“Vielfältige Interessen einbeziehen”

by Moritz Förster

Ist noch Platz für einen neues Cannabis-Business-Event? Ja – sagt Jonathan Wiser, Geschäftsührer des Global Cannabis Institute. Im Interview verrät er auch, wieso Großbritannien unabhängig vom Brexit eine führende Rolle einnehmen wird und wieso er die Engpässe eher für ein kurzfristiges Problem hält.

Jonathan, du hast ein Netzwerk für Führungskräfte aus aufstrebenden Cannabsindustrien aufgebaut. Allerdings bestehen schon seit einigen Jahren rund um den Globus Events und Konferenzen für die Branche. Was macht ihr anders?

Es stimmt. Der rasant wachsende Cannabis-Mark ist zunehmend gesättigt mit Veranstaltungen. Für Cannabis-Profis wird es dadurch um so schwieriger, diejenigen zu finden, die für sie und ihre Organisation am besten geeignet sind. Durch unsere Thought-Leadership-Konferenzen können Führungskräfte entlang der globalen Cannabis-Wertschöpfungskette nachhaltige Geschäftsbeziehungen aufbauen.

Inwiefern?

Beim Global Cannabis Institute, kurz GCI, sind wir fest davon überzeugt, dass Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg der Branche in Europa ist. Wir wollen die Mitglieder der Gemeinschaft, gerade die relevanten Führungskräfte, mit denen zusammenbringen, mit denen sie zusammenarbeiten und Geschäfte machen können. Unser Format unterscheidet sich dabei von herkömmlichen Konferenzen: Es ist weder ein Visitenkartentausch, noch ein Treffen von Menschen, die in Zukunft in die Branche einsteigen wollen. GCI Europe ist ein Treffen von Köpfen, die bei der Gestaltung der europäischen Cannabisszene an vorderster Front stehen.

“In der Cannabisindustrie herrscht ein offener Umgangston”

Nun ist Cannabis ein stark reguliertes Geschäft. Dies gilt sowohl für den pharmazeutischen Bereich als auch für den Freizeitkonsum. Und auch wenn es sich um eine Pflanze und die gleichen Cannabiswirkstoffe handelt: Die Regulierung ist völlig anders als im. Zugleich ist der Markt noch jung und die Gesetzgebung wandelt sich kontinuierlich. Der Zugang zu Expertise ist schwierig. Was brauchen wir, damit mehr Akteure in diesem komplexen Umfeld verlässliche Informationen erhalten?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen durch direkten Kontakt zu ihren Kollegen in der Branche am besten lernen. Natürlich können sich direkte Konkurrenten nicht alle ihre Geheimnisse verraten, aber die meisten Leute sind glücklich, etwas von ihrer Zeit aufzubringen und über wichtige Dinge mit ihren Weggefährten zu diskutieren. Dies ist zum einen auf die menschliche Natur zurückzuführen – meiner Meinung nach haben die meisten Menschen einen guten Charakter. Zum anderen scheint in der Cannabisindustrie ein besonders offener Umgangston zu herrschen. Menschen tauschen Ideen und Wissen aus – diese Bereitschaft ist einzigartig und fantastisch. In einer relativ neuen Branche wie der unsrigen weiß man schließlich nie, von wem man in Zukunft Hilfe braucht. Dies trägt zu der freundlichen Atmosphäre bei. Mein Rat lautet daher: Greift zum Telefonhörer, kontaktiert Leute über Linkedin oder schreibt eine Mail. Ihr werdet überrascht sein, wie viele Führungskräfte bereit sind, einen gemeinsamen Kaffee zu trinken.

Was sind weitere wichtige Informationsquellen?

Es gibt einige gute Online-Publikationen, die aufschlussreiche Artikel veröffentlichen. Eine weitere gute Quelle für Informationen und News ist Twitter. Auch der professionelle Cannabis-Podcast darf nicht fehlen.

Zugleich entwickeln sich aktuell die regulatorischen Rahmenbedingungen. Wie können Unternehmen, Politiker und Vordenker interagieren, um einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringt und für Patienten, Konsumenten, Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft der Ideallösung gleichermaßen nahe kommt?

Zusammenarbeit, Zusammenarbeit, Zusammenarbeit und nochmal Zusammenarbeit. Wir müssen einen Weg finden, um Gesetzesvorschläge nicht nur aus einer Perspektive oder von einem Standpunkt aus zu betrachten. Die vielfältigen Interessen der wichtigsten Gruppen, von denen du viele schon erwähnt hast, muss von Anfang an in die Gestaltung des Gesprächs – aus dem letztlich die Gesetze hervorgehen – einbezogen werden. Ist dies nicht gegeben, verwenden Experten viel Zeit und Mühe damit, Vorschläge zusammenzustellen, nur um ganz am Ende zu sehen, dass nichts zustande kommen wird, weil es für die Gruppe X oder Y nicht praktikabel ist. Daher ist Vielfalt von Anfang des Gesprächs enorm wichtig. Ich glaube auch, dass Patienten einen Platz an diesem hochkarätigem Tisch brauchen. Wir müssen uns an unsere Wurzeln erinnern und nicht diejenigen ausgrenzen, die sich unermüdlich für Cannabis eingesetzt haben und Jahre lang dazu beigetragen haben, die Perspektiven zu ändern. Schließlich haben sie vielen von uns erst den Weg in die Industrie geebnet.

Zu einem anderen Thema: Großbritannien hat den Markt Ende des vergangenen Jahres legalisiert. Auch euer Event Cannabis Europe findet in London statt. Auf der anderen Seite haben europäische Unternehmen Angst vor dem Brexit. Welche Rolle spielt Großbritannien im europäischen Cannabismarkt?

Eine sehr wichtige! Brexit oder kein Brexit. Ganz egal. In Sachen Cannabis sehen viele europäische Unternehmenslenker und politische Entscheidungsträgern in Großbritannien den nächsten wesentlichen regulatorischen Wegbereiter. Und ob du es glaubst oder nicht, der Brexit könnte die Dinge tatsächlich beschleunigen. Schließlich gehen viele Experten von einer Wirtschaftsflaute durch den Brexit aus. In solchen schwierigen Zeiten kann man die ökonomischen Vorteile der legalen Cannabisindustrie nur schwierig ignorieren. Darüber hinaus ist Großbritannien für viele nordamerikanische Unternehmen eine erste Anlaufstelle für die europäische Expansion. Das darf uns allerdings nicht über die richtungsweisenden Leistungen anderer europäischer Länder hinwegtäuschen.

“Die EU könnte uns sollte eine größere Rolle spielen”

Die wären zum Beispiel?

Dänemark hat mich lange Zeit beeindruckt. Es hat ein besonders fortschrittliches Cannabisprogramm aufgesetzt – ein Programm, das meiner Meinung nach als Maßstab für viele andere EU-Länder dienen kann. Und dann gibt es natürlich bereits etablierte Cannabismärkte. Märkte wie die in Deutschland, die führende Cannabiswirtschaft in Europa. Bislang sind aber viele der fortschrittlichen europäischen Programme auf Initiative der einzelnen Ländern entstanden, die ihre Politik noch isoliert und ohne große regierungsübergreifende Zusammenarbeit entwickeln. Die EU könnte und sollte bei all dem eine größere Rolle spielen.

“Dringendes Problem ist die Ausbildung der Ärzte”

Nun gibt es für europäische Patienten trotz der Entwicklung der vergangenen Jahre immer noch nicht ausreichend pharmazeutisches Cannabis. Was muss passieren, dass die Versorgungsengpässe ein für allemal der Vergangenheit angehören?

Meiner Meinung nach ist die Versorgung ein kurzfristiges Problem, das sich bald erledigen hat, da immer mehr Anbauer GMP-zertifiziert werden. Ein dringenderes Problem beim Erhalt von medizinischem Cannabis sehe ich in der Ausbildung der Ärzte. Sie haben die Macht, Patienten die Behandlung zu verordnen, die diese benötigen. Beispielsweise ist in Großbritannien medizinisches Cannabis seit November des letzten Jahres legal, aber es wurden trotzdem nur eine Handvoll Verschreibungen ausgegeben.

Woran liegt dies?

Zum Teil ist dies auf regulatorische Einschränkungen zurückzuführen. Aber ausschlaggebender ist, dass Hausärzte nicht ausreichend über medizinisches Cannabis aufgeklärt sind. Man kann ihnen daher auch nicht wirklich die Schuld dafür geben, dass sie Cannabis beziehungsweise eine Cannabis basierte Therapie nur sehr zögerlich zu verschreiben. Ein zusätzlicher Faktor sind zudem die Behandlungskosten. Es gibt Länder, in denen Patienten zwar auf offiziellem Wege Zugang zu zu medizinischem Cannabis haben, aber die Behandlung aufgrund der hohen Kosten eingestellt wird. In der Folge verzichten sie auf medizinisches Cannabis – mit entsprechender Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität – oder sie erwerben Cannabis über traditionelle nicht legale Kanäle zu. Dies kriminalisiert die Patienten und bedeutet zugleich, dass die Qualität und die Wirkstoffe der von ihnen erworbenen Medikamente variieren. Mein Bruder ist Diabetiker und ich stelle mir vor, er müsste sich auf inoffizielle Kanäle verlassen, um auf Insulin zuzugreifen… Das wäre es äußerst problematisch. Aber sollte es bei Patienten mit MS, Epilepsie oder anderen Erkrankungen, die mit Cannabis oder Cannabisderivaten gut behandelt werden können, wirklich anders sein? Auf keinen Fall! Ich bin fest überzeugt: Alles beginnt damit, dass wir den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Ausbildung für medizinisches Fachpersonal verbessern. Bei ihnen handelt es sich um die wahren Gatekeeper.

Jonathan, danke für dieses Gespräch.

Jonathan Wiser ist Managing Director des Global Cannabis Institute (GCI), einem Netzwerk für Führungskräfte der Cannabisindustrie. Das erste Event des Instituts ist am 13.-14. November 2019 in London. In Berlin macht das GCI im September des nächsten Jahres Station. krautinvest.de ist Medienpartner.

"Vielfältige Interessen einbeziehen"

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