Ein kritischer Blick auf den sich rasant konsolidierenden Cannabis-Markt. 

Zwischen Euphorie und Panik

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Boris Moshkovits

Die letzten Monate haben beeindruckende Übernahmen, Finanzierungen und Börsengänge gebracht und in Teilen die Euphorie für den Cannabis-Markt wiederbelebt, trotz der überschaubaren Umsätze und atemberaubenden Burn-Rates. Und auch wenn die Bewertungen der deutschen Unternehmer vielleicht nicht ganz so aus dem Ruder laufen wie vor vier Jahren in Kanada, stellt sich dennoch die Frage, wo werden jene sein, die den Hype heute befeuern und Ultra-Fast-Commerce für Cannabis propagieren, wenn der Markt sich in naher Zukunft bereinigt hat?

Es ist wieder Zeit genauer hinzusehen. Die Cannabis-Branche durchläuft eine heiße Phase. Zum einen gedeihen die Fantasien hinsichtlich eines voll legalisierten Freizeitkonsummarktes und zum anderen wird es eng im Medizinal-Cannabis durch die neue G-BA Verordnung, die die aktuelle Verschreibungspraxis massiv verändern kann. Die Marktbedingungen wandeln und der Markt konsolidiert sich. Zunächst lohnt der Blick auf die Vielzahl der Großhändler, zu denen auch Alephsana gehört. Als Alephsana 2019 gegründet wurde, gab es ein gutes Dutzend Lizenzen, heute sind es sicherlich mehr als 150 Medizinal-Cannabis-Händler. Doch wie viele davon leben ihre Lizenz auch tatsächlich und kümmern sich um zuverlässige Lieferketten, regelmäßige Qualitätskontrollen und zielführendes Pharmamarketing? 

Früher konnte ein Unternehmen mit zehn Kilogramm Bedrocan in einem von Patienten dominierten Nachfragemarkt ohne aktive Vermarktung profitabel werden. Doch diese Phase war schnell vorbei. Heute bekommen etwa 100 Großhändler alle zwei Monate gerade einmal je vier Kilogramm Bedrocan für den Apothekenvertrieb. Davon kann keiner überleben. Es gibt aber auch Großhändler, die noch weitere etablierte Sorten wie Aurora/Pedanios, Aphria und Tilray, vertreiben können. Von diesen sind es wiederum nur eine Handvoll Unternehmen, die eigene Marken in den Markt bringen und diese tatsächlich vermarkten. Es bleiben also Dutzende von Händlern, die keine eigenen Produkte haben oder diese nicht in genügendem Umfang vertreiben können und dadurch überhaupt kein Wachstumspotential besitzen. Das führt zu Preiskriegen und einem Kampf um Marktanteile. Dies führt dazu, dass der Patient in Teilen zwar Preisvorteile hat, aber keine nachhaltige Versorgung. Viele der kleinen Firmen, die auf die Legalisierung spekulieren und darauf, dass ihre Medizinal-Cannabis Lizenz den Weg zu einer erfolgreichen Freizeit-Lizenz ebnet, werden das nächste Jahr nicht überleben. 

Und auch bei den großen Playern wird es ein Umdenken geben müssen, wenn die Legalisierung nicht mit dem Tempo voranschreitet, wie ihre Businesspläne es den Investoren womöglich suggerieren. Einbrüche wird es ebenso bei den Geschäftsmodellen an sich   geben. Plattformen, die auf die Umwandlung und Einfuhr von GACP- zu EU-GMP-Ware setzen, ohne dabei die Vermarktung und die Markenbildung zu übernehmen, werden die kleineren Produzenten in den Ruin treiben. Bei inzwischen mehr als 150 neuen Sorten und zahlreichen neuen Produktionsstätten, die im Laufe des Jahres lieferfähig werden, müssen Produzenten auch auf die Vermarktung achten. Wer für den Markteintritt hohe Investitionen tätigt, aber sich nicht durchsetzen kann, wird vom Markt verdrängt werden. Je mehr scheitern, desto unattraktiver werden die Post-Produktionsstätten und Prozesse der Umwandlung für neue Anbauer werden. Auch diese Modelle sind massiv von der Verschreibungspraxis abhängig und auch mit Blick auf einen “drohenden” rein nationalen Anbau bei der Legalisierung möglicherweise obsolet. In jedem Fall sind es so keine nachhaltigen Modelle. 

Insgesamt scheint die Euphorie der möglichen Legalisierung mit den Akteuren durchzugehen. Angesichts der kommerziell scheiternden Märkte in den USA, wo der Schwarzmarkt weiterhin blüht, und aufgrund der hohen Auflagen und Abgaben, sind die deutschen Luftschlösser nicht nachvollziehbar. Wenn in Kanada 400 Tonnen legal angebauter Cannabis in 2021 vernichtet werden mussten, da sie nicht abgesetzt werden konnten, sollte dies auch den europäischen Firmen zu denken geben, wie sich der legalisierte Freizeitkonsum-Markt bei uns entwickeln wird.

 Allein die Behauptung “Europas größte Freizeit-Cannabis-Marke” zu sein, macht sie noch lange nicht dazu. Denn die größten Marken im deutschen bzw. europäischen Freizeitkonsum werden derzeit im Schwarzmarkt vertrieben und sind oft Kopien etablierter „Recreational“-Marken aus den USA. Im “Cannabis-Business” werden Marken nicht aus der Retorte gehoben, sondern wachsen aus der Community. Ebenso erstaunlich ist die Hybris einiger Unternehmer, dass CBD-Marken auf die Glaubwürdigkeit von zukünftigen THC-haltigen Freizeitkonsum-Marken einzahlen. 

Letztlich sind all diese Auswüchse von „Over-Promise“ und „Under-Deliver“ dem regulatorischen Rahmen geschuldet, der den Handlungsspielraum einschränkt und Akteure dazu treibt Gesetzeslücken zu suchen und für sich gewinnbringend auszuloten: Ein Eldorado für Start-ups mit ihrer Mentalität des „Disrupt, destroy and disappear“. Dadurch werden nicht nur einzelne Firmen betroffen sein, sondern ganze Branchenzweige, die sich selbst überleben werden.

Derzeit stechen lediglich die großen Online-Apotheken, die sich auf Cannabis spezialisiert haben, hervor. Es scheint, als würden gerade einmal fünf Apotheken fast die Hälfte des gesamten deutschen Cannabis-Volumens bewegen. Hier werden sicherlich die nächsten Gründungen zu erwarten sein, ebenso wie bei den inflationären Cannabis-Kliniken und den dazugehörigen Online-Plattformen. Gegen diese verheerenden Trends positionieren sich lediglich Firmen, die sich der Erforschung von Phyto-Cannabinoid-Therapien widmen. Letztlich werden sich die Unternehmen durchsetzen, die sich ernsthaft mit dem vollen Potenzial der Pflanze beschäftigen und das Wohl des Patienten in den Fokus stellen.

Über den Autor

Boris Moshkovits ist ein Cannapreneur und erfahrener Gründer mit Erfahrung in der Medien-, Pharma- und Internetbranche. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer von alephSana, einem Unternehmen, das sich darauf konzentriert, weltweit nach qualifizierten medizinischen Cannabisprodukten zu suchen und die besten Cannabistherapeutika nach Deutschland und Europa zu bringen. Moshkovits war als International Digital Marketing Manager in der Pharmaindustrie tätig und bewegte sich dabei auf dem schmalen Grat zwischen Marketing und digitalem Storytelling in stark regulierten Märkten. Als Redner spricht Moshkovits über das Mainstreaming von medizinischem Cannabis und die Zukunft von Cannabis als Lifestyle-Produkt. Er ist außerdem Mitgründer des CannaBusinessClub.Berlin, einer Initiative zur Stärkung der lokalen Cannabis-Szene. In seiner verlegerischen Laufbahn war er Leiter der digitalen Medien beim Ringier Verlag Deutschland und Herausgeber von Amuse bei Vice Media Deutschland. Davor war er als Redakteur und Herausgeber in Mailand, Moskau und New York tätig. www.alephsana.com

 

Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben.

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