Ein Gastbeitrag von RA Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office
Die letzten zwei Wochen waren für das Land, aber insbesondere auch für die Cannabisindustrie, ein Wechselbad der Gefühle. Bundeskanzler Scholz musste den Finanzminister entlassen, woraufhin die Ampel-Koalition endgültig zerbrach. Die Ampel-Koalition, maßgeblich zerbrochen an den unterschiedlichen Vorstellungen in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, war sie doch verantwortlich für eines der umfassendsten Reformprojekte in der Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte. Eine gesellschaftliche Modernisierung, auf den in den kommenden Jahren weiter aufgebaut werden kann.
Nutzhanfliberalisierung und Rauschklausel
Die Bundesregierung hatte sich unter der Führung des Bundeslandwirtschaftsministeriums noch im September auf ein Vorhaben zur Nutzhanfliberalisierung geeinigt, dass am Freitag, den 22.11.2024 dann auf der Tagesordnung des Bundesrates stand. Insbesondere sollte die Rauschklausel abgeschafft und der Anbau von Nutzhanf weiter liberalisiert werden. Die Abstimmung der Ausschussempfehlungen verlief erstaunlich positiv und der Antrag des federführenden Agrarausschusses, die sogenannte “Rauschklausel” wieder ins Gesetz aufzunehmen, wurde abgelehnt.
Interessant auch, dass der Bundesrat in der Stellungnahme seines Agrarausschusses darauf hingewiesen hat, dass das der gewerbliche Handel mit Stecklingen und Samen wohl erlaubt sein, und deshalb strenger reguliert werden müsse, analog zu den Anbauvereinigungen (!).
Als nächstes würde das Gesetz nun formal zur ersten Lesung in den Bundestag gehen. Ursprünglicher Plan war, dass in der 48. KW im Bundestag die 1. Lesung erfolgt. Danach wird die Aufforderung zur Stellungnahme und eine Anhörung durchgeführt. Die abschließende Beratung im Bundestag sollte dann in der 51. KW stattfinden. Der zweite Durchgang im Bundesrat hätte dann am 14.02.2025 erfolgen können, mit anschließender Verkündung und Inkrafttreten Anfang März 2025.
Ob es dazu aber noch kommt, und das Gesetz auf die Tagesordnung des Plenums des Bundestages gesetzt wird, ist leider sehr fraglich, und wird sich bis spätestens vor Weihnachten klären. Zuletzt hatte sogar die CDU/CSU Fraktion im November die Bundesregierung gefragt, warum der THC-Gehalt beim Nutzhanfliberalisierungsvorhaben nicht auf 1,0% THC heraufgesetzt werde, was die entsprechenden Fachverbände, wie zum Beispiel der Bauernverband, unlängst zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der deutschen Hanfwirtschaft gefordert hatten (BT-Drucksache 20/13684, Seite 76). Auch bei der Union scheint deshalb durchaus ein Interesse an diesem Gesetzesvorhaben vorhanden zu sein.
Sollte das Gesetz bis zu den Neuwahlen in der verbleibenden Legislaturperiode nicht mehr zur Abstimmung kommen, unterfällt das Vorhaben dem Grundsatz der Diskontinuität, und das Verfahren müsste von einer neuen Bundesregierung im neu gewählten Bundestag komplett neu begonnen werden. Das wäre frühestens im April 2025 möglich, wenn die Koalitionsverhandlungen zwei Monate dauern und das Vorhaben sofort wieder eingebracht würde. Das sich anschließende Verfahren bis zur Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt würde weitere vier bis sechs Monate in Anspruch nehmen. Mit einer neuen Rechtslage wäre somit frühestens Ende 2025 zu rechnen.
Hanf Farm + Hempro Int. vs. Bundesrepublik Deutschland
Damit werden wieder zwei Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland relevant, die wir im August 2021 beim Verwaltungsgericht in Braunschweig eingereicht hatten. Wir hatten für zwei Mandanten Anträge auf Erlass einer Allgemeinverfügung für CBD-Blüten und Hanfblättertee beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gestellt (BVL), einmal auf Grundlage des Tabakerzeugnisgesetzes sowie des LFGB. Da CBD-Blüten und Hanfblättertee in Österreich, Luxemburg und Belgien legal handelbar sind, sollte mit der Allgemeinverfügung festgestellt werden, dass aufgrund des freien Warenverkehrs in der EU diese Produkte auch in Deutschland legal vertrieben werden können. Das BVL lehnte den Erlass der Allgemeinverfügungen ab, da ein Missbrauch zu Rauschzwecken entsprechend der Rechtsprechung des BGH nicht ausgeschlossen werden könne.
Sollte der Bundestag das Vorhaben zur Nutzhanfliberalisierung in dieser Legislaturperiode nicht abschließen können, bleibt dieses Verfahren wohlmöglich der letzte Angriff auf die Rauschklausel.
Laut Auskunft des Verwaltungsgerichts Braunschweig soll noch in diesem Jahr terminiert werden.
Darüber hinaus werden auch immer mehr Entscheidungen bekannt, in denen die Beschlagnahmung von CBD-Blüten vom Beschwerdegericht entweder nicht bestätigt werden, oder Verfahren wegen mangelndem Tatverdacht gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die beschlagnahmten Blüten anschließend herausgegeben werden. So auch beim Cannabis-Aktivisten und Unternehmer Wenzel Cerveny, der von der Staatsanwaltschaft Regensburg zunächst beschlagnahmte CBD-Blüten wiedererlangte, was in der Geschichte der Legalisierung einer kleinen Sensation gleichkommt.
Die Rechtsprechung, insbesondere auch der BGH in der Entscheidung zur nicht geringen Menge im April dieses Jahres, scheint in Sachen Cannabis und Vermehrungsmaterial überfordert. Gesetzesbegründungen (verfehlt oder nicht) werden mal ignoriert, und ein anderes Mal komplett überbewertet, je nach eigener, althergebrachter Überzeugung. So wird das Vertrauen in den Rechtsstaat kurzfristig untergraben und langfristig nachhaltig beschädigt!
Medizinisches Cannabis
Der Markt für medizinisches Cannabis hat seit der Herausnahme aus dem BtMG am 1.4.2024 eine rasante Entwicklung hingelegt. Die neuesten vom BfArM veröffentlichen Zahlen deuten darauf hin, dass dieses Jahr mit ca. 60 t womöglich doppelt so viel medizinisches Cannabis importiert wird wie letztes Jahr. Die Zahl der Patienten dürfte sich mittlerweile auf bis zu 300.000 erhöht haben.
Einhergegangen ist diese Entwicklung mit der Eröffnung zahlreicher, weiterer sogenannter Tele-Kliniken, die offensiv für ihre Dienstleistung werben und auch Rezepte ohne jeglichen Arztkontakt an Patienten vermitteln. Aber auch die Produzenten und Importeure von medizinischem Cannabis werben unablässig für ihre Produkte und bauen ihre Marken und Produkte weiter auf.
Daher liegen unzählige Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz, die Musterberufsordnung der Ärztinnen und Ärzte, inklusive Fernbehandlungsverbot, und gegebenfalls auch gegen pharmazeutische Qualitätsanforderungen der abgegebenen medizinischen Blüten vor.
Der Gesetzgeber hat sich mit dem „Cannabis als Medizin“ Gesetz aus 2017 bewusst dafür entschieden, Cannabis mit seinem medizinischen Potential zu nutzen und in Form von Blüten und Extrakten als Rezepturarzneimittel zu ermöglichen, ohne dass klinische Studien die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis belegen könnten. Vorangegangen war ein Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht, in dem der schwer kranke Kläger eine Ausnahmegenehmigung für den Eigenanbau von Cannabis begehrte. Das Bundesverwaltungsgericht gewährte dem Kläger diese Ausnahme, woraufhin sich die damalige Bundesregierung entschloss, den Eigenanbau weiter zu kriminalisieren, aber die Versorgung der „Patienten“ fortan gesetzlich mit einem regulären und regulierten Markt für medizinisches Cannabis zu sichern. Eine weitere bewusste Entscheidung war es, Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel einzustufen, und mit dem MedCanG die Verschreibung und den Zugang zu medizinischem Cannabis weiter zu vereinfachen.
Natürlich handelt es sich bei der Verschreibungsmöglichkeit von medizinischem Cannabis um einen Systembruch, wie es der Präsident des BfArM, Prof. Broich, damals einstufte, und mit diesem Systembruch müssen wir lernen zu leben. Dazu gehört, dass man akzeptiert, nicht alle Daten zur toxikologischen Unbedenklichkeit zu haben, und die Sicherheit sich auch nicht unbedingt aus der tradierten Anwendung ableiten lässt. Dazu gehört auch, dass der „niederschwellige“ Zugang auf Daten basiert, die in keiner der Indikationen, in der verschrieben wird, konklusiv sind. In einigen Indikationen mag die Verschreibung auch nur basierend auf anekdotischen Daten erfolgen, und selbst in gut untersuchten schmerzbezogenen Indikationen fehlen konklusive Studien.
Nicht dazu gehört deshalb die Diskussionen um „falsche“ und „echte“ Patienten, da es keinen Ausschluss von Indikationen gibt. Auch derjenige, der sich niedrigschwellig Cannabis über eine Tele-Klinik besorgt, verspricht sich hiervon gesundheitliche Vorteile. Ob eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Freizeitkonsumenten und Patienten überhaupt möglich ist, darf ebenfalls bezweifelt werden.
Nicht dazu gehören sollte auch, dass sich die Qualität der Blüten durch vermehrtes und fehlerhaftes GMP-Washing leidet, mit den entsprechenden Risiken für den Patienten.
Bei einigen Pharmazeuten und Pharmazeutinnen sowie den Fachgesellschaften wird deshalb die Rufe nach strengeren Regeln immer lauter.
Richtig ist, dass die gesetzliche Ausgangslage die Lebenswirklichkeit einigermaßen widerspiegeln sollte. Entsteht insofern eine dauerhafte Diskrepanz, wird einerseits das Recht untergraben, und anderseits nicht erwünschte Reaktionen provoziert. Der Industrie ist deshalb anzuraten, ihren aggressiven Vermarktungskurs aufzugeben und sich selbst zu beschränken, zumal die meisten Marken und Produkte jetzt ausreichend etabliert sein sollten. Wettbewerber und Behörden müssen Wettbewerbsverstöße und Qualitätsmängel konsequenter verfolgen, und Berufsverbände sollten konsequenter einschreiten.
Ansonsten kommt die getrocknete, medizinische Cannabisblüte, die letztendlich für die Rechtsverletzungen verantwortlich ist, tatsächlich auf den politischen Prüfstand. Ein Verbot der Abgabe als Rezepturarzneimittel würde die Verstöße umgehend beenden, aber auch die Patientenversorgung massiv einschränken, und darüber hinaus sogar mittlerweile hunderte Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle vernichten.
Ausblick nach der Wahl
Die CDU/CSU hat sich dafür entschieden, ihren Kulturkampf gegen Cannabis fortzusetzen. Und zwar auf allen Ebenen. So bringt Innenminister Reul aus Nordrhein-Westfalen die Cannabis Legalisierung in Zusammenhang mit der niederländischen Mocro-Mafia, ohne hierfür auch nur einen Beleg zu haben. Weder sein Innenministerium noch das Bundeskriminalamt noch die Bundesregierung können eine gesteigerte Kriminalität durch die Legalisierung feststellen oder bestätigen. Zuletzt konnten wir in einer Aktuellen Stunde im Bundestag sehen, wie die negative, aber auch faktenfreie Position der Union zu Cannabis aussieht.
Damit stellt sich die Frage, ob die Union entsprechende Forderungen nach einer Rückabwicklung der Legalisierung tatsächlich in ihr Wahlprogramm für den anstehenden Bundestagswahlkampf aufnimmt. Und wenn sie das tut, was passiert dann bei eventuellen Koalitionsverhandlungen mit einem der Partner, die das CanG auf den Weg gebracht und beschlossen haben, seien es die Grünen oder die SPD oder beide?
Wird dann ein Kompromiss erfolgen müssen, und wenn ja, wie sieht dieser aus?
Werden dann strengere Vorschriften für Besitz, Eigenanbau oder Anbauvereinigungen kommen?
Die Anbauvereinigungen hatten einen schleppenden Start, und die Anträge und Genehmigungen sind bis jetzt immer noch sehr überschaubar. Aber, wie wir sehen, es kann auch funktionieren, wie beim CSC Ganderkesee, der als erste Anbauvereinigung Cannabis an seine Mitglieder abgeben konnte. Das erste Konsumcannabis, das jemals legal in Deutschland abgegeben wurde.
Anbauvereinigungen haben somit geringes Mobilisierungspotential, und wären ein geeignetes Opfer einer konservativen Symbolpolitik. Oder wird es die (systemwidrige) medizinische Cannabisblüte, mit ihrem Potential zu ständigen Rechtsverletzungen durch die Beteiligten in der Lieferkette?
Festzustehen scheint allerdings, dass die Säule 2 in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommt. Dafür reicht die verbliebene Zeit nicht aus, und der entsprechende Stab im Gesundheitsministerium wurde bereits aufgelöst. Auch die Möglichkeit, über die sogenannte Forschungsklausel im KCanG zu realisieren, sollte eher kritisch gesehen werden. Selbst wenn hierfür die beiden Stellen in der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BEL), die eingerichtet werden sollen, und die entsprechende Verordnung in Kraft träte, ist nicht davon auszugehen, dass Anträge auf Modellprojekte genehmigt werden. Ich halte es für politisch nicht gewollt, dass ein Flickenteppich an Modellprojekten mit ihren jeweils eigenen Regelungen über die Republik verteilt entsteht, ohne dass diese Projekte von gemeinsam geltenden Leitplanken flankiert werden.
Die nächsten großen Möglichkeiten zur Reform der Cannabis-Politik werden sich wohl erst wieder ergeben, wenn auf die EU-Ebene der Rahmenbeschluss geändert wurde. Hierzu hatte Rene Repasi zusammen mit Carmen Wegge im Mai dieses Jahres eine entsprechende Initiative des EU-Parlamentes auf Instagram angekündigt. Die Änderung des Rahmenbeschlusses soll die gesamte Legislaturperiode des neuen EU-Parlamentes in Anspruch nehmen. Erst danach werden weitere Schritte, und zwar für alle EU-Mitgliedstaaten, in Richtung rechtssicherer Legalisierung von Cannabis möglich sein.
Über Kai-Friedrich Niermann
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 ausschließlich im Bereich Cannabis mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Kai veröffentlicht regelmäßig Artikel bei Krautinvest, BusinessCann und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und sein Büro KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabis Unternehmen, als auch Unternehmen, die am entstehenden Freizeit-Cannabis Markt interessiert sind. Außerdem ist er Berater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat, und Mitglied des Advisory Boards der International Cannabis Bar Association (INCBA) und im Vorstand von LEAP Deutschland e.V..
Disclaimer: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.