Sascha Mielcarek über medizinisches Cannabis: “Zu viel Produkt im Markt”

by Moritz Förster

Sascha Mielcarek hat im Laufe seiner Karriere in der medizinischen Cannabis-Industrie einiges erlebt. Für Tilray leitete er 2019 die Geschäfte Europa, dem nahen Osten und Afrika. In seine Verantwortung viel dabei auch der Aufbau der deutschen Produktionsstätte für Aphria, einer der drei Produzenten des BfArM und von Tilray zwischenzeitlich aufgekauft. Zugleich war Sascha bis vor kurzem Chairman der European Medical Cannabis Association. Mit krautinvest.de blickt Sascha, seit 2023 Geschäftsführer von Canify, auf die letzten Jahre in der Industrie zurück und ordnet die aktuelle dynamische Phase ein. Trotz mehr als zwei Jahrzehnte aktiv in der Pharma-Industrie zeigt sich auch Sascha ein wenig überrascht, wie sich gerade die Nachfrage der Selbstzahler in den letzten Wochen entwickelt.

krautinvest.de: Sascha, du arbeitest seit rund 23 Jahren in der Pharma-Industrie. Was unterscheidet Cannabis von anderen Arzneimitteln?

Sascha Mielcarek: Am Ende ist es sehr ähnlich wie in anderen medizinischen Märkten auch. Cannabis war vor dem ersten April ein BtM-pflichtiges Präparat, also sogar noch deutlich strenger reguliert als die meisten traditionellen Pharmaprodukte. Allerdings gibt es bei Cannabis viel mehr ungeklärte Fragen. Die letzten fünf Jahre waren daher Pionierarbeit. Das macht es einerseits spannend, andererseits auch schwierig, weil man auf Hürden trifft, die eigentlich nicht sein müssten. Denn viele Akteure wissen nicht, wie man mit Cannabis umgehen muss.

Kannst du die Schwierigkeit konkretisieren?

Sascha Mielcarek: Ich denke, wir haben deutschlandweit beispielsweise nur 2.500 Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis aktiv verschreiben, von insgesamt bundesweit mehr als 50.000 Ärztinnen. Cannabis ist immer noch nicht salonfähig, auch wenn sich bereits eine Menge getan hat. Wir sehen immer noch große Teile der Ärzteschaft, die sich schwer mit Cannabis tun. Sicherlich lag dies auch an der BtM-Einstufung, aber auch an Cannabis an sich. Als Verschreiber öffne ich beispielsweise die Arzt-Software und kann dann 500 unterschiedliche Blüten verordnen – ohne aber zu wissen, worin sie sich unterscheiden. In der sonstigen Pharmawelt ist das meist anders: Es gibt klare Kategorien, Indikationen, Dosierungen. Cannabis hingegen verlangt eine sehr individuelle Einstellung und Dosierung jedes Patienten. Unser größter “Gegenspieler” ist dabei die Unkenntnis und Konfusion der Marktteilnehmenden.

krautinvest.de: Anfang 2019 hast du die Geschäfte von Tilray in Europa, Afrika und dem nahen Osten geleitet. Damals herrschte noch eine ganz andere Aufbruchstimmung. Engpässe in Deutschland sorgten für entsprechend hohe Preise und Margen. Doch in den kommenden Wochen und Monaten nahm der Wettbewerb zu. Welche Phasen hat gerade der deutsche Markt in den letzten Jahren durchlaufen?

Sascha Mielcarek: 2017 gab es kaum Marktteilnehmer und nur Importe aus Kanada und den Niederlanden. Die Phase war geprägt durch regulatorische Hürden. Den kanadischen Firmen gelingt damals als erstes der Marktzugang. Durch ihren first mover advantage konnten sie die gesamte Ware verkaufen, die ins Land ging. Alles, was in den Markt gelangte, wurde auch verkauft.

Im Extraktmarkt, der seit jeher verschreibungsgestützt ist, hat sich fast gar nichts verändert. Die einzige Änderung ist seitdem, dass es einen kleinen Privatmarkt gibt, um den inzwischen viele Distributoren durch Preisreduzierungen kämpfen.

“Der Markt wird geschwemmt”

krautinvest.de: Kommen wir zu Phase zwei und drei…

Sascha Mielcarek: In der Phase zwei ab etwa 2019 sehen wir vermehrt europäische Hersteller, Importe aus Spanien und Portugal und Lateinamerika – erstmals also Konkurrenz für kanadische Firmen. Teilweise versuchten kanadische Firmen, Herstellungsstätten in Europa zu etablieren. 

In Phase drei, die ungefähr 2021 losging, hat jeder seine Supply Chain entwickelt. Der Markt wird geschwemmt. Positiv ist, dass die Qualität der Produkte exorbitant gestiegen ist. Durch das hohe Angebot entsteht auch ein Preisdruck, der die Preise in den letzten sechs bis zwölf Monaten spiralförmig nach unten getrieben hat. Die Preise für die Blüte haben sich verglichen zur Initialzeit in etwa halbiert.

Bei Extrakten ist dies wohlgemerkt immer noch anders. Die Kosten werden zu großen Teilen von den Kassen erstattet. Der Preis ist nicht so entscheidend.

krautinvest.de: Canify selbst hat Anfang Februar eine sechsstellige Finanzierungsrunde verkündet. Du hast einst die Geschäfte eines Unternehmens geleitet, das als Milliardenunternehmen an der Börse gelistet war. Auch Canify hat bereits 35 Millionen Euro eingesammelt. Ist Bescheidenheit eingekehrt?

Sascha Mielcarek: Ich denke schon. Wir versuchen mit Augenmaß zu wachsen und wollen mit Umsätzen das Recht erhalten, Kapital einzukaufen. Wir werden uns in diesem Jahr als profitables Unternehmen etablieren, um dann zu skalieren.

krautinvest.de: Kommt noch eine größere Runde basierend darauf?

Sascha Mielcarek: Ich brauche kein Kapital mehr, um Canify zu finanzieren. Wir sind auf eigenen Beinen profitabel. Allerdings konsolidiert sich der Markt weiter. Es ergeben sich neue Marktchancen, die ich nutzen möchte. Dafür brauchen wir externes Kapital.

krautinvest.de: Ein gutes Stichwort. Aktuell geht die Anzahl der Patienten nach oben. Das spürt ihr auch schon? 

Sascha Mielcarek: Wir erleben eine hoch dynamische Nachfrage-Entwicklung. Ich bin noch nicht sicher, wie nachhaltig dieses Wachstun sein wird, bin ein wenig überrascht, mit welcher Dynamik Selbstzahler auf den Medizinalmarkt vordringen.

“Es ist weiter zu viel Produkt am Markt

krautinvest.de: Es ist bereits die Rede von ersten Engpässen…

Sascha Mielcarek: Das würde ich mich sehr wundern. Es ist weiter zu viel Produkt im Markt. Die angesprochene Konsolidierung ist weiter notwendig, auch wenn es nun unter Umständen etwas länger dauert, bis sich der Markt konsolidiert. Wir verhalten uns in unseren Annahmen eher konservativ. Die Lehren aus zu hohen Absatz-Erwartungen sollte die Cannabis-Industrie aus der Vergangenheit gezogen haben.

krautinvest.de: Ergeben sich denn durch CanG neue Geschäftsmodelle für euch?

Sascha Mielcarek: Wir haben drei Geschäftsfelder. Erstens Canify Services in Bayern. Wir importieren dort unsere eigenen Rohstoffe und produzieren daraus die Canify Fertigware. Zudem bieten wir unsere Herstellservices Dritten an. In unserem kommerziellen Geschäftsbereich – unter der Canify Marke – vermarkten wir unser Blüten-Portfolio und in den nächsten Wochen auch erstmalig Extrakte. Wir importieren übrigens aus Portugal, Uruguay, Kanada, Kolumbien und Lesotho.  Der dritte Geschäftsbereich ist die Klinik. Seit dem ersten April kann die physische Konsultation teilweise wegfallen. Wir stellen die Arzt-Patienten-Interaktion sicher und bieten Ärzte über Gesamtdeutschland an, so dass der Patient auch Ärzte in seiner Nähe finden kann. Der dritte Bereich wird mit am stärksten vom reformierten MedCanG profitieren.

krautinvest.de: Ein ganz anderes Thema: Du warst bis vor kurzem Chairman der European Medical Cannabis Association (EUMCA). Welches Ziel verfolgt ihr in dem Verein?

Sascha Mielcarek: Wir wollen medizinisches Cannabis auf die europäische Bühne bringen und beobachten nicht nur die Entwicklung in Deutschland, sondern beispielsweise auch die in Spanien oder Frankreich. Und pflegen Kontakt zu europäischen Institutionen. Als Organisation sind wir aufgerufen, uns an dem Policy Prozess zu beteiligen. Zugegeben tut sich auf Europäischer Ebene noch immer erschreckend wenig. Medizinalcannabis ist in Europa immer noch kein zentrales Projekt. Wir sehen wenig regionale Harmonisierung. Was ich anmerken möchte: Wir philosophieren nicht über nicht-medizinische Produkte, die EUMCA ist eine ausschließlich medizinische Organisation.

“Der G-BA soll sich den Erstattungsvorbehalt angucken”

krautinvest.de: Interessieren sich denn andere Länder für die medizinische Entwicklung in Deutschland?

Sascha Mielcarek: Blickt man auf den deutschen Markt und gibt es dazu klare Gesprächszirkel auf europäischer Ebene? Eher nein. Die deutsche Reform wird nicht dazu führen, dass Europa jetzt wellenartig das deutsche Gesetz adoptiert. Aber wir sehen durchaus Interaktionen mit Tschechien, Niederlande, Luxemburg oder Malta. Spannend ist auch die Ukraine. Die Bemühungen dieser einzelnen Staaten ist aber noch nicht unter einem gemeinsamen Dach institutionalisiert.

krautinvest.de: In Europa macht also jedes Land in Sachen Cannabis, was es will…?

Sascha Mielcarek: Die Top-5 sind mit anderen Dingen beschäftigt. Man hat das Gefühl, dass es in einigen Ländern nicht so richtig weitergeht. Auch in Großbritannien gibt es keinen politischen Spieler, die nach medizinischen Cannabis ruft. Frankreich hat auch nach 2 Jahren Experimentierphase keinen klaren regulatorischen Plan. Dort wird aber sicherlich 2025 eine Reform für medizinisches Cannabis etabliert. Und in Deutschland war das, was jetzt in den letzten Wochen passiert ist, nicht zwingend das, was die Ampelregierung am Anfang der Legislaturperiode angekündigt hatte. Ich bin gespannt, was die weiteren politischen Reaktionen auf die aktuelle Marktdynamik sein werden.

krautinvest.de: Und sonst

Sascha Mielcarek: Der G-BA soll sich endlich den Erstattungsvorbehalt angucken! 

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