Andreas Becker und Nicolas Martin über JuicyFields: “Ausgedachtes Universum”

Das Gespräch über Cannabis Cowboys

by Moritz Förster

Unbedingt hören! Im Podcast Cannabis Cowboys von der Deutschen Welle versuchen die beiden Investigativ-Journalisten Andreas Becker und Nicolas Martin den JuicyFields-Scam zu entschlüsseln – und landen mittendrin im Perpetuum mobile der betrügerischen Matrjoschka-Puppen. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man als Zuhörer glauben, man sei Teil einer fiktiven Geschichte, deren Autoren der Sinn für die Realitätsnähe abhanden gekommen ist. Cannabis Cowboys ist eine achtteilige Staffel, nach der der Hörer zwar mit etlichen Fragezeichen zurückbleibt (und selbst nicht mehr so recht weiß, was ausgedacht, was echt ist), vor allem aber auch mit einem ungläubigen Kopfschütteln.

Allerdings ist einem beim Zuhören nicht immer nach Popcorn auf der Couch. Zu fad ist an vielen Stellen der Beigeschmack, wenn Protagonisten über ihren finanziellen Ruin berichten. Noch schlimmer: Wenn die Gier nach Geld ganze Familien in den Bankrott hineinrutschen lässt. Zwischenmenschliche Beziehungen, jahrzehntelange Freundschaften gehen in die Brüche, menschliche Existenzen rücken an den Rand des Abgrunds. Morddrohungen strapazieren plötzlich das Nervenkostüm derjenigen, die selbst aktiv Gelder im Schneeballsystem eingetrieben haben. 

Im Gespräch mit den beiden Journalisten schwebt über allem die große Frage: Wie konnte es nur soweit kommen? Im Interview über den Podcast Cannabis Cowboys geht es daher nicht nur über die Recherche zu JuicyFields, es ist auch eine Spurensuche nach kollektiver Verantwortung und ein Versuch, dem oftmals abstrakten Begriff der Schuld auf die Schliche zu kommen. Hätten viele einzelne Schicksalsschläge verhindert werden können, wenn jemand mehr Courage gehabt hätte, nicht länger wegzugucken?

krautinvest.de: Nico, Andreas, ihr habt die achte und vorerst letzte Folge von Cannabis Cowboys veröffentlicht. Glückwunsch! Ist nach der ersten zugleich auch vor der zweiten Staffel?

Andreas: Ganz ehrlich. Wir wissen es noch nicht. Wir wollen etwas nachliefern, wenn es was nachzuliefern gibt. Im Moment haben wir das Gefühl, dass jetzt erstmal an offiziellen Stellen etwas passieren müsste; seien es Verhaftungen oder Prozesseröffnungen. Wir halten aber trotzdem die Augen offen.

Nico: Wir bleiben weiter dran und sind perspektivisch offen. Die Geschichte hat uns ein halbes Jahr in sämtliche Rabbit-Holes reingezogen. Über ein Buch haben wir auch nachgedacht. Was die Filmrechte angeht, liegt eine Anfrage vor.

krautinvest.de: Wann habt ihr denn überhaupt losgelegt?

Nico: Vor etwa einem Jahr. Richtig Gas gegeben haben wir ab dem 14. Juli 2022, also ab dem Zusammenbruch der Plattform. Wir hatten bereits davor Interviews mit Managern und Investoren geführt, die uns erzählt hatten, wie gut JuicyFields funktioniert und wie viel Geld die Plattform abwirft. Wir hatten da aber noch nichts veröffentlicht. Als die Plattform dann zusammengebrochen ist, da wurde uns klar: Aus journalistischer Sicht sind diese Interviews mit den abgetauchten Managern und den euphorischen Anlegern ein Schatz, wenn wir dranbleiben. Das letzte halbe Jahr haben wir dann fast nur noch an Cannabis Cowboys gearbeitet. Es steckt unheimlich viel Arbeit in dem Podcast. 

krautinvest.de: Keine Sorge, das hört man.

Andreas: Wie immer bei investigativen Sachen: Viele Spuren führen ins Nichts. Es ist ein ständiges Aussortieren. Bis man am Ende eine Geschichte hat, die sich gut anhört, sind auch etliche Sachen liegen geblieben oder haben sich im Nachhinein als Sackgasse entpuppt.

krautinvest.de: Habt ihr denn zuvor bereits etwas Vergleichbares gemacht?

Andreas: Ich habe durchaus schon ein halbes Jahr lang an einem Thema recherchiert. Für mich war das Besondere bei Cannabis Cowboys die Länge des Podcasts und das Investigative gleichzeitig. Das beides miteinander zu verbinden, war für mich tatsächlich neu. Und so lange investigativ an einem Langfrist-Projekt zu arbeiten, frisst Zeit. 

Nico: Wir haben beide schon lange Features und Audio-Strecken gemacht, um die 50 Minuten. Eine Serie mit acht mal 30 bis 40 Minuten ist dann sozusagen der nächste Schritt.

krautinvest.de: Und ist euch zuvor schon einmal so viel kriminelle Fantasie begegnet?

Andreas: Das Level an Überdrehtheit war bei JuicyFields viel höher als bei anderer Wirtschaftskriminalität. Wer hat sich das denn alles ausgedacht? Immer wieder gab es einen neuen Dreh und man dachte, das kann gar nicht sein. Man hat oft das Gefühl, dass man sich in einem ausgedachten Universum befindet. Cannabis ist derzeit ein medizinischer Markt, aber es ist halt auch Cannabis – und dann befindet man sich mit einem halben Bein im Klischee.

Andreas Becker und Nicolas Martin über JuicyFields: “Ausgedachtes Universum”

Nicolas Martin und Andreas Becker (r.) nach einem Interview für Cannabis Cowboys

krautinvest.de: Und der Höhepunkte während euer Recherche?

Nico: Einer der Recherche-Höhepunkte war sicherlich die ICBC in Barcelona (März 2022, Anmerkung der Redaktion). JuicyFields ist dort ziemlich protzig als Sponsor aufgetreten. Wir haben sie dort also noch live miterlebt: ihren Stand, die Lamborghinis vor dem Kongresszentrum, die Party im Hotel. Wären wir nicht dort gewesen, hätten wir die Geschichte nicht so erzählen können, wie wir es getan haben. Aber es gab natürlich auch noch andere Highlights: Das Schloss in der Schweiz, der Whistleblower in Finnland zum Beispiel – alles in allem eine unglaubliche Recherche.

Andreas: Höhepunkt? Für mich galt das jedes Mal, wenn wir draußen waren und Leute getroffen oder versucht haben, sie zu treffen. Also immer dann, wenn die Recherche ins echte Leben überging. Man darf nicht vergessen: Ein ganz großer Bestandteil unserer Arbeit war ja das Abchecken von Daten, Fakten und Dokumenten – das hat alles am Rechner stattgefunden. Diese Arbeit hatte zwar auch eine reale Komponente, weil wir oft mit echten Menschen kommunizierten, um die Zahlen zu überprüfen, etwa mit Betreibern von Produktionsstätten. Aber es ging bei dieser Arbeit am Rechner in erster Linie um Zahlen und  Wahrscheinlichkeiten. Das wirkliche Rausfahren, um X oder Y zu treffen, hatte ein ganz anderes Level an “echt”.

krautinvest.de: Nun habt ihr sehr früh schon angefangen zu recherchieren. Wieso ist JuicyFields so lange mit dem Scam durchgekommen?

Nico: Die Zahlen von JuicyFields stimmten von Anfang an nicht. Beispielsweise die sehr niedrigen Produktionspreise und vor allem die gigantischen Produktionsmengen. Bei unseren Recherchen ging es anfangs vor allem um die Plausibilität. Ich glaube, viele Leute hatten früh auf dem Schirm, dass irgendwas nicht stimmen kann. Viele haben nichts gesagt. Wen schlussendlich die Schuld trifft? Natürlich vor allem die Hinterleute von JuicyFields. Aber zu einem Teil sicherlich auch die Cannabis-Branche. Ich finde: Man kann die Reife einer Branche daran messen, ob solche shady Figuren und Unternehmen ohne Widerrede durchkommen – und das ist bei JuicyFields lange Zeit so passiert.

Andreas: Wir waren ja schon ein halbes Jahr an der Geschichte dran, bevor alles geplatzt ist. Wir hatten die Plausibilität gecheckt, und es war unwahrscheinlich, dass die Erfolgsgeschichte von JuicyFields so stimmte. Veröffentlicht hatten wir dazu allerdings noch nicht. Wir hatten nur eine Indizienkette, keine handfesten Beweise. Auch gab es vor dem 14. Juli 2022 noch keine Opfer, und niemand in der Branche wollte JuicyFields öffentlich kritisieren. In dieser Situation eine Geschichte zu veröffentlichen, ist dann auch juristisch schwierig. Wir wollten die Recherche deshalb erst einmal wasserfest machen.

Andreas Becker und Nicolas Martin über JuicyFields: “Ausgedachtes Universum”

Cannabis Cowboys von der Deutschen Welle – überall wo es Podcasts gibt

krautinvest.de: Allerdings kommt es nicht nur in der vergleichsweise jungen Cannabis-Industrie zu Betrug und Skandalen…

Andreas. Richtig. Grundsätzlich ist keine Branche gefeit davor, dass Individuen das System unterlaufen und dadurch eine ganze Branche in Verruf bringen. Siehe Wirecard. Aber bei Wirecard war das eine komplexe Sache. Das Unternehmen war im DAX, Wirtschaftsprüfer haben die Berichte durchgesehen. Zum Vergleich bei JuicyFields: Da haben wir eine Firma, die eigentlich keiner kennt. Es war klar für alle: Sogar die zwei Seiten Pflichtpublikation für die BaFin fehlen. Das, was man hörte, war: Man kann das Geld verdoppeln innerhalb eines Jahres. Die Frage an alle in der Branche lautet: Sind wir damit im Bereich der Märchen oder ist das noch real? Also mit Blick auf die eigenen Zahlen: Ist das überhaupt real? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch.

Nico: Man kann auch kritisieren, dass wir einen relativ oberflächlichen Umgang mit Cannabis in Deutschland haben. Es heißt immer die “grüne Revolution”. Das Narrativ, das wir nähren, ist das eines gigantischen Marktes, und das Ganze mit einer gewissen Faszination und großen Zahlen versehen. Aus den großen Medienhäusern guckt keiner in Deutschland so richtig hin. Es gibt dort keine Cannabis-Journalisten. Die Themen macht irgendjemand nebenbei mit.

Andreas: Und die Branche selbst ist noch so familiär, dass keiner der Nestbeschmutzer sein will.

Nico: Aber das Geld von JuicyFields wurde gerne genommen – und diejenigen haben das Geschäftskonzept lieber nicht so richtig hinterfragt.

krautinvest.de: Die Cannabis-Branche ist aber bunt gemischt. Es gibt ganz verschiedene Akteure. Man kann sicherlich nicht alle in eine Schublade stecken. Könnt ihr die Akteure der Branche typologisieren?

Nico: In der Tat kann man nicht alle in eine Schublade stecken. Es ist ein sehr buntes Feld. Von ehemaligen Aktivisten bis zu Bankern. Idealisten und Kapitalisten geben sich die Hand. Die Branche selbst ist auch nicht per se shady. Ich habe das Gefühl, dass viele mit ihren Ideen und Produkten versuchen, Fuß zu fassen. Aber viele  müssen kämpfen, weil noch nicht so viel Geld da ist. Es ist eine Wette auf die Zukunft. Aber diese trägt man mit einem Lächeln und feiert sich weiter. Denn wenn der Optimismus da ist, kommt vielleicht auch das Geld.

Andreas: Dieser Optimismus erschwert gleichzeitig die Situation vieler Unternehmen. In einer Podcast-Folge haben wir von der Macht der Hoffnung gesprochen. Bezogen auf die Cannabis-Industrie ist das auch die Hoffnung, dass Firmen mit neuen Geschäftsmodellen die ganze Branche beleben können. Als JuicyFields auftauchte und mit Geld um sich warf, haben einige bestimmt gedacht: Naja, vielleicht ist da ja doch was dran? Vielleicht haben die wirklich durch das Internet neue Finanzierungsquellen erschlossen, wer weiß? Da wollte man dann vielleicht nicht so sehr auf die Details schauen. 

krautinvest.de: Was sind weitere Erklärungen dafür, dass es soweit kommen konnte?

Nico: Ein Ursache ist auch ein weit verbreitetes Bild, dass man durch “Nichtstun” reich werden kann. Diese Vorstellung vom passiven Einkommen: ‘Ich lege mein Geld irgendwohin und dann verdoppelt es sich.’ Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der durch Bitcoins reich geworden ist… Viele haben gedacht: ‘Hey mit JuicyFields habe auch ich sowas für mich entdeckt.’

Andreas: Das Versprechen, dass man auf der Couch sitzt und trotzdem reich wird, kriegt man vorgespielt, wenn man auch nur in einem einzigen sozialen Netzwerk aktiv ist. Je massiver diese Informationen dort erscheinen, desto weniger seltsam mag sich so ein Angebot wie das von JuicyFields anhören.

“Die Zahlen von JuicyFields stimmten von Anfang an nicht”

krautinvest.de: Wir sprachen bereits über andere, größere Branchen. In Nordamerika erlebten Cannabis-Aktien zwar auch Achterbahnfahrten, aber könnten mehr Börsengänge in Europa die Professionalisierung der Branche vorantreiben und die Gefahr eines weiteren Scams sinken lassen?

Andreas: Unternehmen müssen dann zumindest gewisse Standards bei der Rechnungslegung erfüllen. Wenn mehr Geld da ist, zieht dies die Kaste der Analysten an, die ja nichts anderes machen, als ständig zu gucken, ob ein Unternehmen wirklich das halten kann, was es verspricht. Das ist zwar keine Garantie, dass es keine Scams gibt. Man muss sich ja nur die ganzen Börsen-Katastrophen ansehen. Aber man müsste sich mehr Mühe geben, um zu scammen. 

Nico: Zur Erinnerung: Bei JuicyFields gab es einen einzigen Geschäftsbericht von vor zwei Jahren, dann gab es nichts mehr. Bei börsennotierten Unternehmen hast du zumindest jedes Jahr einen Geschäftsbericht, den du einsehen kannst. Inwiefern der manipuliert ist, ist eine andere Frage… Aber dafür wäre auf jeden Fall mehr Mühe erforderlich.

krautinvest.de: Wir sprachen einerseits auch über Idealisten und andererseits über den Wunsch, mit “Nichtstun” Geld zu verdienen. Blicken wir auf das Spannungsverhältnis von Gier und Idealismus. Wie hat sich euer Menschenbild verändert?

Andreas: Mein Menschenbild hat sich nicht verändert oder verschlechtert. Ich bin allerdings überrascht gewesen, wie hoch die Bereitschaft ist, die Realität umzudeuten. Die Tatsache, dass Leute viel Geld verloren haben, ist bedauernswert, weil sie betrogen worden sind, aber wenn man dann schaut, wie viele Menschen sich noch immer bei Telegram erzählen, dass sie ihr Geld zurückbekommen werden… Das ist schon eine Bereitschaft, die Augen zuzumachen, die mich sehr überrascht.

Nico: Das hat mich auch überrascht; wie sehr Menschen Informationen für ihr eigenes Narrativ ausblenden können.

“Die Branche hat es selbst in der Hand”

krautinvest.de: Und wo ist all das Geld hin?

Nico: Laut unserer Quelle ist das das Geld in den Händen eines kleinen Kreises von Menschen in St. Petersburg. Dieser kleine Kreis ist momentan auf einer oder mehreren Yachten in der Karibik unterwegs und lässt es sich gut gehen. Aber – und das sagen wir ja auch im Podcast: Diese Version der Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein. Deshalb sind wir natürlich auch sehr gespannt, was die Ermittlungen hervorbringen – wenn sie jemals zu einem Ergebnis kommen.

Andreas: Auf dem Weg dahin wurde das Geld aber auch breit verteilt an Akteure aus der Industrie.

krautinvest.de: Stichwort Industrie. Was wäre zum Schluss euer Appell an die Industrie?

Nico: Die Branche hat es selbst in der Hand, wie reif sie in Erscheinung tritt. Es haben viele Leute hart dafür gekämpft, dass Cannabis legalisiert wurde. Deshalb mein Appell: Genauer hinschauen, von wem man sein Geld nimmt. Es wäre doch schade, wenn sich JuicyFields noch viele Male wiederholen muss. Damit setzt man die Legalisierung und den Ruf der Branche insgesamt aufs Spiel.

Andreas: Es ist schwierig. Wir haben eine junge Branche im Aufbau. Sie lebt zum Teil davon, dass Menschen sie hypen und Menschen mit Geld glauben, die Branche ist heiß, da will ich dabei sein. Vor JuicyFields zu warnen, wäre das Gegenteil von Hype gewesen: Zu sagen, das kann nicht sein. So viel Geld kann man bei uns nicht machen. Es sind zwei widersprüchliche Bewegungen. Einerseits muss der Hype aktiviert werden für Anleger. Andererseits ist das Vorsichtige, Nüchterne gefragt. Es ist schwierig, diesen goldenen Mittelweg zu finden. 

krautinvest.de: Danke euch für dieses Gespräch.

Über Nicolas Martin und Andreas Becker

Nicolas Martin ist freiberuflicher Journalist, Moderator und Trainer. Er arbeitet für die Wirtschaftsredaktion der DW und andere Auftraggeber. Er konzipiert und moderiert Podcasts und gibt Seminare. Seit 2017 schreibt er auch regelmäßig zum Thema Cannabis.

Andreas Becker ist Wirtschaftsredakteur der Deutschen Welle. Dort berichtet er u.a. über Welthandel, Geldpolitik und Globalisierungsfragen und moderiert den Podcast “Menschen und Märkte”.

Leave a Comment