oder historische Unterscheidung zwischen „legal“, „illegal“ definiert, wohingegen Begriffe wie „Suchtmittel“, „Suchtstoff“ stigmatisierend seien und „verkennen, dass die Substanzen zu verschiedenen Zwecken verwendet werden (wie Geselligkeit, Abschalten, Genuss, Selbstmedikation u. v. m.) und eine ‚Sucht‘ nicht alleine durch den Gebrauch einer Substanz entsteht, sondern ein komplexes Phänomen ist.“ Philine plädiert für die Verwendung des Begriffs ,Drogen‘. „Im Alltag verwende ich das Wort ‚Droge‘, weil ich finde, Menschen verwenden es einfach. Man kann gut damit arbeiten und es neu besetzen.“

Entkriminalisierungskampagne

Die 13 Forderungen für die Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen, wurden letztes Jahr federführend von Philine Edbauer und Elli Schwarz (Initiative MyBrainMyChoice) verfasst. Philine habe diesen Sommer weitere Vereine und Verbände angefragt, ob sie die Forderungen unterzeichnen. „Es ist so krass, wie viele sich schließlich angeschlossen haben. Inklusive des Notdienst Berlin und dem Hanfverband“, erinnert sich Philine begeistert.

Dabei spielte die Debatte um die Legalisierung eine zentrale Rolle. Philine erinnert sich: „Da war solch eine politische Aufbruchsstimmung. So, dass viele unterschiedliche Vereine beschlossen haben, sich zusammenzuschließen und gemeinsam zu sagen: ,hey, die 13 Forderungen der Initiative MyBrainMyChoice unterstützen wir.‘ Natürlich ist auch toll zu sehen, dass wir als Initiative wachsen und unsere Arbeit jetzt Früchte trägt.” 

Insbesondere der Schutz von Personen, die Drogen nehmen, sowie der emanzipatorische Ansatz der Initiative, diese nicht mehr zu stigmatisieren, sondern in die Debatte einzuschließen, spiegelt sich in den formulierten Punkten wider:  Nothing About us Without Us.

„Es geht um Menschen. Nicht um Drogen.“
13 Forderungen für die Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen.

Letzten Sommer übersetzte Philine zusammen mit anderen Mitwirkenden der MyBrainMyChoice Initiative zudem die „20 Grundsätze für eine verantwortungsvolle Cannabislegalisierung”, die 2020 vom internationalen Dachverband für drogenpolitische Reformen und Harm Reduction idpc herausgegeben wurden. Neben der Berücksichtigung von betroffenen Personengruppen, sozialer Gerechtigkeit und der Etablierung nachhaltiger Strukturen, ergänzt  die Initiative MyBrainMyChoice die Grundsätze um den Aspekt des genderspezifischen Ansatzes. 

„Es geht um Menschen. Nicht um Drogen.“
20 Grundsätze für eine verantwortungsvolle Legalisierung von Cannabis

Recht auf Privatsphäre. Recht auf Drogenpolitik

In sämtlichen Projekten und Publikationen der Initiative spiegelt sich eine Arbeitsweise des vernetzten Denkens wider, stets im Einklang mit dem Hauptziel: „Es geht um Menschen. Nicht um Drogen.“

Die Forderung von #MyBrainMyChoice: die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und die Legalisierung aller Drogen. Eine Vision, die auf den ersten Blick nach maximaler, individualisierter Freiheit klingt.  Philine hält dem entgegen und stellt die Frage, wie Freiheit überhaupt für alle Menschen gleichermaßen funktionieren kann. Sie illustriert dies an einer anderen gesellschaftlichen Schieflage: „Wie können wir das Mobilitätsproblem lösen? Manche Leute können große Strecken über die Autobahn fahren – egal, was das kostet, die haben ihren Spaß. Für die ist Freiheit, wenn einzelne Leute unendlich schnell auf der Autobahn fahren können. Für uns ist das keine Freiheit. Denn gleichzeitig haben wir in der Gesellschaft ein großes Mobilitätsproblem, einige Leute können sich kaum von einem Viertel in ein anderes Bewegen, weil sie zwei Jobs brauchen und damit zeitlich ausgelastet sind.“

Die Initiative setzt sich für Autonomie, Selbstbestimmung sowie das „Recht auf Privatsphäre und Recht auf gute Gesundheitspolitik“ ein, und dies bedeutet nicht nur ein neues Verhältnis zwischen Staat und Bürger*innen, sondern auch zwischenmenschlich und untereinander. „Es geht um eine gemeinschaftliche Verantwortung, wie man gutes Zusammenleben organisieren kann“, erklärt Philine.

Gedrehte Debatte

Die angestrebte Teillegalisierung der Ampelregierung kritisiert Philine allerdings, weil sie nicht die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellt. „Bei den Vorhaben handelt es sich nicht um die notwendige soziale Veränderung, die zur Akzeptanz oder Normalität, die wir uns wünschen, führt.” 

Die Bekämpfung des Schwarzmarkts sowie die Darstellung des „Schwarzmarkts“ seien zu kurz gedacht. „Man tut so, als wäre der Schwarzmarkt eine Entität und übersieht, dass es ja alles individuelle Menschen sind, die auch sehr unterschiedlich sind. Man muss unterscheiden zwischen dem Teil des Schwarzmarkts, den man übernehmen möchte, in den legalen Markt überführen und dem Teil des Schwarzmarkts, wo man nicht naiv sein sollte und anerkennen muss, dass da sehr viel Scheiße läuft.“

In dieser Aussage steckt auch zugleich die Forderung, die sich wie ein roter Faden durch die Kampagnen und den Projekten der Initiative MyBrainMyChoice zieht: die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. „Es ist ungerecht, wenn eine legale Abgabe reguliert wird und dabei nicht auf die ungleichen Chancen geachtet wird, an diesem neuen Markt teilzuhaben. Es sind Unternehmer*innen im Vorteil, die bereits in anderen Branchen oder Ländern erfolgreich waren und deswegen aktuell, viel Kapital aufbringen und sich auf die Marktöffnung vorbereiten können. Anders als zum Beispiel Menschen, die so starke Nachteile durch die Strafverfolgung erlitten haben, dass ihnen die berufliche Laufbahn verbaut wurde oder zum Beispiel Grower und Kleindealer, die aktuell in Haft sind.“ Philine fordert, dass proaktiv vom Staat Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Nachteile der besonders von der Cannabisprohibition betroffenen Personengruppen auszugleichen. Damit die Möglichkeit bestehe, Menschen von einem illegalen Markt in einen legalen zu überführen.

Dennoch wolle sie sich nicht beschweren. Sie lächelt und hält inne: „Vielleicht sind wir da jetzt mit der Gesetzesänderung bisher nicht, aber trotzdem benötigen wir diese Gesetzesänderung“, erklärt sie. „Insofern bin ich erst mal froh darüber, wenn die Entkriminalisierung da ist.“

Und auch jetzt sei sie schon begeistert, wie sich die Debatte gedreht habe. „Es gibt ja immer noch diese populistischen Debattenbeiträge – so von wegen ‚die Welt geht unter, wenn wir jetzt Cannabis legalisieren“, sie lacht und erkennt, dass jetzt in der öffentlichen Debatte vielmehr das Gleichgewicht gesucht werde. „Und das ist schon enorm. Und wenn es so weitergeht, bin ich auch schon sehr zufrieden. Das ist die Voraussetzung für gesetzliche Veränderungen.“

Mit der Verabschiedung des Cannabisgesetzes ist die Diskussion um die Drogenpolitik in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im Gespräch mit Philine wird deutlich, dass solche gesellschaftlichen Veränderungen oft von aktivistischen Initiativen und Bestrebungen ausgehen. Diese scheinbar utopischen Ansätze bieten gleichzeitig vielversprechende Perspektiven für den zukünftigen Umgang mit Drogen, sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene.

Über Philine Edbauer
Philine Edbauer setzt sich seit 2015 für einen umfassenden Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik hin zur Entkriminalisierung und legalen Regulierung – gemessen an den Bedürfnissen von Personen, die Drogen nehmen und in kleinen Mengen weitergeben oder verkaufen – ein und leitet seit 2017 als Co-Gründerin ehrenamtlich die My Brain My Choice Initiative. Philine Edbauer ist Regionalwissenschaftlerin (M.A.) und Mitglied des drogenpolitischen Expertennetzwerks Schildower Kreis. Sie arbeitet Teilzeit im gemeinnützigen Bereich der europäischen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.

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