Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen an Cannabis-Produkte vor und nach 2017 in Deutschland

by Astrid Hahner

Cannabis ist ein Naturprodukt. Somit können viele äußere Faktoren seine Qualität und Zusammensetzung beeinflussen. Besonders wenn es als Arznei von vulnerablen Patienten verwendet wird muss sichergestellt werden, dass der Gehalt an Inhaltsstoffen, die Qualität des Rohstoffs und dessen Unbedenklichkeit in Bezug auf Verunreinigungen jederzeit gewährleistet ist. Dazu benötigt man einen streng kontrollierten Anbau und engmaschige Qualitätskontrollen. Aber auch für hanfhaltige Kosmetika und Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel gelten bestimmte Anforderungen an Qualität und Sicherheit im Sinne des Verbraucherschutzes. Inverkehrbringer müssen daher ein funktionierendes Qualitätsmanagement System aufbauen und die Chargen müssen regelmäßig durch qualifizierte Labore analysiert und für den Markt freigegeben werden. Eine dieser Prüfstellen in Deutschland: die Wessling GmbH; wir sprachen mit Dr. Maik Siebelmann über GxP relevante Fragestellungen für Cannabis-Unternehmen.

krautinvest.de: Sie sind Experte für die Analytik, Beratung und Planung in verschiedenen Fachgebieten, unter anderem speziell auch für pharmazeutisches Cannabis. Hat man bereits vor 2017 importierte Cannabisprodukte (für Patienten mit einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG) analysiert? Was hat sich seitdem bezüglich der Anforderungen verändert?

Dr. Maik Siebelmann: Unser Unternehmen ist seit 2003 im GMP regulierten Umfeld der pharmazeutischen Industrie tätig. Wir prüfen in unseren mikrobiologischen und chemischen Laboren unterschiedlichste Darreichungsformen hinsichtlich ihrer Qualitätsanforderungen. Die Prüfung von pharmazeutisches Cannabis wurde tatsächlich erst 2017 durch einen Kunden an uns herangetragen. Für diesen Kunden haben wir einen Hersteller von pharmazeutischen Cannabisblüten im Ausland hinsichtlich den EU GMP Anforderungen qualifiziert.

Eine verbindliche Prüfung der pharmazeutischen Qualität von eingeführten oder auch in Deutschland lizensiert kultivierten Medizinalcannabisblüten oder Cannabisextrakten wurde erst nach dem Inkrafttreten des “Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und andere Vorschriften” am 10.03.2017 Pflicht.

Die im Rahmen des § 3 Absatz 2 BtMG abgegebenen Cannabisblüten unterlagen somit keiner weiteren Qualitätsprüfung. Erst 2016 mit der DAC Monographie Cannabis flos und 2017 mit der DAB Monographie Cannabis flos wurden Standards für die analytische Prüfung von Cannabisblüten geschaffen. Die Prüfung von importierten Cannabisblüten erfolgt aktuell nach Vorgabe der DAB Monographie sowie nach Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs.

krautinvest.de: Interessant! Wie unterscheiden sich grundsätzlich die notwendigen Prüfverfahren bzw. Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen an pharmazeutisches Cannabis, hanfhaltige Lebensmittel und cannabinoidhaltige Kosmetikprodukte? Unterscheiden sich da die Ansprechpartner oder kann ein Prüflabor automatisch alles?

Dr. Maik Siebelmann: Die Anforderungen an hanfhaltige Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und cannabinoidhaltige Kosmetika unterscheiden sich grundlegend von den Anforderungen an pharmazeutische Cannabisprodukte. Der Gehalt bzw. die Abwesenheit von Tetrahydrocannabinol (THC) ist deutlich strenger reguliert. Es wird hier nicht auf die BTMG relevante Grenze von < 0,2% THC geschaut, sondern vielmehr auf die im Rahmen der Einnahmeempfehlung theoretische pharmakologische Wirkung. Das heißt, die Grenzwerte für THC liegen weit unter 0,2% und können analytisch häufig nur noch mittels massenspektrometrischer Methoden untersucht werden.

Wir beschäftigen dafür jeweils Experten an unterschiedlichen Standorten. Ein häufiges Thema ist in beiden Fachbereichen, NEM/Lebensmittel und Kosmetika, die unsichere Rechtslage rund um den Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD).

krautinvest.de: Sie führen unter anderem quantitative Gehaltsprüfungen für ausgewählte Cannabinoide und die gängigsten Terpene durch. Terpene sind in aller Munde, denn obwohl sie nicht offiziell als Wirkstoffe in Cannabis definiert sind, sind viele Patienten davon überzeugt, dass das Terpenprofil die individuell empfundene Wirkung der Rezepturarznei stark beeinflusst, ungeachtet des Gehalts an THC und CBD. Ist das Terpenprofil und der quantitative Gesamtgehalt an Terpenen in Blüten und sogenannten Vollspektrum-Extrakten aus Blüten des gleichen Kultivars identisch / vergleichbar?

Dr. Maik Siebelmann: Bei Cannabisblüten handelt es sich um ein Naturprodukt mit zahlreichen Inhaltsstoffen. Es konnte beobachtet werden, dass der Gesamteffekt oft größer ist als die Effekte der Einzelsubstanzen, was zu der Hypothese führte, dass die Inhaltsstoffe sich gegenseitig in ihrer Wirkung unterstützen. Man spricht auch von dem “Entourage-Effekt”. So wird davon ausgegangen, dass die Terpene, die in einer Blüte enthalten sind, die Wirkung der Cannabinoide verstärken oder modifizieren.

Bei den Terpenen handelt es sich um flüchtige Substanzen. Cannabisextrakte lassen sich mit unterschiedlichen Verfahren herstellen. Extrakte, die mittels eines weniger schonenden Verfahrens hergestellt wurden – zum Beispiel  ethanolische Extraktion gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Hitzeschritt zur Decarboxylierung – enthalten aufgrund der Flüchtigkeit der Substanzgruppe deutlich weniger Terpene als schonend hergestellte, zum Beispiel mittels CO2 Extraktion. Dabei ist erkennbar, dass vor allem die kleinen und daher flüchtigeren Terpene wie alpha-Pinen oder Myrcen nicht in den Extrakten zu finden sind, wohingegen das Ausgangsmaterial der Extraktherstellung möglicherweise reich an diesen Terpenen war.

Bereits die Zerkleinerung des Blütenmaterials – ein notwendiger Schritt bei der Extraktherstellung unabhängig vom gewählten Verfahren – führt zu einem Verlust von Terpenen. Es ist daher zu erwarten, dass der quantitative Gesamtgehalt an Terpenen, vor allem für die leicht flüchtigen Vertreter der Gruppe, im Extrakt geringer ausfällt als in der Cannabisblüte des gleichen Kultivars.

krautinvest.de: Das ist sehr spannend, denn viele Ärzte wundern sich, weshalb Patienten häufig (unzerkleinerte) Blüten präferieren bzw. scheint der Tenor bei Behörden oder auch dem MDK zu sein, dass in jedem Fall die Verschreibung von Extrakten zu bevorzugen sei. Wie man sieht, würden dann aber Äpfel mit Birnen verglichen, nicht nur was den Applikationsweg angeht, sondern auch die pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffe. Ich muss aber doch noch einmal auf die Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen zurück kommen, die es wie Sie sagen vor 2017 für Cannabisblüten aus der Apotheke nicht einmal gab: Wie häufig kommt jetzt vor, dass Ihnen von Herstellern / Großhändlern Proben von Blüten oder Extrakten zur Analyse zugeschickt werden, die jeglichen Sicherheitsstandards widersprechen, d.h. gesundheitsschädliche Verunreinigungen wie Schwermetalle, Pestizide oder Schimmelsporen enthalten? 

Dr. Maik Siebelmann: Insgesamt muss man sagen, dass der überwiegende Teil der eingeschickten Proben den Qualitätsanforderungen entspricht. Der GACP konforme Indoor Anbau sowie die nachgelagerten GMP Schritte der Trocknung und Verpackung stellen eine hohe Produktqualität sicher. Alle Proben entsprachen daher bisher den Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs hinsichtlich den Vorgaben für Pestizide, Schwermetalle und Aflatoxine. Wir empfehlen unseren Kunden daher auch, risikobasiert diese Parameter nach initialer Qualifizierung des Herstellers im Rahmen eines Skip Lot Testings, zum Beispiel nur jede fünfte Charge, zu prüfen.

krautinvest.de: Was sind die häufigsten Gründe, wenn Cannabisprodukte durch Ihre Qualitätskontrolle fallen?

Unbestrahlte Cannabisblüten sind häufiger mikrobiologisch kontaminiert und fallen durch die Qualitätsprüfung als bestrahlte. Hier kommt es gelegentlich zu Überschreitungen der Akzeptanzkriterien, zum Beispiel für Hefen und Schimmelpilze. Diese Produkte können dann nicht für den Endverbraucher freigegeben werden.

Des Weiteren kann es zu Out of Specification Ergebnissen beim Retest des THC kommen. Hier liegt das Messergebnis für THC außerhalb der erlaubten +/-10% des deklarierten Gehalts. Die Ursachen einer solchen Abweichung können vielfältig sein. Zum Beispiel kann der THC Gehalt innerhalb einer Erntecharge schwanken, weil die Anbaubedingungen nicht optimal sind. Die Probenvorbereitung im Labor und der Probenzug spielen jedoch eine ebenso große Rolle und können gegebenenfalls die Messergebnisse beeinflussen.

krautinvest.de: Ich verstehe, dann ist vor allem die präzise Einhaltung des anvisierten Wirkstoffgehalts (+/- 10% Kulanzbereich) in dem Naturprodukt das Problem. Neben der Analytik bieten Sie auch Consulting-Services für Anbauer und Importeure von Cannabis an. Unter anderem können Firmen Schlüsselpositionen wie die Verantwortliche Person, die Sachkundige Person oder das Qualitätsmanagement zu Ihnen auslagern. Sind das Interimslösungen, die mit einschließen, dass Sie firmeninternes Personal mit weniger Erfahrung für diese Aufgaben langfristig vorbereiten/qualifizieren? Gibt es überhaupt One-Size-Fits-All Lösungen? Und wo sehen Sie die größten Wissenslücken bzw. Herausforderungen bei den Firmen, die Sie betreuen?

Dr. Maik Siebelmann: Unsere Beratungskunden aus der Cannabisindustrie profitieren von unserer langjährigen Erfahrung und dem entstandenen Netzwerk an Dienstleistern. Für Start-ups ist es schwer, die nach Arzneimittelrecht notwendigen Verantwortungsträger (VP/QP/BTMV) zu finden und in Festanstellung zu beschäftigen.

Zudem ist eine Festanstellung vor allem in der Startphase eines jungen Unternehmens nicht wirtschaftlich, da zunächst den Ausgaben keine Einnahmen gegenüberstehen und Umsätze erst getätigt werden können, wenn alle relevanten Erlaubnisse vorliegen und alle Lieferanten qualifiziert sind.

Unser Unternehmen kann die relevanten Schlüsselpersonen mit dem notwendigen GMP Know-How stellen. Diese können ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) aufbauen und das Personal der Firmen hinsichtlich GMP- und GDP-Anforderungen schulen. Unser Ziel ist es, in der Firma ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem aufzubauen, welches durch Fachleute vor Ort verantwortet und von den Mitarbeitern gelebt wird. Wenn möglich, qualifizieren wir auch Mitarbeiter für Schlüsselpositionen. Dies ist zum Beispiel im Falle der VP durchaus gegeben.

Die rechtlichen Anforderungen zur Qualifikation einer QP – eine 2-jährige Tätigkeit in der qualitativen und quantitativen Analytik unter GMP Standards sowie ein Pharmaziestudium – zu erfüllen, ist allerdings sehr schwer. Daher kann die Sachkundige Person in der Regel nicht durch firmeneigenes Personal ersetzt werden.

Es gibt aus unserer Sicht keine “one-size-fits-all”-Lösung für Start-Ups im regulierten Umfeld. Unternehmen müssen die notwendigen Maßnahmen immer auf ihre individuelle Situation abstimmen.

Die größte Wissenslücke und somit auch Herausforderung für unsere Kunden ist das fehlende Wissen und die praktische Erfahrung im regulierten pharmazeutischen Umfeld. Viele Dinge benötigen deutlich mehr Zeit und produzieren höhere Kosten als im Businessplan gedacht. Inspektionen der Behörde, Stabilitätsstudien, Prozessvalidierungen, Abweichungsmanagement, OOS sind nur wenige Beispiele von Vokabeln, die den jungen Start-ups oft noch kein Begriff sind. Darum sind sie in der Regel überaus froh, in uns einen kompetenten, erfahrenen Ansprechpartner zu finden, der sie auf ihrem Weg zum verkehrsfähigen Produkt aktiv begleitet und berät.

krautinvest.de: Herr Dr. Siebelmann, ich bedanke mich recht herzlich für diese interessanten Einblicke in Ihren Berufsalltag!

Über Dr. Maik Siebelmann

Dr. Maik Siebelmann begann nach seiner Approbation als Apotheker seine Berufslaufbahn in der pharmazeutischen Industrie als Laborleiter für die analytische Entwicklung. In der Folge war er als Herstellungsleiter bei einem mittelständischen Unternehmen für halbfeste Produkte aktiv. Seit 2013 ist er bei der Wessling GmbH als Qualified Person und Leiter des Pharma-Standorts Münster tätig. In dieser Funktion betreut er seit 2017 zahlreiche Kunden aus der internationalen Cannabis-Industrie für GxP relevante Fragestellungen.

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