Achtung vor scheinbaren Kausalitäten bei Psychosen, Cannabis und der Legalisierung

by Moritz Förster

Eine temporäre Parallele ist noch lange kein kausaler Zusammenhang. Leider vergessen wir diesen Satz viel zu oft, wenn es um die Interpretation der sozialen Wirklichkeit geht. Umso wichtiger, sich diese Erkenntnis in Erinnerung zu rufen in Zeiten, in denen eine Horror-Schlagzeile die nächste jagt: Die Cannabis-Legalisierung lässt angeblich den Cannabis-Konsum explodieren. Dieser mehr-Konsum soll wiederum mehr Psychosen verursachen. Einige Verfechter dieser Theorie berufen sich dabei seit einigen Wochen auf eine durchaus spannende Studie aus Ontario. Der nähere Blick zeigt allerdings: Cannabis ist nicht harmlos, das Risiko wird im öffentlichen Diskurs aber als teils übertrieben dargestellt – und dass eine Legalisierung per se mehr Psychosen „verursacht“ ist mehr Spekulation als wissenschaftliche Forschung.

Teilweise wurde öffentlich nicht erst das Inkrafttreten des CanGs 2024, sondern bereits die fortlaufende Debatte um die Cannabis-Legalisierung partout als Ursache für ein geschrumpftes Problembewusstsein und damit auch verantwortlich für den gestiegenen Cannabis-Konsum in Deutschland herangezogen. Dass der kontinuierliche Anstieg von 2020 bis 2023 auch andere Gründe haben kann als ein Gesetz, das noch nicht in Kraft getreten ist, bleibt in solchen Argumentationsketten außen vor. Das ist eher manipulativ, denn kausal.

So zeigt ein näherer Blick in die zuletzt häufig zitierte Studie zu Ontario aus Kanada vor allem eines: Ursache und Wirkung zu identifizieren ist gar nicht so einfach – die Zahlen aber sehr geeignet für Cannabis-Kritiker, scheinbare Gefahren einer Cannabis-Legalisierung in Kanada völlig übertrieben zu konstruieren und die komplexen Wechselwirkungen in unserer sozialen Welt außer Acht zu lassen. Einige Beispiele gefällig? Der Konsum ist in Kanada bereits vor der Legalisierung angestiegen. Genau dies war Anlass für die Politik, neue Wege zu beschreiten – übrigens ganz ähnlich wie in Deutschland. Hat sich nun also einfach ein bereits zuvor deutlich erkennbarer Trend – ein steigender Cannabis-Konsum – in den letzten Jahren in Kanada fortgesetzt? Wenn ja, was hätte ein illegaler Markt mit häufig verunreinigten Produkten in diesem Fall angesichts der ohnehin gestiegenen Konsument:innen-Zahlen für die Volksgesundheit bedeutet?

Die kanadischen Forscher um Daniel T. Myran gehen vor allem der Frage auf den Grund, wie stark das Risiko von Schizophrenie bei Menschen mit Cannabis-Konsumstörung steigt (Cannabis-Use-Disorder, CUD) und wie sich die Legalisierung auf CUD ausgewirkt hat. Dafür berücksichtigten sie 17 Jahre lang fast 13,6 Millionen Personen. 118.650 von diesen waren aufgrund von CUD zumindest einmal in der Notaufnahme oder im Krankenhaus. Während der Studie stiegen die Fälle von CUD in Kanada stark an. Von den Personen ohne CUD gab es im Schnitt 0,6 Prozent Schizophrenie-Fälle. Bei den CUD-Personen waren es 8,9 Prozent. In den letzten 17 Jahren ist der Anteil neuer Schizophrenie-Fälle in Ontario, die mit diagnostizierter CUD in Verbindung stehen, von 1,6 % im Jahr 2006 auf 9,6 % im Jahr 2022 gestiegen – der Anstieg lief aber in etwa linear mit dem Anstieg der CUD in der Bevölkerung.

Lässt sich aus diesen Zahlen ableiten, dass die Legalisierung zu mehr Konsum, damit zu mehr CUD und in der Folge zu mehr Schizophrenie führt? Nein. Weltweit haben im Zuge der Pandemie psychische Erkrankungen zugenommen. Es kann also genauso gut sein, dass gerade der Anstieg der psychischen Erkrankungen durch gesellschaftliche und soziale Veränderungen zu mehr CUD-Fällen führte. Viele Betroffene versuchten vielleicht, sich quasi mit Cannabis auf eigene Faust zu therapieren. Dann wäre die Kausalität: Mehr psychische Erkrankungen und Pandemie-bedingte Langeweile verursachen steigenden kritischen Cannabis-Konsum. Auch darf die Frage erlaubt sein: Hat die Legalisierung vielleicht sogar dazu beigetragen, dass Personen mit CUD früher gewillt waren, ihr Problem öfter anzusprechen?

Jenseits dessen führen teils hohe Prozentzahlen in der Öffentlichkeit in die Irre, da teils nur niedrige absolute Zahlen zugrunde liegen. Fest steht daher nur, dass Cannabis-Konsum mit gesundheitlichen Risiken verbunden sein kann, auch für das psychische Wohlergehen. Gleiches gilt im Übrigen auch für viele andere Dinge, die unseren Alltag prägen. Die Legalisierung als Ursache allen Übels in Kanada zu diffamieren, ist aber keineswegs stichhaltiger als einige der hier getätigten – im Übrigen ebenfalls spekulativen – Gedankenspiele. Dass die Legalisierung nicht Kern allen Übels ist, genau darauf weisen die Autoren auch selbst explizit hin: Obwohl Studien aus den USA und Kanada zeigen, dass CUDs im Laufe der Zeit stark zugenommen haben, war der Zusammenhang mit der Legalisierung moderat, da die Zunahmen auch in Regionen ohne legales Cannabis auftraten. Die Legalisierung zu verteufeln, ist vor allem eines: Unfug.

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